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Fütterung: Versorgungsengpass kompensieren

Stoffwechselerkrankungen beim Pferd

Wenn der Körper verrückt spielt

Jeder Organismus lebt davon, dass er Stoffe aufnimmt, verarbeitet und die „Abfallprodukte“ wieder ausscheidet. Das nennt man Stoffwechsel. Jede einzelne Körperzelle ist daran beteiligt. Was aber, wenn die Stoffwechselmotoren ins Stottern kommen? Ein Einblick in die körpereigene Chemiefabrik des Pferdes.

In den frühen Morgenstunden, wenn die Halme noch von Raureif überzogen sind, ist das Gras voller Fruktane – keine gute Zeit, um Pferde mit Stoffwechselerkrankungen oder einer Anfälligkeit dafür auf die Weide zu lassen. Foto: Frank Sorge

Eine Vielzahl hoch komplexer biochemischer Vorgänge trägt dazu bei, dass die Körperfunktionen durch Aufnahme oder Generierung von Stoffen, deren Verarbeitung und schließlich Abgabe der Endprodukte erhalten bleiben. Man unterscheidet zwischen katabolen Reaktionen, bei denen z. B. Nährstoffe, die von außen zugeführt werden, in Energie umgewandelt werden, und anabolen Reaktionen, bei denen Energie verbraucht wird, um körpereigene Substanzen herzustellen. Ein großer Komplex, der verdeutlicht, wie es funktioniert, ist die Ernährung: Man nimmt Nahrung zu sich, im Darm werden die Nährstoffe herausgefiltert und dem Organismus zugeführt, Unverdauliches wird ausgeschieden. So weit, so klar. Das Problem: Das System ist störanfällig. Falsche Ernährung, zu wenig Bewegung oder Umweltgifte sorgen für mehr oder minder schwere Belastungen des Stoffwechsels. Werden die zu groß, entgleist das System. Die Folgen reichen beim Pferd von Mattigkeit, struppigem Fell und schlechtem Hufhorn (siehe Kasten) bis hin zu massiven Erkrankungen mit zum Teil lebenslangen Folgen, wie dem Equinen Metabolischen Syndrom (EMS), PPID (Pituitary Pars Intermedia Dysfunction), häufig auch Cushing genannt, sowie Hufrehe. Was steckt eigentlich genau hinter diesen Schreckgespenstern?

Equines Metabolisches Syndrom (EMS)

Die Krankheit:
Ihr Pferd ist schlapp und lustlos? Es weist einen stattlichen Hengsthals auf, obwohl es Stute oder Wallach ist? Rund um die Schweifrübe sind Fettpölsterchen sichtbar? Möglich, dass es unter dem Equinen Metabolischen Syndrom, kurz EMS leidet. Ein krasser Leistungsabfall ist in der Regel das erste Symptom. Hinzu kommt die Fettleibigkeit (Adipositas), die sich auch durch Futterreduktion kaum beeinflussen lässt. Das allein ist allerdings noch kein sicherer Indikator, dass das Pferd unter EMS leidet. Es gibt auch fettleibige Pferde, die gesund sind. Umgekehrt muss nicht jedes Pferd mit EMS übergewichtig sein. Weitere Anzeichen sind Fehlsteuerungen im Insulinhaushalt, genannt Insulindysregulation, und Hufrehe. All das in Zusammenhang gebracht, lässt vermuten, dass es sich bei EMS um eine Störung des Energiestoffwechsels handelt. Auslöser ist eine zu energiereiche Fütterung bei gleichzeitigem Bewegungsmangel. Dem Körper wird mehr Energie zugeführt, als er verstoffwechseln kann. Das Fett reichert sich im Organismus, also im Fettgewebe, der Muskulatur und in den Organen an. Besonders in den Organen wirkt sich das auf die Zellfunktion aus. Die Veränderungen führen zu einer chronischen Insulinresistenz, bei der die Zellen auf Insulin nicht mehr ausreichend ansprechen. An EMS erkrankte Pferde leiden in vielen Fällen auch an Hufrehe.

Pferde, die unter dem Equinen Metabolischen Syndrom leiden, haben typische Fettpolster, etwa oberhalb der Schweifrübe und am Oberhals. Foto: Christiane Slawik

Diagnose:
Diagnostiziert wird EMS, wenn im Rahmen verschiedener Labortests (ein reines Blutbild ist noch nicht aussagekräftig!) eine Insulindysregulation oder eine Insulinresistenz nachgewiesen werden kann und das Pferd zusätzlich die typischen EMS Symptome Adipositas und Hufrehe aufweist. Zur Abklärung einer Insulindysregulation kann zum Beispiel ein oraler Glukose Test (OGT) durchgeführt werden.

Bei diesem Testverfahren wird dem Pferd oder Pony eine definierte Menge Zucker verabreicht und im Anschluss die darauffolgende Insulinregulation getestet. Pferde oder Ponys mit einer gestörten Insulinregulation zeigen hierbei eine krankhaft hohe Insulinausschüttung. Tobias Warnken von der Tierärztlichen Hochschule Hannover betont: „Das ist simples und sicheres Testverfahren, um eine Insulindysregulation diagnostizieren zu können.“

Therapie:
Bei der Therapie von EMS geht es zunächst darum, dass die Pferde deutlich abnehmen. Ziel einer Kombination aus Diät und regelmäßiger Bewegung ist es, den Insulinhaushalt wieder vermehrt in ein Gleichgewicht zu bringen. Gleichzeitig muss die Hufrehe tierärztlich behandelt werden. Zwecks Gewichtsreduktion sollten die Pferde auf eine Heu-Diät in Kombination mit einem Vitamin-/Mineralstofffutter gesetzt werden. Tipp: Heu, das vor der Fütterung 30 Minuten in Wasser getaucht wurde, enthält weniger Zucker. Tobias Warnken warnt allerdings: „Das Wasser muss nach jedem Tauchgang des Heus ausgewechselt werden! Sonst werden die wasserlöslichen Kohlehydrate in die nächste Heuportion hineingespült!“ Vitamin E kann zur Verbesserung des Hufhorns gefüttert werden. Je nach Verfassung der Pferde sollten sie in angemessenem Rahmen möglichst täglich in irgendeiner Form gearbeitet werden. Die Weidezeit sollte auf maximal zwei Stunden beschränkt bleiben, manchmal ist ein vollständiger Verzicht notwendig. Freie Bewegung auf einem Paddock oder Auslauf ist natürlich jederzeit von Vorteil. Leckerlis, auch in Form von Möhren, Äpfeln oder gar Zucker, sind tabu!

Gestörter Stoffwechsel

Folgende Anzeichen können auf eine Störung des Stoffwechsels hinweisen:

  • Mauke
  • Raspe
  • Pilzbefall
  • Milben
  • stumpfes Fell
  • Probleme beim Fellwechsel
  • Scheuern an Mähnenkamm und Schweifrübe
  • Husten
  • tränende Augen
  • angelaufene Beine
  • Zahnfleischentzündungen
  • schlechtes Hufhorn
  • Kotwasser, Durchfall
  • Fettleibigkeit
  • Verlust einer guten Bemuskelung
  • sogeannter Pendelbauch

PPID oder „Cushing“

Die Krankheit:
Das auffälligste Symptom bei Pferden, die unter „Cushing“ beziehungsweise PPID leiden, ist das lange gelockte Fell, das sie auch im Sommer nicht verlieren. Es beginnt meistens mit längeren Haaren am Kinn und der Rückseite der Beine sowie einem verzögerten Fellwechsel. Bei vielen Pferden nimmt die Bemuskelung ab, sie bekommen einen Senkrücken und einen sogenannten Pendelbauch. Manche Pferde entwickeln ähnlich wie bei EMS untypische Fettdepots und können auch Hufrehe bekommen. Letzteres ist die dramatischste Folge und tritt in ca. 50 bis 80 Prozent der Fälle auf. Weitere mögliche Symptome: Teilnahmslosigkeit, Leistungsabfall, Schwitzen ohne körperliche Anstrengung, ein schwaches Immunsystem, was sich z. B. in vermehrten Pilzerkrankungen, Hufabszessen und Entzündungen (z. B. der Augen) äußern kann, außergewöhnlich großer Durst, gepaart mit sehr häufigem Wasserlassen, schlechte Wundheilung und Fruchtbarkeitsprobleme. PPID entsteht durch eine Erkrankung der Hirnanhangdrüse, die für die Produktion verschiedener Hormone verantwortlich ist.

Typisch für Cushing-Pferde: das lange gelockte Fell, das sie auch im Sommer nicht verlieren. Foto: Christiane Slawik

Diagnose:
Bei betroffenen Pferden kann in vielen Fällen schon als Ausgangswert ein erhöhter ACTH-Spiegel im Blut nachgewiesen werden. ACTH ist ein Hormon, das in der Hirnanhangdrüse gebildet wird. Neuere Studien haben gezeigt, dass der ACTH-Test im Spätsommer bis Herbst, also von August bis Oktober, am aussagekräftigsten ist.

Therapie:
PPID oder „Cushing“ ist nicht heilbar, sollte aber dennoch behandelt werden. So kann das erkrankte Pferd ein symptomfreies und fast normales Leben führen. Das Risiko einer Hufrehe-Erkrankung wird minimiert. Auch ansonsten treten weniger Sekundärkrankheiten auf, was auf Dauer auch geringere Tierarztkosten bedeutet. Die Behandlung von PPID erfolgt durch Medikamente, die den Wirkstoff Pergolid enthalten. Dieser ersetzt das fehlende Dopamin und bringt den Hormonhaushalt so weitgehend wieder ins Gleichgewicht. Parallel dazu sollte die Fütterung angepasst werden. Hier gilt der Grundsatz, ähnlich wie bei Pferden mit EMS, Futtermittel mit viel Stärke und Zucker (z.B. Getreide, Melasse aber auch Obst) zu vermeiden. Stärke und Zucker lösen eine starke Insulinantwort im Blut aus. Die Pferde sollten Heu eines späten Schnitts bekommen, da dieses weniger Energie enthält. Was den Weidegang angeht – da Cushing-Pferde zu Hufrehe neigen – sollte man sie nur zeitlich begrenzt auf die Weide lassen und danach auf einen Auslauf ausweichen. Vorsicht auch bei abgefressenen Koppeln: Gestresste Pflanzen bilden besonders viele Fruktane, eine besondere Zuckerform, die im Gras (besonders in Weidelgras und Schwingel, insbesondere an kalten, sonnigen Morgen) enthalten ist, und die eine Hufrehe auslösen kann.

Hufrehe

Die Krankheit:
Hufrehe gehört zu den schmerzhaftesten Erkrankungen des Pferdes überhaupt. Es handelt sich um eine Entzündung der Huflederhaut, die dramatische Folgen haben kann, wenn das Hufbein sich senkt und die Hufkapsel sich vom Kronrand löst („Ausschuhen“). Die ersten Anzeichen sind noch schwer zu deuten. Das Pferd hebt mitunter die Hufe abwechselnd und stellt sie wieder ab, um sie zu entlasten. Es geht „fühlig“. Die betroffenen Pferde zeigen eine verstärkte Pulsation. Diese kann man an den Zehenarterien fühlen, die innen und außen am Pferdebein über den Fesselkopf verlaufen. Möglicherweise sind betroffene Hufe auch etwas wärmer. Ein Abtasten des Hufes durch den Tierarzt mit der Hufzange gibt weiteren Aufschluss. Bei Verdacht auf Hufrehe fertigt der Tierarzt häufig eine Röntgenaufnahme des Hufes an. So können Veränderungen in der Stellung des Hufbeines frühzeitig erkannt werden. Werden die ersten Anzeichen nicht erkannt, verschlimmern sich die Symptome in den nächsten 24 bis 72 Stunden.

Ein Pferd mit hochgradiger Rehe: Es versucht, die schmerzenden Hufe abwechselnd zu entlasten. An dem nach innen gekehrten Blick und den zusammengezogenen Nüstern ist leicht abzulesen, wie weh ihm das Stehen tut. Rehepferde sollten vorzugsweise auf sehr weichem Untergrund stehen. Foto: Christiane Slawik

Die Schmerzen werden größer. Um die Zehen zu entlasten, verlagert das Pferd sein Gewicht auf Ballen und Trachten. Man spricht von der sogenannten Sägebock-Stellung. Spätestens jetzt sind die Hufe deutliche erwärmt und deutlich schmerzempfindlich beim Abdrücken mit der Hufzange. Wenn sich das Hufbein zu senken beginnt, kann man eine Delle im Bereich des Kronrands fühlen. Das Pferd – so es sich denn überhaupt noch bewegt – lahmt auf hartem Boden stärker als auf weichem. In fortgeschrittenem Stadium kann es sein, dass die knöcherne Spitze des Hufbeins durch die Sohle stößt und das Pferd ausschuht. In dieser Phase liegen die Pferde in der Regel nur noch, weil sie an größten Schmerzen leiden.

Zum Hintergrund von Hufrehe-Erkrankungen berichtet Tobias Warnken: „Als Auslöser für eine Hufrehe kommt neben Überlastung oder Vergiftung häufig ein gestörter Stoffwechsel infrage. Verschiedene Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass 89 Prozent der Hufrehefälle eine Störung des Hormonhaushalts als Ursache hatten. Zusätzlich zeigte sich, dass 95 Prozent dieser Hufrehefälle zudem noch an massivem Übergewicht litten. Daneben können bestimmte Futtermittel, die reich an Fruktan oder Stärke sind, wie zum Beispiel Brot, Obst oder auch Klee, dazu führen, dass im Darm besonders viel Milchsäure produziert wird. Daher sollten beispielsweise Obst und hartes Brot immer nur in geringen Mengen gefüttert werden. Der pH-Wert im Darm sinkt, wichtige Bakterien sterben ab. Deren Zerfall produziert Giftstoffe, die in den Blutkreislauf und somit auch in den Huf gelangen. Hier führen sie zur Bildung von Blutgerinnseln, die die Durchblutung beeinträchtigen. Gleichzeitig ziehen die Blutgefäße sich zusammen. In Folge der verminderten Durchblutung entzündet sich die Huflederhaut. Letztendlich kann jede Form der Vergiftung (z. B. durch Futter, Schimmelpilze oder auch Reste der Nachgeburt in der Gebärmutter) zu Hufrehe führen.

Mit einem Rehebeschlag versucht der Hufschmied, die schmerzende Zehenregion des Hufes etwas zu entlasten. Deutlich zu sehen: die Querrillen im Horn, die auf einen gestörten Stoffwechsel hinweisen können – übrigens auch ohne dass eine Hufreheerkrankung bereits vorliegt. Foto: Christiane Slawik

Therapie:
Hufrehe ist ein Notfall, bei dem jede Minute zählt. Bei Verdacht sofort den Tierarzt rufen! Es gilt, unter allen Umständen eine Senkung des Hufbeins zu verhindern. Bis zur Ankunft des Tierarztes kann man auch selbst tätig werden. Besorgen Sie sich einen Beutel Eis oder Eiswürfel, füllen Sie das Eis in eine Plastiktüte oder auch einen Eimer und stellen Sie die betroffenen Hufe hinein. Das macht man am besten dauerhaft während der ersten 24 Stunden (Eis alle vier Stunden austauschen). Aber Vorsicht! Das Hufhorn darf nicht zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen werden, eine Rücksprache mit dem Tierarzt ist zu empfehlen.

Bei der Anwendung von Medikamenten verfolgt der Tierarzt zunächst das Ziel, die starken Schmerzen des Rehepatienten zu lindern. Neben Medikamenten mit schmerzstillender und entzündungshemmender Wirkung werden dem Pferd durchblutungsfördernde Medikamente geben (z. B. Aspirin oder Heparin). Tobias Warnken rät auch zu Medikamenten wie Acepromazin, die eine beruhigende Wirkung haben. „So versuchen wir, das Pferd zum Liegen zu bekommen, damit es die Gliedmaßen entlastet.“ Die Box des Pferdes sollte mit weichem Sand oder einem Späne-Stroh-Gemisch eingestreut werden, damit das Pferd auf einer weichen Einstreu stehen kann, wenn es nicht liegt. Ob und wieviel sich das Pferd außerhalb der Box bewegen darf, entscheidet der Tierarzt. Bei akuter Rehe ist jedoch strikte Boxenruhe angesagt! Das Pferd sollte auf eine Raufutter-Diät gesetzt werden. Dafür eignet sich insbesondere Heu eines späten Schnittes. Silagen sollten vermieden werden. Die Hufe werden zunächst durch den Tierarzt mit einem Hufreheverband eingewickelt, der polstert. Daneben kann eine fachmännische Bearbeitung des Rehehufes in guter Zusammenarbeit durch Tierarzt und Hufschmied entscheidend sein. In der Regel bringt der Schmied später einen speziellen Rehe-Beschlag an.

Dominique Wehrmann

Die Chancen auf Heilung stehen umso besser, je früher die Krankheit erkannt wird. Problem: Hufrehe neigt dazu, wiederzukehren. Daher hier die Top-Tipps zur Rehe-Vorbeugung:

  • Kraftfutter sparsam dosieren
  • Futterumstellungen immer schrittweise vornehmen
  • Nicht zu viel frisches Gras, Weidegang nicht zur Hochzeit der Fruktane im Gras
  • Übergewicht des Pferdes frühzeitig erkennen und gegensteuern
  • regelmäßiger Beschlag/gute Hufpflege
  • Bei starker einseitiger Lahmheit sollte der Tierarzt gerufen werden, um das so vermehrt belastete gesunde Bein durch einen Hufreheverband zu schützen.
  • Nachgeburt auf Vollständigkeit überprüfen
  • Wird das Pferd viel auf hartem Boden bewegt, ist ein diesen besonderen Bedingungen angepasster und fachgerechter Hufbeschlag besonders wichtig.
  • Ausschließlich hygienisch einwandfreies Futter geben.

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