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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Kristina Dyckerhoff 

Die Schlossdame 

Seit über 30 Jahren leitet Kristina Dyckerhoff die Geschicke des Wiesbadener Pfingstturniers im Biebricher Schlosspark. Es ist nicht nur eine Sport-, sondern auch Familiengeschichte: Ihr Vater hob das traditionelle Event im Schlosspark einst aus der Taufe. 

Das Gelände ds Biebricher Schlossparks ist Kristina Dyckerhoff von Kindesbeinen an gut bekannt. Alle Fotos: Jacques Toffi

Der Ausblick von Kristina Dyckerhoffs Schreibtisch ist beneidenswert. Wenn sie die Rollläden hochzieht, erstreckt sich der Biebricher Schlosspark Wiesbadens vor ihren Füßen. Es grünt, die Sonne scheint, die Frühblüher erstrahlen an allen Ecken und begrüßen den aus dem Winterschlaf erwachenden Park. Mächtige Buchen, Kastanien- und Ahornbäume ragen in den Himmel. Im Hintergrund thront das Biebricher Schloss. Kristina Dyckerhoffs Schreibtisch steht im Turnierbüro des Wiesbadener Reit- und Fahr-Clubs (WRFC), der alljährlich das Pfingstturnier Wiesbaden ausrichtet. Ein einzelnes, festes Gebäude, fast etwas verloren inmitten des Parks. Allein der Rundbogen rechts der Eingangstür erinnert an den Einritt in den Parcours. Ansonsten ist nichts zu sehen, was auf ein Reitturnier hindeutet – vorerst. Am Pfingstwochenende ist direkt am Büro der Springplatz aufgebaut, auf dem dann um den Großen Preis geritten wird. Drumherum verläuft die Vielseitigkeitsstrecke und einen Steinwurf entfernt, direkt vor dem Schloss, ist der Dressurplatz aufgeschüttet. Dort entstehen dann die so typischen Bilder der großen Dressurprüfungen vor der malerischen Kulisse – tags, aber auch spätabends unter Flutlicht. Charakteristisch für das Turnier sind sicherlich die vielen Halsbandsittiche, die optisch kleinen Papageien ähneln und im Biebricher Schlosspark leben. Ihr Krächzen schallt aus jedem Baumwipfel. Für den Park und die Stadt mehr eine Plage, machen sie für Besucher das Ambiente im Park zu etwas Besonderem.

Logistik für vier Tage 

Kristina Dyckerhoff blickt durch das Fenster in den Park, hält einen Moment inne, in Gedanken wahrscheinlich schon bei allem, was noch erledigt werden muss, in wenigen Wochen geht es los. Das Pfingstturnier ist eines der wenigen Turniere, bei denen die drei olympischen Disziplinen gleichzeitig ausgetragen werden. Auf 20 Hektar Parkgelände wird jedes Jahr für vier Turniertage am Pfingstwochenende der gesamte Turnierplatz mit Tribünen ausgestattet, es gibt eine Zeltstadt und einen Kinderbereich. Vier Kilometer Stromkabel und fünf Kilometer Wasserleitungen werden verlegt. 400 mobile Pferdeboxen und die vorhandenen Stallungen beherbergen die Gastpferde. Für den Dressurplatz werden 4.000 Quadratmeter Gummimatten verlegt. Ausgetragen werden Springund Dressurprüfungen bis CSI4* und CDI4*, ein Großer Preis, Grand Prix, Grand Prix Special und Kür, Youngster- Touren in Dressur und Springen sowie eine Vielseitigkeitsprüfung CCI4*-S.

Einmalig in Deutschland 

„1972 wurde die erste nationale Vielseitigkeit ausgetragen, eine Qualifikation für die Olympischen Spiele. Seit Ende der 1990er Jahre ist die Vielseitigkeit mit internationalen Prüfungen beim Pfingstturnier integriert – das war zu dieser Zeit einmalig in Deutschland“, berichtet Kristina Dyckerhoff. Bei Zahlen und Fakten über das Turnier muss die 76-Jährige nicht lange überlegen, die beherrscht sie im Schlaf. Und letztes Jahr wurde erneut Vielseitigkeitsgeschichte in Wiesbaden geschrieben: Das Pfingstturnier war der Veranstalter der ersten Deutschen Meisterschaften der U25-Vielseitigkeitsreiter. Anna Lena Schaaf und ihre Stute Fairytale sicherten sich den Premierentitel. Neben Dressur-, Springund Vielseitigkeitssport bekommen auch Voltigiererinnen und Voltigierer in Wiesbaden die Möglichkeit, sich miteinander zu messen. Dabei wird der Wettbewerb nicht wie üblich in einer Reithalle ausgetragen, sondern ebenfalls unter freiem Himmel. Traditionell gibt es Freitagabend die Pferdenacht mit Showprogramm und Stunteinlagen mit den verschiedensten Pferderassen dieser Welt, „ein Kaleidoskop der Reiterei“, und vor allem Zuschauermagnet auch für weniger pferdeaffine Menschen. Jahr für Jahr kommen zwischen 55.000 und 60.000 Zuschauer an den Turniertagen.

Am Rande des Turniers mit Richterin Katrina Wüst. 

Auf dem Gelände des Biebricher Schlossparks, das ihr von Kindesbeinen an gut bekannt ist. 

Von Kindesbeinen an

Kristina Dyckerhoff ist seit 32 Jahren Präsidentin des WRFC und damit verantwortlich dafür, dass das Megaevent Jahr für Jahr reibungslos über die Bühne geht. Dabei spielt das Turnier nicht „erst“ seit 30 Jahren eine Rolle, sondern eigentlich ihr ganzes Leben lang. Ihre Eltern waren es, die eines Tages im Schlosspark spazieren gingen und ihre Mutter sagte: „Hier müsste man einmal reiten.“ Das war 1949 und die Geburtsstunde des Pfingstturniers. Seitdem hat das Pfingstwochenende einen besonderen Stellenwert in Kristina Dyckerhoffs Leben. Bereits mit fünf Jahren half sie als Schleifenmädchen beim Turnier mit und übernahm im Laufe der Jahrzehnte die verschiedensten Aufgaben in der Organisation – vom Schreiben von Dressurprotokollen, über die Mithilfe im Clubzelt bis zur Leitung der Pressestelle. Bevor sie 1992 die Präsidentschaft übernahm, war sie bereits Geschäftsführerin des WRFC.

Von und mit Pferden

Aufgewachsen ist Kristina Dyckerhoff in Wiesbaden mit einem drei Jahre jüngeren Bruder. Mit acht Jahren fing sie bei einem Schäfer in Mainz an zu reiten. Später genoss sie im Reitstall Fasanerie in Wiesbaden eine vielseitige Ausbildung. Mit zwölf Jahren absolvierte sie ihren ersten Turnierstart und war als Teenagerin erfolgreich in Dressur, Springen und Vielseitigkeit. Durch die Jagdpassion ihrer Eltern nahm sie an unzähligen Jagden in ganz Deutschland teil und war Houndsman der Rheinisch-Westfälischen Meute. Ihr absoluter Liebling und das Pferd ihrer größten Erfolge war – wie sie selbst sagt – „ein hässlicher, ramsnasiger, aber total zuverlässiger Wallach namens Vagabund“, ein Hannoveraner. Die 76-Jährige, die auch leidenschaftlich gern Ski fährt, hat Grundschullehramt studiert und zwei Kinder bekommen. Ihr Sohn betreut mittlerweile den VIP-Bereich des Turniers und ist Schatzmeister des Clubs. Und auch die fünf Enkelkinder zwischen 13 und 18 Jahren sind in das Turniergeschehen eingebunden. Den Vater ihrer Kinder hat sie über das Reiten kennengelernt. Ihr aktueller Partner war Oberbürgermeister Wiesbadens, der Kontakt ist über das Turnier entstanden. Ihre Mutter ist 1994 mit Ende 80 das letzte Mal vom Pferd abgestiegen. 2018 ist sie mit 101 Jahren gestorben. Noch im Jahr ihres Todes war sie zu Gast auf dem Pfingstturnier.

Bis zum Vogelgutachten 

Dressurikone Isabell Werth startet regelmäßig in Wiesbaden. Sie sagt: „Das Wiesbadener Pfingstturnier gehört zu den ganz besonderen Veranstaltungen. Das Dressurviereck vor dem wunderschönen Schloss, der Springplatz inmitten eines großartigen alten Baumbestandes und der herrliche Park mit seinen wunderbaren freilebenden Papageien. Dieses Ambiente, der Volksfestcharakter während der Pfingsttage oder die Partystimmung während der Flutlichtkür, gepaart mit Spitzensport, machen dieses Turnier einzigartig.“ Das Pfingstturnier hat sich immens entwickelt. Mittlerweile verwaltet Kristina Dyckerhoff einen Etat von 2,5 Millionen Euro. Mit der Organisation des Turniers ist sie das ganze Jahr über in Vollzeit beschäftigt. Gemeinsam mit einem zehnköpfigen ehrenamtlichen Vorstand. „Die Arbeit wird immer mehr“, berichtet sie. Sie ist kein Mensch der lauten Worte. Aber sie spricht souverän und mit der Ruhe jahrzehntelanger Erfahrung. „Wir haben spezielle Auflagen im Schlosspark und brauchen jedes Jahr zahlreiche Gutachten. Für die Pferdenacht samstagabends beispielsweise, die unter Flutlicht stattfindet, müssen wir vorab einen Vogelkundler beauftragen, der begutachtet, ob brütende Vögel gestört werden könnten. Auch die Sicherheitsauflagen werden sich erhöhen nach den vielen Vorfällen auf öffentlichen Plätzen und bei großen Menschenansammlungen.“

Aufwand, der es wert ist

Mit fünf Wochen Vorlauf beginnen jedes Jahr die Vorbereitungen fürs Turnier. Erst eine Woche vorher wird der Dressurplatz präpariert. Und gleich Montagnachmittag nach der letzten Prüfung wieder abgebaut. Das hessische Ministerium möchte den Park, der Kulturdenkmal Wiesbadens ist, so schnell wie möglich wieder in seinem ursprünglichen Zustand sehen. Der Abbau insgesamt dauert vier Wochen. Letztes Jahr haben sich 100.000 Euro Wiederherstellungskosten des Parks angehäuft, weil es so viel geregnet hatte. Ein Posten, der nicht einkalkuliert war. Auch damit muss die Präsidentin umgehen. „Manchmal denkt man sich schon, ob man wirklich die ganze Freizeit für das Turnier opfern sollte.“ Ein kurzes Lächeln huscht über ihr Gesicht: „Aber es macht einfach Spaß. Die ganze Organisation. Wir sind jedes Jahr traurig, wenn das Turnier dann wieder vorbei ist“, so die Präsidentin. Am wichtigsten sei es ihr, dass alles abläuft ohne großen Unfall. „Bei der Jump & Drive-Prüfung halte ich dann schon mal die Luft an.“

 

Hände schütteln, die Teilnahme an Siegerehrungen – auch das gehört zur „Jobbeschreibung“ der Turnierchefin. 

Ehrungen und Loblieder

Kristina Dyckerhoff, die selbst seit rund 30 Jahren nicht mehr in den Sattel steigt, ist ungebrochen fasziniert vom Pferdesport. „Es ist diese besondere Verbindung zum Pferd, die mich bis heute begeistert.“ Von 1997 bis 2008 gehörte sie dem Vorstand der Persönlichen Mitglieder der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) an. Das Pfingstturnier wurde 2022 mit der Graf-zu-Rantzau- Trophäe ausgezeichnet. Damit ehrt die Deutsche Reiterliche Vereinigung Veranstalter mit einer Vorbildfunktion im Turniersport. Veranstalter, die sich durch überregionale Bedeutung, durch Tradition ebenso wie durch Innovation hervorheben und weitgehend vom Ehrenamt getragen sind. Kristina Dyckerhoff selbst wurde das Deutsche Reiterkreuz in Silber verliehen. Sie ist außerdem Trägerin des Hessischen Verdienstordens für ihr sportliches Engagement und der Verbandsehrennadel in Gold. Am meisten Anerkennung ist aber sicherlich das positive Feedback der Reiterinnen und Reiter. „Wiesbaden gehört zu meinen Lieblingsturnieren“, sagt Ingrid Klimke. „Ich habe wunderschöne Kindheitserinnerungen, denn meine Eltern hatten uns Kinder auch häufig mit nach Wiesbaden mitgenommen. Schon als Kind spielte ich dort im Park, und später ritt ich Jagdpferdeprüfungen in der Gruppe. Das Dressurviereck ist einmalig schön mit der Schlosskulisse, und auch der Springplatz mit den alten Bäumen hat einzigartiges Flair. Seitdem die Vielseitigkeit stattfindet, versuche ich kein Jahr zu verpassen. Welch eine Freude, dort durch den Park zu galoppieren und von den Zuschauern so nah angefeuert zu werden. Was mich jedes Jahr besonders erfreut, ist die herzliche Stimmung. Wir Reiter werden umsorgt und genau deswegen komme ich auch so gerne. Für die Pferde und Reiter wird das Beste gegeben, und wir werden herzlich willkommen geheißen und aufgenommen. Viele nette Menschen, auf die man sich freut, herrliche Pfingsten zu verleben.“

 

Laura Becker

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