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Grundschule des Pferdes, Teil 1

Eine gute Kinderstube

Erst Kindergarten, dann Einschulung: Bevor das Training unter dem Sattel beginnt, hat das junge Pferd im besten Fall schon die wichtigsten Grundlagen im Umgang gelernt. Denn schon im Fohlenalter schafft man die Basis für langfristiges Vertrauen und Respekt zwischen Reiter und Pferd. Eine Basis, auf der das heranwachsende Pferd ein umgänglicher Sportpartner werden kann.

Mit anderen Mutterstuten und Fohlen in einer Herde, so wachsen Fohlen am besten auf und lernen dort Sozial verhalten. Foto: Christiane Slawik

Damit das gelingt, ist es immens wichtig, das Fohlen und sein Verhalten zu verstehen. Wenn ein Fohlen auf die Welt kommt, reagiert es zunächst rein instinktiv. Es bleibt an der Seite seiner Mutter und kommt in eine Herde, wo es durch das Sozialverhalten dort lernt. „Das Wichtigste für Fohlen ist, dass sie täglich rauskommen und in einer Gruppe groß werden dürfen“, bringt es Jungpferde-Ausbilder Hendrik Baune aus dem Münsterland auf den Punkt. Das Fohlen orientiert sich in allem an seiner Mutter, ahmt sie nach und folgt ihr.

Schon im Fohlenalter wird die Basis für langfristiges Vertrauen in den Menschen gelegt. Foto: Christiane Slawik

Diese Stuten-Fohlen-Beziehung sollte nicht gestört werden – nichtsdestotrotz kann der Mensch nach ein paar Tagen beginnen, mit dem Fohlen in Kontakt zu treten. „Fohlen sind neugierig, kommen gerne zum Menschen und lassen sich streicheln“, beschreibt Pferdewirtschaftsmeisterin Waltraud Böhmke ihre Erfahrung in dem Buch „Die Grundschule des Pferdes – Vom Fohlen zum Reitpferd“ aus dem FNverlag. Aber: Der Mensch sollte noch keine Versuche unternehmen, das Fohlen festzuhalten, geschweige denn aufzuhalftern.

Kontaktaufnahme

Der erste Schritt ist, dass man das Herangehen an das Fohlen übt, am besten in gewohnter Umgebung an der Seite der Mutter. Das Fohlen soll lernen, stehenzubleiben, wenn der Mensch sich nähert. Es darf keine Angst bekommen oder sich überrumpelt fühlen. Fohlen reagieren dabei ganz unterschiedlich. Manche sind forsch und beginnen, den Menschen genauer unter die Lupe zu nehmen. Hengstfohlen schnappen ganz gerne einmal. Kommt das häufiger vor, sollte man das Beißen mit einem Klaps auf die Brust unterbinden. Ansonsten besteht die Gefahr, sich ein „beißfreudiges“ Pferd heranzuziehen. „Man sollte Kontakt zum Fohlen haben und auch mal im Stall in die Gruppe reingehen und Kontakt aufnehmen, ohne etwas zu wollen. Ich möchte eine Vertrauensbasis schaffen. Das Fohlen soll die Möglichkeit haben, mich kennenzulernen“, erklärt Hendrik Baune.

Heranführen ans Halfter

Der nächste Schritt ist das Aufhalftern. Auch hierbei ist es unerlässlich, dass der Mensch ohne Hektik vorgeht und das Fohlen nicht unter Stress setzt. Das Fohlenhalfter sollte weich gepolstert sein. Der Mensch nähert sich dem Fohlen und seiner Mutter in der Box und nimmt Kontakt auf, indem er das Fohlen am Hals krault. Dann positioniert er sich seitlich am Fohlenhals, begrenzt es vor der Brust, fasst mit der linken Hand über den Nasenrücken und streift das Halfter vorsichtig über den Kopf. Mit Kraulen wird das Fohlen gelobt. Das Halfter sollte dafür passend eingestellt sein, es darf das Fohlen nicht einengen, aber auch nicht zu weit sein, dass es irgendwo hängenbleiben könnte. Machen Fohlen in diesem Stadium schlechte Erfahrungen, könnte das ein Leben lang nachwirken. 

Ein zu eng verschnalltes Halfter kann ein Fohlen kopfscheu machen. Auf keinen Fall sollte man das Fohlen am Halfter festhalten, denn das Nackenband ist noch so weich, dass es keinen großen Druck aushält. Hat beim ersten Aufhalftern alles gut geklappt, nimmt man das Halfter wieder ab und wiederholt diese Übung in den nächsten Tagen. „Es folgen ein bis zwei Wochen Ruhe. Erst danach wird das Erlernte wiederholt, bevor man mit dem nächsten Übungsblock beginnt“, so Waltraud Böhmke. Eine neue Aufgabe kann dann sein, dass das Fohlen lernt, sich am ganzen Körper anfassen zu lassen, ohne Angst zu bekommen. 

So nicht! Auf keinen Fall sollte man das Fohlen am Halfter festhalten. Das Nackenband ist noch weich und hält keinen großen Druck aus. Foto: Christiane Slawik

Auch hier legt man den Grundstein für das ganze weitere Pferdeleben. Das Fohlen wird behutsam und ruhig berührt, vom Hals bis zur Hinterhand und vor allem auf beiden Seiten! Generell ist für den Umgang wichtig, dass das Fohlen nicht ängstlich ist, aber den Menschen auch von Anfang an als Herdenmitglied und „Chef“ akzeptiert. Deshalb sollte man nicht anfangen, mit dem Fohlen zu „spielen“, sich anknabbern oder sogar anspringen zu lassen, was besonders Hengstfohlen gerne machen. Waltraud Böhmke formuliert den Grund sehr treffend: „Nicht alles, was wir beim Fohlen niedlich finden, begeistert uns bei erwachsenen Pferden.“

Einmal Huf geben, bitte

Eine weitere wichtige Grundlage ist das Hufe geben. Das muss wie alles andere ruhig und konsequent geübt werden. Im Prinzip unterscheidet sich das Vorgehen bei einem Fohlen nicht von dem bei einem erwachsenen Pferd. Man beginnt an einem Vorderhuf, stellt sich seitlich an das Fohlen mit Blick zur Hinterhand und streicht mit der inneren Hand am Bein hinunter. Mit seinem Oberkörper übt man leichten Druck gegen die Schulter des Fohlens aus, damit es sein Gewicht auf das andere Vorderbein verlagert. Über leichten Druck an der Rückseite des Karpalgelenks wird das Bein gebeugt und aufgenommen, ohne es zu sehr zu fixieren, damit das Fohlen keine Angst bekommt und instinktiv die Flucht ergreifen möchte, beschreibt es Waltraud Böhmke in ihrem Buch. Der Huf wird für einen Moment hochgehalten und dann wieder langsam und vorsichtig abgesetzt. Der Moment des Aufhaltens wird nach und nach verlängert. Im weiteren Verlauf dieser Übungseinheit kann man erst das andere Vorderbein aufnehmen oder der Reihe nach um das Fohlen herumgehen.

Im „Fohlen-ABC“ lernt das Jungtier, ein Halfter zu tragen und geführt zu werden. Foto: Christiane Slawik

 Auch am Hinterbein steht man seitlich mit Blick nach hinten und streicht mit der inneren Hand über die Kruppe und am Bein nach unten. Wenn das Fohlen entspannt steht, kann man das Hinterbein nach vorne unter den Bauch anheben. „So kann man das Fohlenbein etwas besser stabilisieren und eine Abwehrreaktion verhindern“, erklärt Waltraud Böhmke. Ist das Fohlen weiterhin entspannt, kann man das Hinterbein auf seinem Knie ablegen und die Hufe auskratzen. Danach stabilisiert man das Bein, nimmt sein Knie zur Seite und setzt den Huf ab. Loben nach jedem Durchgang nicht vergessen!

Was tun bei Druck

Für die Übungen im Fohlenalter gilt dasselbe wie für die Ausbildung eines Youngsters: Es ist immer gut, zu zweit zu sein. „Dann kann man noch ruhiger und mit mehr Übersicht agieren und es hilft beispielsweise beim Führen am Anfang sehr“, gibt Hendrik Baune zu bedenken. „Einer führt und der andere motiviert das Fohlen von hinten, vorwärtszugehen.“ Beim Führen muss das Fohlen lernen, auf Druck nicht mit Gegendruck zu reagieren – das ist auch wichtig, wenn es angebunden werden soll. Waltraud Böhmke empfiehlt folgende Vorgehensweise: Neben seiner Mutter stehend lernt das Fohlen auf leichten Druck auf sein Genick und seinen Hals den Kopf zu senken.

Das Fohlen folgt dem Annehmen des Führseils in Richtung Mutter und folgt ihr beim Führen. Bei diesen Schritten darf das Fohlen keine negativen Erfahrungen machen. Auch nicht beim Anbinden. Deshalb sollte die Mutter unbedingt in der Nähe sein und der Strick so befestigt werden, dass sich der Knoten problemlos lösen lässt, falls das Fohlen panisch wird. Im Stall Baune wird auf das Anbinden zunächst ganz verzichtet: „Wir binden die Fohlen nicht an, sondern ziehen den Strick lose durch einen Ring, damit sie sich im Zweifel nicht aufhängen.“ Auf jeden Fall sollte der Strick nicht so lang sein, dass das Fohlen darauf treten kann.

Waltraud Böhmke ist doppelte Pferdewirtschaftsmeisterin (Reiten/Zucht und Haltung) und Buchautorin des FNverlags mit einem Familienbetrieb im Landkreis Cuxhaven. Sie bietet dort Aufzucht, Anreiten, Bodenarbeitslehrgänge, Unterricht und Beritt an. Foto: privat

Hendrik Baune betreibt einen Aufzucht- und Ausbildungsbetrieb im Münsterland. Die Schwerpunkte des Betriebs liegen auf der Hengstaufzucht sowie der Ausbildung von Stuten und Hengsten und deren Vorbereitung auf Leistungsschauen und Körungen. Foto: Antje Jandke

Erfolgsrezept Ruhe

Jedes Fohlen ist anders – es gibt schüchterne, zurückhaltende, aber auch forsche und freche Jungspunde. Hendrik Baune sieht das gelassen: „Ist ein Fohlen etwas aufmüpfig, regelt sich das eigentlich meist von selbst in der Gruppe. Natürlich muss es beim Schmied lernen, auch einmal ruhig zu stehen, aber ich würde in so einem Fall nicht von erzieherischen Maßnahmen sprechen. Man mogelt sich da ein bisschen durch. Das Wichtigste ist, dass ich Ruhe und Sicherheit ausstrahle und ohne Hektik mit dem Fohlen umgehe.“ Wenn das Fohlen das Aufhalftern, Führen und ruhige Stehen gelernt hat, kann das Verladen geübt werden, um bei Bedarf oder für einen Ernstfall (Tierklinik) vorbereitet zu sein.

 „Das Verladen ist kein Pflichttraining für die Fohlen bei uns“, erzählt Hendrik Baune aus seinem Stallalltag. „Wenn es sich aber anbietet oder wir einen Kandidaten haben, bei dem sich abzeichnet, dass es Schwierigkeiten geben könnte, verladen wir das Fohlen mal zwischendurch. Wir haben einen älteren Anhänger ohne Trennwand, den wir dafür verwenden. Oberste Priorität hat immer, dass kein Zwang entsteht und wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Fohlen am besten fahren, wenn sie nicht angebunden sind.“

Bei Bodenarbeit und Gelassenheitstraining wird das junge Pferd spielerisch gefördert und auf das Anreiten vorbereitet. Foto: Christiane Slawik

Zwei- und Dreijährige Frische Luft, eine Herde und viel Bewegung – das sind die wichtigsten Grundvoraussetzungen, damit ein Pferd gesund groß werden kann. Das gilt für das Fohlen, aber auch für zwei- und dreijährige Jungpferde. Auch in diesem Alter ist der regelmäßige Kontakt zu Menschen wichtig. Was im Fohlenalter geübt wurde, wird in den Alltag miteingebunden und sollte für die Heranwachsenden eine Selbstverständlichkeit werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass bei Schmied- und Tierarztbesuch keine Probleme entstehen.

Auch das Freispringen kann ein Trainingsimpuls für Jungpferde sein. Foto: Stefan Lafrentz

Wie Kinder testen auch junge Pferde immer wieder ihre Grenzen aus – das können Kleinigkeiten sein, das Überholen beim Führen, Herumzappeln beim Aufhalftern oder penetrantes Stupsen. Dann ist konsequentes Reagieren des Menschen gefragt – bestimmt, aber fair und freundlich, damit aus dem Pferd kein unerzogener Rüpel wird. Gut beraten ist man, wenn man das junge Pferd immer mal wieder verlädt. Ein erfahrenes Begleitpferd ist dabei eine wertvolle Hilfe. Je sicherer das Verladen und Anhängerfahren in jungen Jahren funktioniert, umso souveräner wird das erwachsene Pferd damit umgehen.

Spielerisch lernen

Wenn die Heranwachsenden etwa zweieinhalb Jahre alt sind, kann man die regelmäßige Kontaktaufnahme allmählich ausbauen und mit der Pferdepflege beginnen. Mit Bodenarbeit und später auch Longieren bereitet man das Pferd auf das Anreiten vor. Am geschicktesten ist es, wenn man den Youngster in Alltagssituationen spielerisch fördert. 

Beim Führen beispielsweise kann man immer wieder üben, dass das Pferd auf Körpersignale reagiert, dass es stehenbleibt und wieder angeht, abwendet und mit der Zeit auch schon ein paar Tritte rückwärtsgeht. Bei der Pferdepflege kann man das Angebunden sein üben, die Zeitintervalle nach und nach vergrößern. Der Strick muss sich im Notfall jederzeit sofort lösen lassen. Beim Putzen gewöhnt man das Pferd weiter daran, sich überall berühren zu lassen, probiert am besten verschiedene Striegel und Bürsten aus und ist an Kopf und Beinen etwas vorsichtiger, um das Pferd nicht scheu zu machen. Hat man einen Skeptiker beim Putzen, ist ein Tipp, vor dem Bürsten erst mit der Hand über das Fell zu streichen. Wer während des Putzens das Wenden des Pferdes immer wieder einbaut, lehrt es auf leichten Druck in die Seite zu reagieren und sich umzudrehen. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Es erleichtert den Umgang und es ist eine Vorstufe zur seitwärts-treibenden Schenkelhilfe unter dem Sattel. Reagiert das Pferd anfangs nicht, wird der Druck erhöht und sofort nachgeben, wenn das Pferd reagiert. Lehnt es sich dagegen, kann man energisch klopfen und mit der Stimme auffordern.

Verladetraining mit Jungpferden ist sinnvoll. Je sicherer das Verladen und Anhängerfahren in jungen Jahren funktioniert, desto souveräner wird das erwachsene Pferd damit umgehen. Foto: Christiane Slawik

Vorbereitendes Training

Ein weiterer Trainingsimpuls für den Youngster kann das Freilaufen lassen und später auch das Freispringen sein. Dabei macht man das Pferd mit Stimm- und Peitschenkommandos sowie der Reitbahn vertraut. Das Pferd soll lernen, außen herumzugehen, die Gangart und die Hand zu wechseln. Am besten übt man das zu zweit. In einem Longierzirkel sollte solch eine Trainingseinheit nicht zu ausgedehnt sein, weil die Belastung für den Bänder- und Sehnenapparat ansonsten zu groß ist. An der Hand kann man mit dem Youngster Schenkelweichen und Vorhandwendungen üben und man kann ihn mit unbekannten Gegenständen vertraut machen – in der Reithalle und auch auf dem Hofgelände.

Buchtipp: Die Grundschule des Pferdes

Vom Fohlen zum Reitpferd
von Waltraud Böhmke

1. Auflage 2018
176 Seiten mit
zahlreichen farbigen Fotos
190 x 250 mm,
gb. Hardcover
ISBN: 978-3-88542-719-3
24,90 Euro

Das alles fördert das Selbstbewusstsein und das Vertrauen zwischen Reiter und Pferd. „Unsere Hengste holen wir zweijährig einzeln aus der Gruppe heraus, lassen sie freilaufen und entscheiden, ob sie in Arbeit kommen und auf die Körung vorbereitet werden“, erzählt Hendrik Baune. „Dann werden sie an das Putzen gewöhnt, an Gamaschen und weitere Ausrüstung, die wir für die Longierarbeit brauchen, an einen Longiergurt, eine Trense und so weiter. Freispringen kommt dann im Laufe der Arbeit auch dazu.“ Bei Pferden, die nicht auf eine Leistungsschau bzw. Körung vorbereitet werden, kann man mit dem Longieren auch warten bis sie dreijährig oder älter sind.

Laura Becker

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