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Sprünge passend anreiten

Der Weg ist das Ziel

Das Pferd springt kraftvoll ab, macht den Rücken rund und lässt sich fliegen – im Sattel gibt es kein schöneres Gefühl. Aber was braucht das Pferd, um einen Sprung optimal überwinden zu können – was sind sozusagen die Zutaten für einen guten Sprung?

Eine gute dressurmäßige Grundlagenarbeit ist auch für das Springpferd von großer Bedeutung. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Ob ein Pferd einen guten Sprung machen kann, hängt von verschiedenen Kriterien ab. Entscheidend ist, was vor dem Sprung passiert. Vor allem zunächst lange bevor ein Hindernis überhaupt angeritten wird – nämlich in der dressurmäßigen Arbeit. „Die Vorbereitung eines Sprungs ist alles“, bringt es Peter Teeuwen auf den Punkt. Der Nachwuchsbundestrainer Springen erklärt: „Das Pferd muss sicher an den Hilfen stehen, es muss schnell auf die reiterliche Einwirkung reagieren und es muss sich jederzeit vor- und zurückreiten lassen.“

Dem pflichtet Springausbilderin Eva Deimel bei und führt einen bildhaften Vergleich an: „Die Vorbereitung ist maßgeblich abhängig von der dressurmäßigen Ausbildung. Ich vergleiche das gern mit einem Spagat – es dauert Jahre, bis man ihn beherrscht und man muss immer wieder daran arbeiten. Aber nicht über eine tägliche Kampfansage, sondern über Gymnastizierung, mit Übergängen und Lektionen, bei denen das Pferd lernt, Last aufzunehmen. Ich muss an der Durchlässigkeit arbeiten, der Reiter muss aufrecht und geschmeidig sitzen, das Pferd muss bestmöglich geradegerichtet sein, in eine gleichmäßige Anlehnung hineingaloppieren und sich schließen lassen. Man muss auch sagen, dass diese Arbeit vielen Reitern zu anstrengend ist und sie versuchen, ihr Pferd über Gebisse zu kontrollieren. Das ist eine Einbahnstraße. Die dressurmäßige Ausbildung auf normalem Gebiss ist das A und O. Und was man ebenfalls nicht vergessen darf: Auch der Reiter muss sich selbst trainieren, um körperliche Defizite auszugleichen. Wir fordern vom Pferd, gerade zu sein, und sind es manchmal selbst nicht. Wenn ich im Sattel schief sitze oder unterschiedlich stark einwirke, kann ich nicht von meinem Pferd verlangen, dass es gerade gehen kann.“

Eine gute dressurmäßige Grundlagenarbeit ist auch für das Springpferd von großer Bedeutung. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Cavaletti sind ein effektives Mittel, um das Distanz- und Rhythmusgefühl des Reiters zu schulen. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Warum der Sprung?

Hat der Reiter das Pferd dressurmäßig gut vorbereitet, ist der Weg ein wichtiger Faktor für einen guten Sprung – und zwar der Weg zum Sprung hin, aber ebenso wie es nach dem Sprung weitergeht. Denn auf dem Weg zum Sprung entscheidet sich, wie das Pferd ihn überwinden kann. Wenn es dabei um die grundsätzlichen Aspekte für das Anreiten geht, ist erst einmal wichtig zu wissen, welche reiterlichen Fähigkeiten gegeben sind und man sollte sich fragen: Was will ich mit dem Sprung erreichen? Ist der Reiter in Ausbildung? Macht er einen Sprung fürs eigene Training? Oder sitzt ein Profi im Sattel, der Sprünge macht, um den Ablauf zu verbessern und für den Trainingseffekt, also zum Beispiel um Kraft und Koordination zu verbessern.

Vier Kriterien

Für das Anreiten eines Sprungs sind vier Kriterien entscheidend: der zuvor schon genannte Weg, der Rhythmus, das Tempo und das Gleichgewicht (von Pferd und Reiter). Aus diesen vier Kriterien ergibt sich dann eine geeignete Absprungdistanz. Das gilt sowohl für unerfahrene Reiter als auch für das Training eines Pferdes unter einem erfahrenen Reiter. „Ein unerfahrener Reiter muss sich ein Rhythmusgefühl aneignen, das es ihm ermöglicht, das Pferd im gleichmäßigen Tempo zum Sprung zu bringen. Er braucht ein gutes Bewegungsgefühl und ein gutes Gleichgewicht, um in die Bewegung des Pferdes hineinzukommen. Er sollte sein Auge schulen. Da sind viele Sprünge nötig, um Sicherheit zu bekommen“, erklärt Peter Teeuwen. „Ein erfahrener Reiter gewöhnt sein Pferd zunächst an verschiedene Hindernisvarianten. Dann geht es darum, den gleichmäßigen Galopp zu schulen, so dass das Pferd diesen Galopp auch zwischen den Sprüngen halten kann. Das Tempo ist entscheidend, um das Pferd sicher zum Sprung zu bringen, so dass es jederzeit durchlässig die Hilfen des Reiters annimmt und über den Sprüngen im eigenen Gleichgewicht bleibt. Die Hindernishöhe wird mit Einzelsprüngen trainiert, um Kraft aufzubauen für einen ganzen Parcours.“

Rhythmus als A und O

Auch Eva Deimels Fokus liegt immer auf der Rhythmusschulung. „Darauf bauen die sichere Absprungdistanz und der gute Sprung auf.“ Die Rhythmusschulung gestaltet sie mithilfe von Cavaletti auf einer geraden Distanz mit vier Galoppsprüngen (ca. 17 Meter) – ist die Distanz zu kurz, ist das Tempo zu hoch, wird die Distanz zu lang, ist das Tempo zu niedrig. So bekommen die Reitschüler ein Gefühl für den Galopprhythmus und lernen, in der Distanz je nach Situation zwischen den Cavaletti, die Galoppsprünge zu verlängern oder zu verkürzen. Denn grundsätzlich ist es wichtig, dass man zuallererst ein Gefühl entwickelt für den individuellen Rhythmus seines Pferdes!

Wichtig für einen guten Sprung: Das Pferd galoppiert in eine gleichmäßige Anlehnung hinein, lässt sich schließen, zulegen und zurückführen. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Hier hat die Vorbereitung leider nicht gepasst. Aber Übung macht ja bekanntlich den Meister und zum Glück ist nichts passiert. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Noch mehr Rhythmus

Im weiteren Verlauf werden die beiden Cavaletti aus einer Wendung heraus geritten. So lernt der Reiter, das Pferd vor sich und im Gleichgewicht zu halten. Zentral ist der gleichbleibende Galopprhythmus auch, weil er mit dem Atemrhythmus des Pferdes gekoppelt ist. Geht der Rhythmus verloren, wirkt sich das nicht nur auf die Leistungsfähigkeit, sondern auch auf die Konzentrationsfähigkeit des Pferdes aus. „Je besser es dem Reiter gelingt, einen gleichmäßigen Rhythmus zu halten, umso mehr ist das Pferd in der Lage, seine ‚Verantwortung am Sprung‘, nämlich konzentriertes Springen zu übernehmen“, ist es in den Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1 beschrieben. Wenn der Rhythmus, das Auge und das Gefühl des Reiters für eine Distanz beim Springen fehlen, kommt Unsicherheit auf. Das führt häufig zu überhöhtem Tempo oder dem krampfhaften Versuch, durch „Rückwärtsreiten“ passend an den Sprung zu kommen.

Einfluss des Pferdetyps

Eines gibt Peter Teeuwen noch zu bedenken: „Das Wichtigste auf dem Weg zum Sprung ist der Rhythmus und die Möglichkeit, den Galoppsprung jederzeit rhythmisch zu vergrößern und zu verkleinern. Was man aber nie vergessen darf: Das Pferd gibt einiges vor durch seinen Körperbau und sein Interieur. Ein etwas schwerfälligeres Pferd beispielsweise muss ich vor allem vor meine treibenden Hilfen bekommen, ein eher blütiges Pferd muss ich mehr aufs Hinterbein bekommen. Da muss sich der Reiter anpassen.“

Gymnastikreihen sind ein beliebtes Instrument in der Springausbildung – auch Peter Teeuwen schwört darauf. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Die Hindernishöhe wird mit Einzelsprüngen trainiert. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Alles eine Sache der Vorbereitung – wenn die nicht zu 100 Prozent gegeben ist, ist das Risiko hoch, dass der Sprung misslingt. Oder andersherum: Stimmt die Vorbereitung, kann das Pferd daraus in den allermeisten Fällen einen guten Sprung machen. Das sollten gerade unerfahrenere Reiter stets im Kopf haben und sich nicht schwerpunktmäßig auf die passende Absprungdistanz konzentrieren.

Absprungdistanz finden

Wo das Pferd idealerweise abspringt, richtet sich nach der Höhe und dem Profil des Hindernisses. Beim Steilsprung ist der ideale Absprungbereich im Regelfall etwas weiter entfernt vom Hindernis, bei einem Oxer etwas näher. Das hängt mit der Flugkurve zusammen, deren höchster Punkt immer mittig über dem Hindernis liegen sollte. In den unteren Klassen ist weniger von einem Absprungpunkt, als vielmehr von einem idealen Absprungbereich die Rede. Denn wichtiger als einen bestimmten Punkt zu treffen, ist es, eine passende Distanz bei gleichbleibendem Rhythmus zu finden.

„In einem A-Springen braucht der Reiter eine gleichmäßige Verbindung zum Pferdemaul, er muss seinen leichten Sitz geschmeidig anpassen“, so Eva Deimel. „Der Reiter sitzt ruhig, treibt ruhig und schiebt nicht. Wenn das gegeben ist, hat das Pferd – mit ein bisschen Vermögen und Mut – immer die Chance abzufußen, dann kann die Absprungdistanz auch etwas dichter oder weiter sein. Wichtig ist nur, dass der Reiter sein Pferd passend begleitet. Ab Klasse L/M muss man vom Reiter mehr Rhythmus- und Distanzgefühl verlangen. Das übe ich auch mit den beiden Cavaletti, die dann auch mit mehr und weniger als vier Galoppsprüngen geritten werden. Wenn das nicht gegeben ist, muss das Pferd viel Qualität haben, um das auszugleichen.“

Klasse M verzeiht nicht

Für Peter Teeuwen ist die passende Absprungdistanz immer relevant, aber vor allem ausschlaggebend ab Klasse M, in der man als Reiter in der Lage sein muss, eine gute Vorgabe zu machen – weil das Pferd, auch wenn es sehr talentiert ist, sich nicht mehr aus ungünstigen Situationen heraushelfen kann, wie es das bei einem Sprung auf A-Höhe oft ohne größere Probleme hinbekommt. „Das klappt ab Klasse M vielleicht mal, aber wenn ich ständig darüber hinweggehe, holt mich das relativ schnell ein. Denn die Folge ist, dass ich mein Pferd verunsichere, es macht Fehler oder verweigert. Sicherheit für das Pferd bedeutet, dass es zu innerer Losgelassenheit kommen kann, es macht lockere Sprünge, kann seine volle Kraft entfalten und Bascule entwickeln.“

Mit Kopf und Gefühl

Zu den Zutaten, die es für einen guten Sprung braucht, gehört nicht zuletzt auch das Reitergefühl. Wer überhaupt kein Gefühl für sein Pferd hat, kann kein Gefühl für Rhythmus und Tempo entwickeln.

Auch ein Übungstipp: Cavaletti auf gebogener Linie ermöglichen größere und kleinere Galoppsprünge – je nachdem, ob man die Innen- oder Außenlinie wählt. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Ein guter Reiter nutzt den Sprung, um das Pferd im Ablauf zu verbessern und wählt bewusst auch mal eine engere Absprungdistanz, weil sein Pferd dann besser basculieren kann, oder er lässt es auf größer abspringen, weil er ein Pferd mit mehr Kraftpotenzial hat, das besser springen kann mit einer großzügigeren Absprungdistanz. Das Gefühl des Reiters macht es ihm möglich, schon in der Landung zu spüren, wie er sein Pferd sofort wieder geschlossen aufs Hinterbein bekommt. Andere lassen das Pferd erst einmal landen und galoppieren weiter, bevor sie wieder auf das Pferd einwirken. „Das rächt sich irgendwann“, sagt Peter Teeuwen. Die gute Nachricht ist: Auch in punkto Reitergefühl ist das meiste erlernbar. „Bis zu einem gewissen Grad kann man das Gefühl erlernen, aber der Kopf muss mitspielen“, betont Eva Deimel. „Denn der Reiter ist nur so gut, wie es der Kopf zulässt. Er muss fleißig sein, sich immer wieder Herausforderungen stellen, auch auf kleine Sachen einlassen, Geduld und gesunden Ehrgeiz beweisen.“ Grundsätzlich wichtig ist: Ein guter Ausbilder am Boden ist gefragt und Aufgaben, die so gestaltet sind, dass Pferd und Reiter geschult, motiviert und positiv bestärkt werden.

Laura Becker

Übungen zur Rhythmusschulung

Beim Anreiten von Hindernissen muss der Reiter auch Gefühl beweisen – die gute Nachricht: Auch dieses ist bis zu einem gewissen Grad erlernbar. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Trainingstipps von Eva Deimel

Tipp 1: Einen Parcours aufbauen, der Distanzen mit vier und fünf Galoppsprüngen und eine Kombination mit zwei Galoppsprüngen enthält. Alle Sprünge werden als Kreuze aufgebaut, auch die Oxer. Dabei die Distanzen etwas enger aufbauen als bei „normalen“ Sprüngen. Diesen Parcours immer wieder reiten lassen. „Das ist nach der Arbeit mit den zwei Cavaletti die beste Rhythmusschulung. So lernt ein Reiter wirklich, sein Pferd einzurahmen und die Sprünge gerade anzureiten, ohne dass er in Hektik verfällt, weil es etwas höher ist“, erklärt Eva Deimel. Die Kreuze nach und nach höher bauen. Nach ein paar Durchgängen, wenn Sicherheit da ist, kann man die Distanzen, die Kombination und Linien verändern.

Tipp 2 (aus den Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 2): Cavalettiarbeit schult das richtige Verhalten vor, über und nach dem Sprung ohne große Belastung für das Pferd. Pferd und Reiter lernen hier, vorgegebene Wege einzuhalten, rhythmisch zu galoppieren und Handwechsel frühzeitig vorzubereiten. Wichtig ist dabei der Blick des Reiters: Durch seine Blickrichtung verlagert er seinen Körperschwerpunkt entsprechend, leitet die Wendung ein und hält das Pferd im Gleichgewicht und auf der Linie. Mit zunehmender Routine entwickelt er die Fähigkeit, den Galoppsprung zu beeinflussen ohne den Rhythmus zu verändern und fördert sein Taxiervermögen.
Tipp 3: Eine Methode, die das Rhythmusgefühl verbessert und das Augenmaß für Entfernungen zum Hindernis schult, ist die „Methode des Mitzählens der Galoppsprünge“. Zunächst ohne Sprung in der Galopparbeit immer wieder einige Galoppsprünge mitzählen – und zwar in dem Augenblick, in dem das Pferd nacheinander beide Vorderbeine aufsetzt. Dann weiter üben mit zwei oder drei Cavaletti auf einer geraden Linie. Darauf aufbauend werden zwei niedrige Einzelsprünge überwunden. Der Reiter beginnt nach der Landung mit dem Zählen der Galoppsprünge, am besten laut, damit der Ausbilder das Rhythmusgefühl überprüfen kann.

Trainingstipp von Peter Teeuwen

Es wird eine Gymnastikreihe aufgebaut: Niedriges Cavaletti mit 2,20 Meter auf Steilsprung, auf 6 Meter Cavaletti (erst niedrig, dann hoch gestellt), auf 6,20 Meter Cavaletti (erst niedrig, dann hoch gestellt), dann auf 6,50 Meter Steilsprung oder Oxer. Diese Gymnastikreihe schult das Tempo- und Rhythmusgefühl des Reiters und fördert den gleichmäßigen Ablauf des Galopps beim Pferd. Der Reiter kann hier durch die klar vorgegebenen Abstände sein Gefühl für die Absprungdistanz verbessern und mehr Sicherheit im Taxieren von Hindernissen erlangen. Sehr gut lässt sich nebenbei auch das mittige Anreiten und das geradegerichtete Springen üben. Und allgemein schulen Gymnastikreihen dieser Art die Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit.

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