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Stoffwechselerkrankungen beim Pferd

Serie „Alternative Rassen und Reitweisen“, Teil 2: Isländer

Wind in der Mähne

Islandpferde gaben in den 1950er und 1960er Jahren die Initialzündung zur Freizeitreiterei in Deutschland. Heute sind die kleinen Pferde im Wald und im Sport unterwegs – in ihren eigenen Disziplinen, in einer eigenen Welt.

Gigantische Natur und raue Schönheit prägen die Heimat der Isländer. Weltweit gibt es rund 300.000 Pferde, auf der Insel leben etwa knapp 80.000. Die zweitgrößte Population mit 70.000 Tieren ist in Deutschland zuhause. Foto: Paula da Silva/Bronkhorst

Wuschelmähne, kugelrunde Augen, gespitzte Öhrchen. Großes Tempo auf kleinen Pferden, lachende Erwachsene mit Beinen bis weit unters Sattelblatt – Islandpferde sind gleichermaßen Symbol und Auslöser der Freizeitreiterei in Deutschland und haben sich zudem längst zu Sportpferden in ihrer eigenen Welt entwickelt. Mit importierten Pferden aus dem Nordatlantik von der Insel Island entstand in den 1950er Jahren eine Gegenbewegung zum Abteilungsreiten in Reithallen. In den 1950er, 1960er, 1970er Jahren wuchs die Gruppe von Pferdeliebhabern, die eine große Sehnsucht nach Freiheit und Freizeit im Sattel hatten. Und nach dem Gefühl, dass das Pferd zum besten Freund werden kann. Das Buch von Ursula Bruns „Dick und Dalli und die Ponys“ und die Immenhof-Verfilmung taten das ihre dazu.

Ursula Bruns‘ Einfluss

Ursula Bruns ist diejenige, die die ersten Islandpferde zum Reiten nach Deutschland brachte. Die waren ursprünglich als vierbeinige Darsteller für die Immenhof-Filme gedacht, sollten sich aber in Deutschland zum Beginn einer neuen Reitweise und Denkweise in Sachen Pferd mausern. Schließlich beherrschen Islandpferde nicht nur Schritt, Trab und Galopp, sondern auch den bequem zu sitzenden Tölt für ein ausdauernd flottes Tempo und einige sogar den fliegenden Rennpass. Die Pferde mit den vier und fünf Gängen sind nicht groß, um die 140 Zentimeter Stockmaß. Steht man neben ihnen, überlegt man noch: zu klein? Setzt man sich in den Sattel, profitiert man von dem besonderen Körperbau. Der Hals ist naturgemäß hoch aufgerichtet. Man hat das Pferd vor sich. Damit verliert die wahre Körpergröße ihre Wichtigkeit und gibt einen guten Reitkomfort, zumal die kleinen Pferde eine unglaubliche Vorwärtsenergie mitbringen. Darüber freuen sich nicht nur Sportreiter, auch diejenigen, die auf Wanderritten starten oder einfach nur ausreiten wollen.

Die Isländer: klein, aber oho

Mit einem Stockmaß von 1,35 bis 1,45 Meter noch im Ponymaß, dennoch sprechen Isländer-Fans von „gestandenen Pferden“. Foto: Neddens Tierfoto

Vom Stockmaß her sind es Ponys: Zwischen 135 und 145 Zentimeter groß sind die meisten, immer mehr inzwischen größer – 145 Zentimeter gilt als groß. Laut Zuchtbuch sind alle Farben und Abzeichen möglich und erlaubt. Das Zuchtziel: „Das Pferd soll sehr temperamentvoll, fröhlich und mutig, aber gleichzeitig außerordentlich leichtrittig und stets darum bemüht sein, dem Reiter zu gefallen.“ Weiter sind gewünscht: ein robustes Pferd mit elegantem Körperbau, stark, beweglich und gut bemuskelt. Rassetypisch ist eine eher aufrechte Kopf-Halshaltung, die Schulterpartie ist besonders groß und weit vorne gelagert. Anders als viele anderen Rassen soll die Kruppe „angemessen abfallen“.

Dicht gedrängt zum Schutz

Dank Ursula Bruns Bemühungen und der Weltpferdemesse Equitana wurden die Isländer populär. Sie lieferten in den Shows Töltquadrillen, bei deren Ehrenrunde die Reiter ein volles Bierglas im rasenden Tölt hielten. Kein Tropfen ging verloren. Es entwickelte sich eine relativ separierte Szene, inklusive eigener Ausrüstung. Islandpferdereiter haben Dinge, die kein anderer Reiter hat: etwa den Allwetter-Overall in modernster Outdoorqualität, um bei Wind und Wetter auszureiten. Noch heute kommt es eher selten vor, dass auf den üblichen Reitanlagen Islandpferde stehen. Sehr oft sind es reine Islandställe, die auf die Bedürfnisse der Reiter – mit Ovalbahn und Passbahn für den Rennpass sowie Ausreitmöglichkeiten – und auf die Bedürfnisse dieser Tiere eingestellt sind: offene Ställe, in denen die Pferde in Herden zusammenleben. Isländer haben einen viel geringeren Individualabstand zum nächsten Pferd als andere Pferderassen. Das Leben dieser Tiere hängt seit jeher davon ab, dass sie sich im Klima des Nordatlantiks zum Schutz eng zusammenstellen können. Fell an Fell. Ohne Gequietsche und Gezicke.

Freundliche Sportskameraden dicht an dicht. Foto: Neddens Tierfoto

Die Islandpferdereiterei änderte so auch die Einstellung zur Pferdehaltung in Deutschland. Auslauf und Herdenhaltung sind Pflicht, dafür setzte sich Ursula Bruns Zeit ihres Lebens ein. „Anfangs hielten viele ihre Isländer hinterm Haus, weil es einfach keine geeigneten Ställe gab. Damals bestand der Lebensraum für Pferde in Reitställen standardmäßig aus der Drei-mal-drei-Meter-Box“, sagt Ullu Becker vom Grenzlandhof aus dem Mandelbachtal. Auch sie, heute 78 Jahre alt und immer noch im Islandsattel unterwegs, gehört zu den Islandpferde-Pionieren in Deutschland.

70.000 Isländer

Von geschätzt 1,3 Millionen Pferden in Deutschland sind heute etwa um die 70.000 Islandpferde. Deutschland ist nach dem Ursprungszuchtland Island das Land mit den meisten Islandpferden. „95 Prozent heißgeliebte Freunde und fünf Prozent richtige Sportpferde“, sagt Ullu Becker, die in diesem Jahr die Jubiläumsbroschüre zum 60. Geburtstag des Islandpferde-Reit- und Züchterverbands (IPZV) schrieb. Ullu Becker erinnert sich: „Was meinen Sie, wie das damals war – erwachsene Menschen reiten seit Jahren in der Reithalle. Plötzlich begegnet man einem Pferd, das charakterlich so freundlich ist, das gerne vorwärts lief, das man nicht treiben musste und mit dem man einfach durch Wälder und über Felder reiten konnte. Ich bin sicher, wir haben in den 1950er und 1960er Jahren geholfen, den Lebenstraum vieler Reiter zu erfüllen.“ Trotzdem mussten sich die erwachsenen Ponyreiter viel Spott gefallen lassen. „Der Vorwurf: Wir würden nur die kleinen Pferde reiten, weil wir es mit den großen Warmblütern nicht können. Wir brauchten viel Rückgrat, es musste uns egal sein, was die anderen über uns dachten. Ich wusste ja – wir kamen aus der Warmblutreiterei und konnten auch die Großen reiten“, sagt Ullu Becker.

Der vierte Gang

Anna Eschner, 47 Jahre alt, ist Trainerin A beim Islandpferde-Reit- und Zuchtverband (IPZV) und selbständige Reitlehrerin auf dem Lindenhof in Altenberge im Münsterland. Sie erklärt für Reiter, die nur drei Gänge kennen, wie man in den vierten Gang kommt: „Den guten Trab reite ich mit einem Islandpferd mit leicht entlastenden Gewichtshilfen, das Pferd soll den Hals fallen lassen und die Muskulatur etwas entspannen. Je höher die Anforderungen in der Aufgabe Trab werden, desto mehr wird der Trab wie in Dressurprüfungen geritten – vom versammelten, geschlossenen Trab bis hin zum Mitteltrab.

Im Rennpass können Islandpferde auf kurzer und gerader Strecke bis 50 Stundenkilometer schnell werden. Foto: Neddens Tierfoto

Der Tölt wird aus dem Schritt heraus entwickelt. Der Vier-Takt soll erhalten bleiben, die positive Spannung erhöht sich, ein perfektes Zusammenspiel der Hilfen ist notwendig, damit das Pferd versteht, dass es nicht in den Trab oder langsamen Pass abrutschen soll. Es soll in seinem natürlichen Gang das beste Gleichgewicht finden. Je nach genetischer Grundfixierung gibt es Vier- oder Fünfgänger-Pferde und somit fällt es manchen Pferden leichter zu tölten und andere brauchen dafür mehr Hilfe durch den Reiter.“ In der Ausbildung der Islandpferde gilt ebenso die Skala der Ausbildung, vielleicht mit dem Unterschied, dass die Anforderungen näher beieinander liegen. Zum Beispiel hängen im Tölt Takt und eine relative Versammlung sehr eng zusammen.

Isländer können alles: Auch schön traben. Foto: Thoms Lehmann

Der sehr bequem zu sitzende Tölt ist den Isländern angeboren – als vierte Gangart. Foto: Thoms Lehmann

Gut bezahlt

Der Tölt ist ein Qualitätsmerkmal, das kostet. Das Islandpferd schafft, wovon Züchter anderer Pferderassen träumen: „Bei Isländern wird die Qualität noch bezahlt“, findet Ullu Becker. Ein normal gutes und gesundes Islandpferd mit vier Gängen, jung mit Basisausbildung, kostet ab 12.000 Euro. „Auktionen konnten sich nie durchsetzen. Die Leute kommen direkt in den Stall – es muss ja nicht jeder mitbekommen, dass sie 100.000 Euro für ein sportliches Islandpferd zahlen“, sagt Walter Feldmann jun., 68, vom Gangpferdezentrum Aegidienberg. Er war mehrfacher Europa- und Weltmeister im Islandpferdebereich.

Sogar für gute Freizeitpferde gibt manch‘ ein Käufer um die 20.000 Euro oder mehr aus. Ein Isländer bekommt auch nur ein Zuchtpapier, wenn seine Verwandtschaft lückenlos bis auf die Insel zurückführt. Und auf die Insel kommt seit 1902 kein anderes Pferd. Wenn ein Islandpferd einmal die Insel verlassen hat, kommt es nie wieder zurück. Nicht einmal Weltmeister. Zu groß ist die Sorge vor eingeschleppten Krankheiten. Das muss hart für die Reiter sein, wenn sie ihre Erfolgspferde nicht mehr mit nach Hause nehmen können. „Entweder will man im Sport gewinnen oder einen Freund behalten“, sagt Ullu Becker.

Züchter und Weltmeister Walter Feldmann vom Gangpferdezentrum Aegidienberg gehört zu den weltweit gefragten Isländer-Experten. Foto: privat

Islandpferde kommen in zahlreichen Farben und Farbnuancen zur Welt. Neben den Klassikern schwarz, braun und fuchsfarben gibt es sie als Schimmel, Falben, Isabellen und Schecken, allerdings keine Tigerschecken. Foto: Neddens Tierfoto

Natürlich hat sich auch das Islandpferd im Laufe der Zeit verändert. Ullu Becker ist zwar überzeugt, dass sich die Islandpferdezüchter von Anfang an besonders um ein gutes Interieur bemühten, weil die Züchter meist selbst ihre Pferde reiten und am eigenen Leib vom guten Charakter ihres Pferdes profitieren. Immer alles richtig haben es die Züchter auch nicht gemacht: Eine Zeitlang ging die Zucht zu sehr ins Feine und Edle, davon kam man wieder ab. „Der kräftige Isländer ist wieder da, die Röhrbeinstärken sind fast so wie beim Warmblut“, sagt Ullu Becker. „Inzwischen sind auch größere Pferde gewünscht“, weiß Anna Eschner. Nachgefragt werden die Pferde von erwachsenen Einsteigern, oft 50 Jahre alt oder älter.

Walter Feldmann hat kürzlich ein Pferd an einen 82-jährigen Mann verkauft. Es sind aber auch viele Jugendliche oder Kinder, die dann früher oder später Mutter, Vater, Opa und Oma mit aufs Pferd bringen. Es ist ein echtes Familienpferd, eins für alle.

Isländer-Spezialitäten

Wie im Reitpony- und Warmblutbereich gibt es auch im Islandpferdeturniersport zahlreiche Prüfungsangebote von leicht bis sehr schwer. Foto: Neddens Tierfoto

Der Tölt ist ein Viertakt und hat die Fußfolge des Schritts, es ist also jederzeit mindestens ein Fuß am Boden. Trotzdem kann der Isländer im Tölt richtig schnell werden: Vom Arbeitstempo geht es bis zum schnellen Tempo, wie ein flotter Galopp. Weil die Schwebephase fehlt, die Vorwärtsbewegung aber sehr wohl durch den Körper schwingt, fühlt sich das im Sattel wie ein Vorwärtsgleiten an, ohne Erschütterung. Tölt ist den Islandpferden angeboren. Beim Rennpass bewegen sich die Beinpaare seitenweise gleich, mit Schwebe- beziehungsweise Flugphase. Der sogenannte Rennpass wird nur über kurze Strecken von maximal 250 Metern geritten. Geht ein Isländer im ruhigen Tempo Pass, ist das ebenso ungern gesehen wie bei Dressurpferden, nicht umsonst heißt es „Rennpass“.

Sportprüfungen

Im Islandpferde-Sport gibt es eine eigene Leistungsprüfungsordnung, verschiedene Leistungsklassen, Altersklassen und auch verschiedene Prüfungen: Töltprüfungen mit unterschiedlich hohen Anforderungen, Gangprüfungen, Passwettbewerbe. Prüfungen im Dressurviereck, sogenannte „Gehorsamkeitsprüfungen“, auch mit Musik. Je höher die Klasse, desto höher die Anforderungen: Travers und Renvers im Galopp gehören ebenso dazu wie Kurzkehrt, Galoppwechsel, Kontergalopp und mehr. Es gibt eigene Gelände- und Springprüfungen, „Futurity-Prüfungen“ für Nachwuchspferde oder Trail-Prüfungen. Es gibt auch „Gæðingakeppni“: eine alte Tradition in Island, um die Reiteigenschaften des Islandpferdes zu messen. Bewertet werden Kraft, die Demonstration von Energie und die Ausstrahlung des Pferdes in unterschiedlichen Aufgaben. Übrigens: Wer buckelt oder scheut, wird disqualifiziert.

Berlin ist vom 4. bis 11. August 2019 zum zweiten Mal nach 2013 Gastgeber der Isländer Weltmeisterschaften. Foto: Neddens Tierfoto

Zum Knuddeln niedlich sind die Fohlen. Sie wachsen langsam, denn Isländer sind Spätentwickler, sie gelten erst siebenjährig als ausgewachsen und werden meist nicht vor dem fünften Lebensjahr angeritten. Foto: Arnd Bronkhorst

Problem Sommerekzem

Mit zwei Dingen hat das Image der Islandpferde zu kämpfen: Zum einen ist es die Allergie, das Sommerekzem. Es hat sich bestätigt, dass Importpferde eine gewisse Disposition für das Ekzem haben, das im deutschen Klima dann ausbricht. In Deutschland gezüchtete Isländer sind seltener betroffen.

Das andere Thema heißt „Gewichtsträger“. Ein Islandpferd kann viel tragen, es hat das schon erwähnte stabile Fundament. Aber es hat Grenzen: Anna Eschner kennt Reitschulbetriebe, die nehmen nur Reiter bis 80 Kilogramm. „Es kommt immer darauf an, wie gut und geschmeidig der Reiter im Sattel sitzt und was er machen möchte“, sagt Anna Eschner, „ein Wanderitt mit 120 Kilogramm geht nicht. In Island zum Beispiel, wo die Männer oft groß sind, werden alle ein, zwei Stunden die Pferde gewechselt. Deshalb laufen auch immer freie Pferde mit.“

Cornelia Höchstetter

Die Gangpferdereitlehre

Trainingslehre zur Ausbildung von Gangpferden nach klassischen Grundsätzen
FNverlag
ISBN: 978-3-88542-707-0,
37,90 Euro

Weitere Infos

IPZV: Der Islandpferde-Reiterund Züchterverband ist der Dachverband aller Islandpferdevereine. 27.000 Mitglieder gehören heute dazu. In den letzten zehn Jahren sind 2000 Mitglieder dazu gekommen, die Szene ist also im Wachstum. Der IPZV ist der FN angeschlossen. www.ipzv.de

FEIF: Die „International Federation of Icelandic Horse Associations“ hat ähnlich wie die der Weltreiterverband FEI Online-Sportergebnisse von Pferd und Reiter und Weltranglisten. www.feif.org

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