Vorheriger Artikel

Ausgabe 07/2020
Giftpflanzen für Pferde

Nächster Artikel

Ausgabe 07/2020
Gesundheit kompakt: Heiße Sommertage

Pferde sinnvoll trainieren

Mit Freude in die nächste Stunde

Reitpferde sollen Spaß an der Arbeit haben. Das liest man immer wieder. Doch was macht Arbeit überhaupt aus? Wann bringt sie Spaß, wann Langeweile, wann Überforderung? Dressurausbilderin und Sportwissenschaftlerin Dr. Britta Schöffmann hat sich mit diesen Fragen und der Suche nach dem Prinzip einer sinnvollen Belastung für Pferde beschäftigt.

Die richtige Reihenfolge macht’s: Wer neue Lektionen trainiert, sollte damit im vorderen Drittel des Trainings beginnen und nicht erst am Ende einer intensiven Arbeitsphase. Foto: Jacques Toffi

Das Training eines Pferdes ist immer eine individuelle Angelegenheit. Trotzdem gibt es natürlich ein paar Trainingsprinzipien, von denen die meisten Reiter (hoffentlich) schon gehört haben. Das sind zum einen die Einteilung einer Reitstunde in Lösungsphase, Arbeitsphase und Abspannphase, zum anderen Prinzipien wie vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Komplexen. Heißt: Für verantwortungsvolle Reiter ist es selbstverständlich, sich nicht einfach in den Sattel zu setzen und sofort Vollgas durch den Wald zu heizen oder vom Pferd die schwierigsten Lektionen oder höchsten Hindernisse zu verlangen.

Langsam steigern

Ein Pferd sollte immer behutsam aufgebaut und trainiert werden, sowohl in der täglichen Arbeit als auch im Rahmen seiner Ausbildung auf lange Sicht. Nun wird sich der ein oder andere vielleicht fragen, ob es überhaupt notwendig ist, sein Pferd zu „trainieren“. Man wolle ja schließlich nur ein wenig freizeitlich reiten. Ganz ohne Anspruch. Und selbst das Reiten an sich ist in der heutigen Zeit für manche Pferdebesitzer nicht mehr unbedingt erstrebenswert. Das Kümmern steht für sie im Mittelpunkt. Ein wenig Bodenarbeit hier, ein wenig Beziehungsarbeit da und ansonsten Weidegang. Ihr Argument: In freier Natur braucht das Pferd ja auch kein Training und ist auch ohne den Menschen glücklich.

Doch diese romantisierende Vorstellung hinkt. Das „Training“ wild lebender Pferde ist der tägliche Überlebenskampf. Kilometerlange Bewegung auf der Suche nach Nahrung über Stock und Stein, schnelle Flucht bei Gefahr – wer diesem natürlichen Training nicht gewachsen ist, bleibt auf der Strecke. Nur wer fit ist, überlebt. Der Preis der Freiheit. In der Obhut des Menschen schaffen es dagegen auch die Schwächeren – und das ist auch gut so. Notwendig dafür ist aber, neben einer möglichst pferdegerechten Haltung mit Weidegang und pferdigen Sozialkontakten, ein gutes Training. Nur dann wird der Pferdekörper gestärkt, bleibt das Pferd physisch und psychisch gesund.

Das „Training“ wild lebender Pferde ist der tägliche Überlebenskampf. Auf der Suche nach Futter geht es über Stock und Stein. Foto: Christiane Slawik

Aufs Gefühl kommt’s an

Wie ein Training unter dem Sattel aussehen sollte und welche Belastungshöhe angepeilt wird, hängt dabei von vielen Punkten ab, darunter von der jeweiligen Pferdesportdisziplin, von der Fähigkeit des Reiters bzw. Fahrers, vom Pferdetyp und vom angestrebten Leistungsziel. Für alle gilt jedoch ein Grundsatz: Das Ende eines Trainings sollte immer positiv sein. Immerhin sollen beide Beteiligten, Pferd und Mensch, wieder mit guten Gefühlen ins nächste gemeinsame Training gehen. Über seine eigenen Gefühle – Freude, Zufriedenheit, Frust, Ärger, Wut oder Verunsicherung – weiß der Reiter meist Bescheid, doch woran erkennt er die seines Pferdes? Lässt sich darüber überhaupt etwas sagen? Wissenschaftliche Studien dazu gibt es bisher kaum, aber es gibt sie. So wurden zum Beispiel an der Universität Bern (2016, Hintze et al.) die Falten um Pferdeaugen herum untersucht und ausgewertet. Dabei kam heraus, dass Pferde, ebenso wie Menschen, so etwas wie Sorgenfalten zeigen können, abhängig von ihrem Gemütszustand.

Ein Blick ins Gesicht des Pferdes kann Reiter und Ausbilder schon ganz viel Rückmeldung geben, ob das Training passend für das Pferd ist. Foto: Christiane Slawik

Ein Blick ins Gesicht seines Pferdes vor und nach dem Training kann dem Reiter und Ausbilder also schon ganz viel Rückmeldung darüber geben, ob es einen zufriedenen, vielleicht sogar positiv animierten Augenausdruck zeigt, oder ob sein Blick hektisch, ängstlich, panisch oder apathisch wirkt. Und auch Nüstern und Ohren sprechen meist eine deutliche Sprache. Schwitzen oder nicht Schwitzen ist dagegen nicht unbedingt ein Zeichen von zu viel oder zu wenig Belastung, wie manche glauben. Die Bildung von Schweiß ist zunächst einmal lediglich ein Zeichen einer erhöhten Körpertemperatur, die zwangsläufig bei körperlicher Belastung und auch abhängig von der Außentemperatur entsteht und dazu dient, den Körper vor Überhitzung zu schützen. In Strömen fließender Schweiß eines wenig trainierten Pferdes, womöglich noch bei gemäßigter oder kühler Außentemperatur, spricht dagegen für Überforderung. Diese kann dann körperlicher Natur sein, aber auch psychische Ursachen haben. Stichwort: Angstschweiß.

Voraussetzungen schaffen

Überforderung ist nie ein Zeichen guten Trainings, Unterforderung allerdings auch nicht. Während dauernde Überforderung zu körperlichen und mentalen Schädigungen wie Überlastung des Bewegungsapparates (vor allem Sehnen, Gelenke), Verletzungsanfälligkeit und negativem Stress (Distress) führt, kann dauernde Unterforderung ungenügende Bemuskelung, schwindende Energie und Motivation oder Apathie zur Folge haben.

Wer ein Pferd zum Reiten nutzt, der muss es auch in die Lage versetzen, die gestellten Anforderungen – und dazu gehört schon das Tragen des Reitergewichtes – schadlos leisten zu können. Eine gute Grundausbildung, bei der das Pferd die reiterlichen Hilfen verstehen lernt und in deren Verlauf es einen gewissen Muskelaufbau und eine gute Kondition entwickelt, ist ein absolutes Muss. Ob und wohin der Weg dann weiter führt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Ein Sportreiter in Dressur oder Springen wird sein Pferd anders trainieren als ein Vielseitigkeitsreiter oder ein Distanzreiter. Unterschiedliche Leistungsziele erfordern unterschiedliche Trainingspläne, das ist nicht anders als im Humansport. Trotzdem gelten für alle ähnliche Grundprinzipien.

Beim Springtraining ist es wichtig, zwischen verschiedenen Arten von Hindernissen zu variieren, denn ein Steilsprung stellt andere Anforderungen als ein Oxer und diese verschiedenen Impulse braucht es für eine Leistungssteigerung. Foto: Stefan Lafrentz

Abwechslung zählt! Alle Pferde, auch Dressurpferde, sollten regelmäßig über Stangen und Cavaletti gearbeitet werden. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Die Sache mit der Belastung

Die Trainingslehre unterscheidet mehrere Belastungsprinzipien. Das Prinzip des „trainingswirksamen Bereichs“ besagt zum Beispiel, dass ein Trainingsreiz eine gewisse Schwelle überschreiten muss, um überhaupt eine Leistungssteigerung erzielen zu können. Bleibt man im Training immer unterhalb dieser Schwelle, hat dies keine Wirkung auf die Leistungsfähigkeit. Mit leicht überschwelligen Trainingsreizen lässt sich dagegen zumindest die Funktion erhalten. Einfach ausgedrückt: Pferd und Reiter rosten zumindest nicht ein. Wer Leistung steigern möchte, muss dagegen auch immer mal wieder stark überschwellige Trainingsreize setzen. Schwitzen oder verstärkte Atmung inklusive. Doch Vorsicht: Wer hier übertreibt, riskiert mehr Schaden als Nutzen!

Es ist also eine Frage von Erfahrung und Gefühl, wie weit man beim Training seines Pferdes gehen kann und sollte. Und hier darf auch das nächste Prinzip nicht vergessen werden, das der „individualisierten Belastung“. Das Training muss zum Pferd passen, muss Alter, Ausbildungsstand, Typ, Interieur und Exterieur, Gesundheitszustand, ja sogar Tagesform berücksichtigen. Ein hochtrainiertes Sportpferd kann intensive Belastungsanforderungen ganz anders verkraften als ein untrainiertes Freizeitpferd. Ein über Jahre gut trainiertes, älteres Pferd bewältigt erhöhte Anforderungen unter Umständen viel besser als der auf den ersten Blick so fitte Youngster, dem aber noch die Stabilität des Stützapparates fehlt und der deshalb unter einem Zuviel an Belastung schwere Schäden erleiden könnte.

Die Reihenfolge zählt

Ein weiteres Prinzip, das der „ansteigenden Belastung“, passt auch ein wenig zum Aufbau einer jeden Reiteinheit, die ja ebenfalls so aufgebaut wird. Um aber auf lange Sicht eine Steigerung der Leistung, vor allem der Ausdauer- und Kraftausdauerleistung, zu erreichen, muss die Anforderung nach und nach weiter gesteigert werden. Denn an Trainingsbelastungen, die über eine längere Zeitdauer gleich bleiben, passt sich der Körper irgendwann an. Was vor einem Monat oder Jahr noch anstrengend war, klappt jetzt ohne große körperliche Mühe. Hier würde man, sowohl beim menschlichen Sportler als auch beim Pferd, nach und nach den Trainingsumfang und dann auch die Trainingsintensität erhöhen, um eine Leistungssteigerung zu erzielen. Ganz wichtig: das Prinzip der „richtigen Belastungsfolge“. Für den Humansport gilt hier, dass unter anderem sämtliche Koordinations- oder Maximalkraftübungen einen erholten Grundzustand oder eine wirkliche Pause benötigen. Übungen zur Kraftausdauer und zur Ausdauerschulung würden daran angeschlossen. 

Schweiß ist nicht unbedingt ein Zeichen von zu viel Belastung – hier gilt es, ihn richtig zu deuten. Foto: Christiane Slawik

Übertragen zum Beispiel auf das Training eines Dressurpferdes heißt das, dass das Erarbeiten von völlig neuen Lektionen wie fliegenden Galoppwechseln oder hoch anspruchsvollen Lektionen wie Piaffe, Passage oder Galopp-Pirouetten nicht ans Ende einer womöglich anstrengenden Arbeitsphase gestellt werden sollte, sondern eher ins vordere Drittel.

Mit Pausen zum Erfolg

Stichwort Pausen: Gerade bei der Arbeit mit Pferden sind Pausen ein wichtiges Mittel, schneller zum Ziel zu kommen. Das gilt vor allem für Pausen innerhalb einer Trainingseinheit. Zum einen können sich auch Pferde nur bedingt konzentrieren, so dass eine kurze Schrittpause mit hingegebenem Zügel zwischendurch dem Vierbeiner die Möglichkeit gibt, wieder „mental durchzuatmen“. Zum anderen kann es in der Arbeit immer auch zu Momenten der Überlastung kommen, sei es durch muskuläre Verspannung oder Kurzatmigkeit. In beiden Fällen bekäme der Körper zu wenig Sauerstoff, was wiederum zu einer Übersäuerung und damit Ermüdung der Muskulatur, zu Atmennot und auch zu einer zu hohen Herzfrequenz führen würde.

Als Mensch merkt man das auf den eigenen Körper bezogen natürlich schnell. Wer untrainiert mal versucht hat, zehn Kilometer am Stück zu laufen, spürt es: Die Beine schmerzen, die Lunge brennt, die Luft wird knapp, der Puls rast. Was macht man? Eine Pause! Da Pferde nicht sprechen können, liegt es in der Verantwortung des Reiters beziehungsweise Ausbilders, solche Momente kommen zu sehen und dem Pferd vorher eine Pause zu gönnen. So lässt sich manche vermeintliche Widersetzlichkeit vermeiden und auch Fehler in den geforderten Aufgaben verringern sich.

Apropos Fehler. Vor allem in technisch anspruchsvollen Disziplinen macht es keinen Sinn, eine Übung wieder und wieder abzufragen und dabei immer Perfektion im Fokus zu haben. Das gilt sowohl für das Erlernen neuer Lektionen als auch für das Abfragen bereits bekannter Anforderungen. Aus der menschlichen Hirnforschung weiß man, dass Lernen schneller und nachhaltiger vonstattengeht, wenn an einer Aufgabe in kürzeren Sequenzen gearbeitet und dann zunächst eine Pause eingelegt wird. Als Pause gilt hier auch der Wechsel zu einer anderen Aufgabe, nach deren Erledigung man dann wieder zur ersten Anforderung wechselt.

Ein Ritt ins Gelände sorgt unter anderem für mentalen Ausgleich und damit für mehr Motivation im Training. Foto: Jacques Toffi

Da das menschliche Gehirn im Prinzip nicht so viel anders (wenn auch wesentlich komplexer) konstruiert ist als das eines Pferdes, lässt sich diese Erkenntnis sicher im Grundsatz auch aufs Training eines Pferdes übertragen. Nicht die hundertste Wiederholung einer Traversale oder das fünfzigste Überwinden des Wassergrabens bringen schnelle Verbesserung, sondern der Wechsel zwischen den Anforderungen.

Abwechslung ist Trumpf

Zu diesen Erkenntnissen aus der Hirnforschung und der mentalen Verarbeitung von Leistungsanforderungen passen in der Trainingslehre auch die beiden nächsten Prinzipien, das der „variierenden Belastung“ und das der „wechselnden Belastung“. Es liegt auf der Hand, dass zum Beispiel eine Piaffe nicht zeitlich unbegrenzt gesteigert werden kann und dass auch ein Springpferd nicht besser wird, nur weil es täglich hunderte Oxer überwindet. Ab einem bestimmten Leistungsniveau lässt sich eine Leitungssteigerung eben nicht mit einem Mehr und Mehr und Mehr an Belastung herbeiführen. Hier ist es eher die Variation innerhalb der Trainingseinheit – in der Dressur beispielsweise zwischen mehr Tragkraft und mehr Schubkraft fordernden Lektionen, im Springen zwischen Steilsprüngen, Hochweitsprüngen und Weitsprüngen sowie kurzen Galoppsprints – und auch der Wechsel der Anforderungen innerhalb von Trainingswochen.

Statt täglicher Dressurarbeit oder täglichem Parcoursspringen bringt ein Ausflug in andere Reitsportdisziplinen (Gymnastikspringen fürs Dressurpferd, Dressurtraining fürs Springpferd, Geländeritte für alle) nicht nur mentale Abwechslung und damit mehr Motivation. Die unterschiedlichen Belastungen fordern auch den Körper und seine Energiespeicher auf unterschiedliche Weise. Ein Ausdauertraining zieht zum Beispiel mehr Glykogen (Stärke) aus der Muskulatur, Krafttraining dagegen mehr Protein (Eiweiß). Das Auffüllen dieser Speicher benötigt unterschiedlich lange Erholungszeiten, weshalb es keinen Sinn macht, jeden Tag Höchstleistung sowohl in die eine als auch in die andere Richtung zu verlangen.

Während der Distanzsport in erster Linie eine große Ausdauerleistung vom Pferd verlangt, sind der Dressurund der Springsport eher technisch anspruchsvolle Disziplinen. Beide verlangen aber sowohl Kraft (vor allem Sprungkraft beim Springpferd, Schub- und Tragkraft beim Dressurpferd) als auch Ausdauer und Kraftausdauer. Ebenfalls eine Mischform, jedoch mit deutlichem Ausschlag zu hoher Ausdauerleistung, bildet der Vielseitigkeitssport, bei dem vom Pferd sowohl technisch anspruchsvolle Aufgaben verlangt werden als auch eine außergewöhnliche Ausdauerleistung.

Ziel eines Reiters sollte es sein, im Training die optimale Balance zwischen Belastung und Erholung für sich und sein Pferd zu finden. Der Ausbilder unterstützt hierbei. Foto: Stefan Lafrentz

Gelingt es einem Trainer (Reiter, Ausbilder), bezogen auf seine Reitsportdisziplin, eine optimale Relation von Belastung und Erholung – übrigens das siebte und letzte Trainingsprinzip – für das jeweilige Pferd zu finden, dann wird er nicht nur dessen Leistung steigern können, dann wird er auch ein Pferd bekommen, das Freude am nächsten gemeinsamen Training hat.

Dr. Britta Schöffmann

Vorheriger Artikel

Ausgabe 07/2020
Giftpflanzen für Pferde

Nächster Artikel

Ausgabe 07/2020
Gesundheit kompakt: Heiße Sommertage