Vorheriger Artikel

Ausgabe 03/2024
10 Tipps für pferdegerechtes Reiten

Nächster Artikel

Ausgabe 03/2024
Gesundheit kompakt: Entwurmung

Pferde als Landschaftspfleger

Im Dienst der Natur

Wenn freilebende Pferde als Landschaftsschützer die Natur formen, trumpfen Sumpfrohrsänger, Wachtelkönig, Knoblauchkröte oder Sandwespen auf. Ganzjährige Beweidungsprojekte schaffen Artenvielfalt – und manchmal auch Probleme.

In der Lüneburger Heide setzen sie auf Dülmener als Landschaftspfleger. Foto: Dr. Heike Brenken

Ein Grüppchen von grauen und falbfarbenen Pferden steht Fell an Fell beieinander. Viel dichter, als es die meisten Reitstallpferde tun würden. Die Schweife schlagen hin und her und schaffen eine fliegenfreie Zone. Ein Stück weiter grasen Pferde, machen gemächlich einen Schritt und noch einen. Die Oberlippe hangelt nach Distelblüten und anderen Leckerbissen zwischen trockenen Halmen. Die Pferde jucken ihren Pelz an abgestorbenen Bäumen, dösen im Schatten der Büsche, suchen flache Wasserstellen auf, wenn sie Durst haben oder liegen einfach in der Sonne im Sand. Und wenn es mal stürmt und regnet, stemmen sie ihre Kruppen gegen den Wind.

Wilde Weiden

Das sind keine Szenen aus der Savanne. Solche halbwild lebenden Pferde kann man an vielen Orten in ganz Deutschland beobachten, von Aussichtsplattformen oder von Wanderwegen aus. Seit den 1990er Jahren setzen Naturschützer und Organisationen die Idee um, mit ganzjährig draußen lebenden Weidetieren große Flächen extensiv zu pflegen. Das gilt dem Erhalt alter Kulturlandschaften mit Heideflächen, oder der Renaturierung von ehemals entwässerten Flussauen, ehemaligen Militär- oder Abbaugebieten. Halboffene Weidelandschaften“ ist das Stichwort: Auf den Flächen wachsen war auch Büsche und Bäume oder Baumgruppen. Die Weidetiere fressen das ganze Jahr aber so fleißig und sorgen dafür, dass die Flächen nicht völlig zuwuchern.

Kunterbunt

Inzwischen findet man fast in jedem Bundesland solche Beweidungsprojekte mit einem Mix an Tieren: Pferde – Koniks, Przwalskis, Dülmener, Islandpferde, Exmoorponys oder andere Robustrassen – und Rinder – Galloways, Highlands und Heck- und Taurusrinder oder ähnliche –, manchmal auch Wasserbüffel. Weil jede Tierart anders frisst, wird die Fläche zum bunten Mosaik. Gerade in solch abwechslungsreich strukturierten Landschaften finden unterschiedlichste und selten gewordene Vögel, Insekten, Amphibien oder Kleinsäuger einen Lebensraum. Karge und nährstoffarme Böden gelten als gute Möglichkeit für Artenvielfalt. Es ist der Platz an der Sonne für lichtsüchtige Blumen und anspruchslose Gräser, ein Rückzugsort für Insekten und Amphibien, die zu den Leckerbissen der Vögel zählen. Eine Art lockt die nächste an. Wasserflächen und sumpfige Stellen mögen Zugvögel ebenso wie die Vögel Kiebitze, Schafstelzen, Brachvögel und Waldwasserläufer sowie verschiedene Entenarten. Und schon entsteht eine kunterbunte und abwechslungsreiche Natur.

Ein Baum spendet Schatten und dient als natürliche Scheuerhilfe. Foto: Gerd Kämmer

Das niederländische Naturschutzprojekt Oostvaardersplassen geriet im Winter 2018 in Negativschlagzeilen: Tiere verhungerten, da es zu viele auf zu kleiner Fläche gab. Foto: Arnd Bronkhorst

Die Idee dahinter

Die Vorstellung dieser Landschaftspflege entwickelte sich aus der „Megaherbivoren-Hypothese“ (oder: Ausrottungshypothese) – wobei das unter Wissenschaftlern noch konträr diskutiert wird. Die Theorie geht davon aus, dass Mitteleuropa vor der letzten Eiszeit keine reine Waldlandschaft war, sondern eher eine abwechslungsreiche Landschaft aus Wald und Offenland: Große Pflanzenfresser wie Waldelefanten, Riesenhirsche, Auerochsen, Damhirsche oder Wisente wanderten und weideten bei uns. Sie hielten die Landschaft offen und die Wälder licht, ebenfalls wären die großen Flussauen größtenteils frei von Bäumen gewesen. Der Wald wurde erst wieder dichter, als der Mensch die großen Tiere jagte und den Bestand minimierte. So soll eine abwechslungsreiche Landschaft verschwunden sein.

Das neue Leben der Lippeauen

Eins der ersten Beweidungsprojekte in Deutschland war 1991 die Lippeaue. Die Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest (ABU) setzte Taurusrinder und Koniks ein. Konikpferde sind die Nachfahren von ursprünglichen polnischen Hauspferden, die teilweise halbwild lebten. Koniks gelten als wildpferdeähnlich und robust, deshalb werden sie in sehr vielen Naturschutzprojekten eingesetzt. So auch seit fast 30 Jahren im Kreis Soest. Mit Hilfe der Weidetiere entstand nach und nach wieder eine typische Auenlandschaft, inzwischen auf 200 Hektar. Die ehemals künstlich begradigte Lippe wurde renaturiert und durfte wieder in weiten Bögen fließen. Von Anfang an betreut die Biologin Dr. Margret Bunzel-Drüke die Weidetiere: „Auf den Flächen haben wir unterschiedliche Pferdegruppen: mal fünf, mal drei und auf der großen Fläche 15 Pferde.“

Bei Wind und Wetter: Auch bei Nebel und kargem Wuchs fühlen sich Koniks in der NaBu Weidelandschaft Davert wohl. Foto: Cornelia Höchstetter

Warum sind Pferde gute Landschaftspfleger?

Dass robuste Kleinpferde in den Weide-Einsatz kommen, hat nicht nur mit deren instinktivem Sinn für Dauerfressen zu tun. Für den Naturschutz und die Artenvielfalt ist es wertvoll, dass Pferde selektiv fressen, manche Pflanzen bis kurz vor den Wurzeln abbeißen und andere stehen lassen. Sie sind auch wetterunempfindlicher als Rinder und bewegen sich mehr als diese. Sie legen eigene Wegesysteme an, hinterlassen mit Hufabdrücken und dem Scharren der Hufe freie Flächen, die kleinen Lebewesen als Lebensraum dienen. Außerdem wachsen auf offenen Sandflächen beispielsweise Heidenelken, die auf den meist gedüngten Feldern selten geworden sind. Die Zäune für Rinder und Pferde sind relativ unaufwändig und für Wildtiere leicht zu überwinden – vorausgesetzt, es sind keine wolfssicheren Zäune nötig. Die würden zum Beispiel Rehe und Hirsche aussperren. Außerdem sind Pferde natürlich Sympathieträger und ein guter Publikumsmagnet für Besucher.

Von oben beobachten

Zwischen Soest und Lippstadt stehen Aussichtstürme. Von dort oben können Pferdefreunde die Bewohner der „wilden Weiden“ in ihrer relativen Freiheit beobachten. „Pferde suchen sich Hügel oder Kanten von Böschungen als Schlafplätze aus“, erzählt Margret Bunzel-Drüke. Im Gegensatz zu Rindern waten oder schwimmen Pferde bei Hochwasser auch mal durch überschwemmte Auen. Die Biologin macht gerne auf die „lebendigen Kuhfladen und Pferdeäpfel“ aufmerksam: „An die Hinterlassenschaften von Reitpferden gehen Mistkäfer wegen der Medikamentenreste von Wurmpasten kaum ran.“ Anders die Misthaufen der freilebenden Naturschützer – eine Delikatesse für Mistkäfer, die wiederum ein Leckerbissen für die Vögel sind.

Margret Bunzel-Drükes Fazit: „Solche Weideprojekte sind eine gute Methode für den Naturschutz. So rettet man manchen Lebensraum für seltene Arten. Bei uns hat sich unter anderen der Neuntöter wieder angesiedelt – diese Vogelartist abhängig von offenen Flächen und Dornenhecken.“

Entgegen der Gewohnheit

Lektionen werden in vielen Dressuraufgaben stets am gleichen Punkt und auf der gleichen Linie verlangt. Das führt im Alltag schnell dazu, dass die Pferde schon aus Gewohnheit die Lektion gerne vorwegnehmen und quasi selbständig zum Beispiel bei X halten. Die Resultate sind dann meist nicht besonders wertvoll. Darum empfiehlt es sich, Lektionen auch an ungewohnten Punkten in der Reitbahn einzuleiten und ganz bewusst die Prüfungslinien zu verlassen. Gerade bei den Trabverstärkungen hilft es oft, diese sogar bewusst zu unterbrechen – also nur eine halbe lange Seite zuzulegen oder nach der Hälfte der Diagonalen wieder aufzunehmen.

Ganz verschiedene Pferderassen werden in Naturschutzprojekten eingesetzt – im Naturpark Solling-Vogler im niedersächsischen Holzminden sind es Exmoorponys. Foto: Stefan Lafrentz

In vielen Naturschutzprojekten werden Pferde Seite an Seite von Rindern eingesetzt, wie hier in der NABU Weidelandschaft Pöhlen bei Telgte-Westbevern. Foto: Christian Göcking

Döberitzer Heide

Ein anderes Projekt liegt im Westen Berlins in Brandenburg: In der sogenannten „Naturerlebnis Ringzone“ in der Döberitzer Heide betreut Max Jung, Vorsitzender des Naturschutz- Fördervereins Döberitzer Heide e.V., Rinder, Wasserbüffel und Pferde. Er erklärt den Unterschied: „Die Stärke der Pferde ist dabei, dass sie harte Gräser wie Glatthafer, Landreitgras oder die Aufrechte Trespe fressen, und dass sie Gräser bodennah abbeißen, während Rinder mit ihrer Zunge die Gräser eher rausrupfen. So ergänzen sich die Tiere und strukturieren die Wiesenflächen neu: Wo es den Pferden besonders gut schmeckt, entsteht in direkter Nachbarschaft zu blühenden Hochstauden ein kurzgefressener Weiderasen.“ Ähnliches kann man auf großen Reitpferdewiesen übrigens auch beobachten– wenn diese nicht regelmäßig nachgemäht werden.

Auf den umzäunten weiten Flächen schaffen sich Rinder und Pferde ein Wegenetz. Sie nutzen immer dieselben Strecken, bis regelrechte Trampelpfade entstehen. Dort liegt blanke Erde, an den Rändern wachsen Wildstauden wie Brennnessel, Disteln und Rainfarn. „Ideal für Eidechsen, die sich auf dem Pfad sonnen und schnell zwischen den langen Stängeln in Deckung gehen können“, sagt Max Jung. Weil sich Pferde im Gegensatz zu Rindern gerne Wälzen, halten sie Sandkuhlen offen, wo wiederum Wildbienen nisten. „Mehr als zwei Drittel aller Wildbienen nisten nämlich im Boden!“ Für Max Jung sind die Weidetiere echte „Ökosystem-Ingenieure“.

In den halboffenen Weidelandschaften sorgen die Pferde dafür, dass die Flächen nicht völlig zuwuchern. Foto: Gerd Kämmer

Spanier in Brandenburg

Der Naturschutz-Förderverein Döberitzer Heide e.V. wählte unter anderen Sorraias, iberische Wildpferde, als Naturschützer. Die Pferderasse ist vom Aussterben bedroht: „Wir setzen in den Pferdeherden auf Reproduktion – die Stuten sollen regelmäßig Fohlen haben, weil sie dank der Hormonaktivität weniger hufrehegefährdet sind“, erklärt Max Jung. So sichert das Naturschutzprojekt mit den Sorraia-Fohlen die Erhaltungszucht – laut Max Jung gibt es weltweit nur noch etwa 200 Sorraia-Pferde. „Im Unterschied zu den Koniks müssen wir im Winter etwas früher mit Heu zufüttern, weil die Iberer ein etwas anderes Fell haben und mehr Energie für ihre Thermoregulation aufbringen müssen“. Aber das nehme man in Kauf. So grasen seit 2019 elf Zuchtstuten und ein Hengst in Brandenburg für die Artenvielfalt in jeglicher Hinsicht.

In der Döberitzer Heide grasen mit den Sorraias iberische Wildpferde als Naturschützer. Foto: Max Jung

Der weltweite Bestand des Sorraias wird aktuell auf nur noch auf rund 200 Tiere geschätzt – in der Döberitzer Heide betreibt man seit 2019 erfolgreich eine Erhaltungszucht dieser seltenen Rasse. Foto: Max Jung

Die Pferde arbeiten nicht nur als Naturschützer, viele Beweidungsprojekte tragen auch zum Arterhalt gefährdeter Rassen bei. Foto: Gerd Kämmer

Naturschutz plus Tierschutz

Die „Leitlinien für die tiergerechte ganzjährige Weidehaltung von Rindern und Pferden auf Naturschutzflächen“, herausgegeben von der „Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V. (TVT)“ und der „Naturstiftung David“ informieren und stellen Standards auf: zur Wasser-, Futter- und Mineralstoffversorgung, stellen geeignete Weidetiere vor, geben Infos zum Reproduktions- und Herdenmanagement, zum Umgang mit Giftpflanzen, zur Einzäunung (kein Stacheldraht, aber E-Zaun), zu Fang- und Fixiereinrichtungen und mehr.

Kulturprojekt: Lüneburger Heide

Einen anderen Ansatz verfolgt das Team um Dr. Heike Brenken: Sie setzen auf vom Aussterben bedrohte Haustierrassen: die Dülmener. Dr. Heike Brenken ist zugleich Zuchtwartin der Interessensgemeinschaft Dülmener Wildpferd und auf dem Landschaftspflegehof Tütsberg in Schneverdingen in der gemeinnützigen Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide tätig. „Wir haben einige Flächen, auf denen sich die Pächter zurückgezogen haben und die nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden. Wir wollen mit den Weideprojekten eine historische Heidebauernlandschaft erhalten und auf dem Hof auch wirtschaften“, sagt Dr. Heike Brenken. Die Rindernachzucht wird an andere Landwirte oder an die Gastronomie verkauft, Dülmener Pferde an private Halter oder an eine Reitschule.

Beweiden und erhalten

Am Anfang zäunte das Team vom Landschaftspflegehof Tütsberg Dr. Heike Brenken die wilden Weiden mit zweireihigen Holzlatten und einem E-Zaun ein. Inzwischen stehen nur noch E-Zäune. „Es haben sich weder Weide-, noch Wildtiere, noch Touristen darin verheddert“, kommentiert Dr. Heike Brenken. Heute leben Rinder und die Dülmener in altersgemischten Gruppen auf mehreren Weiden. Zusammen mit sechs gehüteten Heidschnuckenherden werden so insgesamt 5.500 Hektar historische Kulturlandschaft beweidet und erhalten. Das sind alte Heidegebiete, teils Flächen an Bachläufen und Hutewälder. Zeitweise kommen die Schäfer mit den Heidschnucken auf die Flächen. Die knabbern gern die Triebspitzen des Heidekrauts und verjüngen so den Pflanzenbestand. „Das alles hat sich in den letzten 20 Jahren gut entwickelt. Einzelne Flächen müssen wir nachmähen und mulchen.“ Wenn auf den Heideflächen Büsche und lange Gräser im Zaum gehalten werden, finden Bodenbrüter wie Wachteln, Kiebitze oder der Große Brachvogel flache Mulden für ihr Gelege in der Erde. „Bei uns im Naturschutzgebiet Lüneburger Heide leben noch rund 30 Birkhuhn-Hennen.“ Zertrampeln Pferde und Rinder nicht die Eier? „Ich habe noch nie davon gehört, dass Nester zerstört waren“, antwortet die Naturschützerin. Was die Pflege der freilebenden Dülmener angeht: Sie werden regelmäßig gegen Tetanus geimpft, zweimal im Jahr kontrolliert ein Hufschmied die Tiere. „Wir nehmen regelmäßig Kotproben und wenn es sein muss, entwurmen wir“, sagt Heike Brenken. Verletzt sich ein Pferd, wird im Notfall der Tierarzt gerufen. Dann kommen die mobilen Fangzäune zum Einsatz. „Aber wir haben selten bis nie lahmende oder kranke Pferde.“

Schattenseiten

Nicht immer laufen oder liefen die Naturschutzprojekte nach Plan: In Verruf geriet etwa das Projekt in den Niederlanden bei Lelystad: Anfangs war die Population kleiner, doch dann lebten in Oostvaardersplassen um 2018 auf sieben mal acht Kilometern etwa 3.000 Rothirsche, 1.000 Pferde und 500 Rinder. Der Winter 2018 war verregnet, viele Flächen standen unterWasser und die Nahrung wurde noch knapper. Anders als in der echten Wildnis können die Tiere in solchen Situationen nicht weiterziehen, die Zäune hindern sie. Laut verschiedenen Medienberichten hätten Tausende der Tiere nicht überlebt. Als Folge regulierte die Regionalregierung der Provinz Flevoland den dortigen Viehbestand auf eine Obergrenze von 1.500 Stück. Dr. Heike Brenken erklärt: „Im Gegensatz zur echten Natur fehlen die Beutegreifer und natürlichen Feinde wie Wölfe – oder Jäger.“ Deshalb fordert nicht nur Heike Brenken: „Zu solchen Projekten gehören sehr, sehr gute Leute, die sich tagtäglich kümmern und den Tierbestand im Blick haben und notfalls Tiere herausfangen.“

Weil Pferde und Rinder jeweils etwas anders fressen, ergänzen sie sich gut bei Beweidungsprojekten wie hier im Stiftungsland Schäferhaus in Schleswig-Holstein. Foto: Gerd Kämmer

Die halbwilde Haltung der Sorraias in der Döberitzer Heide trägt dazu bei, die rassetypische Ursprünglichkeit und Robustheit der Pferde zu erhalten. Foto: Max Jung

Tierschutz im Blick

In Deutschland gab es ebenfalls Negativschlagzeilen: Vor einigen Jahren sind Rinder im Elbhochwasser ertrunken. Im Jahr 2020 verhungerten im Speicherkoog im Kreis Dithmarschen mehrere Pferde. Gerd Kämmer aus Schleswig-Holstein war Augenzeuge und Helfer vor Ort. „Wir haben die Pferde dort rausgeholt und weitere Todesfälle verhindert.“ Eigentlich ist er Vorstand der Bunde Wischen, eine Genossenschaft für Landwirtschaft, Natur und Menschen, zu der ebenfalls Weideprojekte auf der Ostseehalbinsel Geltinger Birk und auf dem Stiftungsland Schäferhaus bei Flensburg gehören. „Die Herausforderung ist, dass die Weidetiere keine Wildtiere sind und dass in jedem Fall Tierschutz vor Naturschutz geht.“ Das sei noch nicht bei allen Naturschützern durchgedrungen.

Neue Leitlinien

Weil Tierschutzfälle in Beweidungsprojekten nicht nur für die betroffenen Tiere grausam sind, sondern auch dem Image der Beweidungsidee schaden, entwickelte eine bundesweite Arbeitsgruppe unter Leitung von Gerd Kämmer in den letzten drei Jahren eine 20-seitige Broschüre: die „Leitlinien für die tiergerechte ganzjährige Weidehaltung von Rindern und Pferden auf Naturschutzflächen“. Mit involviert waren unter anderem die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) und der Deutsche Tierschutzbund. Das Papier könnte Gutachten-Charakter bekommen und ist seit April 2023 veröffentlicht. Jetzt macht Gerd Kämmer Werbung für das Papier und ist mit verschiedenen Institutionen dabei, einen Sachkundelehrgang für dieses Thema aufzubauen. „Vor allem für Leute, die ehrenamtlich im Naturschutz arbeiten, aber keine Ausbildung im Umgang mit Tieren haben.“ Wie viele Weideprojekte es in Deutschland gibt – geschätzt dürften es deutlich über 100 sein – weiß keiner genau, weil es auch kleine private Projekte gibt. Wenn die Tiere richtig gemanagt sind, kann schon eine kleine wilde Weide ein wichtiges Stück blühende Landschaft sein.

Cornelia Höchstetter

Ausgewählte Projekte in Deutschland

Landschaftspflegehof Tütsberg
Zum landwirtschaftlichen Betrieb der Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide gehört das Weideprojekt mit Dülmener Pferden und Wilseder Roten Rindern.
www.verein-naturschutzpark.de/landwirtschaft/
Geltinger Birk (Schleswig-Holstein)
Auf der Landzunge, die in die Ostsee reicht, weiden Koniks und Gallowayrinder.
www.geltinger-birk.de
Lippe-Aue mit Klostermersch und Hellinghauser
Mersch (Nordrhein-Westfalen) Taurusrinder und Koniks leben an den renaturierten Lippe-Auen bei Soest.
www.abu-naturschutz.de
Naturschutzförderverein Döberitzer Heide
(Berlin-Brandenburg) Alte Rinderassen und Sorraia-Pferde weiden auf einem ehemaligen Truppenübungsgelände.
www.doeberitzerheide.de
Hutewaldprojekt Solling (Niedersachsen)
Etwa 220 Hektar mit Exmoorponys und Heckrindern in Wald und auf offenen Flächen. Es gibt einen Rundweg über knapp vier Kilometer mit Aussichtstürmen.
www.naturpark-solling-vogler.de

Mehr Infos zu Weideprojekten

www.bundewischen.de, eine Genossenschaft aus Schleswig-Holstein, die mit ihren Projekten Naturschutz, Landwirtschaft und Menschen verbinden möchte
www.efncp.org, die europäische Vereinigung für extensive Weideformen
www.lpv.de, der Deutsche Verband für Landschaftspflege
www.weidewelt.de, die Plattform hält den Kontakt zu europäischen Weideprojekten und kürt in jedem Jahr die Weidelandschaft des Jahres

Vorheriger Artikel

Ausgabe 03/2024
10 Tipps für pferdegerechtes Reiten

Nächster Artikel

Ausgabe 03/2024
Gesundheit kompakt: Entwurmung