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Wissenschaft: Dr. Vivian Gabor im Interview

Das Lernverhalten von Pferden

Wie lernen Pferde und was bedeutet das für den Umgang mit ihnen und ihre Haltung? Dr. Vivian Gabor beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema, hat wissenschaftliche Studien dazu veröffentlicht und teilt ihr Wissen in Seminaren. Im Interview mit dem PM-Forum gibt sie Einblicke in ihre Arbeit.

Wie lernen Pferde? Die Wissenschaft weiß einige Antworten auf diese Frage. Foto: Christiane Slawik

PM-Forum: Frau Dr. Gabor, Sie beschäftigen sich seit Jahren wissenschaftlich mit den kognitiven Leistungen von Pferden. Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Dr. Vivian Gabor: Grundsätzlich ist es so, dass alle Säugetiere und damit auch Pferde eine ähnliche neurologische Struktur aufweisen, also grundsätzlich in der Lage sind, zu lernen. Dieses Lernen geht mit einer höheren kognitiven Leistung einher. Denn wenn ein Tier etwas bewusst ändert, um seine Umwelt zu beeinflussen, dann hat es dies durch das eigene Handeln gelernt. Es kann also bewusst abwägen, dass durch eine Veränderung des Handelns etwas anderes beeinflusst wird und dass sich im besten Fall die eigene Situation ebenfalls positiv ändert. In dieser Hinsicht spricht man bei Pferden von höherer kognitiver Leistung. Sie können nach Mustern wählen, begrifflich lernen und sogar die Anzahl von etwas erkennen. Die Forschungen sind aber sehr langwierig. Einen Menschen kann man einfach fragen, bei Tieren hingegen muss man anhand des Verhaltens die Antwort herauslesen. Damit das funktioniert, muss das Pferd zunächst konditioniert werden.

PM-Forum: Das klingt sehr langwierig und schwierig. Wie werden Pferde konditioniert?

Dr. Gabor: Das ist es auch! Bevor wir mit den eigentlichen, wissenschaftlichen Tests beginnen können, bedienen wir uns einer sogenannten „operanten Konditionierung“. Die Pferde müssen also bereits im Vorfeld lernen, eine bestimmte Handlung auszuführen. Um einen Zufall auszuschließen, bedarf es unzähliger Wiederholungen. Nur so erhalten wir bei unserer Forschung eine aussagekräftige Statistik.

PM-Forum: Welche verschiedenen Lernformen gibt es denn überhaupt?

Dr. Gabor: Grundsätzlich unterscheidet man drei Lernformen. Wir haben in erster Linie mit operanter Konditionierung gearbeitet. Diese ist aussagekräftig hinsichtlich höherer kognitiver Leistung.

Das Tier bzw. das Pferd weist ein höheres Problemlöseverhalten auf, es kann abstrakt denken und nutzt sein Verhalten als Instrument, um seine Umwelt zu beeinflussen. Es ist sich seiner Handlung und dessen Folge also bewusst. Bei der klassischen Konditionierung hingegen wird ein neutraler Reiz lediglich mit einer neuen Bedeutung gekoppelt. Und nicht-assoziative Lernformen finden eher unbewusst statt. Dazu zählt zum Beispiel die Gewöhnung oder Sensibilisierung. Mit den unterschiedlichen Lernformen haben wir im Prinzip alltäglich bei der Arbeit mit Pferden zu tun.

Das Schrecktraining zählt zu den nicht-assoziativen Lernformen. Hier findet lediglich eine Gewöhnung statt. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

PM-Forum: Inwiefern?

Dr. Gabor: In Konditioniert wird mit positiver und negativer Verstärkung. Die positive Verstärkung können wir uns als Plus vorstellen: Zu einem bestimmten und gewünschtem Verhalten wird etwas hinzu addiert, was als angenehm empfunden wird, also ein Lob, ein Leckerli oder auch eine Pause.

Die negative Verstärkung stellen wir uns als Minus vor. Hierbei entnehmen wir der Situation etwas, damit es angenehm wird, also zum Beispiel Druck oder einen Störreiz. Negative Verstärkung hat nichts mit Bestrafung zu tun, das wird oft falsch verstanden. Mit der klassischen Konditionierung haben wir es am meisten zu tun. Wir koppeln einen Reiz mit einer Bedeutung, also zum Beispiel die Schenkelhilfe mit dem Vorwärts. Die nicht-assoziativen Lernformen sind grundlegende Lernformen. Beim Schrecktraining findet zum Beispiel eine Gewöhnung statt, bei den Hilfen wünschen wir uns allerdings eher eine Sensibilisierung. Wurden die Hilfen falsch vermittelt, hat man es zum Beispiel mit Triebigkeit zu tun. Das Pferd hat sich einfach an die Schenkelhilfe gewöhnt und nun bedarf es immer mehr Druck, um das gewünschte Verhalten, also das Vorwärts, auszulösen. Grundsätzlich hat alles, was wir tun, einen Lerneffekt auf unser Pferd – das müssen wir uns bewusst machen!

Eine gute Pferdehaltung sollte es den Pferden ermöglichen, unterschiedliche Umweltreize aufzunehmen. Das wirkt sich auch positiv auf das Lernverhalten aus. Foto: Christiane Slawik

PM-Forum: Welche Schlüsse lassen sich aus dem Lernverhalten des Pferdes ziehen?

Dr. Gabor: Grundsätzlich ist es so, dass ein Pferd lernen will, und auch wir wollen, dass unser Pferd etwas lernt. Deswegen muss man eher fragen, was das Lernverhalten des Pferdes fördert und das sind ganz klar die verschiedensten Reize. Je reizarmer die Umgebung des Pferdes ist, desto schlechter lernt es. Pferden, die reizarm gehalten werden, ist schlichtweg langweilig. Wenn man das Verhalten des Pferdes kennt und die Denkstruktur nachvollziehen kann, kann man sich wohl auch die Leidensstruktur vorstellen, die eine reizarme Umgebung für ein Pferd bedeutet.

PM-Forum: Werden wir dem Pferd in unserer Haltung und Nutzung denn überhaupt gerecht?

Dr. Gabor: Das ist fast eine philosophische Frage. Hier geht es ja schon eher in die Nutztierethologie. Schweine sind zum Beispiel hochintelligent, dessen sind wir uns bewusst und dennoch: Wie werden sie gehalten? Das sind ethische Fragen, denen wir uns aber auch in gewisser Weise stellen müssen – jeder für sich. Speziell zu Pferden sollten wir unser Handeln und Tun bewusster hinterfragen und für sie die bestmögliche Haltung und Lebensbedingung wählen. Ein gesundes Pferd beschäftigt sich in erster Linie mit Sozialkontakten, fressen und Bewegung; das sind die Grundpfeiler eines gesunden Pferdelebens. Nehmen wir einen Pfeiler weg oder rationieren ihn, kann das Verhaltensstörungen auslösen, bis hin zu autoaggressivem Verhalten.

PM-Forum: Wie können wir die Lerntheorie in die Arbeit mit dem Pferd einbinden?

Dr. Gabor: Durch Motivation! Ein motiviertes Pferd ist, unabhängig von Alter und Rasse, zu unglaublichen Leistungen fähig. Motiviert bleibt ein Pferd durch gesunde Haltung und durch eine gesunde Beziehung zu seinem Besitzer.

PM-Forum: Gibt es auch unterschiedliche Lerntypen?

Dr. Gabor: Ja, man hat in der Forschung herausgefunden, dass es verschiedene Lerntypen und Lernleistungen gibt. Das ist aber multifaktoriell. Nehmen wir zum Beispiel das Alter: Ein altes Pferd lernt zwar langsamer, kann sich durch seine Erfahrung aber besser konzentrieren. Auch hinsichtlich der Rassen gibt es Unterschiede, aber nicht dahingehend, dass man zwischen dumm und schlau unterscheidet, sondern wie welche Rassen lernen. Robustrassen und Ponys sind von Natur aus meistens ruhiger und gelassener, sie können sich besser konzentrieren, sind aber vielleicht nicht mit so viel Eifer dabei. Sie müssen also mehr motiviert werden. Blütige Rassen lassen sich leicht durch andere Reize ablenken, sie müssen beim Lernen also eher fokussiert werden.

Verschiedene Lerntypen: Zu den Faktoren, die das Lernverhalten von Pferden beeinflussen, gehören auch die Rasse und das Alter. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

PM-Forum: Kann ich die Intelligenz meines Pferdes auch selbst testen? Oder gibt es Möglichkeiten zum „Gehirn-Jogging“ für das Pferd?

Dr. Gabor: Natürlich! Ich schreibe gerade genau zu diesem Thema ein Buch, das im September erscheinen wird. „Mein Pferd kann’s – Lerntraining für Pferde“ beschäftigt sich genau damit. So können wir unsere Pferde zum Beispiel mit Lernspielen motivieren und die Konzentration fördern. Beispielsweise können wir die Futtersuche spielerisch umsetzen. Dafür rollt man Leckerlies in einen Teppich ein oder arbeitet mit unterschiedlich farbigen Eimern und darunter versteckten Leckerlies. Aber immer Vorsicht bei Futter als Lob, man kann auch mit anderen Dingen loben.

PM-Forum: In Seminaren für die Persönlichen Mitglieder geben Sie Ihr Wissen weiter. Was erwartet mich als Besucher?

Dr. Gabor: Auch das, worum es hier geht. Wir versuchen, Forschung und Praxis miteinander zu verknüpfen und dieses Wissen zu vermitteln. Dadurch können wir effektiver und pferdegerechter arbeiten und agieren. In den Seminaren zeige ich zum Beispiel, wie man auch mit fremden Pferden Kommunikationsarbeit machen kann, also wie ich ein Pferd heranholen oder wegschicken oder ihm Sicherheit geben kann. Auch die Lerntheorie spielt eine große Rolle. Wenn ich die Denkstrukturen und Lernmuster nachvollziehen kann, kann ich das auch viel besser in den Sattel übertragen und kann dadurch bessere und effektivere Ergebnisse erzielen. Für ein besseres Miteinander!

PM-Forum: Vielen Dank für dieses Interview!

Das Interview führte Lorella Joschko.

Zur Person

Dr. Vivian Gabor ist Biologin, promovierte Pferdewissenschaftlerin und Buchautorin. Ihr Spezialgebiet ist das Lernverhalten des Pferdes und die Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis. Sie betreibt ein Ausbildungszentrum für Mensch und Pferd in Einbeck und ist Gründerin des Instituts für Verhalten und Kommunikation (IVK). Sie bietet bundesweit Reitweisen übergreifende Lehrgänge in der Arbeit vom Boden und vom Sattel aus an. Der Schwerpunkt liegt in der Optimierung der Mensch-Pferd-Kommunikation für ein pferdegerechtes Training.

Weitere Informationen: www.viviangabor.de

Foto: privat

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