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Thermoregulation

Kastration von Hengsten

Ciao Macho!

Kastrationen gehören zum Alltag in der Pferdemedizin, doch Beweggründe und Methoden sind sehr unterschiedlich. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten der Kastration, deren Vor- und Nachteile.

Hengste imponieren – doch das typische Verhalten kann das Management der Tiere erschweren. Eine Kastration kann eine mögliche Lösung sein. Foto: Christiane Slawik

Hengste imponieren, das liegt in ihrer Natur. Doch im Alltag kann ihr typisches Verhalten zu einer echten Herausforderung werden und das Management erheblich erschweren – für manch stolzen Hengst bedeutet es schlicht „Einzelhaft”. Wenn ein Hengst nicht für die Zucht vorgesehen ist oder sein Verhalten zu schwierig wird, ebnet die Kastration den Weg zu einem pferdegerechteren Leben mit Artgenossen und Sozialkontakten. Da die Hoden nicht nur für die Spermienproduktion, sondern auch für die Hormonproduktion verantwortlich sind, werden die Pferde nach der Kastration in der Regel ruhiger und umgänglicher – aus dem hormongesteuerten Macho wird ein WG-tauglicher Wallach. Abgesehen von haltungsbedingten Überlegungen gibt es auch medizinische Gründe für den Eingriff: „Tumore, Leistenbrüche, Verletzungen oder Traumata im Hodenbereich können eine Kastration ebenfalls erforderlich machen“, erklärt Dr. Sabine Sykora, Professorin für Pferdechirurgie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Auch Kryptorchiden, umgangssprachlich als Klopphengste bekannt (siehe Infokasten), sollten kastriert werden. Die erhöhte Körpertemperatur im Bauchraum kann dazu führen, dass die Hoden zu Tumoren ausarten. Zudem führt die veränderte Produktion von Geschlechtshormonen oft zu aggressiverem Verhalten bei den Hengsten.

Der richtige Zeitpunkt

„Generell können Hengste heutzutage unabhängig von Rasse, Jahreszeit und Alter sicher kastriert werden“, erklärt Dr. Sykora. Die Expertin empfiehlt jedoch, Junghengste nicht zu früh kastrieren zu lassen, da durch das fehlende Testosteron der Schluss der Wachstumsfugen der Knochen später erfolgt und sich dadurch die Proportionen verändern können. „Sofern es die Haltungsform erlaubt und die Pferde noch kein Hengstverhalten zeigen, rate ich persönlich dazu, die Kastration erst mit 2,5 Jahren durchzuführen, da sich zu diesem Zeitpunkt auch die Muskulatur schon gut entwickelt hat.“ Unabhängig vom Alter sollten Pferde für den Eingriff körperlich fit sein und unbedingt einen ausreichenden Tetanusschutz haben.

Stehen oder liegen?

Vor allem in größeren Zuchtbetrieben wird bisweilen noch die stehende Kastration praktiziert, obwohl sie zunehmend von Tierärzten und Sachverständigen als nicht mehr zeitgemäß angesehen wird. Bei der Kastration im Stehen werden die Pferde stark sediert und lokal betäubt, was jedoch ein höheres Verletzungsrisiko birgt, falls sich das Pferd unerwartet hinwirft oder tritt. Dr. Sykora rät davon ab, sehr junge Pferde, Hengste mit nicht normal entwickelten Hoden und solche, die älter als 36 Monate sind, im Stehen zu kastrieren. Sie ergänzt: „Generell sind auch nervöse Pferde und Kleinpferde nicht die besten Kandidaten für eine stehende Kastration.“ Die stehende Kastration hat nicht zuletzt auch dank der Entwicklung von sicheren Anästhetika stark an Bedeutung verloren.

Die liegende Kastration wird unter Vollnarkose durchgeführt. Sie hat den Vorteil, dass das Pferd absolut ruhig liegt und der Chirurg mit einer besseren Sicht auf das Operationsfeld präzise arbeiten kann. Diese Methode kann sowohl am Heimatstall als auch in der Tierklinik durchgeführt werden und ist für den operierenden Chirurg deutlich sicherer. Zu bedenken sind eine längere Operationsdauer, höhere Kosten und das Risiko von Vollnarkose und Aufwachphase.

Sofern der Hengst über normal entwickelte Hoden verfügt, kann die Kastration auf dem heimatlichen Stall oder auf der Weide durchgeführt werden. Fotos (7): Sabine Heüveldop

Kastration versus Sterilisation

Bei der Kastration werden die Geschlechtsdrüsen (Gonaden) entfernt, was zu hormonellen Veränderungen und möglichen Verhaltensänderungen führt, während bei der Sterilisation die Funktionsfähigkeit der Gonaden erhalten bleibt, aber die Fortpflanzungsfähigkeit unterbunden wird, ohne den Hormonhaushalt zu beeinträchtigen.

Mögliche Komplikationen

Komplikationen sind auch bei einer fachgerechten Kastration nicht vollständig auszuschließen. Nach Literaturangaben liegt die Komplikationsrate von unbedeckten Kastrationen im Stehen zwischen 16 und 22 Prozent, während sie bei Kastrationen unter Vollnarkose nur etwa sechs bis zehn Prozent beträgt. Eine leichte Blutung unmittelbar nach der Operation ist nicht ungewöhnlich. Auch Schwellungen im Bereich des Hodensacks werden in der Literatur als häufige Komplikationen genannt, gehen jedoch normalerweise innerhalb von zwei Wochen zurück. Dr. Sykora betont jedoch, dass starke Schwellungen, Mattigkeit, Fieber und Wundausfluss auf eine Wundinfektion oder andere behandlungsbedürftige Ursachen hinweisen können, die unbedingt vom Tierarzt abgeklärt werden sollten. Pferdebesitzer sollten daher auf Anzeichen von Komplikationen achten und bei Bedarf sofort den Tierarzt kontaktieren.

Unterschiedliche Methoden der Kastration

Für gesunde Hengste mit normal entwickelten Hoden stehen drei verschiedene Operationsmethoden zur Verfügung: die unbedeckte, die halbbedeckte und die bedeckte Kastration. Diese Methoden unterscheiden sich hauptsächlich in der Art und Weise, wie die Hoden entfernt werden und ob bei der Entfernung die innere Bauchhöhle durch Durchtrennung der Hodenhüllen eröffnet wird oder nicht. Um das Ganze besser zu verstehen, muss man die Anatomie kennen: Die Hoden sind von der äußeren Hodenhülle, dem sogenannten Scheidenhautfortsatz (Tunica vaginalis parietalis) umgeben, einer Aussackung des Bauchfells. An dieser dünnen Schicht setzt ein Muskel an, der für die Thermoregulation des Hodens zuständig ist. Äußere Hodenhülle und Hodensack (Skrotum) bilden praktisch einen doppelten Schutz der empfindlichen Hoden.

Unbedeckte Kastration

Bei der unbedeckten Kastration öffnet der Tierarzt sowohl den Hodensack als auch die äußere Hodenhülle. Hoden, Nebenhoden und ein Teil des Samenstrangs werden freigelegt und mit einer speziellen Kastrationszange, dem Emaskulator, abgetrennt. Wichtig dabei: Durch das Öffnen der Tunica vaginalis entsteht eine direkte Verbindung zur Bauchhöhle, was das Risiko erhöht, dass Darmteile oder Netzanteile aus der Kastrationswunde vorfallen oder Keime in die Bauchhöhle gelangen können. Aufgrund der kurzen OP-Dauer ist dies die bevorzugte Methode für die stehende Kastration, meist im Stall oder auf der Weide durchgeführt, wobei die Wunde offen bleibt.

Bedeckte Kastration

Bei der bedeckten Kastration wird nur der Hodensack eröffnet, wobei der Scheidenhautfortsatz intakt bleibt. Der Samenstrang wird freipräpariert, in den meisten Fällen ligiert, also abgebunden, und mit dem Emaskulator gequetscht. Die Hoden werden dann mit dem Scheidenhautfortsatz entfernt. Ein Vorteil dieser Methode, so Sabine Sykora, liegt darin, dass kein offener Zugang zur Bauchhöhle entsteht und die Ligatur nicht nur die Blutstillung sichert, sondern auch ein weitgehender Schutz vor Eingeweidevorfällen ist. Der Hodensack kann zum Schluss durch eine Naht verschlossen werden oder die Wunden bleiben offen, was den Vorteil hat, dass etwaiges Wundsekret abfließen kann.

Halbbedeckte Kastration

Die halbbedeckte Methode bezeichnet man so, weil Hoden und Nebenhoden unbedeckt abgesetzt werden, während der Samenstrang bedeckt ist. Diese Technik ermöglicht eine genaue Kontrolle der Strukturen. Allerdings ist diese Operationsvariante zeitaufwendig und erfordert einen guten Überblick im Operationsbereich, weshalb sie meist unter Vollnarkose durchgeführt wird.

Jedes Kastrations-Verfahren bietet Vorund Nachteile, die abzuwägen sind. Dr. Sabine Sykora erklärt ihr Vorgehen: „Ich schließe mich der Empfehlung des Arbeitskreises Kastration der Gesellschaft für Pferdemedizin e.V. (GPM) an. Demnach hat die bedeckte oder halbbedeckte Kastration des normalen Hengstes‘ in Allgemeinanästhesie mit gesicherter Ligatur der Samenstränge und primärem Wundverschluss nach unserem aktuellen Wissensstand die geringste Komplikationsrate und die schnellste Heilung. Bei temperamentvollen Junghengsten bevorzuge ich persönlich jedoch eine offene Wundheilung, da diese Variante ein intensiveres Bewegungsprogramm in der Rekonvaleszenz erlaubt.“

Die Zeit danach

Das Schmerzmanagement wird in Zusammenhang mit Kastrationen unabhängig von der Tierart häufig diskutiert. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien zur objektiven Erfassung von Schmerzen beim Pferd durchgeführt. Es gibt zwar keine gesetzliche Vorschrift, wohl aber eine Empfehlung für das Schmerzmanagement nach einer Kastration. „Die British Equine Veterinary Association, ein weltweit führender Verband von Pferdetierärzten, empfiehlt über drei Tage Arzneimittel mit entzündungshemmender, schmerzstillender und fiebersenkender Wirkung zu verabreichen. Außerdem zeigen Studien, dass diese Medikation auch zu verminderten postoperativen Komplikationen führt“, sagt Dr. Sykora. Sie rät außerdem, ein zu frühes Training zu vermeiden, da Pferde in der Regel etwa drei Wochen Rekonvaleszenzzeit benötigen. „Das individuell empfohlene Bewegungsprogramm sollte möglichst genau eingehalten werden, da zu viel oder zu wenig Bewegung auch nach einigen Tagen noch zu Schwellungen führen kann“, so die Tierärztin. Obwohl man annimmt, dass die Rest- Befruchtungsfähigkeit nur kurz nach der Kastration besteht, wird empfohlen, Pferde mindestens sechs Wochen lang nicht mit Stuten zusammenzubringen. „Ältere Hengste brauchen manchmal sogar etwas länger, bis sie die Hormonumstellung verkraftet haben. Manchmal sind sie einige Zeit wenig belastbar. Sprich sie kümmern gerne etwas nach der Kastration“, erklärt Dr. Konstanze Krueger-Farrouj, Verhaltensforscherin und Professorin für Pferdehaltung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Nach der Umstellung beginnt eine Zeit mit mehr Gelassenheit: „Die Pferde sind ruhiger und weniger aggressiv, das Hengstverhalten wird zum großen Teil eingestellt. Sie ordnen sich meist leichter unter und suchen mehr Zuwendung bei anderen Pferden und auch bei Menschen. Der Appetit kann zunehmen und sie vertreiben sich die Zeit nun gerne mit Fressen“, beschreibt Konstanze Krüger-Farrouj. Tatsache ist: Mit der Kastration wird die Zeugungsunfähigkeit unwiderruflich besiegelt. Doch was wäre, wenn eine „Entmannung auf Probe“ möglich wäre?

Wallach auf Probe

Die sogenannte Immunokastration ist eine interessante und zudem kostengünstige Alternative zur klassischen Kastrations-OP. Die Methode nutzt das Prinzip einer Impfung, um das körpereigene Gonadotropin-Releasing- Hormon (GnRH) zu blockieren. GnRH wird im Hypothalamus, einem Teil des Zwischenhirns, produziert und regt die Ausschüttung bestimmter Hormone in der Hirnanhangdrüse an, die wiederum die Spermienbildung regulieren. Bei der Immunokastration wird ein künstlich hergestelltes Analogon des Hormons Gonadoliberin (GnRH) so verändert, dass es nach der Injektion keine hormonelle Wirkung hat, aber vom Abwehrsystem des Hengstes als fremd erkannt wird. Als Reaktion darauf bildet der Körper Antikörper, die sowohl das künstliche GnRH als auch das natürliche GnRH binden können. Dadurch wird die Wirkung des körpereigenen GnRH blockiert, was dazu führt, dass die Geschlechtsdrüsen nicht mehr hormonell stimuliert werden. „Nach zwei Impfungen bleiben die Hengste etwa ein halbes Jahr lang weitgehend unfruchtbar“, erklärt Professorin Christine Aurich, Leiterin des Zentrums für Reproduktionsmedizin der Veterinärmedizinischen Universität Wien, und weist damit auf einen wichtigen Unterschied zur chirurgischen Kastration hin: „Das Ergebnis der Impfung ist innerhalb eines gewissen Spektrums zu erwarten. Das heißt, die Wirksamkeit und Dauer variieren von Hengst zu Hengst.“ Was Pferdebesitzer ebenfalls wissen müssen: „Damit es zu einer Impfantwort kommt, muss der Impfstoff mit einem relativ starken Adjuvans, ein Hilfsstoff, der die Wirkung eines Arzneistoffes verstärkt, versehen werden.“ Dieses Adjuvans bezeichnet Christine Aurich als ‚unfreundlich‘. „Pferde können darauf mit starken Schwellungen an der Einstichstelle und sogar Fieber reagieren“, führt Christine Aurich als relevante Nebenwirkungen an, die aber innerhalb einer Woche abklingen.

Genaues Abwägen erforderlich

Da die Immunokastration nicht zur 100-prozentigen Unfruchtbarkeit führt und der Zeitpunkt des Abklingens der Unfruchtbarkeit nicht genau bestimmt werden kann, ist diese Methode für Hengste, die zusammen mit Stuten gehalten werden sollen, eher nicht zu empfehlen. Eine Vergesellschaftung mit Wallachen ist jedoch durchaus möglich. Das Verfahren wird in der Veterinärmedizin hauptsächlich bei Pferden und Schweinen sowie zur Kontrolle der Populationsdichte bei Wildtieren eingesetzt. Es steht eine GnRH-Vakzine zur Verfügung, die ursprünglich für die Ebermast entwickelt wurde und für Pferde umgewidmet werden kann. Bei Pferden mit Schlachttierstatus im Equidenpass muss die Verwendung dieses umgewidmeten Medikaments unbedingt im Pferdepass eingetragen werden. Wird die Impfung nicht regelmäßig wiederholt, erlangen die meisten behandelten Hengste innerhalb eines Jahres wieder ihre Fruchtbarkeit und Zeugungsfähigkeit. Allerdings rät Professorin Aurich von der Impfung junger Hengste, die später noch in die Zucht gehen sollen, ab. „Da nicht sicher vorausgesagt werden kann, ob die Fruchtbarkeit so gewährleistet ist wie ohne Impfung, wäre ich vorsichtig. Wenn ich aber erstmal testen will, wie sich mein Hengst als Wallach verhalten würde, ist die Kastration auf Probe jedoch eine gute Möglichkeit dies herauszufinden und kann zur endgültigen Entscheidungsfindung beitragen.“

Geschafft: Die zwei normal entwickelten Hoden eines Hengstes nach der Abtrennung.

Ebenfalls nachgefragt wird von Pferdebesitzern eine chemische Kastration mit einem Suprelorin-Chip. Der Suprelorin- Chip, der beim Hund durchaus wirkungsvoll ist, hat laut Professorin Aurich bei Hengsten jedoch keinen objektiven Effekt. Die chemische Kastration ist für Hengste im Turniersport keine Option, da es sich bei den Wirkstoffen in der Regel um verbotene Substanzen bzw. Dopingsubstanzen gemäß Liste Anhang III handelt. Das bedeutet, dass diese sowohl im Wettkampf als auch im Training verboten sind und sich niemals im Sportpferd befinden dürfen.

Fazit

Bei den Überlegungen rund um das Thema Kastration ist zu berücksichtigen, dass Pferde von Natur aus soziale Tiere sind und sozialer Kontakt für ihr Wohlbefinden und ihre psychische Gesundheit entscheidend ist. Dr. Konstanze Krüger-Farrouj fasst zusammen: „Sollte es nicht möglich sein, einen Hengst arttypisch, sprich mit Sozialkontakt und freiem Auslauf zu halten, dann kann eine Kastration sein Leben verbessern.“ Obwohl die Kastration ein einschneidender Eingriff ist, kann sie bei fachgerechter Durchführung und angemessener Schmerzkontrolle einen vertretbaren Kompromiss für ein pferdefreundlicheres Leben mit Artgenossen und freier Bewegung darstellen.

Sabine Heüveldop

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