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Gute Verstärkungen reiten: Volle Kraft voraus?!
Reiten im Damensattel
Von der Kunst im Seitsitz zu reiten
Früher mussten Frauen im Damensitz reiten – heute dürfen sie es: Seit 25 Jahren gibt es in Deutschland den Verein für „Reiten im Damensattel“. Für diesen erlesenen Kreis ist das Reiten im Damensattel die Überprüfung der Durchlässigkeit des Pferdes und ein Ausflug in die Welt der Eleganz.
Beim Reiten im Damensattel soll der Reiterschwerpunkt über dem Pferdeschwerpunkt liegen, die Reiterin sich leicht nach vorne neigen. Foto: Christiane Slawik
„Mit ihrer Stute Burmese nahm sie viele Jahre ihre Geburtstagsparade ‚Trooping the Colour‘ ab – selbstverständlich stilvoll immer im Sidesaddle. Mittlerweile ist die weltweit wohl bekannteste Damensattelreiterin des 20. Jahrhunderts vergangenes Jahr im Alter von 96 Jahren verstorben. Wir trauern …“ – diese Worte schrieb der Verein „RID – Reiten im Damensattel e.V.“ anlässlich des Todes auf seiner Internetseite. Die Queen ist tot. Doch der Damensitz zu Pferd lebt. Der Verein „Reiten im Damensattel“ (RID e.V.) feierte 2022 sein 25-jähriges Bestehen. „Früher mussten Reiterinnen im Damensattel sitzen – heute dürfen wir es“, bringt Dr. Bettina Grahner es auf den Punkt. Sie ist Vorsitzende des Vereins RID und liebt es, andere Reiterinnen und Reiter vom Damensattelreiten zu faszinieren.
Über den rechten Oberschenkel balanciert sich die Reiterin im Seitsitz aus. Foto: Christiane Slawik
Ein Sitz für viele Fälle
Damensattelreiten ist keine eigene Reitweise. Im Damensattel reiten heute Frauen im Dressurviereck und im Springparcours. Seit 2013 gilt mit 2,07 Metern ein neuer Weltrekord im Hochsprung. Der Seitsitz ist beim sogenannten Barockreiten präsent, in Schauprogrammen, auf Reitjagden, im Zirkus – und im Internet finden sich Fotos von Westernsätteln für den Seitsitz. Selbst die Internationale Gangpferdevereinigung bietet Töltprüfungen im Damensattel an. Fazit: In dieser Nische der Pferdewelt darf sich jede Reiterin wiederum ihre eigene Nische einrichten. Was früher gesellschaftlicher Zwang war, wird heute zum selbstgewählten Individualismus. Die wichtigste Voraussetzung ist, dass die Reiterinnen sehr gut im Sattel sitzen können, geschickt, sportlich, gut beweglich sind – kurz: ein gutes Körpergefühl haben. „Oft reiten deshalb Kinder hervorragend im Damensattel“, weiß Dr. Bettina Grahner. Das Pferd sollte möglichst gut ausgebildet sein und einen zuverlässigen Charakter haben. Schreckhafte Pferde, die gerne zur Seite springen, sind wenig geeignet.
Dr. Bettina Grahner ist Vorsitzende des Vereins „Reiten im Damensattel“ und teilt gerne ihr Wissen rund um diese spezielle Art zu reiten. Foto: Cornelia Höchstetter
Gelebte Reitkunst
Um diese besondere Reitkunst zu demonstrieren, trommelt Dr. Bettina Grahner gerne ihre Vereinsmitglieder samt Pferden, Sätteln und Kostümen zusammen. Zum Beispiel zum Treffen auf einem Reitplatz in Korschenbroich. Dass in unmittelbarer Nähe der Umzug des Schützenfestes mit Pauken und Trompeten zu hören ist, lässt die Ohren der Pferde – ein KWPN, ein Irish Hunter, ein Rheinländer und ein Connemara Pony – spitzen und beweist den Mut der Frauen. Sie raffen ungerührt ihre Röcke und sitzen auf – entweder lassen sie sich von starken Helfern seitlich in den Sattel heben oder sie sitzen über eine sehr hohe Aufstiegshilfe alleine auf. Schritt, Trab, Galopp, frisch in Jagdmanier um den großen Sandplatz, nebeneinander und hintereinander. Hut ab vor den Ladies! „Der Seitsitz fordert und fördert Koordination und Gleichgewichtsgefühl!“, erklärt Dr. Bettina Grahner und strahlt über das ganze Gesicht.
Ganz ohne Kostüm in klassischer Reitkleidung lässt sich gut erkennen, wie der Reiter im Damensattel sitzt. Foto: Christiane Slawik
Reitkleider
Was nach ausgelassenem Vergnügen aussieht, ist ein vielschichtiges Thema – von Geschichte, Tradition, der technischen Weiterentwicklung des Sattels bis hin zur Mode. „Habits“ heißt die schlicht-elegante wie praktische zweiteilige Reitkleidung, meist aus Tweed. Manche Reiterin lässt sich auch nach historischem Vorbild ein Reitkleid nähen. Moderne Reitkleider und Habits haben eins gemeinsam: Der Rock lässt sich mit einem Knopf lösen, nach vorne öffnen und wird zur Schürze über die Beine. Die Reiterin sitzt dann im Sattel auf ihren Reithosen – was viel sicherer ist. Die Eleganz im Seitsitz ist für viele Frauen einer der Gründe, in den Damensattel zu steigen. „Create a picture of elegance“, sagte einmal der englische Ausbilder Roger Philpot, der viele Seminare für den RID gegeben hat.
Richtig sitzen – aber wie?
In den Seminaren geht es immer zuerst um den Sitz: „Der Reiterschwerpunkt soll über dem Pferdeschwerpunkt liegen, die Reiterin soll sich leicht nach vorne neigen“, erklärt Dr. Bettina Grahner. Die Hüfte sollte ähnlich wie im herkömmlichen Sattel nahezu parallel zu der des Pferdes sein. Die Schulterpartie ebenso parallel zur Pferdeschulter. Frau sitzt auf beiden Gesäßknochen, allerdings etwas weiter hinten als sonst. Sie balanciert sich über den rechten Oberschenkel aus – so dass es mit der Mitte des Oberschenkels einen Dreipunktsitz ergibt. Der rechte Unterschenkel liegt beinahe senkrecht an der linken Pferdeschulter – im Notfall greift der Sicherheitssitz – die Reiterin dreht die rechte Zehenspitze zum Pferd und presst den Unterschenkel enger an die Pferdeschulter, der Oberkörper dreht sich nach rechts, die Oberschenkel umklammern die Hörner.
Sicherheit und leise Hilfen
Das linke Bein liegt wie im herkömmlichen Sattel, nur tritt der Fuß den Bügel nicht aus, sondern ruht im Steigbügel. „Man reitet mit leiseren Hilfen“, so erklärt es Dr. Bettina Grahner. Was die Hilfengebung zum Beispiel beim Reiten in eine Wendung oder auf gebogener Linie angeht, ist diese etwas unterschiedlich: Nach rechts „blickt das Brustbein in die Bewegungsrichtung, man dreht also den Oberkörper etwas“, erklärt Dr. Bettina Grahner. „Nach links bleibt die rechte Schulter hinten, man dreht nur den Kopf in die Richtung.“ Damit in der Bewegung nicht der „Spin-Out“ droht – ein Verdrehen des Oberkörpers nach links, was einen Sturz rückwärts kopfüber nach rechts zur Folge haben kann – muss die Reiterin darauf achten, dass die linke Gesäßhälfte vorn und die rechte Gesäßhälfte und Schulter hinten bleiben.
Wichtigste Voraussetzung für das Reiten im Damensattel ist ein gutes Körpergefühl. Foto: Christiane Slawik
Die Auflagefläche eines Damensattels ist etwas länger als bei einem normalen Sattel und muss sich deshalb exakt nach der Rückenlänge des Pferdes richten. Foto: Christiane Slawik
Seit über 25 Jahren gibt es den Verein „Reiten im Damensattel“, dessen Mitglieder pflegen die alte Reitkunst. Foto: Cornelia Höchstette
Ständige Sitzschulung im Damensattel ist ein Sicherheitstraining. Sicherheit bringen außerdem die modernen Sättel mit zwei Hörnern, einer Sicherheitssteigbügelaufhängung und einer flachen Sitzfläche, die ein Ausbalancieren in den Entlastungssitz ermöglicht.
Wege zum Damensattel
Wer Lust bekommt, auch einmal im Damensattel zu reiten, kann sich an den Verein wenden. An Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft sind die Reiterinnen kaum zu überbieten. Ob es ein Treffen auf den bundesweit stattfindenden Lehrgängen oder ein privater Besuch ist – der Verein besitzt zum Ausprobieren acht Damensättel für unterschiedliche Pferdetypen, ebenso viele „Habits“ und vor allem empfiehlt der Verein auf Nachfrage geprüfte Ausbilder mit Zusatzqualifikation (siehe Infokasten). Dr. Bettina Grahner fand ihren Anfang im Damensattelreiten bei Dorothee Baumann-Pellny. Die Ausbilderin aus der Nähe Tübingens zählt zu den außergewöhnlichsten Damensattelreiterinnen und war wahrscheinlich die einzige Reiterin weltweit, die im Damensattel eine Courbette geritten ist – ohne fremde Hilfe vom Boden aus. Die Courbette ist ein Schulsprung, bei dem sich das Pferd aus dem Terre-á-Terre (eine Art hocherhobener Schaukelgalopp) mit der Vorhand senkrecht hebt und mit beiden Hinterbeinen ab und nach vorne springt. „Damit hat meine Stute Sally-Ann ihren stets großartigen Gehorsam bewiesen“, erklärt die Baden- Württembergerin.
It’s Showtime: Das Reiten im Damensattel ist Bestandteil vieler Showprogramme. Foto: Christiane Slawik
„Champagner-Challenge“ im Damensattel: Kein Tropfen im Glas darf verloren gehen. Dr. Bettina Grahner und Satchmo sind gut im Gleichgewicht. Foto: Franziska Lersch
Reitlehre für die Frau
Dorothee Baumann-Pellny ritt 35 Jahre lang bei Reitmeister Egon von Neindorff in Karlsruhe. „Dort genoss ich eine korrekte Grundausbildung, welche sich später für das Reiten im Seitsitz als wertvoll erwiesen hat. Durch die Auftritte mit Sally-Ann, über 18 Jahre lang in Deutschland und den Nachbarländern, wurde diese elegante Reitweise im Damensattel wieder populärer“, erinnert sich Dorothee Baumann-Pellny. Ihr Buch „Im Damensattel – Eine Reitlehre für die Frau“ behandelt auch die Historie des Frauenreitens. So saßen etwa beim Reitervolk der Skythen (700 v. Chr.) Männer wie Frauen rittlings zu Pferde. Parallel zeigen Abbildungen aus Mesopotamien, der Römerzeit und bis zur Renaissance auch Frauen, die auf einem Holzgestell mit Lehne und Fußbrettchen quer zur Bewegungsrichtung, im „Quersitz“, zu Pferde saßen. Zur Zeit Karls des Großen (800 n. Chr.) saßen sie, etwa bei Jagden, auch hinter ihren Männern im „Kruppenquersitz“.
Diktat der Männer
Ein erster Schritt zur Selbstbestimmung war, als die Frauen sich nach vorne drehten und selbst die Zügel in die Hand nahmen. Eine dieser Frauen soll Anna von Böhmen, Gemahlin Richards des II. von England, um 1380 gewesen sein. Im 16. Jahrhundert war es Katharina de Medici, die ihr Bein um den Sattelknauf legte, Hosen unterzog und den Seitsitz vorangetrieben hat, der mehr Halt und Unabhängigkeit erlaubte. Etwas später wird Maria de Medici die Erfindung des Gabelsattels zugeschrieben. Der Damensitz war das Diktat der Männer und der Kirche. Als Gründe wurden Sittlichkeit und die damalige Moralvorstellung vorgeschoben. Solches Denken ist nicht ausgestorben: Im Jahr 2013 berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel aus der indonesischen Stadt Lhokseumawe, wo Frauen nach der islamischen Scharia als Beifahrerin auf dem Motorrad zum „Damensitz“ gezwungen werden.
Ein Bild wie aus einer anderen Zeit: Der Damensitz war lange Zeit ein Diktat der Männer und doch war er gleichzeitig ein erster Schritt zur Selbstbestimmung – denn vorher nahmen Frauen die Zügel nicht selbst in die Hand. Foto: Christiane Slawik
Historisch, modern, oft besonders: Die Reitgerten helfen im Damensattel dabei, den rechten Schenkel zu ersetzen. Foto: Cornelia Höchstetter
Emanzipation im Sattel
Unter den Reiterinnen der Geschichte gab es einige Rebellinnen: Im 18. Jahrhundert wehrte sich Katharina die Große gegen die Vorschriften ihrer Schwiegermutter. Sie soll das Horn des Damensattels abgeschraubt haben und war dann fortan rittlings unterwegs. Im 19. Jahrhundert war „Sisi“, die österreichische Kaiserin Elisabeth II, berühmt und bewundert wegen ihrer wagemutigen Jagdreiterei inmitten der Herrschaften. „Kaiserin Sisi mag eine geschickte Reiterin gewesen sein. Für mich handelte sie jedoch unethisch, da sie auf den schweren Parforcejagden oft mehrere Pferde verschlissen hat“, bemerkt Dorothee Baumann-Pellny.
Ende des Damensattels
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Damensattel allerdings in Deutschland und auch in Österreich fast verschwunden. „In Frankreich und England hielt sich das Reiten im Seitsitz fast ohne Unterbrechung. Für dessen Überleben sorgten die Tradition der Jagdreiterei sowie der Adel“, sagt Dorothee Baumann- Pellny. In Großbritannien gibt es seit 1974 die Sidesaddle Association (SSA) mit etwa 2.000 Mitgliedern aus 25 Nationen. Die SSA bildet seit Jahren auch Ausbilder (Instructors) aus, die weltweit als Trainer aktiv sind. So haben etwa Dr. Bettina Grahner und Desmond O’Brien dort die Prüfung zum A-Instructor abgelegt.
Faszination pur
Desmon O’Brien, Ausbilder aus Borgholzhausen, ist zudem der Präsident der „Interessengemeinschaft zur Förderung des Reitens im Damensattel in Österreich“. Er ist der Beweis, dass auch Männer im Damensattel sitzen. Etwa auf der Dublin Horse Show: Wenn die Sidesaddle-Prüfung läuft, testen die Turnierrichter im Anschluss die Rittigkeit der Pferde, indem sie selbst im Seitsitz ein paar Runden reiten. In der Vergangenheit mussten Reitlehrer die Pferde für die adeligen Damen ausbilden – natürlich im Damensattel. In der LPO von 1950 stand noch: „Bei Eignungsprüfungen für Damenreitpferde ist der Damensattel vorgeschrieben“. Desmond O’Brien kam als Eleve an der Spanischen Hofreitschule in Wien in den Damensattel, weil eine Quadrille zum 200. Todestag der Erzherzogin Maria Theresia geplant war. Acht Lipizzaner mit Damensattel, acht mit den üblichen, von Männern gern als „Herrensattel“ bezeichnet. „Ich kam so zu der Ehre, im Damensattel beim damaligen Oberbereiter Ignaz Lauscher Einzelunterricht zu bekommen“, erzählt Desmond O’Brien. Seiner Erfahrung nach braucht man etwa zehn Einheiten, bis man genauso automatisch sitzt wie im „normalen“ Sattel. Es ist eine Faszination, Desmond O’Brien beobachtet das immer wieder: „Wenn eine Frau im Damensattel und im Kostüm ausreitet, bleibt jeder stehen und schaut hin!“
So sieht’s von hinten aus. Foto: Christiane Slawik
„Pferde mögen das“
„Ich habe etwa 3.000 Pferde unter dem Damensattel erlebt. Ein einziges hat Nein dazu gesagt“ – was Desmond O’Brien meint, hört man von vielen Damensattelreitern. Die Pferde würden zufriedener und eher schöner laufen. Und warum? „Weil seitwärtssitzende Reiter nicht mit den Oberschenkeln klemmen können, im Sattel fester und daher ruhiger sitzen müssen und so das Pferd eher in Ruhe lassen. Die Pferde mögen das und vor allem die gut ausgebildeten reagieren unter dem Damensattel noch leichter. Das spürt man später noch im normalen Sattel nach“, schwärmt Desmond O’Brien. „Eigentlich ist der Damensattel ein gutes Mittel, die Hilfen des Reiters oder der Reiterin feiner zu dosieren.“
Cornelia Höchstetter
In Schale geworfen: Auch die Mode kommt bei den Damensattel-Reiterinnen nicht zu kurz. Foto: Cornelia Höchstetter
Der Seitsitz fördert Koordination und Gleichgewichtsgefühl. Foto: Christiane Slawik
Ergänzungsqualifikation für FN-Trainer
Mit einem Vorbereitungslehrgang über 30 Lerneinheiten können Ausbilder ab Trainer C sowie Pferdewirte und Pferdewirtschaftsmeister die Ergänzungsqualifikation zum „Trainer Damensattel“ ablegen. Lehrgang und Prüfung sind komplex: Es geht von der Sattelkunde über das Satteln, Beurteilen von mindestens einem gesattelten Pferd im Hinblick auf Passgenauigkeit des Sattels, zur Praxis mit (unter anderem!) Reiten ohne Bügel, Reiten einer Dressurreiterprüfung der Klasse A im Damensattel sowie Parcoursreiten über mindestens sechs Sprüngen (max. 75 Zentimeter hoch) bis hin zur Kenntnis der korrekten Turnier- und Jagdkleidung und der Accessoires (gem. RID-Ausrüstungsempfehlung) sowie Lehrproben für Anfänger, fortgeschrittene Reiter und Stangenarbeit. Mehr Infos unter www.damensatteldeutschland.de und in der FN-Broschüre „Trainer Reiten“ im FN-Shop unter pferd-aktuell.de/fn-shop.
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