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FN-Ausbilderkongress: Erkennen, vorbeugen und bewältigen

Strategien gegen Angst

Das Thema traf den Nerv: Angst. Beim großen Ausbilderkongress der FN in Warendorf erfuhren rund 200 Trainer, wie Angst entsteht, wie man ihr vorbeugen kann und wie man die Sicherheit beim Reitschüler (wieder) herstellt. Den „Blick über den Tellerrand“ warf Skispringer Martin Schmitt.

Ein systematischer Trainingsaufbau beugt Angst vor. Der Vorteil bei Kindern: Sie sind anfangs oft unbedarft. Foto: FN-Archiv/Lehmann

„In meiner aktiven Zeit sprachen wir nicht von Angst. Wir nannten es Respekt“, sagte Gastreferent Martin Schmitt. Der Olympiasieger im Skispringen und zweimalige Gesamt-Weltcupsieger schilderte im Gespräch mit Thies Kaspareit, Leiter der FN-Abteilung Ausbildung und Wissenschaft, sehr offen seine Erfahrungen im Umgang mit Angst und erlaubte einen spannenden Einblick in eine Sportart, die kein Breitensport ist und den meisten Menschen alleine beim Zuschauen den Angstschweiß auf die Stirn treibt.

„Keiner hätte sich damals getraut, Angst zugegeben. Keiner hätte sich ‚die Blöße gegeben‘“, sagte Martin Schmitt und man hörte sein Bedauern heraus. Unter anderem erinnerte sich der 40-Jährige an eine Begebenheit vor dem Wettkampf. „Der Trainer kam rein und fragte uns: ‚Habt Ihr Angst?‘“, sagte Schmitt, wobei unausgesprochen klar wurde, dass die Antwort hier nur ‚Nein‘ lauten konnte. Als besonders „respekteinflößend“ in seiner Karriere empfand Schmitt Situationen, in denen bei seinen Teamkollegen Verunsicherungen auftraten, aber auch die großen Skifliegerschanzen, auf denen vorher kein Training möglich ist, so dass der Wettkampf zum Ernstfall wird. Und natürlich gehörten auch die Stürze dazu. Einer davon endete für ihn mit einem Armbruch. „Danach habe ich ein bisschen das Vertrauen verloren“, sagte Schmitt. „Es ist daher immer wichtig, dass ein Trainer die Historie seines Sportlers kennt.“ Ihm selbst hätte dann die Erinnerung an die vielen guten Sprünge davor wieder (Selbst)Vertrauen gegeben, sagte er. Dass Sportlichkeit und Beweglichkeit auch die Grundlage für Bewegungssicherheit sind, bewies Skispringer Martin Schmitt dann in der Kongresspause. Er schwang sich unter Anleitung des ehemaligen Voltigier-Weltmeisters Kai Vorberg auf das elektrische Voltigierpferd „Movie“ und stand am Ende dieser Premiere zur Begeisterung der anwesenden Reitausbilder auf dem galoppierenden Holzpferd.

Schutz, Motivation, Blockade

„Angst ist immer ein Gefahrensignal“, begann Dr. Svenja Konowalczyk, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sport und Sportwissenschaft der TU Dortmund, ihren Vortrag. Deshalb sei die Schutzfunktion auch eine Funktion von Angst. Wer Gefahren erkennt, kann sich vor Verletzungen, Versagen und Überforderung schützen. Das sei positiv. Ebenso wie der Aktivierungsreiz als eine weitere Funktion. Angst kann stimulieren und motivieren und bestimmte Leistungen so erst ermöglichen. Ist die Angst allerdings zu groß, kann sie als Leistungshemmer – die dritte Funktion – wirken. Das äußert sich dann zum Beispiel in Blockaden, Selbstzweifeln, Fehleinschätzungen. Der Volksmund kennt den Spruch „Vor Angst den Verstand verlieren“. Auch körperlich spürt man die Angst. Der Puls beschleunigt sich, die Muskeln spannen sich an, man verkrampft oder zittert. Man beginnt zu zweifeln, wird zögerlich, unsicher, passiv, vielleicht auch aggressiv. All diese Symptome stören die Leistungsfähigkeit. „Unter Angst ist kein Bewegungslernen möglich“, fasste Dr. Konowalczyk, mit Blick auf die anwesenden Ausbilder, die Folgen für den Sportler bzw. Reitschüler zusammen.

Psychologische Tipps

Wie Angstbewältigungsstrategien aussehen können, erklärte Sportpsychologin Dr. Gaby Bussmann, die auch die deutschen Kader Pferdesportler betreut – zuletzt bei den Weltreiterspielen in Tryon. Die gute Nachricht: „Nervenzellen sind wie Muskeln. Wenn man sie trainiert, werden sie stärker.“ Ein Lösungsansatz sei es, die Angst wahrzunehmen und anzusprechen, so Bussmann. Angst wird man nicht los, indem man sie verdrängt. Eine erste Hilfe kann es schon sein, sich die Angst einzugestehen. Noch besser: „Man spricht mit einer Vertrauensperson über die eigene Angst. Es ist erstaunlich, wie befreiend das ist“, so der Rat der Sportpsychologin.

Positive Erinnerungen helfen, Angst zu bewältigen. Foto: FN-Archiv/Schupp

Sie nannte eine Reihe von Lösungsansätzen, zum Beispiel die Szenariotechnik: Man stellt sich das beste, schlechteste und realistischste Szenario vor und entwickelt so eine erweiterte und angemessene Perspektive. Man kann Mutsätze formulieren, also Sätze, die Mut machen, Zuversicht geben. Man kann aber auch positive Erinnerungen nutzen: Wenn man sich bewusst an gut verlaufene Prüfungen erinnert, kommt man in eine gute psychophysiologische Verfassung und das Nervensystem sucht eher erfolgsassoziierte Erinnerungen. „Das ist eine einfache und sehr effektive Methode“, so Dr. Gaby Bussmann.

Bewegungssicherheit

Angst vor Sturz und Schmerzen, vor Kontrollverlust und Überforderung, vor Blamage und Misserfolg – mit diesen Angstsituationen sind Ausbilder im Pferdesport im Unterricht und Training täglich konfrontiert. Die Ursache ist fast immer Bewegungsunsicherheit. „Ein Reiter sieht sich mit einer Situation oder Aufgabe konfrontiert und glaubt, sie nicht lösen zu können“, erklärte Diplom-Sportwissenschaftlerin Dr. Meike Riedel. Gemeinsam mit Pferdewirtschaftsmeisterin Lina Otto erläuterte sie, wie man als Ausbilder Bewegungssicherheit schafft und so das Entstehen von Angst vermeidet. „Methodisch geht man als Ausbilder wieder auf das Bewegungsniveau beziehungsweise die Fähigkeiten zurück, die der Reiter sicher beherrscht“, so Lina Otto. Idealerweise ist der Unterricht so aufgebaut, dass er Angst vorbeugt. Dazu gehört ein systematischer und planmäßiger Trainingsaufbau, kleine Schritte, Üben unter vielfältigen Bedingungen und motorische Vielseitigkeitsschulung. „Gehen Sie methodisch vor: Vom Leichten zum Schweren, vom Bekannten zum Unbekannten, vom Einfachen zum Komplexen, vom Langsamen zum Schnellen“, erklärte Dr. Riedel das Trainingsprinzip.

Auch gingen die Referentinnen auf die Unterschiede bei Kindern und Erwachsenen ein. Kinder sind anfangs oft unbedarft. Angst entsteht meist aus schlechten Erfahrungen oder Unsicherheit sowie Defiziten in Kondition und Koordination. „Hier ist es wichtig, mit einem systematischen Training die Grundlagen und die motorische Vielseitigkeit zu schulen“, empfahlen die Autorinnen des FN-Handbuchs „Kinderreitunterricht kreativ und vielseitig gestalten“. Bei Erwachsenen führen eher mangelnde Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer, Koordination und Unsicherheit zu Angst vor Kontrollverlust und Sturz. Hier empfahlen die beiden Ausbilderinnen Ergänzungs- und Ausgleichssport sowie Athletiktraining. Als praktische Beispiele zeigten sie Filme von einem koordinativen Parcours, einer Rolle vorwärts und Reiten auf der Wellenbahn.

Vertrauen aufbauen

Was aber passiert, wenn es doch einmal zu einem Sturz gekommen ist? Wie überwindet man die Angst? Was kann man als Ausbilder tun? Diesen Fragen ging Kai Vorberg nach. Der Pferdewirtschaftsmeister und Diplom-Trainer appellierte an die Verantwortung des Ausbilders: „Sie müssen sich das Vertrauen ihres Schülers erarbeiten.“ Dazu gehört der systematische und planmäßige Unterricht. Dazu gehört aber auch, Situationen fundiert einschätzen zu können. „Dafür ist das Gespür des Trainers entscheidend“, so Vorberg. Der Trainer müsse analysieren: Was hat zu dem Sturz geführt? War es nur ein „Ausrutscher“? Danach sollte der Schüler die Übung gegebenenfalls sofort wiederholen. Wenn aber die Sicherheit verloren sei, dann „muss erst wieder eine solide Grundlage hergestellt werden“, so Vorberg.

Adelheid Borchardt

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