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Fachsprache im Pferdesport

Schlüssel zur Verständigung

Klingeln, vibrieren, festhalten – oder vielleicht doch annehmende oder aushaltende Zügelhilfe? Die Sache mit der Fachsprache ist beim Ausbilden von Pferd und Reiter enorm wichtig. Warum das so ist, wo die Vorteile liegen, welche Gefahren lauern und wieviel Fachsprache Reiter, Ausbilder und Reitschüler wirklich benötigen, beleuchtet Dressurausbilderin und Fachbuchautorin Dr. Britta Schöffmann.

Fachsimpeln unter Ausbildern: Die Fachsprache im Pferdesport macht’s möglich – will aber gelernt sein. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Eigentlich braucht man als Interessierter für Pferdesport nur die FN-Richtlinien, Band 1 bis 6 zu lesen, und schon bekommt man die meisten Fachbegriffe rund ums Pferd, ums Reiten, Fahren, Voltigieren, Longieren, Füttern, Züchten und Pferdehaltung genau erklärt. Ab und zu vielleicht noch mal ein Blick in historische Werke, und man ist gut gerüstet. Zugegeben, an manchen Stellen klingt das Ganze vielleicht ein wenig trocken, aber ohne klar definierte Begrifflichkeiten geht es nun mal nicht, zumindest nicht, wenn es um den Erhalt klassischer Reitkultur geht. Denn die konnte letztlich über die Jahrhunderte nur überliefert werden, weil sich viele Pferdeleute über die Ziele und Inhalte ihrer Tätigkeiten einig waren und sie nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich überlieferten und dafür eine klar umrissene und sich stetig weiter entwickelnde Fachsprache nutzten.

Exakt und eindeutig

Die Verwendung einer einheitlichen Sprache war und ist in diesem Zusammenhang unerlässlich, denn wie sonst könnten alle, und das über einen langen Zeitraum hinweg, von ein und derselben Sache sprechen und ein- und dasselbe Ziel verfolgen? Exaktheit und Eindeutigkeit aber auch Deutlichkeit und Verständlichkeit zeichnen deshalb Fachsprachen aus, die zunächst einmal Fakten klar umreißen und definieren, statt lediglich Meinungen und schwammige Ansichten zu präsentieren. Besonders klar wird einem das, wenn man an wissenschaftliche Fachsprachen denkt, beispielsweise medizinische Terminologie. Zugegeben – nicht jeder Laie versteht, was die Damen und Herren Doktoren da untereinander diskutieren. Aber zunächst ist es verständlicherweise von größter Wichtigkeit und manchmal sogar lebensrettend, dass die Mediziner es verstehen und dass sie nicht aneinander vorbeireden, ganz gleich, ob sie in Deutschland, den USA oder Indonesien sitzen und beispielsweise über einen Ulcus, eine Zystitis oder einen Diaphragmalinfarkt reden.

 

Die Fachsprache des Pferdesports unterscheidet sich von Landessprache zu Landessprache – die Definition hinter den einzelnen Begriffen bleibt jedoch dieselbe. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Anders und doch gleich

Im Gegensatz zur medizinischen Fachsprache, die sich historisch unter anderem aus dem Griechischen und vor allem dem Lateinischen entwickelt hat und dadurch fast auf der ganzen Welt begrifflich mehr oder weniger gleich ist, gilt das nicht unbedingt für andere Fachsprachen, auch nicht für die rund ums Pferd. Aus diesem Grund sind nicht nur die Begriffe an sich wichtig, sondern vor allem auch die Begriffserklärungen, die Definitionen. Wenn im deutschsprachigen Pferdesport zum Beispiel von Anlehnung gesprochen wird, dann wissen (theoretisch) alle Reiter, wovon die Rede ist und was das bedeuten soll, nämlich die stete, weich federnde Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul. Im Englischen heißt der Begriff „contact“, über- setzt also Kontakt, im Französischen „l‘appui“ (Unterstützung), im Spanischen „la aceptación“ (Akzeptanz). Ohne eine über die Sprachen hinaus- reichende inhaltlich gleiche Definition würden die Reiter unterschiedlicher Länder auch vollkommen unterschiedlich reiten. Eine einheitliche Fachsprache garantiert also, dass sich die Inhalte zum Beispiel der klassischen Reitlehre, die sich über hunderte Jahre im alten Europa entwickelt hat, bewah- ren und weiterentwickeln lassen, wenn vielleicht auch mit national leicht unterschiedlichen Ausprägungen.

Kulturelles Erbe

Allerdings braucht man gar nicht so weit in die Ferne zu blicken. Ohne eine einheitliche Fachsprache würde vermutlich schon zwischen den einzelnen Reit- und Ausbildungsställen ein und desselben Dorfes jeder anders vorgehen – der Anfang des Untergangs der überlieferten und bewährten Reitlehre, die in ihrer deutschen Ausprägung 2023 sogar als immaterielles Kulturerbe ins bundesweite UNESCO-Verzeichnis aufgenommen wurde. Kein Wunder also, das sich die Fachverbän- de wie FN und Bundesvereinigung der Berufsreiter so intensiv auch um den Erhalt der hippologischen Fachsprache bemühen und diese auch durch die Richtlinien, die Ausbildungsprüfungsordnung (APO) sowie die Ausbildung von Berufsreitern und Amateurtrainern weiterverbreiten wollen.

Mensch bleibt Mensch

Dass trotzdem offenbar nicht überall völlig gleich und vollkommen nach den überlieferten Prinzipien geritten wird, liegt vor allem in der Natur des Menschen. Ein Ulcus ist und bleibt ein Ulcus. Eine nicht rein wissenschaftliche Fachsprache wird dagegen gern mal unterschiedlich interpretiert, auch mal verwässert oder schlicht und einfach nicht wirklich verstanden. Um beim Beispiel der Anlehnung zu bleiben: Der eine versteht unter „stete Verbindung“ eine eher feste und stramme, der andere dagegen eine lediglich hauchzart spürbare Verbindung. „Weich federnd“ beschreibt für den einen das funktionierende Gleiten einer Stahlfeder, für den anderen ist es die behutsame Bewegung einer Vogelfeder. Manche Begriffe innerhalb von Fachsprachen sind den Akteuren dagegen entweder nicht bekannt oder sie werden schlicht und einfach nicht wirklich verstanden.

Wieviel braucht es?

Und hier stellt sich die Frage für die Praxis: Wieviel Fachsprache brauchen Reitschüler überhaupt? Die Antwort: Das kommt darauf an – auf das Alter, auf den Ausbildungsstand und auf die sportliche bzw. freizeitliche Orientierung. Ein sechsjähriges „Ponykind“ beispielsweise wird im Unterricht mit fachsprachlichen Hinweisen zur Skala der Ausbildung nicht wirklich etwas anfangen können und stattdessen bezüglich seiner geistigen Reife mit Sicherheit überfordert sein.

Wenn vom Einsatz diagonaler Hilfengebung die Rede ist, wissen fortgeschrittene Reiter in der Regel genau, was damit gemeint ist. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Auch Sätze wie „Sie müssen Ihr Pferd von hinten nach vorn ans Gebiss herantreiben, damit seine Oberlinie stabiler wird und es über den Rücken schwingen kann“ mögen fachlich richtig sein, als Aufforderung an eine erwachsene Anfängerin, die sich kaum auf dem Pferderücken halten kann und mit Händen, Beinennund Körper haltlos rudert, ist er aber vollkommen am Bedarf vorbei.

Auswendig reicht nicht

Stattdessen hätte sich der Ausbilder in der beschriebenen Situation lieber mit Fragen der Sitzschulung und der Vermittlung von reiterlichem Balancegefühl auseinandersetzen sollen, um so der Reitschülerin etwas vermitteln und sie weiterbringen zu können. Das Auswendiglernen und Herunterleiern von Termini einer Fachsprache durch die Experten – Trainer, Ausbilder, Richter – reicht nämlich nicht aus. Vielmehr liegt es in ihrer Verantwortung, die Begriffe und Formulierungen ihrer Fachsprache so zu vermitteln, dass ihre Inhalte und auch ihr Sinn verstanden und umgesetzt werden.

Konkret und korrekt

Dass es daran häufig mangelt, erkennt man, wenn der Reitschüler Begriffe wie „halbe Parade“, „Beizäumung“, „Takt“, „diagonale Hilfengebung“, „Rahmenerweiterung“ oder was auch immer einmal erklären soll. Der ein oder andere wartet vielleicht sogar noch mit einer korrekten Definition auf, deren inhaltliche Bedeutung er dann aber meist nicht wirklich erläutern kann. Die meisten Antworten sind jedoch abenteuerlich und blumig statt konkret und korrekt. Und auch auf die Frage, welche Hilfen der Reiter wann und in welcher Reihenfolge denn geben sollte, um das Verlangte zu erreichen, herrscht häufig schwammige Uneindeutigkeit. Da wird die Parade mit „Schwämmchen ausdrücken“ oder „Zügelhilfe“ gleichgesetzt, die Beizäumung mit „Durchstellen“ und die Rahmenerweiterung mit „Zügel weg und Hals lang“.

Mit Inhalt füllen

Also doch „klingeln, vibrieren und festhalten“ unterrichten? Sicher nicht, enn auf diese Weise ginge die allgemeingültige Fachsprache irgendwann verloren und mit ihr die Lehre. Vielmehr muss der Nutzer von Fachsprache (also der Experte) die Fachbegriffe so mit Inhalt füllen, dass sie für andere – und auch für ihn selbstverständlich und erklärbar sind. Dafür kann man dann tatsächlich auch mal blumige Umschreibungen oder Bilder nutzen, die den Reitschüler beim Verstehen unterstützen. Immerhin es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das menschliche Gehirn Bilder viel schneller verarbeiten kann als reinen Text. Nun kann der Ausbilder während einer praktischen Unterrichtsstunde natürlich keine Bilder oder Plakate mit Abbildungen hervorziehen, um etwas zu fordern oder zu erläutern. Aber er kann durch bildhafte Beschreibungen dem Schüler helfen, dessen „inneres Auge“, also die visuelle Vorstellungskraft, anzusprechen und auf diese Weise hilfreiche Bilder im Gehirn des Reiters zu erschaffen.

Der Einsatz von Medien und Filmaufnahmen kann nicht nur helfen, Reitschülern das eigene Reiten zu visualisieren, sondern ihnen in der Nachbesprechung auch die Fachsprache näherbringen. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Alter und Ausbildungsstand des Reitschülers müssen bei Verwendung von Fachsprache berücksichtig werden – gerade bei Kindern unterstützen sprachliche Bilder das Erlernen der Fachbegriffe und verknüpfen diese gleich mit einer Bewegungsvorstellung. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Je nach Reiter

Der Bezug zur Fachsprache, ihrer Terminologie und ihren Definitionen sollte dabei allerdings immer wieder hergestellt werden, damit sich die Bildsprache nicht irgendwann (schwammig) verselbstständigt. Wann und in welchem Umfang die fachsprachlichen Begriffe in den Unterricht einfließen sollten und können, hängt letztlich individuell vom Reiter ab. Kindliche Reitschüler wird man nicht mit Fachbegriffen und Erklärungen überfrachten, sondern sie erst einmal machen lassen. Das sich so ganz natürlich entwickelnde Körper- und Bewegungsgefühl ist zunächst einmal viel wichtiger als die Wiedergabe eines auswendiggelernten Begriffs. Je älter und damit verkopfter ein Reiter wird, desto eher kann er Erklärungen nicht nur verstehen, er wird sie auch einfordern. Aber auch hier macht es keinen Sinn, nur Fachbegriffe inhaltslos aneinanderzureihen. Es ist vielmehr eine Frage ausbilderischer Fachkompetenz und ausbilderischen Gefühls zu entscheiden, wieviel Fachsprache in einer speziellen Situation notwendig ist, wann Fachbegriffe vielleicht noch einmal kurz und knapp erklärt oder definiert werden müssen und wann sie gegebenenfalls durch Bildsprache ersetzt oder zumindest ergänzt werden sollten.

Sinn weitertragen

Genauso wichtig ist es natürlich, immer wieder Fachbegriff, notwendige Einwirkung sowie Lektion bzw. Übung in einen Sinnzusammenhang zu stellen und dem Reitschüler – und sich selbst – immer wieder klarzumachen, warum eine Einwirkung oder Lektion eingesetzt wird, was sie beim Pferd bewirkt und welchen Sinn sie macht. Wer es schafft, einem Reiter innerhalb dessen reiterlicher Ausbildung dies alles zu vermitteln, der hat es auch geschafft, die reiterliche Fachsprache und ihre Inhalte weiterzugeben. Ganz im Sinne des Erhalts der klassischen Reitlehre.

Dr. Britta Schöffmann

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