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Ausbildung mit Expertin Lina Otto
Übermut im Winter
Aufmerksam, kernig, frisch: Kaum wird es kälter, ist selbst so manch sonst ausgeglichenes Pferd nicht wiederzuerkennen, eine Herausforderung für den Reiter.
Frage: Mein nun fünfjähriger Hannoveraner Wallach ist altersgemäß schonend ausgebildet. Er macht mir in der täglichen Arbeit viel Freude, weil er immer motiviert bei der Sache ist. Seit einigen Wochen gibt es jedoch ein Problem: Er wird immer mehr zum Energiebündel – ist übermotiviert, quietscht und buckelt, erschreckt sich ständig und bringt mich damit an den Rand der Verzweiflung. Ich bemühe mich, ihm viel Abwechslung zu bieten, aber so wie er sich derzeit benimmt, traue ich mich kaum noch, die Reithalle zu verlassen. Außerdem habe ich Angst ihn zu sehr zu belasten, immerhin ist er ja noch sehr jung und hat nur wenig Kondition. Haben Sie einen Tipp, wie ich seinen Übermut in kontrollierte Bahnen lenken kann, ohne ihn körperlich zu überfordern?
Grundsätzlich müssen wir uns immer wieder bewusst machen: Pferde sind Bewegungstiere. Unter natürlichen Bedingungen bewegen sie sich bis zu 16 Stunden täglich, meist grasend im Schritt. Zusätzlich bewegen sich gerade junge Pferde noch ein bis zwei Stunden täglich unabhängig von der Nahrungsaufnahme auch schneller, etwa im Spiel oder zur Klärung der Rangordnung. Gerade im Winter wird dieses natürliche Bewegungsbedürfnis in vielen Ställen nicht ausreichend berücksichtigt. Mein erster Tipp ist daher: Versuchen Sie unbedingt, die Haltung Ihres jungen Pferdes zu optimieren. Verschaffen Sie ihm jeden Tag mehrstündige Bewegung – als Kombination von freier Bewegung auf dem Paddock oder auf der Weide und kontrollierter Bewegung unter dem Sattel, an der Longe, in der Führanlage oder an der Hand.
Das A und O: Losgelassenheit
Beim Reiten genießt das Erreichen der Losgelassenheit oberste Priorität. Erstens weil Ihr Pferd sehr jung ist und sich noch in der Entwicklung befindet. Berücksichtigen Sie stets, dass erst die Losgelassenheit ein regelmäßiges An- und Entspannen der Muskulatur und damit langfristig den Aufbau der Muskeln ermöglicht. Zweitens beinhaltet Losgelassenheit immer auch die Komponente der inneren Gelassenheit. Und die scheint Ihr Pferd derzeit nicht oder nur schwer zu finden. Das ist angesichts der (Witterungs-) Umstände und des Alters erst einmal ganz normal. Um also Ihr junges Pferd altersgemäß, schonend und korrekt weiter auszubilden, führt am Erreichen und Verbessern der Losgelassenheit kein Weg vorbei, denn die Losgelassenheit bildet die entscheidende Grundlage für Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit. Um Ihr Pferd sinnvoll zu gymnastizieren, braucht es erst einmal etwas Zeit zum Nachdenken. Versuchen Sie herauszufinden, wie Ihr Pferd tickt: Löst es sich leichter an der Longe oder unter dem Sattel? Gehört es eher zum Team Trab oder galoppiert es schon so sicher im Gleichgewicht, dass es im Galopp schneller zur Losgelassenheit kommt? Welche Übungen fallen ihm leicht und wo liegen noch Herausforderungen?
Mit Plan und Köpfchen
All diese Fragen bringen Sie zu einem individuellen Trainingsplan. Machen Sie sich ruhig einmal die Mühe, diesen zu verschriftlichen und legen Sie sich dadurch eine Strategie für den Winter zurecht. Gerade weil Sie das junge Pferd noch nicht sieben Tage die Woche intensiv arbeiten können, brauchen Sie einen Plan, der zum einen für genügend Bewegung und damit Ausgleich sorgt und zum anderen die systematische Ausbildung unterstützt. Dabei schaffen Sie eine Kombination aus dressurmäßiger Ausbildung, Cavalettiarbeit und Springgymnastik, Reiten im Gelände, Bodenarbeit und Longieren. Das Longieren stellt einen wichtigen Baustein der Arbeit dar, denn an der Longe kann sich das junge Pferd bewegen, ohne zusätzlich durch den Reiter belastet zu werden. Egal ob Sie Ihr Pferd vorbereitend zum Reiten oder ausschließlich longieren, es sollten vor allem Trab-Galopp-Übergänge im Fokus stehen. Durch den regelmäßigen Wechsel zwischen den beiden schwunghaften Gangarten werden die Rückentätigkeit und damit auch die Losgelassenheit besonders effektiv gefördert. Denken Sie daran, dass Ihr Pferd vor dem Longieren mindestens zehn Minuten Schritt geht und wechseln Sie regelmäßig die Hand, um eine gute Verteilung der Belastung zu gewährleisten.
Raus an die frische Luft
Losgelassenheit ist ein Schlüssel zum Erfolg. Hier gilt es herauszufinden, wie das eigene Pferd am besten zu ihr findet. Fotos (2): Stefan Lafrentz
Auch wenn es im Winter nicht immer ganz einfach ist, nutzen Sie jede Gelegenheit, frische Luft und Sonnenschein zu tanken. Verlagern Sie das Schrittreiten vor und nach der Arbeit nach draußen und vergrößern Sie dabei schrittweise den Radius. Besonders gut für die Losgelassenheit ist natürlich das Reiten im Gelände mit unterschiedlichen Bodenverhältnissen und kleinen Hügeln und Senken. Wenn Ihnen das Reiten an der frischen Luft zu riskant erscheint, führen Sie Ihr Pferd draußen im Gelände und integrieren Sie einfache Führübungen wie das Halten oder Rückwärtsrichten.
Abwechslung mit Stangen
Cavaletti und Bodenricks verhelfen gerade im Winter zu mehr Konzentration, fördern die Beweglichkeit und verbessern so schlussendlich die Losgelassenheit. Im Trab sind mehrere Bodenricks auf gerader Linie geeignet, um Gleichgewicht und Koordination zu fördern. In Kombination mit Gangartwechseln wird daraus eine schon komplexe Übung: Arbeitstrab über die Bodenricks, danach im Arbeitstempo angaloppieren und kurz vor den Bodenricks wieder durchparieren zum Trab. Achten Sie darauf, diese Übung gleichmäßig auf beiden Händen zu absolvieren und gönnen Sie Ihrem Pferd Pausen, wenn erste Anzeichen von Ermüdung auftreten. Auch Freispringen kann an den „reitfreien“ Tagen das Training sinnvoll ergänzen, die Geschicklichkeit fördern und die Springausbildung unterstützen.
Fazit
Der Winter ist sicherlich für viele Reiter eine besondere Herausforderung – gerade wenn es um die Ausbildung eines jungen Pferdes geht. Das kalte Wetter, wenig Auslauf und volle Reithallen – es gibt viele Faktoren, die uns das Leben zu dieser Jahreszeit erschweren. Da ist es wichtig, einen Plan zu haben, der ganzheitlich gestaltet ist und auch Punkte wie Haltung, Fütterung und freie Bewegung berücksichtigt. An vielen Stellen ist Kreativität und Flexibilität gefragt. Doch mit ein bisschen mehr Aufwand und Anstrengung lässt sich auch die Arbeit mit dem Jungpferd in den Wintermonaten abwechslungsreich und sicher gestalten.
Lina Otto Foto: privat
Die Expertin
Lina Sophie Otto ist Pferdewirtschaftsmeisterin und Trainerin A – Reiten/Leistungssport und als solche in der FN-Abteilung Ausbildung vor allem für die Bereiche Blended Learning und Online-Seminare zuständig. Als Expertin berät und unterstützt sie das Team des PM-Forum bei allen Fragen rund um die richtlinienkonforme Ausbildung von Pferd und Reiter.
Frage an die FN-Experten
Ausbildung, Haltung, Fütterung, Gesundheit, Turniersport oder Recht? Sie haben zu einem der Themenbereiche auch eine Frage an die FN-Experten? Dann senden Sie uns diese gerne mit dem Betreff „Rubrik Leser fragen“ per E-Mail an pm-forum@fn-dokr.de. Die Redaktion beantwortet ausgewählte Fragen im Magazin.
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