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Wertermittlung von Pferden
Zwischen unbezahlbar und wertlos
Liebhaberpreis, siebenstelliger Auktionspreis oder Online-Schnäppchen – ist das Pferd seinen Preis wert? Der Sachverständige Gerd Wolfgang Sickinger aus Baden-Württemberg erklärt, wann der sogenannte „Verkehrswert“ eines Pferdes eine Rolle spielt und welche Methoden es zur Wertermittlung gibt.
Was ist ein Pferd wert? Eine Frage, die vor allem beim Kauf und vor Gericht interessiert und nicht so einfach zu beantworten ist. Foto: Frank Sorge
Die Pferdewelt ist bunt. Für manchen Pferdebesitzer ist sogar ein geschenkter Gaul nicht mit Gold aufzuwiegen. Mit der Realität haben persönliche Einschätzungen allerdings wenig zu tun. Das ist auch nicht schlimm – es sei denn, es kommt zu Notsituationen. Verunglückt ein Pferd oder trennt sich eine Besitzergemeinschaft, geht es plötzlich um den „Verkehrswert“. Das ist der Wert, der sich herausbildet, wenn das Pferd „in den Warenverkehr“ kommt. So nennen das Sachverständige wie Gerd Wolfgang Sickinger aus Gerlingen in Baden-Württemberg. Weil es keine offizielle Wertliste wie die Schwacke-Liste bei Gebrauchtwagen gibt, ist die Bestimmung des Verkehrswertes ein Puzzle: Der Betrag setzt sich aus unterschiedlichsten „wertbildenden“ Merkmalen zusammen.
Tierärzte haben Veröffentlichungen erarbeitet, umgangssprachlich als „Knochen-Wertermittlung taxe“ bekannt, die eine Wertminderung in Prozent ausdrückt, etwa wenn das Pferd Spat hat. „Aber ich würde keine Zahlen nennen, ohne alle weiteren Merkmale zu kennen. Wenn es verschiedene Wertminderungen gibt, kommt es immer noch auf deren individuelle Gewichtung an“, erklärt Sickinger. „Das größte Problem ist, dass jedes Pferd ein Individuum ist und seine eigene Wertschätzung hat“.
Stimmen Kauf- und Verkehrswert überein? Ein Pferdekauf kann Grund für ein Sachverständigengutachten sein. Foto: Stefan Lafrentz
Wann ist der Wert wichtig?
Jeder, der ein Pferd erwerben will, hat ein Interesse zu wissen, ob der Kaufpreis mit dem Verkehrswert übereinstimmt. Das ist eine von verschiedenen Gelegenheiten, bei denen Gerd Wolfgang Sickinger als Sachverständiger auftritt. Wenn sich Eheleute trennen, zerbricht oft auch deren Besitzergemeinschaft und einer muss den anderen ausbezahlen. Pferde, die sich im Pensionsstall verletzen, die im Straßenverkehr verunfallen, die durch kontaminiertes Futter krank werden: Dann geht es um Versicherungsfragen und die Haftung, oft geht der Fall vor Gericht und der Sachverständige hat den Auftrag der Wertermittlung.
Drei Methoden
Geht es um eine Kaufpreiseinschätzung, betrachtet der Sachverständige das Pferd in Natura. Die Besichtigung beginnt im Stall und beinhaltet das Verhalten in der Box, beim Satteln, Führen und mehr. Unter dem Sattel zeigt der ständige Reiter oder ein Fremdreiter die Qualität des Pferdes: sein Gangvermögen, Springvermögen, Rittigkeit. „Das sind natürlich auch subjektive Einschätzungen. Und es kommt darauf an, wer im Sattel sitzt. Aber das muss man dem Sachverständigen zugestehen, dass er die Kompetenz besitzt und unterscheiden kann, ob das Pferd von jedem bedient werden kann oder ob es ein ‚Spezialistenpferd‘ ist, das dann aber eventuell mit dem richtigen Reiter Höchstleistungen bringen kann“, sagt Gerd Wolfgang Sickinger. „Früher habe ich mich auch mal selbst in den Sattel gesetzt, wenn es mir sinnvoll erschienen ist.“
Sickinger ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger und Mitglied im Hauptverband der Landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen e.V. (HLBS, siehe Info-Kasten). Komplizierter sind Beurteilungen, wenn Pferde zu Schaden gekommen sind, nicht mehr geritten werden können oder nicht mehr am Leben sind. „Dann muss ich versuchen, mich anderweitig kundig zu machen“, sagt Sickinger. Doch vorher muss der Sachverständige entscheiden, mit welcher Methode er zu seinem Ergebnis kommt: Mit dem Sachwertverfahren, der Ertragswertmethode oder dem Vergleichswertverfahren.
Für die Wertermittlung von Pferden mit Job wie Holzrückepferde, kann das Ertragswertverfahren herangezogen werden. Foto: Christiane Slawik
Bei Spezialrassen ist der Wert des Pferdes für Sachverständige oft schwerer zu schätzen, da es weniger Vergleichsmöglichkeiten gibt. Foto: Christiane Slawik
Das Sachwertverfahren
Das Sachwertverfahren klingt auf den ersten Blick ganz einfach: Es ist die Addition von „Anschaffungsund Herstellungskosten“. Unter dem Strich könnten das für einen Absetzer beispielsweise 3.000 bis 4.000 Euro sein. Unterbringungskosten und die Kosten der Mutterstute sind da noch nicht einmal dabei. „Bei einem sechsjährigen Pferd, das für 300 Euro im Monat in einem Pensionsstall steht, funktioniert diese Methode schon mal nicht mehr“, erklärt Gerd Wolfgang Sickinger. „Sobald das Pferd durch eine Ausbildung einen Wertzuwachs erfährt, kommt das Sachwertverfahren an seine Grenzen. Sonst wäre ja ein 20-jähriges Pferd 100.000 Euro wert und das ist unrealistisch.“
Das Ertragswertverfahren
Die zweite Möglichkeit, einen Pferdewert zu schätzen, ist das Ertragswertverfahren. Das eignet sich bei Pferden, durch deren Einsatz der Besitzer geldwerte Erlöse anschafft. Das sind Spitzensportpferde, Schulpferde, Deckhengste, Zuchtstuten, Holzrückepferde oder Pferde aus gewerblichen Kutschfahrten. Die Berechnungsformel für deren Wert ist hochkomplex, denn natürlich fließt nicht die komplette Ertragssumme in den Pferdewert mit ein. „Mein exotischster Fall war ein Pferd, das für mittelalterliche Ritterspiele ausgebildet war und so mit seinem Besitzer Geld verdiente“, erzählt Sickinger, verrät aber nicht, welchen Wert dieses Pferd hatte. Mandantengeheimnis.
Mit einem Pferd für mittelalterliche Ritterspiele hatte Gerd Wolfgang Sickingers bisher exotischster Fall zu tun. Foto: Antje Jandke
Würde ein Absetzer nach dem Sachwertverfahren bewertet, könnte sich hier eine Summe von 3.000 bis 4.000 Euro ergeben. Foto: Christiane Slawik
Das Vergleichswertverfahren
„In fast allen Bewertungen wird das Vergleichswertverfahren genutzt, egal ob es um Turnier- oder Freizeitpferde geht“, sagt Sickinger und erklärt, dass hier der Sachverständige eine Marktbeobachtung miteinbezieht. Er sucht zielgerichtet nach Verkaufserlösen von ähnlichen Pferden. „Der Sachverständige versucht, so viel einzelne Informationen wie möglich über das zu begutachtende Pferd einzuholen. Eigenschaften, die ein Pferd wertvoll machen oder wertmindern.“
Recherche hilft
Geschlecht, Alter, Interieur, Charakter, Leistungsbereitschaft, sportliche Kooperationsbereitschaft, das Temperament, der Ausbildungsstand, die Eigenleistungen oder welche Eigenleistungen eventuell zu erwarten gewesen wären – all das spielt eine Rolle. Im Rahmen des Verfahrens kann ein Tierarzt von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden werden und muss über den gesundheitlichen Status Bericht erstatten. Dazu wälzt der Sachverständige Auktionsergebnisse, Turnierergebnisse, Preise aus Anzeigen von Online-Plattformen, Infos aus Sozialen Medien oder aus Fachzeitschriften. Sechs bis sieben vergleichbare Pferdeangebote sollte der Sachverständige für eine zuverlässige Schätzung finden. „Das muss für einen Dritten, der ebenfalls Pferdeerfahrung hat, nachvollziehbar sein“, sagt Sickinger.
Vom Fach: Sachverständige
„Sachverständiger“ ist keine geschützte Bezeichnung, so darf sich jeder nennen. Öffentlich bestellte Sachverständige sind darauf vereidigt, unabhängig und unparteiisch zu handeln. Deshalb werden öffentlich bestellte Sachverständige gerne als Gerichtsgutachter beauftragt. Der Sachverständige muss seine Befähigung dazu nachweisen. Die Richtlinien für Prüfungen dazu sind in jedem Bundesland anders geregelt, ebenso die Zuständigkeiten. In Nordrhein-Westfalen ist es das Landwirtschaftsministerium, in Baden-Württemberg das Regierungspräsidium. Unter den vereidigten Pferdesachverständigen sind Juristen, Diplomlandwirte, Agrarwissenschaftler, Pferdewirtschaftsmeister und andere Berufsgruppen. Viele von ihnen sind auch noch Turnierrichter. Es gibt verschiedene Interessensverbände der Sachverständigen, jeweils mit Listen der Sachverständigen:
- Hauptverband der Landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen e.V. (HLBS), Engeldamm 70, 10179 Berlin, www.hlbs.de
- Bundesverband der vereidigten Pferdesachverständigen in Deutschland (BVPD) e.V., Randerather Str. 30, 52511 Geilenkirchen, www.bundesverband-pferdesachverstaendige.de
Spitzensportpferde im Jungpferdebereich und noch dazu Hengste sind mit am schwersten monetär zu bewerten. Hier spielt auch immer die Hoffnung auf die Zukunft mit. Foto: Stefan Lafrentz
Robust und gesund
Beim durchschnittlichen Warmblutpferd mit Eigenleistung in den Klassen A, L oder M sind unterm Strich die Händelbarkeit, die Rittigkeit und vor allem eine robuste Gesundheit für einen guten Preis zuständig. Eine Platzierung sagt nicht nur etwas über den Leistungsstand aus, sondern auch darüber, dass das Pferd das Verladen oder öffentliche Auftritte kennt. Diese Pferde sind für den Sachverständigen nicht so schwierig einzuschätzen, weil es in der Kategorie ein großes Angebot gibt.
Übrigens: „Schönheit ist zwar subjektiv. Aber ein gut geformtes Pferd ist eng mit der Zweckmäßigkeit verbunden: Ein solches Pferd ist meistens gesund und leistungsmäßig gut gerüstet, weil die Muskulatur und Anordnung der Körperstruktur einfach passen“, findet Sickinger.
Was ist Zuverlässigkeit wert?
Eher schwieriger zu bewerten, empfindet der Sachverständige Spezialrassen, weil hier oft keine große Vergleichsmöglichkeit vorhanden ist. Auf der anderen Seite weiß Sickinger, wie wertvoll die Zuverlässigkeit solcher Pferde für den Besitzer ist. „Aber das muss der Sachverständige außer Acht lassen, weil das Affektionsinteresse ist.“ Affektionsinteresse sagen Juristen zu „Liebhaberinteresse“, das im Schadensersatzrecht wirtschaftlich nicht messbar ist.
Herausforderung Spitzenpferde
Wie sieht es mit den Spitzenpferden aus? Wie soll man die vergleichen? „Das sind totale Einzelfälle, gerade wenn für solche Pferde exorbitante Angebote aus dem Ausland kommen“, meint Sickinger, sechsstellig und höher ist dann der Euro-Betrag. Noch komplizierter zu bewerten sind Spitzensportpferde im Jungpferdebereich oder junge Hengste. „Hier macht die Hoffnung den Wert mit aus. Fünf Jahre später kann der Wert extrem fallen – oder steigen, wenn die Tiere eine kometenhafte Karriere erklimmen.“
Was kostet der Sachverständige?
So wie ein Pferd einen Wert hat, ist auch die Beurteilung eines Sachverständigen wertvoll. Bezahlt wird nach Stunden und der Vorschrift zufolge, die das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. aufstellt. Ein umfangreiches Sachverständigen-Gutachten kann einen vierstelligen Betrag kosten. Ein durchschnittliches Wertgutachten eines Kaufpreises schlägt mit etwa 800 Euro zu Buche.
Wert mal anders
Übrigens: Die Deutsche Reiterliche Vereinigung gibt keine Beratung oder Einschätzung zum Wert eines Pferdes ab. Sehr wohl aber zum Wert des Pferdes für die Gesellschaft und für uns alle: Ein Feierabend im Sattel macht einfach glücklich. Und Glück ist weder käuflich, noch gibt es dafür Sachverständige, die den Wert einschätzen können.
Cornelia Höchstetter
Ein ganz anderer „Wert“ des Pferdes: Ein Feierabend im Sattel macht glücklich. Foto: Christiane Slawik
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