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Sicherheit im Pferdesport: Die passende Ausrüstung

„Umgang mit Köpfchen“

Keine Frage: Der Pferdesport ist für uns alle wohl der schönste Sport, den wir uns vorstellen können. Außer Frage steht allerdings auch, dass Reiten kein gänzlich ungefährlicher Sport ist. Wer klug ist, schützt sich durch passende Ausrüstung. Doch was ist angemessen, was lohnt sich und was ist nur Marketingversprechen? Das PM-Forum hat mit Sportmedizinerin Dr. Julia Schmidt gesprochen, die in Hamburg eine „Sprechstunde für Pferdesportler“ anbietet und weiß, worauf es im sicheren Umgang mit dem Pferd ankommt.

Im Umgang mit Pferden ist ein wacher Kopf ratsam – idealerweise ist dieser durch einen Reithelm geschützt. Fotos (8): Stefan Lafrentz

PM-Forum: Wie schätzen Sie die Sicherheit im Pferdesport generell ein? Besteht im Vergleich zu anderen Sportarten ein erhöhtes Risiko für Unfälle und Verletzungen?

Dr. Julia Schmidt: Ja, schon allein deshalb, weil unser Sportpartner nicht unsere Sprache spricht und ein großes, schnelles Fluchttier ist. Das muss man sich bei aller Liebe und Routine immer wieder vor Augen führen. Fußball oder andere Kontaktsportarten haben natürlich auch ein hohes Verletzungsrisiko, jedoch gibt es weniger wirklich schwere, lebensbedrohliche oder gar tödliche Verletzungen. Reiten liegt im Ranking der gefährlichsten Sportarten schon recht weit vorne.

PM-Forum: Welche Ausrüstung trägt zur Sicherheit bei und wovor kann sie schützen?

Dr. Julia Schmidt: Absolut notwendig und selbstverständlich sollte das Tragen eines Reithelms sein. Ein Reithelm schützt und mindert das Risiko einer schweren Kopfverletzung maßgeblich. Auch das Tragen einer Sicherheits- bzw. Airbagweste ist zu empfehlen und kann die Gefahr von schweren Thorax-und Wirbelsäulenverletzungen minimieren. Nicht zuletzt ist die wichtigste Ausrüstung unser waches Gehirn. Ein vernünftiger, vorausschauender Umgang mit dem Pferd in jeglichen Situa- tionen kann viele Unfälle vermeiden! Und nicht zu vergessen: Auch die eigene Reiterfitness und eine gute Ausbildung tragen maßgeblich zu unserem Schutz im Umgang mit und auf dem Pferd bei.

PM-Forum: Wie schreitet die Entwicklung sicherer Ausrüstungsgegenstände voran?

Dr. Julia Schmidt: Die Weiterentwicklung von Reithelmen in den letzten 30 Jahren hat zu erheblichen Verbesserungen in Bezug auf Sicherheit, Komfort und Stil geführt.

Dr. med. Julia Schmidt ist Sportmedizinerin und bietet im UKE Hamburg eine „Sprechstunde für Pferde- sportler“ an. Foto: privat

Es gibt strengere Sicherheitsstandards mit Normierung, innovative Materialien, die leichter und trotzdem widerstandsfähig sind, wie Polycarbonat, thermoplastischer Kunststoff und fortschrittliche Schaumstoffe, die auch die Schutzeigenschaften der Helme verbessern. Auch Komfort und Aussehen haben sich erheblich gewandelt. Ich erinnere mich noch an meine samtüberzogene Kappe mit Gummikinnriemen, den man immer obendrüber schlug und unter der man wahnsinnig schwitzte. Außerdem gibt es immer mehr Technologien wie zum Beispiel eingebaute Sensoren, die den Träger über die Integrität des Reithelms informieren oder sogar Stürze erkennen können, um im Notfall Hilfe zu rufen. Hier findet Entwicklung kontinuierlich statt. Dabei bedient sich die Industrie auch an Erfahrungen aus anderen Sport- oder Alltagsbereichen wie etwa dem Motorsport und der Arbeitssicherheit. Ich denke zum Beispiel an das MIPS-System (siehe Infokasten) oder im Radsportbereich gibt es bei- spielsweise schon Airbaghelme, bei denen eine elektronische Sturzdetektion als Auslösemechanismus fungiert. Ähnliche Forschungen gibt es beim Auslösemechanismus der Airbagwesten für Reiter.

MIPS (Multi-directional Impact Protection System)

Das MIPS hat seinen Ursprung 2007 im Reithelmbereich und hat inzwischen auch Einzug in den Rad und Skisport genommen. Dieses System reduziert die Rotationskräfte, die bei einem schrägen Aufprall des Kopfes zu erheblichen Verletzungen des Gehirns führen können. Denn bei einem Sturz wirken die Kräfte meist nicht im rechten Winkel auf den Helm, sondern aus verschiedenen Richtungen. Ein Helm mit MIPS-Technologie schützt den Kopf also umfassender als ein Helm ohne das Sicherheitssystem, da er den Aufprall aus unterschiedlichen Kraftrichtungen absorbiert und Kopfverletzungen besser vorbeugt.

PM-Forum: Bleiben wir mal beim vermeintlich Wichtigsten: dem Reithelm. Auf was muss ich beim Kauf achten? Wie muss der Reithelm sitzen?

Dr. Julia Schmidt: Sicherheit, Passform, Komfort, Aussehen. Genauso sollte die Reihenfolge bei der Wahl des Reithelms sein. Außerdem sollte das Produktionsdatum nicht mehr als zwei Jahre zurückliegen. Ich empfehle dabei immer eine fachkundige Beratung im Reitsportartikelgeschäft, da viele Punkte für Laien nur schwer einschätzbar sind. Der Helm darf beispielsweise nach Fixierung durch das Hinterkopf fixiersystem beim Kopfüberhalten nicht abfallen, der 3- bzw. 4-Punkt-Kinnriemen muss ein seitliches Verrutschen des Helmes verhindern. Des Weiteren darf der Helm nirgends drücken, da er sonst gerne zu locker getragen wird, er darf nicht zu schwer sein und sollte Belüftungen für heiße Tage aufweisen.

PM-Forum: Nun gibt es Helme mit einem kleinen Schirm vorne, andere Modelle haben mittlerweile den Schirm fast rundherum. Macht das einen Unterschied?

Dr. Julia Schmidt: Meines Wissens nicht wirklich. Wichtig ist, dass der Schirm flexibel ist und nicht splittern kann. Der breite oder sogar umlaufene Schirm schützt wahrscheinlich bei extremem Wetter besser, sowohl bei starker Sonne wie ein kleiner Sonnenschirm, als auch bei Regen wie ein Regenschirm. Das verbessert die Sicht und könnte dann von Vorteil sein.

Sicherheit, Passform, Komfort, Aussehen. Nach dieser Reihenfolge sollte der Reithelm gewählt werden. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Ob ausgeprägter Schirm am Reithelm oder nicht – sicherheitstechnisch macht dies keinen Unterschied. Wichtig ist, dass der Schirm flexibel ist und nicht splittern kann.

PM-Forum: Welche Sicherheitsstandards gibt es? Auf welche Kennzeichnungen muss ich als Kunde achten?

Dr. Julia Schmidt: Der Helm sollte splittersicher, stoßdämpfend, rutschfest und komfortabel zu tragen sein. Empfehlenswert ist auch, dass er in der Dunkelheit durch Reflektoren gut sichtbar ist. Die aktuell in der EU geltende Norm ist die VG1 01.040 2014-12. Ganz neu veröffentlicht, aber noch nicht eingetragen ist die EN 1384:2023-06. Lange Zeit gab es gar keine aktualisierte Norm, diese schafft nun Abhilfe. Das CE-Kennzeichen muss auf jedem Helm sein. Dieses Verwaltungszeichen besagt, dass das Produkt den geltenden Vorschriften entspricht. Ohne dieses Kennzeichen dürfen Helme im europäischen Wirtschaftsraum nicht verkauft werden, allerdings sind hin und wieder dennoch Produkte ohne Kennzeichnung auf dem Markt zu finden. Auf dem englischen und amerikanischen Markt gibt es wiederum eigene Normen.

PM-Forum:  Gibt es einen Mindestbetrag, den ich für einen guten Reithelm investieren sollte?

Dr. Julia Schmidt: Gute Helme für Erwachsene sind für um die 100 Euro zu bekommen. Die Preisspanne ist aber generell groß. Es sollten beim Kauf die genannten Kriterien beachtet werden und eine Fachberatung ist wirklich immer zu empfehlen.

PM-Forum: Woher weiß ich, dass ein Reithelm ersetzt werden sollte? Generell nach einem bestimmten Zeitraum oder nur in Folge eines Sturzes?

Dr. Julia Schmidt: Nach jedem Sturzereignis, bei dem es einen Anprall mit dem Helm gab, sollte dieser ausgetauscht werden. Ebenso, wenn er sichtbare Schäden wie Dellen oder Risse aufweist. Die Lagerung ist auch wichtig. Extreme Temperaturen können das Material spröde machen. Generell empfiehlt die Deutsche Reiterliche Vereinigung den Helm alle drei bis fünf Jahre auszuwechseln.

PM-Forum: Kinder werden für erste Reitversuche häufig mit Fahrradhelm aufs Pferd gesetzt. Ist das zu empfehlen?

Dr. Julia Schmidt: Nein! Jede Sportart hat ihre individuellen Anforderungen. Ein aerodynamisch geformter Fahrradhelm ist beim Sturz vom Pferd kontraproduktiv. Ein Fahrradhelm ist durch mehr Luftschlitze viel offener gestaltet, somit schützt er beispielsweise nicht vor Ästen beim Geländeritt. Der Reithelm kann auch beim Austreten des Pferdes den Kopf schützen, ein Fahrradhelm hält dem nicht stand.

Ein Fahrradhelm bietet beim Sturz vom Pferd keinen ausreichenden Schutz! Foto: Christiane Slawik

Reiten ist kein ganz ungefährlicher Sport. Auch auf gut ausgebildeten Pferden kann es immer wieder zu brenzligen Situationen kommen.

PM-Forum: Warum tragen Voltigierer eigentlich keinen Helm? Ist das nicht gefährlich?

Dr. Julia Schmidt: Reithelme jeder Art sind für das Voltigieren nicht zweckmäßig. Das Voltigieren ist eher im turnerischen Bereich einzuordnen und die Athleten sind es gewöhnt, sich sportlich vom Pferd abwärtszubewegen. Es ist sogar ein definierter Bestandteil ihrer Sportausübung. Ein Helm kann die Kopfkontrolle stören, besonders bei Kindern, bei denen der Kopf in Relation zum Körper sehr groß ist. Dadurch werden die Koordination und die räumliche Orientierung nega- tiv beeinflusst. Helme behindern beim Voltigieren die Sicht und schränken die Beweglichkeit ein.

Das Voltigieren ist eher im turnerischen Bereich einzuordnen, von einem Reithelm wird hier sogar abgeraten, vielmehr würde er das Balancegefühl stören. Dennoch kann es auch hier zu Stürzen kommen.

PM-Forum: Anderes Produkt – wie sinnvoll sind Sicherheitswesten beim Reiten?

Dr. Julia Schmidt: Sie sind durchaus sinnvoll, denn Sicherheitswesten bieten stoßdämpfend zusätzlichen Schutz einer für Reitsportverletzungen prädestinierten Region: dem Thorax, also Brustkorb, mit Knochen und Weichteilen.

PM-Forum:  Was sind die Hauptfunktionen einer Sicherheitsweste? Wann und warum sollten Reiter sie tragen?

Dr. Julia Schmidt: Sicherheitswesten schützen den Brustkorb, den mitabgedeckten Wirbelsäulenbereich und die inneren Organe zu einem gewissen Maße. Gerade für Kinder und Anfänger sind sie zu empfehlen. Auch in den Disziplinen mit erhöhter Unfallgefahr wie Springreiten senken sie das Verletzungsrisiko. In Vielseitigkeits- und Geländeleistungsprüfungen sind sie sogar von der LPO vorgeschrieben und auch beim Anreiten junger oder Bewegen schwieriger Pferde sind sie meiner Ansicht nach sinnvoll.

PM-Forum: Woher weiß ich, dass ein Reithelm ersetzt werden sollte? Generell nach einem bestimmten Zeitraum oder nur in Folge eines Sturzes?

Dr. Julia Schmidt: Nach jedem Sturzereignis, bei dem es einen Anprall mit dem Helm gab, sollte dieser ausgetauscht werden. Ebenso, wenn er sichtbare Schäden wie Dellen oder Risse aufweist. Die Lagerung ist auch wichtig. Extreme Temperaturen können das Material spröde machen. Generell empfiehlt die Deutsche Reiterliche Vereinigung den Helm alle drei bis fünf Jahre auszuwechseln.

PM-Forum: Schränken Sicherheitswesten nicht die Bewegungsfreiheit ein?

Dr. Julia Schmidt: Sicherlich muss man sich an das Tragen einer Sicherheitsweste etwas gewöhnen. Neben verschiedenen Designs gibt es unterschiedliche Leistungsklassen der Sicherheitswesten von 1 bis 3, die aufsteigend höheren Schutz bieten, aber auch dicker sind. Auch hier gilt eine Norm, die aktuelle ist die EN13158. Empfehlenswert ist natürlich die Leistungsklasse 3, da diese Westen den besten Schutz bieten. Außerdem gibt es noch die Airbagwesten. Im Normalzustand sind diese fast wie eine normale Reitweste. Sie funktionieren ähnlich wie Airbags in Autos. In der Weste ist ein Airbagsystem integriert, das im Falle eines Sturzes oder eines plötzlichen Aufpralls ausgelöst wird. Die Weste enthält Sensoren, die Veränderungen in Geschwindigkeit und Bewegung erkennen oder ist mit dem Sattel verbunden. Wenn sie ein potenziell gefährliches Ereignis erfassen, wird der Airbag innerhalb der Weste aufgeblasen, um den Oberkörper, Nacken und Rücken. des Reiters zu schützen. Die Airbagweste bietet eine dynamische Schutzwirkung, da sie sich erst im Moment des Sturzes aktiviert und einen zusätzlichen Schutz für den empfindlichen Nackenbereich bietet. Manchmal kommt es jedoch zu störenden Fehlauslösungen. Wichtig zu wissen ist: Hat eine Airbagweste einmal ausgelöst, muss die Kartusche ausgetauscht werden. Anschließend kann sie normal weiterverwendet werden. Allerdings haben diese Westen auch ihren Preis. Gute und sichere Modelle sind ab ca. 400 Euro erhältlich.

Gerade im Gelände beim Reiten über feste Hindernisse ist eine Sicherheitsweste zu empfehlen – für Vielseitigkeits- und Geländeprüfungen ist sie gemäß LPO sogar vorgeschrieben. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Sicher unterwegs: Absolut notwendig und selbstverständlich sollte das Tragen eines Reit- helms sein. Auch das Tragen einer Sicherheits- bzw. Airbagweste ist zu empfehlen. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Nur Trend oder wirklich sinnvoll? In Airbagwesten ist, ähnlich wie in Autos, ein System integriert, das im Falle eines Sturzes oder eines plötzlichen Aufpralls ausgelöst wird.

Gar kein so seltener Anblick: Ein Rettungseinsatz auf dem Turnier. Durch das hohe Sturzrisiko wird Reiten als Risikosportart eingestuft.

Nicht immer gehen Stürze glimpflich aus. Insbesondere wenn auch das Pferd stürzt, kann es schnell gefährlich werden.

Rückenprotektoren schützen hauptsächlich den Rücken und die Wirbelsäule. Vorne hingegen sind sie meist wie eine normale Weste aus Stoff. Foto: Christiane Slawik

PM-Forum:  Wo liegt der Unterschied zwischen Sicherheitswesten und Rückenprotektoren?

Dr. Julia Schmidt: Rückenprotektoren konzentrieren sich hauptsächlich auf den Schutz des Rückens und der Wirbelsäule. Sie sind speziell darauf ausgerichtet, bei einem Sturz oder Aufprall Verletzungen der Wirbelsäule zu minimieren. Diese Protektoren sind normalerweise flacher und weniger sperrig als Sicherheitswesten. Sie bestehen aus steiferen Materialien wie Hartplastik oder einer Kombination aus Hartschalen und Schaumstoffpolsterung. Sicherheitswesten schützen hingegen die gesamte Oberkörperregion, Airbagwesten sogar zum Teil auch noch die Halswirbelsäule.

PM-Forum: Was ist bei der Passform von Sicherheitswesten und Rückenprotektoren zu beachten? Besteht ein Sicherheitsrisiko bei falscher oder nicht optimaler Passform?

Dr. Julia Schmidt: Zuerst sollte sich ein Reiter damit einigermaßen wohl fühlen, sonst endet die Schutzausrüstung in der Ecke der Sattelkammer. Dennoch sollten Sicherheitswesten eng anliegen, dabei aber genügend Bewegungsfreiheit zum Reiten im leichten Sitz und in Sprungposition zulassen. Schultern und Arme sollten gut und frei beweglich sein und natürlich dürfen die Westen nicht irgendwo scheuern. Praktisch ist eine Verstellbarkeit je nach Saisonkleidung darunter. Gut ist, wenn man sie im Geschäft eine Weile Probe tragen kann und ein paar typische Reitbewegungen wie zum Beispiel Nachgurten etc. simuliert. Bei schlechter Passform wird die Energie bei einem Sturz nicht optimal verteilt und abgepuffert und somit die Schutzfunktion deutlich reduziert.

PM-Forum:  Welche Verletzungen treten im Reitsport am häufigsten auf?

Dr. Julia Schmidt: Die Verletzungsarten lassen sich grob in drei Bereiche aufteilen: Erstens Verletzung durch Sturz vom oder mit dem Pferd, zweitens Verletzungen im Umgang mit dem Pferd und drittens Verletzung durch Überlastung beim Reiten. Häufig beim Sturz vom Pferd sind Kopfverletzungen, Brustkorb- und Wirbelsäulenverletzungen sowie Extremitäten-Verletzungen, also Verletzungen der Arme und Beine. Verletzungen durch Sturz mit dem Pferd können sogar lebensbedrohlich werden, da im schlimmsten Fall das Pferd auf den Reiter fällt und so ein Überrolltrauma verursacht wird. Das kann wiederum tödliche Verletzungen der inneren Organe und des Kopfes zur Folge haben. Beim Umgang mit dem Pferd kommt es zudem häufig zu Tritt- und Bissverletzungen und auch Quetschtraumata sind nicht selten. Typische Überlastungserscheinungen sind hingegen Rückenbeschwerden und Adduktorenprobleme.

PM-Forum: Wie können Reiter sich selbst auf sicheres Reiten vorbereiten? Können sie, abgesehen vom Tragen passender Ausrüstung, präventiv etwas tun, um Unfälle und Verletzungen zu vermeiden?

Dr. Julia Schmidt: Auf jeden Fall und das ist mir ganz wichtig: Je fitter der Reiter ist, desto besser kann er sich vor schweren Reitverletzungen schützen. Außerdem wird er schneller wieder gesund, wenn mal etwas passiert. Jemand, der sich bei einem Sturz vom Pferd gut abrollen kann, läuft weniger Gefahr, sich etwas zu brechen. Jemand, der eine gute Ausdauer hat, ist reaktionsschnell und kräftig auch in der Gefahrensituation. Jemand, der beweglich und trotzdem rumpfstabil ist, kann auch ein abrupt wegspringendes Pferd sicher sitzen. Davon abgesehen ganz wichtig ist der „Umgang mit Köpfchen“. Das heißt: Eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und des Charakters vom Pferd, wohlwissend, dass auch das bravste Pferd eine unerwartete Reaktion zeigen kann.

Auch im Umgang mit dem Pferd, kommt es zu brenzligen Situationen. Etwa wenn das Pferd steigt. Foto: Sabine Brose/galoppfoto.de

Wer sich mit Ausgleichssport fit hält, kann sich besser vor schweren Reitverletzungen schützen.

PM-Forum: Sie selbst sind Sportmedizinerin und bieten eine „Sprechstunde für Pferdesportler“ an. Wie läuft so eine Sprechstunde ab und was sind die häufigsten Beschwerden, mit denen Patienten zu Ihnen kommen?

Dr. Julia Schmidt: Nach einer allgemeinen und reitspezifischen Anamnese schildern mir die Patienten ihr spezielles Problem. Ich untersuche sie dann meistens umfassend, da die Beschwerden häufig ihre Ursachen im gesamten Bewegungssystem haben können. Anschließend besprechen wir, wie wir nachhaltig eine Besserung der Beschwerden erzielen können. Hier helfen mir meine Physiotherapeuten aus dem Medical Team Reitsport, die die Reiter dann auch nochmal speziell aus physiotherapeutischer Expertise heraus untersuchen. Ganz wichtig ist uns, dass jeder Anleitung zu Eigenübungen erhält, die er gut umsetzen kann. Häufige Beschwerden sind beispielsweise Sturzfolgeerscheinungen bei Frakturen im Wirbelsäulen- und Extremitätenbereich, bei Verletzungen im Umgang mit dem Pferd häufig Prellungen und Zerrungen. Häufige Überlastungserscheinungen gibt es im Rückenbereich in der Region Schulter-Nacken und des unteren Rückens sowie im Bereich der Adduktoren, also der inneren Oberschenkelmuskulatur. Nicht selten kommen aber auch Patienten mit Performanceproblemen: Sie knicken in der Taille ein, können nicht richtig Mitschwingen oder ärgern sich über ein nicht beherrschbares unruhiges Bein. Daher bieten wir auch Kurse als Ergänzungstraining an, die auf den Reitsport abgestimmt sind.

PM-Forum:  Wie kamen Sie dazu, eine solche spezielle Sprechstunde zu eröffnen und wie wird sie angenommen?

Dr. Julia Schmidt: Ich selbst reite seitdem ich drei Jahre alt bin. Mich hat es immer betrübt, dass Reiterfreunde berichteten, dass ihnen Ärzte wegen gewissen Beschwerden vom Reiten abraten. Meine ausgewählte Fachrichtung Orthopädie und Unfallchirurgie mit der Zusatzweiterbildung Sportmedizin war prädestiniert, mich für gesunden und richtig verstandenen Reitsport zu engagieren. Es macht mir total Spaß, meine Leidenschaft mit dem Beruf auf diese Weise verbinden zu können und Reitern zu helfen, diesen wunderbaren Sport nicht aufgeben zu müssen und sogar noch besser darin zu werden. Die Reiter nehmen das Angebot der bundesweit einzigartigen „Spezialsprechstunde für Pferdesportler“ sehr dankend wahr. Sie fühlen sich zum Teil das erste Mal als Reitsportler und mit ihren Beschwerden verstanden und schätzen es, Hilfe von Experten zu erhalten, die „ihre Sprache sprechen“.

PM-Forum: Gibt es etwas, dass Sie noch gerne loswerden oder Pferdesportlern mit auf den Weg geben möchten?

Dr. Julia Schmidt: Wir betreiben einen wunderschönen, einzigartigen Sport im Team mit einem nichtmenschlichen Sportpartner, dem wir uns gut verständlich machen müssen. Wir sollten unseren Pferden helfen, sich möglichst risikoarm zu verhalten und uns selbst auch so fit halten, dass wir in Gefahrensituationen bestmöglich reagieren können. Ich wünsche mir, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen und gemeinsam den Ruf unseres Sports verbessern und dazu gehört eben auch das Tragen der zur Verfügung stehenden Schutzausrüstung sowie ein angemessener und artgerechter Umgang mit dem Pferd und auch mit uns selbst.

Das Interview führte Lisann Lippert.

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