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Sicherheit im Fahrsport: Mehr Praxiserfahrung notwendig

Kritische Situationen trainieren

Das Fahrabzeichen in der Tasche, den Kutschenführerschein auch bestanden – dann steht dem Familienausflug mit dem nagelneuen Einspänner ja nichts mehr im Wege. Oder doch? Fahrmeister Ewald Meier, der langjährige Bundestrainer der deutschen Fahrsportler, warnt eindringlich vor Fehleinschätzungen, sowohl der eigenen Fähigkeiten an den Leinen als auch der gefährlichen Situationen, in die ein Gespann geraten kann.

Foto: F. Sorge

PM-Forum: Herr Meier, Sie waren viele Jahre als Sachverständiger tätig und haben so manches Gerichtsverfahren begleitet. Worauf sind Ihrer Erfahrung nach die meisten Unfälle mit Kutschen zurückzuführen?

Ewald Meier: Die meisten Unfälle passieren im Freizeitbereich. In der Mehrzahl geschehen sie, weil die Fahrer zu wenig praktische Erfahrung haben. Daraus resultiert häufig die Fehleinschätzung einer Situation. Aber manchmal sind es auch äußere Faktoren, wie Auto- oder Motorradfahrer, die zu dicht an ein Gespann herankommen und die Pferde erschrecken.

PM-Forum: Vernünftigerweise legen die Fahrer das Fahrabzeichen ab und nutzen jetzt auch das noch recht neue Angebot des Kutschenführerscheins. Ist das denn nicht genug?

Ewald Meier: Natürlich ist es sinnvoll und auch nötig, entsprechende Qualifikationen zu erwerben, aber die Praxis zeigt leider, dass das in diesen Kursen Erlernte bei weitem nicht ausreicht, um ein Gespann sicher durch den Straßenverkehr zu führen. Die Prüfung legen die Fahrschüler auf einem Gespann des Fahrlehrers zurück, das selbstverständlich absolut zuverlässig und routiniert ist. Zu Hause sieht die Situation dann anders aus. Die Kurse müssten viel stärker das praktische Fahren schulen. Ich kann nur davor warnen, aus Termin- oder
Kostengründen in einem Crashkurs das Fahrabzeichen abzulegen. Das ist nicht viel wert.

PM-Forum: Sie sprachen von Fehleinschätzungen kritischer Situationen. Welche meinen Sie konkret?

Ewald Meier: Das ist ein weites Feld. Eine ganz normale Straße durch das Dorf, über die der Fahrer schon ein paar Mal seine Kutsche gelenkt hat, kann zu einem Riesenproblem werden, wenn eines Tages gelbe Müllsäcke am Straßenrand liegen oder sie vom Wind sogar auf die Fahrbahn geweht wurden. Oder der Hochsitz im Wald. Eines Tages sitzt jemand darauf, der Geräusche von sich gibt, völlig harmlos, aber auch in dieser Situation können sich Pferde erschrecken und davon stürmen. Auch ein entgegenkommender Traktor mit einem großen Güllefass wird eventuell von den Pferden als Gefahr wahrgenommen. Das klingt vielleicht banal, aber man muss als Fahrer ständig auf der Hut sein, die Pferde intensiv beobachten und auf die kleinste Veränderung frühzeitig reagieren. Wenn ein Pferd oder bei einem Zweispänner beide Pferde plötzlich den Kopf hochreißen, dann stimmt etwas nicht. Der Fahrer muss in Sekundenschnelle das Gespann unter Kontrolle bringen. Aber ungeübte Fahrer erkennen oft viel zu spät, dass „Alarmstufe rot“ längst erreicht ist. Und dann kommt noch die falsche Selbsteinschätzung hinzu, so nach dem Motto: Mir würde doch so was nicht passieren…

PM-Forum: Einspänner, Zweispänner, für den Laien mag es erstaunlich klingen, dass der Einspänner viel schwieriger zu fahren ist als der Zweispänner. Woran liegt das?

Ewald Meier: Es stimmt, die Einspänner sind ein großes Problem, denn wenn ein Pferd zur Seite springt, kann unter Umständen die ganze Kutsche in den Graben fliegen. Einspänner sind auch weit schwieriger auf gerader Linie zu halten, oder salopp gesagt: Wenn der Fahrer zu wenig Kontrolle hat, eiert das Pferd in Schlangenlinien über den Weg. Bei einem Zweispänner halten sich die Pferde gegenseitig in Schach, das eine Pferd kann ausgleichen, wenn sich das andere erschrickt oder noch jung ist und wenig Erfahrung hat. Ich werde öfter mal von Fahrschülern gefragt, was für ein Gespann sie sich zulegen sollten. Es hängt natürlich von den finanziellen Möglichkeiten ab, aber ich rate immer zum Zweispänner.

PM-Forum: Wie kann sich der Fahrer helfen, wenn sein Gespann außer Kontrolle gerät und durchgeht?

Ewald Meier: Das Wichtigste ist immer: keine Panik, kein lautes Schreien. Die Leinen in der Hand halten und wechselseitig annehmen und nachgeben, dabei leicht bremsen. Bloß nicht ziehen und zerren, das bringt gar nichts. Im Idealfall kann das Gespann auf eine gebogene Linie gebracht werden, also auf einen Acker oder eine Wiese abwenden. Besteht diese Möglichkeit nicht und das Gespann kann nur geradeaus laufen, dann wird es schwieriger, aber auch dann gilt, annehmen, nachgeben, ruhige Stimme, bremsen.

PM-Forum: Meist sitzt ja nicht ein Mensch allein auf dem Kutschbock. Wie viel kann denn ein Beifahrer zur Sicherheit beitragen?

Ewald Meier: Grundsätzlich ist es besser, wenn der Beifahrer nicht neben dem Fahrer auf dem Bock sitzt, sondern hinten auf der Kutsche, denn im Ernstfall kommt er viel schneller runter und kann eingreifen. Beispiel: Ein Pferd schlägt über den Strang und keilt nach hinten aus. Jetzt muss der Beifahrer schnell aktiv werden und alles wieder richten. Springt ein Pferd über die Deichsel, muss sogar komplett ausgespannt werden. Das geht alles nur mit Beifahrer. Deshalb sollte gerade der noch nicht so geübte Fahrer einen Beifahrer mitnehmen, der etwas Ahnung hat und im Ernstfall auch wirklich helfen kann. Der 80-jährige Onkel beim Sonntagsausflug kann da wenig ausrichten.

PM-Forum: Abgesehen von einer technisch einwandfreien Kutsche braucht der Fahrer zumindest ein Pferd, besser, wie Sie sagten, zwei Pferde für den Zweispänner. Welche Pferde sollte man kaufen?

Ewald Meier: Zum Teil werden die Reitpferde zu Fahrpferden ausgebildet, etwa wenn die Besitzer älter werden und nicht mehr reiten wollen oder können. Dann brauchen Sie einen Fahrlehrer, der die Pferde einfährt. Und danach heißt es: Praxis, Praxis, Praxis. Bei den Einsteigern, die keine reiterliche Vorerfahrung haben, muss beim Pferdekauf darauf geachtet werden, dass die Pferde jahrelange Erfahrung vor dem Wagen haben. „Eingefahren“ reicht bei weiten nicht aus.

PM-Forum: Als Fahranfänger kann man also jede Menge falsch machen…

Ewald Meier: (lacht). Ja, aber wenn man die gröbsten Fehler vermeidet und viel trainiert, dann gibt es nichts Schöneres als mit der Kutsche unterwegs zu sein.

Das Gespräch führte Susanne Hennig.

Foto: S. Lafrentz

Fahrmeister Ewald Meier

Ewald Meier, der gerade sein 70. Lebensjahr vollendete, gehörte zu den erfolgreichsten deutschen Vierspännerfahrern. 1984 und 1987 wurde er Deutscher Meister, 1981 und 1985 war er Deutscher Vize-Meister. Den Höhepunkt seiner aktiven Laufbahn als Fahrer markierte der sechste Platz in der Einzelwertung bei den Weltmeisterschaften der Viererzugfahrer 1986 in Ascot. Anschließend schlug Ewald Meier, der vor seiner Fahrerkarriere auch Dressur und Springen bis zur Klasse S geritten hatte, die Trainerlaufbahn ein, übernahm zunächst 1989 das Amt des Bundestrainers der Zweispännerfahrer. Sechs Jahre später wurde er leitender Bundestrainer aller Fahrer am Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei. 1998 ehrte ihn der Verband mit dem äußerst seltenen Titel „Fahrmeister“. Auch nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus dem Bundestraineramt blieb Meier dem Fahrsport treu und engagiert sich heute als Ausbilder, Richter, Parcourschef und Technischer Delegierter.

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