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Ausbildungstipp von Christoph Hess

Das quadratische Pferd

Pferde, deren Gebäude nicht ideal konstruiert ist, stellen den Reiter vor besondere Herausforderungen. Denn ein kurzer Rücken, ein tief angesetzter Hals & Co. erfordern das konsequente Umsetzen der klassischen Reitlehre.
Ein kurzer Rücken kann die Schwungentfaltung und die Losgelassenheit erschweren. Foto: Alois Müller
Frage: Meine achtjährige Stute ist sorgfältig ausgebildet und befindet sich derzeit auf dem Niveau der Klasse L. In der weiterführenden Arbeit zeigt sich aber, dass sie sich mit ihrem Exterieur ein bisschen „selbst im Wege steht“. Sie ist ein insgesamt eher quadratisches Pferd mit einem kurzen Rücken und einem tief angesetzten Hals. Wird sie in der Arbeit zu vermehrter Lastaufnahme auf dem Hinterbein aufgefordert, fällt ihr das Tragen sehr schwer und sie stützt sich auf die Hand. Haben Sie Tipps für mich, wie ich das Training gestalten kann, um die Versammlungsbereitschaft zu fördern, ohne mein Pferd zu überfordern?
Ein in jeder Hinsicht ideal konstruiertes Pferd werden wir niemals finden. Wir müssen uns stattdessen auf die Unvollkommenheit unserer Pferde einstellen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Beim Ausbilden eines mit Exterieurmängeln versehenen Pferdes müssen die Prinzipien der klassischen Reitlehre in konsequenter Weise umgesetzt werden. Mit einem auf dem Niveau der Kl. L sorgfältig ausgebildeten Pferd haben Sie sich eine Basis geschaffen, auf die sich trefflich aufbauen lässt. Ihre Stute wird als L-Pferd auf unterem Niveau versammelt sein, sie beherrscht die Lektionen dieser Klasse – Hinterhandwendung, Kurzkehrtwendung, Außengalopp, einfache Galoppwechsel. Die Herausforderung besteht darin, sich die anschließende Arbeit auf L-Niveau so zu gestalten, dass der Versammlungsgrad allmählich weiter erhöht wird. Ihre Stute muss Freude haben, sich im Trab und Galopp leichtfüßig und kadenziert zu bewegen. Der Bewegungsablauf muss in diesen Grundgangarten geschmeidiger und schwingender werden, während gleichzeitig die Ergiebigkeit der Grundgangart Schritt zunehmen sollte. Der Schritt ist ein wichtiger Indikator dafür, ob Sie die Arbeit im Trab und Galopp richtig gestalten oder ob hier Grundsätzliches falsch gemacht wird. Lässt die Qualität des Schrittes nach, dann können Sie sicher sein, dass Sie in der Trab- und Galopparbeit nicht auf dem richtigen Weg sind.

Treibende Hilfen

Oftmals besteht die Ursache darin, dass Pferde nicht genug an den treibenden Hilfen ihres Reiters sind. Das sensible Eingehen der Pferde auf die treibenden Hilfen des Reiters, ohne dass dieser Sporen und Gerte einsetzt, ist eine wichtige Schlüsselqualifikation. Ihre Stute muss sich mit Ihrer flachen Wade bei gleichzeitig federnden Absätzen treiben lassen. Sollte Ihre Stute allerdings in der versammelnden Arbeit „weglaufen“, so darf nicht versucht werden, sie über den vermehrten Einsatz der Zügelhilfe zu kontrollieren. In diesem Falle ist die Übung „Schenkelweichen“ in ihren verschiedenen Varianten empfehlenswert. Sie werden mehr an Ihr Pferd „herankommen“ und es über das Treiben schlussendlich effektiver versammeln können. Im täglichen Training sollten Sie dem Dehnen Ihrer Stute nach vorwärts-abwärts eine besondere Bedeutung beimessen. Das Dehnen hilft Ihrer Stute, Ihren Körper zu „öffnen“, ist sie doch ein Quadratpferd mit kurzem Rücken, das zudem noch einen tief angesetzten Hals hat. Um den Prozess des Dehnens bei Ihrer Stute zu optimieren, sollten Sie sie im Trab und im Galopp im frischen Arbeitstempo reiten, um das engagierte Durchfußen der Hinterbeine anzuregen. Die Dehnung des Halses sollte daraus mit geöffnetem Ganaschenwinkel mehr nach vorwärts und weniger nach abwärts erfolgen. Ihre Stute darf beim Dehnen nicht zu tief kommen. Bedingt durch ihren Halsansatz käme sie sonst zu sehr auf die Vorhand und würde ihr (natürliches) Gleichgewicht unter dem Sattel verlieren bzw. dieses nicht finden. Durch das vermehrte Dehnen, das mit einem deutlichen Heranschwingen an das Gebiss zu erfolgen hat, wird Ihre Stute in der Rückentätigkeit verbessert. Der Rücken wird allmählich zum Bewegungszentrum, was eine Grundvoraussetzung für die weitergehende versammelnde Arbeit ist. Um Ihrer Stute die versammelnde Arbeit so „schmackhaft“ wie möglich zu gestalten, sollten Sie häufig im Trab leichttraben und im Galopp den leichten Sitz mit einer geringen Form der Entlastung wählen. Das Gesäß bleibt am Sattel bei leicht nach vorn genommenem Oberkörper. Mit Ihren Händen „horchen“ Sie ins Maul Ihres Pferdes „hinein“ ohne dabei rückwärts orientiert zu wirken. In dem Falle würde die Rückentätigkeit Ihrer Stute und die Aktivität ihrer Hinterbeine eingeschränkt bzw. behindert.
Der Gegensatz: Pferde mit sehr langem Rücken tun sich häufig schwer, eine ausdrucksvoll getragene Versammlung zu erreichen. Der tief angesetzte Hals ist nicht förderlich für die Versammlung. Foto: Alois Müller

Häufige Gangartenwechsel

Dem Durchschwingen der Hinterbeine sollten Sie Ihre besondere Aufmerksamkeit widmen. Hilfreich wird für Ihre Stute der häufige Wechsel der Gangarten Trab – Galopp, Galopp – Trab sein. In den Übergängen von einer Grundgangart in die andere sollten Sie sich bemühen, stets die neue Gangart zu beginnen und nicht die vorherige zu beenden. Das gilt in besonderer Weise für den Übergang vom Galopp in den Trab, der im guten Fluss zu erfolgen hat und bei dem stets darauf zu achten ist, dass dieser im guten Vorwärts erfolgt. Der Fluss der Bewegung muss erhalten bleiben, weil dies eine wichtige Voraussetzung zur Anregung der Hinterbeine ist, damit diese aktiv bleiben und vermehrt Last aufnehmen. Ein kontrolliertes Vorwärts ist entscheidend, um die Versammlung zu erarbeiten bzw. den Versammlungsgrad zu erhöhen. Erfolgen diese Übergänge im guten Fluss und ist Ihre Stute dabei sicher vor Ihnen an Ihren treibenden Hilfen, dann sollten Sie einen häufigen Wechsel vom Trab in den Schritt reiten. Sie sollten in den Schritt mit schultervor-artiger Tendenz „hineintraben“ und nach einigen Schritten im Schultervor eine Kurzkehrtwendung reiten. Danach ist mit guter Aktivität aus der Hinterhand heraus erneut anzutraben. Nach einigen Metern im frischen Arbeitstempo sollten Sie überstreichen, um zu überprüfen, ob Sie unabhängig von Ihren Händen zum Sitzen kommen oder ob Sie sich unbewusst am Zügel „festhalten“, um sich im Sattel zu balancieren. Gleichzeitig überprüfen Sie, ob sich Ihre Stute im Bergauf trägt oder sich auf das Gebiss legt und/oder zu tief kommt. Durch ein häufiges Wiederholen dieser Übungsfolge wird die Hinterhand Ihrer Stute – und hier besonders das jeweilige innere Hinterbein – zum Vor- und Untertreten angeregt. Dies ist für das Erhöhen des Versammlungsgrades erforderlich, ohne dass Sie dabei Ihre Stute überfordern.
Besonders bei Pferden mit kurzem Rücken ist das korrekte Dehnen wichtig, so wie es Uta Gräf auf diesem Foto zeigt. Foto: Birte Ostwald, Monsheim; mit frdl. Genehmigung des FNverlages entnommen aus Gräf, Uta/Heidenhof, Friederike: Feines Reiten in der Praxis. Warendorf, 1. Auflage 2014.

Zirkel verkleinern

Gelingt diese Übungsfolge mit guter Geschmeidigkeit, empfehle ich das in den Zirkel Hinein- und Heraustraben bzw. -galoppieren. Sie sollten den Zirkel spiralförmig verkleinern und danach wieder vergrößern und dabei stets an das schultervor-artige Reiten denken. Durch diese Übung werden Sie Ihre Stute auf gebogenen Linien gerade richten, damit sie mit der Hinterhand der Spur ihrer Vorderbeine folgt. Dem Geraderichten ist in dieser Ausbildungsphase Ihr besonderes Augenmerk zu widmen. Nur ein gerade gerichtetes Pferd wird mit seinen Hinterbeinen Last aufnehmen und sich versammeln lassen. Nicht gerade gerichtete Pferde nehmen keine Last auf, weil sie sich der Lastaufnahme entziehen, indem ihre Hinterbeine ins Innere des Zirkels bzw. nach außen ausweichen. Eine vermehrte Lastaufnahme wird dadurch verhindert. Dieses Problem tritt auf gebogenen Linien vermehrt auf. Dennoch empfehle ich diese Übung, weil sich die Pferde auf gebogenen Linien gut gymnastizieren lassen.

Einhändige Zügelführung

Zur Überprüfung, ob Sie mit Ihrer Stute auf dem richtigen Weg sind, sollten Sie die Übungen auf dem Zirkel gelegentlich mit einer Hand ausführen. Sie nehmen beide Zügel in die äußere Hand und legen Ihre innere auf Ihren inneren Oberschenkel. Haben Sie dabei das Gefühl, dass sich Ihre Stute weder auf Ihre Hand stützt, noch zu tief kommt, dann haben Sie mit Ihrer Arbeit die Versammlungsbereitschaft Ihrer Stute verbessert. Denken Sie aber bitte stets daran, dass versammelnde Arbeit Krafttraining für das Pferd ist. Horchen Sie gut in Ihr Pferd hinein, damit Sie erfühlen, wann es ermüdet. Bauen Sie regelmäßig Erholungspausen für Ihr Pferd ein, denn in den Pausen festigt sich das Erlernte. Gestalten Sie das Training abwechslungsreich. Arbeiten Sie nicht jeden Tag an der gleichen „Baustelle“, sondern verlagern Sie das Training auch mal nach draußen ins Gelände, bauen Sie Cavaletti und Bodenricks ein oder gymnastizieren Sie Ihr Pferd an der Longe oder mit Springgymnastik. So erhalten Sie die Motivation und Leistungsbereitschaft.

Fazit

In der Ausbildung ist es wichtig, die Motivation der Pferde zu erhalten bzw. diese im fortschreitenden Trainingsprozess weiter zu steigern. Unsere Pferde müssen Freude an dem haben, was wir Reiter von ihnen verlangen. Das gilt für die weiterführende versammelnde Arbeit in besonderer Weise. So erhalten Sie die Motivation und Leistungsbereitschaft Ihres Pferdes.
FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess Foto: FN-Archiv

Ihre Frage an Christoph Hess

Sie haben ein Ausbildungsproblem und möchten professionellen Rat? Dann schicken Sie uns Ihre Frage an FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess. Schildern Sie Ihre Schwierigkeiten beim Reiten kurz und bündig, die Redaktion wählt die Beiträge für die Veröffentlichung aus. Wenn Sie ein gutes, druckfähiges Foto haben, können Sie dies selbstverständlich mitschicken. Zuschriften bitte per E-Mail an pm-forum@fn-dokr.de.

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