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Pferdehaltung: Pferdeleben im Wechselbad

Serie Rassen und Reitweisen: Westernreiten

Von 0 auf 100 – und zurück

Von keiner Pferderasse gibt es so viele Vertreter wie vom „American Quarter Horse“. In Deutschland haben die Muskelprotze auf vier Beinen und das Westernreiten seit den 1970er Jahren einen festen Platz in der Pferdeszene.

Ein Hauch von Abenteuer, Freiheit und den weiten Landschaften der USA weht auch heute noch durch die Köpfe, wenn die Rede auf das Westernreiten kommt. Foto: Arnd Bronkhorst

Was für ein knackiger Po! Schon frisch geborene Fohlen können nicht verbergen, wo der Motor beim American Quarter Horse steckt. Die Kruppe ist von Natur aus deutlich bemuskelt und schreit geradezu nach Action. Kein Wunder also, dass diese Pferde für ihre Sprintfähigkeit geliebt werden, und dafür, dass sie nicht nur in Sekundenschnelle von Null auf Vollgas schalten – sondern genauso schnell wieder runter. Mit Körper und Köpfchen, um nach der Action wieder in aller Gemütsruhe einfach nur dazustehen. Saß dann noch ein lässiger Cowboy im Sattel, die Hand am Knauf, in der anderen das Lasso, mit Karohemd und den Hut tief ins Gesicht gezogen, dann war es schon um manche Reiter-Lady schnell geschehen, als in den 1970er Jahren das Westernreiten in Deutschland aufkam.

Immer buntere Pferdewelt

Es war die Zeit, als die Reiter- und Pferdewelt immer bunter wurde. Die Isländer eroberten viele Herzen (siehe PM-Forum Ausgabe 11-12/2018), und die Indianer- und Cowboypferde sammelten auch schnell einen Fan-Kreis um sich. Die ersten American Quarter Horses – so der offizielle Name, umgangssprachlich einfach „Quarter Horse“ – importierten die großen Pferdemänner Jean Claude Dysli und Alan Jacob, der mit seinen Rodeo-Shows bekannt wurde.

Die runde, bemuskelte Hinterhand verrät schon beim Fohlen, woher die ganze Kraft kommen wird. Foto: Dirk Büttner

Die ersten Quarter Horses aus den USA kamen via Flugzeug – eine gefühlte Ewigkeit ist es her. Foto: privat

Es gibt sogar Schwarz-Weiß-Fotos von den ersten Quarter Horses beim Ausladen aus dem Flugzeug. Die zwei Männer präsentierten die Pferde 1972 und 1973 auf der Equitana. Neue Wettkämpfe wie der Trail, ein Geschicklichkeitsparcours, waren eine Alternative zu Parcours und Dressurviereck. Heute ist das Quarter Horse die Pferderasse, von der es weltweit die meisten eingetragenen Pferde gibt, etwa 4,6 Millionen registrierte Tiere. Wie viele Westernreiter es in Deutschland gibt, ist schwer zu schätzen. Viele sind nicht gezählt, weil sie keinem Verband angehören – und wer ist eigentlich ein Westernreiter? Genügen der Sattel mit Horn und ein Cowboyhut, um Westernreiter zu sein?

Enorme Verbandsfülle

Dass ausgerechnet diese freiheitsliebenden Reiter ein dichtes Verbandsnetz in Deutschland aufgebaut haben, ist fast paradox. Es gibt die Zuchtverbände, etwa für die Quarter Horses (Deutschen Quarter Horse Association, DQHA, rund 7.000 Mitglieder), die Paint-Horses oder die Appaloosa Horses.

Es gibt Verbände für die jeweiligen Disziplinen, unter anderen die Reining- oder Cutting-Association (NRHA Germany und NCHA Deutschland). Dazu kommt die Erste Western Union Deutschlands (EWU, 10.500 Mitglieder, über 30.000 eingetragene Pferde), der Verband, der offen für alle Disziplinen und alle Pferderassen ist, auch für Warmblüter, Tinker oder Haflinger, die in der Western-Szene den Beinamen „Alpen-Quarters“ tragen.

Westernreiten und das Zuchtziel der Quarter Horses sind eng verstrickt mit der Eroberung Amerikas. Das Pferd war in Amerika vorübergehend ausgestorben. In den indianischen Überlieferungen und in ihrer Mythologie sind keine Pferde zu finden. Mit der Eroberung Amerikas durch die Konquisitatoren im 15. Jahrhundert kamen wieder Pferde auf den neuen Kontinent. „Das waren vor allem Andalusier, aber auch Berber. Die ersten Siedler brachten im 16. Jahrhundert weitere Rassen ins Land – Araber, Percherons, englische Vollblüter, britische Ponyrassen. Daraus entstanden Gebrauchspferde“, erzählt der langjährige internationale Direktor der DQHA Ullrich Vey. „Mit der Zeit spielte die Arbeit mit den Rindern eine immer größere Rolle, da war es wichtig, dass die Pferde kleiner waren, einen tieferen Schwerpunkt haben, um schnell zu wenden. Und muskulös mussten sie sein, weil sie explosiv hinter den Rindern her sprinten mussten – und alles bei klarem Kopf. Daraufhin wurde selektiert.“

Und dann machten es früher die Cowboys ähnlich wie die Holsteiner Bauern: Unter der Woche waren die Pferde in Arbeit – die Cowboypferde beim Rinderhüten, die Holsteiner beim Pflügen. Am Wochenende war Sport angesagt: bei den Holsteinern der Springparcours, bei den Cowboys war es das Wetten beim Pferderennen: Eine Viertel (Quarter) Meile (etwa 400 Meter) konnte gut abgesteckt werden, in der kurzen Distanz waren die Guten unter den Cowboypferden den englischen Vollblütern überlegen. So kam es zum Namen „Quarter Horse“.

Die Quarter Horses stellen die Pferderasse mit den meisten eingetragenen Pferden der Welt. Rund 4,6 Millionen Tiere sind registriert. Foto: Dirk Büttner

Die Amerikaner verstanden die Welt nicht mehr. Ausgerechnet in ihrer Diszilin Reining gewann ein Belgier die Goldmedaille bei den Weltreiterspielen in Tryon: Bernard Fonck mit What a Wave. Foto: Arnd Bronkhorst

Amis sauer: Belgischer Sieg

Was die räumliche Verteilung der Quarter Horses und der Westernreiter in Deutschland angeht, liegt der Schwerpunkt heute in Bayern und Baden-Württemberg, auch Nordrhein-Westfalen ist gut vertreten. Bei der Zucht weltweit hat natürlich das Mutterland, die USA, die Nase vorne. „Not amused“ waren aber die US-Amerikaner im vergangenen Jahr, als bei den Weltreiterspielen in Tryon zum ersten Mal ein Europäer den Weltmeistertitel in der Reining gewonnen hat: der Belgier Bernard Fonck. Das deutsche Team – mit Grischa Ludwig, im Reining der Leitwolf wie Ludger Beerbaum im Springsport – errang die Bronze-Medaille! Die Europäer holen auf, deutsche Hengste wurden schon zur Zucht in die USA gebracht, auf der Weltrangliste der National Reining Horse Association (NRHA) stehen seit Jahren auch Europäer in der Top Ten. Aus Cowboyarbeit und aus freizeitmäßigem Westernreiten sind längst spezialisierte Disziplinen und ein kommerzieller Sport, vergleichbar mit dem internationalen Springsport, geworden.

Ute Holm, Westernreiterin und ehemalige World-Championesse im Team-Cutting 1999, erzählt, dass „Cutting nach Tennis und Golf der weltweit best bezahlte Sport“ ist. Cutting ist die Arbeit am Rind, bei der das Pferd oft das Kommando übernimmt und mit blitzschnellen Reaktionen dem Rind zuvor kommt. „In den USA, Kanada, Brasilien oder Argentinien ist Cutting ein Sport für Menschen mit viel Geld! Da werden Fohlen rein nach Blutlinien auf Cuttingauktionen für 300.000 Dollar versteigert“, sagt Ute Holm.

Die wichtigsten Pferderassen

American Quarter Horses: Das Zuchtbuch der American Quarter Horse Association (AQHA) gründete sich erst im März 1940. Das Zuchtziel: Pferde mit kleinen Keilköpfen, mittellangen Hälsen, kräftiger Vor- und Hinterhand, Gurttiefe nicht größer als die Beinlänge und mit einem Stockmaß zwischen 1,45 und 1,65 Meter. www.aqha.com

Appaloosa: Der Inbegriff des „Indianerpferdes“, denn diese Pferde haben auf ihrer Grundfarbe eine auffallende Fellzeichnung, kleine oder größere Punkte oder Flecken ziehen sich mehr oder weniger über den Körper. www.aphcg.com

Paint Horses: Eigentlich ein Quarter Horses mit besonderer Scheck-Zeichnung. www.phcg.info

Das Painthorse, eigentlich ein Quarter Horse mit der Zeichnung eines Scheckens, gehört zu den beliebtesten Pferderassen des Westernreitsports. Foto: Paula da Silva/Bronkhorst

Viel Geld im Spiel

Um viel Geld geht es in den USA besonders bei den Futurities – Jungpferdeprüfungen – der Reining- und Cutting-Pferde. Hier stehen viele Millionen Dollar auf dem Spiel. Einer, der inzwischen als erster Nicht-US-Amerikaner den Sprung in den US-Verbandsvorsitz der Quarter Horse Association schaffte, ist Johannes Orgeldinger. Er gründete 1977 die Jomm Ranch in Großwallstadt, bei ihm stand der in Deutschland sehr erfolgreiche Vererber „Fritz Power“. Orgeldinger erzählt aus dem Mutterland: „Im November finden in den USA die wichtigsten Futurities statt, da geht es in einer Prüfung um 350.000 bis 400.000 Dollar Gewinngeld.“

Der Hengst Smart Little Lena ist eine Vererberlegende wie Donnerhall in der Dressur. Smart Little Lenas Nachkommen haben mehr als 20.000 Millionen Dollar gewonnen, sagt Johannes Orgeldinger. Die Decktaxe kostete für diesen Hengst 12.500 Dollar. Deutschland bekam schon Schnappatmung, als Paul Schockemöhle die erste Decktaxe für den Dressurhengst Totilas bei 8.000 Euro festsetzte. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass dreieinhalbjährige Hengste eine perfekte Reining (der Grand Prix der Westerndressur) mit Stops (mit meterweit rutschender Hinterhand) und Spins („Pirouetten“ in rasantem Tempo) absolvieren müssen.

Ute Holm ist ausgewiesene Cutting-Expertin und erklärt: „Cutting ist nach Tennis und Golf der weltweit bestbezahlte Sport“ Foto: Dirk Büttner.

Seit über 40 Jahren gibt es die Erste Westernreiter Union (EWU) in Deutschland, dieser Verband ist seit 1993 der FN angeschlossen und hat das Leistungsklassensystem und die Ausbildung nach APO/FN für den Westernreitsport entwickelt. „Wir sind stolz darauf, dass bei unseren deutschen Meisterschaften die Pferde durchschnittlich acht oder neun Jahre alt sind. Und dass die EWU-Reiter ein Pferd haben, mit dem sie viele Jahre lang verbringen“, sagt Petra Roth-Leckebusch aus Nümbrecht, Mitglied im EWU-Präsidium. Auch die DQHA denkt um: „Die Quarter, die damals nach Deutschland kamen, waren richtige Allrounder“, sagt Johannes Orgeldinger.

„Trotz der eingekehrten Spezialisierung werden langsam in der breiten Masse wieder Prüfungen wie ‚Ranch Riding‘ oder „Versatility Ranch Horse“ beliebter. Das ist eine Art Vielseitigkeit aus fünf Starts, von der Dressur über Trail zur Arbeit an der Kuh und mit Exterieurbeurteilung.“ Da kommt der Kern der Quarter Horses wieder richtig zur Geltung: „Die sind einfach vom Gemüt eher ruhiger“, sagt Ullrich Vey aus Bremen über die Quarter Horses. Er organisierte über 25 Jahre lang den Westernsport beim internationalen Reitturnier in der Bremer Stadthalle. Seine Frau Carola steht stellvertretend für viele Reiter, die vom Warmblutpferdesport zu den Westernpferden wechselte: Sie stürzte bei einem Ausritt von ihrem Großpferd, verletzte sich schwer und fasste nach dem Unfall langsam Vertrauen zu den Quarter Horses, die in der Regel kleiner und handlicher als die Warmblüter sind.

„Das kommt daher, dass diese Pferde für die Arbeit gezüchtet werden, und zwar seit Jahrhunderten“, erklärt Ullrich Vey. Carola Vey ritt dann erfolgreich bis zu Europameisterschaften mit, ihre Lieblingsdisziplin war „Hunter under Saddle“. Viele Western-Einsteiger von heute sind zwischen 35 und 40 Jahre alt, es sind auch Männer dabei – die können beim Westernreiten auch in den Jeans bleiben und müssen keine eng anliegenden Reihosen anziehen. Dazu kommt ein kompaktes Pferd mit guten Nerven und flacheren Bewegungen, das den Einstieg erleichtert und durch Gehorsam und Ruhe Vertrauen schenkt. Ute Holm definiert das so: „Man kann, wenn man möchte, eine entspanntere Reiterei betreiben. Unsere Pferde sind so erzogen, dass sie beinahe von selber laufen. Dressur ist vom körperlichen Fitnesspunkt des Reiters sicher mehr Sport. Fünf Westernpferde kann ich heute locker hintereinander reiten. Nach fünf Dressurpferden wäre ich platt.“

Cutting auf der Equitana

Ute Holm ist zwar Allrounderin, aber verliebt in Cutting, sie wird auch dieses Jahr wieder auf der Equitana vertreten sein, konkret am Donnerstag, 14. März. „Du spürst den Herzschlag deines Pferdes, wenn es die Kuh sieht, so einen Spaß haben die daran!“ – und damit meint Ute Holm nicht den Herzschlag, den man beim Ausritt spürt, wenn das Durchschnitts-Reitpferd eine Kuh auf der Weide sieht! Ihren Anfang im Westernsattel verdankt Ute Holm ihrem Nachbarn: der hatte Appaloosas. Parallel nahm sie als junges Mädchen in den 1980er Jahren in der Tübinger Reitgesellschaft ab und zu Reitstunden. „Ich war den ganzen Tag mit den Western-Ponys zusammen, beobachtete sie in der Herde und habe so natürlich einen ganz anderen Blick bekommen als für das Reitschulpferd.“

Und was hat Ute Holm aus dem Reitverein fürs Westernleben mitgenommen? „Der Rittmeister aus Tübingen legte großen Wert auf Sitz und das hat mir bis heute geholfen: der Grundsitz und die konsequente Art des Reitens, konsequente Zügelführung und Schenkeleinsatz, die klaren Anweisungen fürs Pferd.” Dass ein Reiter aus dem Klassiklager in den Westernsattel wechselt, oder dass ein Reiter in beiden Sätteln aktiv ist, ist gar nicht so selten. Ein prominentes Beispiel ist die mehrfache Dressurolympiasiegerin Anky van Grunsven, sie startete sogar 2010 bei den Weltreiterspielen in Kentucky für das niederländische Team in der Reining. Ute Holm gehörte zu den ersten Buchautoren, die Ende der 1990er Jahre ein Reitlehrbuch geschrieben haben. „Damals gab es wenig Westernausbilder, ich fand, es war einfach nötig!“ Der Titel: „Western reiten – aber bitte klassisch“.

Entgegen des Vorurteils, dass Westernreiter nur mit durchhängendem Zügel reiten, stellt Ute Holm klar, dass eine Anlehnung, besonders in der Ausbildung der Pferde, genauso wichtig ist. Eine Verbindung zum Maul gibt es, auch beidhändig, nur ist das Ziel, dass diese immer feiner wird und im Idealfall nur noch über das Gewicht der schweren Lederzügel und vor allem einhändig erfolgt. Was schwungvolle Bewegung angeht, hat der Westernreiter eine andere Vorstellung: Wer stundenlang im Sattel sitzt, braucht Komfort und weniger Schwung im Rücken.

Jeder Sport hat sein Outfit. Für die Westernreiter sind Hüte und Cowboy-Stiefel ein Muss. Fotos: Arnd Bronkhorst

„Beim Western Pleasure sieht man extreme Auswüchse, das ist eine umstrittene Prüfung geworden, immer langsamer bewegen sich die Pferde. Dabei ist der eigentliche Grundgedanke eines Pleasure-Pferdes schon der, dass sich das Pferd durch den Körper gleichmäßig im Takt bewegt“, bedauert Ute Holm.

Schenkel- und Gewichtshilfen

Auch treibende Hilfe durch Schenkel und Gewicht braucht der Westernreiter, ebenso die Forderung nach einem versammelten Pferd – sonst wären Lektionen wie ein Roll Back, dem Wenden auf der Hinterhand, gar nicht möglich. Anders ist dagegen, dass sich ein Westernpferd nur selten in „Aufrichtung“ zeigen soll: Ist das Genick beim Dressurpferd der höchste Punkt, bleibt beim Westernpferd nur die Halslinie auf der Widerristhöhe. Reiterhilfen erfolgen beim Westernreiten als Impuls. Vereinfacht ausgedrückt: Dem Pferd wird angesagt: Galopp bitte – und dann soll es mit leichtesten Hilfen so lange galoppieren, bis der nächste Befehl kommt. Hier ist wieder der Hintergrund zu erkennen: Westernreiten kommt aus der Arbeitsreiterei. Ein Cowboy reitet nicht um des Reiten Willens, sondern um einen Zweck zu erfüllen: Rinderhüten zum Beispiel.

Cornelia Höchstetter

Die wichtigsten Verbände

  • Erste Western Union, EWU-Bundesgeschäftsstelle, Am Thie 6, 49186 Bad Iburg, www.westernreiter.com
  • Deutsche Quarter Horse Association e.V., Daimlerstr. 22, 63741 Aschaffenburg, www.dqha.de
  • National Reining Horse Association Germany e.V. (NRHA Germany e.V.), Oberes Tor 1, 63916 Amorbach, www.nrha.de
  • National Cutting Horse Association Germany e.V., NCHA, Geschäftsstelle, Entenhof 1, 76547 Sinzheim, www.ncha.de

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