Im Portrait: Preisträger Hans Helmut Sievers aus Tasdorf

Seite an Seite mit Meteor

Hans Helmut Sievers hat ein Leben lang sein Engagement dem Pferdesport gewidmet – nicht im Sattel, sondern als Züchter und Richter. Er hat stets gesagt, was er dachte, und bewertet, was er sah – immer bereit, auch Kritik auszuhalten. Für sein Lebenswerk wurde er nun ausgezeichnet. Ein Besuch beim Meteor-Preis-Gewinner 2015.

Hans Helmut Sievers genießt es, die Stuten und ihre Fohlen auf der Weide zu be­suchen. Auf dem Foto eine Casiro I-Tochter, die ein Stutfohlen von Commissario führt.

Stall Sievers in Tasdorf, einer kleinen Gemeinde am Stadtrand von Neumünster, in der Hofeinfahrt steht Hans Helmut Sievers, weißes Haar, Sakko und kariertes Hemd. Er begrüßt seine Gäste freundlich, zurückhaltend. Pressetermine, Fotografen, Interviewanfragen – der Rummel um seine Person scheint ihm etwas unwirklich. Dabei steht er, der den Pferdesport als Züchter und Richter jahrzehntelang maßgeblich beeinflusst und wichtige Impulse gegeben hat, dieses Jahr im hellen Rampenlicht. Hans Helmut Sievers wurde ausgezeichnet mit dem Meteor-Preis 2015.

Die Skulptur des legendären Holsteiner Springpferdes wird von dem Partner- und Wirtschaftskreis Holsteiner Masters seit 2008 an Persönlichkeiten vergeben, die sich in außergewöhnlicher Weise um den Pferdesport und die -zucht verdient gemacht haben. Der 79-jährige Norddeutsche reiht sich damit ein in eine Riege prominenter Pferdemenschen, zu denen Mäzenin Madeleine Winter-Schulze, der verstorbene Vielseitigkeitsreiter und Olympia-Zweite Herbert Blöcker, Springreiter Peter Luther, Sponsorin Catharina Cramer, Ex-Bundestrainer Herbert Meyer, der verstorbene ehemalige FN-Präsident Dieter Graf Landsberg-Velen und der frühere ARD-Sportkoordinator Hans-Heinrich Isenbart gehören. „Der Meteor-Preis war eine Überraschung – aber wenn man alt wird, kommt man wohl in solch einen Genuss“, bemerkt Hans Helmut Sievers trocken und lächelt. Durch die Brillengläser sieht man ein Blitzen in seinen Augen. Dabei hat ihn weniger sein Alter als sein Fachwissen und Kennerblick, seine klaren Urteile, seine Geradlinigkeit, sein ausgeglichenes Handeln und seine jahrzehntelange Leidenschaft für die Pferde und den Reitsport zum Ehrenträger gemacht. Der Preis werde einen ganz besonderen Platz bekommen, sagt er. „Ich werde ihn hegen und pflegen.“

 

Zweiter vor Winkler

Die Skulptur ist nicht nur eine Auszeichnung, sondern auch eine Erinnerung. Und zwar an die Zeit, in der Sievers ambitioniert im Sattel saß, denn er trat mitunter in Springprüfungen an, in denen auch Fritz Thiedemann und der Diskus-Sohn Meteor am Start waren. So wie 1958 beim Hamburger Derby in Klein Flottbek, wo Sievers im Zukunftspreis hinter Thiedemann und vor Hans Günter Winkler Zweiter wurde.

1954 mit Falco nahm Hans Helmut Sievers an Großen Preisen teil.

An einen anderen Ritt kann er sich noch heute bis ins Detail erinnern: der Große Preis von Neumünster 1953. Er saß als 17-Jähriger auf dem selbstausgebildeten, von seinem Vater gezogenen Falco v. Fabrikant. „Das darf man heute eigentlich gar nicht mehr sagen, aber ich war auf dem Turnier in Neumünster, bin Mittwoch ein bisschen getrabt, Donnerstag ein L-Springen, Samstag ein M-Springen und am Sonntag dann im Großen Preis an den Start gegangen. Beim Einritt bin ich Fritz Thiedemann auf Meteor begegnet, die gerade aus dem Parcours kamen. Thiedemann sagte zu mir: Halt die Ohren steif, Jung’. Dann bin ich reingeritten. Ich kann mich noch an jeden einzelnen Sprung erinnern. Das war richtig hoch. Falco und ich sind zweimal Null geblieben, die Halle tobte.“ Am Ende siegte Thiedemann, Sievers wurde Vierter.

 

Schweinezüchter

Den Hof der Familie Sievers in Tasdorf gibt es seit 1931. Es war ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Ackerbau und einer Schweinezucht. Pferde gehörten schon immer dazu. „Ich musste als Junge mit auf den Acker. Ich saß auf den Pferden, während die Arbeiter die Rüben zogen”, erzählt der Senior. Er begann, nebenbei die Pferde seines Vaters zu trainieren. Mit Kadett, dessen Urgroßmutter ein schleswiger Kaltblut war, siegte er in einer Vielseitigkeitsprüfung der Klasse L. Dreimal konnte er die Landesstandarte in Schleswig-Holstein für sich entscheiden. „Früher sind wir immer auf den Abreiteplatz gegangen, um zu schauen, was Schockemöhle und Thiedemann machen“, erinnert sich Sievers. Er arbeitete sich im Parcours bis zur schweren Klasse hoch, bis er schließlich 1960 als gelernter Landwirt den elterlichen Betrieb übernahm und zeitgleich seine aktive Turnierkarriere beendete. Er führte die Landwirtschaft seines Vaters weiter, war seines Zeichens erfolgreichster Schweinezüchter Schleswig-Holsteins, Gemeindevertreter und vier Jahre lang Bürgermeister in Tasdorf.

Sein persönliches Engagement und Herzblut galt immer dem Pferdesport. Er widmete sich der Zucht und der Richterei und legte im Jahr der Hofübernahme die Richterprüfung ab. Er bewertete 23 Jahre lang Deutschlands beste Nachwuchspferde beim Bundeschampio­nat, zunächst im Springen und in den Reitpferdeprüfungen, später ausschließlich im Parcours und saß bei zahlreichen Turnieren in ganz Norddeutschland am Richtertisch. Bei Stutenprüfungen, Fohlen- und Stutenschauen war er im Einsatz, er wurde in den 70-er Jahren in den Zuchtausschuss des Holsteiner Verbandes berufen und war sechs Jahre lang Vorsitzender der Körkommis­sion. „Die Pferde und die jungen Leute halten mich fit“, sagt er. „Besonders die Richterei hat diesen Kontakt immer erhalten, das hat mir gut getan.“ Hans Helmut Sievers hat bei allem, was er tat, stets auf eine rote Linie geachtet. „Ein Richter braucht Mut und Rückgrat“, betont er. „Und er muss auch Gegenwind aushalten können. Ich habe immer das gerichtet, was ich gesehen habe. Und wenn die Leistung nicht stimmte, gab es die dementsprechende Note, egal was das Pferd vorher schon gewonnen hatte oder wer im Sattel saß. Wenn ich auf dem Abreiteplatz etwas gesehen habe, was ich nicht gut fand, habe ich das dem Reiter gesagt, Prominenz hin oder her. Der ein oder andere kam dann auch später zu mir und sagte, dass ich Recht mit meiner Rüge gehabt hätte. Das hat mich immer wieder bestärkt, in dem was ich tat. Ich habe immer für den Sport und den Reiter entschieden.“ Die Zeit und die Erfahrung habe ihn fortgebildet. „Richter wird man durchs Richten“, betont er. „Man lernt voneinander, von den Kollegen, aber auch von den Reitern. Man muss immer positiv eingestellt sein und darf nicht herumnörgeln. Das Wichtigste ist: loben und das Gute erkennen.“

 

Sievers Zuchtstute Chupalina, eine Tochter des Caretino, ist Vollschwester des internationalen Springpferdes Chupa Chup, mit dem der Brasilianer Bernardo Alves sehr erfolgreich war.

Im Jahr 2000 übergab Hans Helmut Sievers den Hof an seinen Sohn Harm. Mit auf dem Foto der Hengst Quinterus v. Quantum.

Weltmeister Cumano

Nicht nur als Richter auch als Züchter machte sich Hans Helmut Sievers über die Grenzen Schleswig-Holsteins hinaus einen Namen. Die Siever’sche Zucht, die heute in dritter Generation geführt wird, hat mittlerweile über 20 gekörte Hengste hervorgebracht, darunter Fabio II, Sieger der Holsteiner Körung 1985, und die Reservesieger Corlino und Loutano. Über seine Zuchtphilosophie sagt Hans Helmut Sievers: „Das Wichtigste ist eine gute Stute mit herausragenden Grundgangarten. Die Mutterstute ist die Grundlage der Zucht, denn nur mit einem guten Mutterstamm kann man vernünftige Pferde züchten.“ Die Pferde seien im Vergleich zu früher besser geworden, intelligenter und durch das Vollblut edler, sagt er. Allerdings betont er auch: „Heutzutage werden die Guten verkauft und die weniger Guten besamt – da wundert es ja nicht, dass das auf Dauer nicht funktioniert. Außerdem ist durch viele Zuchtversuche der Überblick verloren gegangen, eine Basiszucht ist fast nicht mehr möglich, und wir haben das Problem die Spitze zu bewahren. Die Globalisierung schwingt auch in der Zucht mit, die Welt ist kleiner geworden. Die Belgier und Holländer haben viel Holsteiner Blut im Einsatz und sind erfolgreich damit.“

Den Grundstock seiner Zucht legte Sievers mit der Marlon xx-Tochter Herrada. Sie brachte mit Caletto II die Stute Weisse Dame hervor, die wiederum mit Landgraf I die Mutter des Ausnahmespringpferdes Cumano lieferte. Sievers zog den Schimmelhengst (Züchter: Willi Lührs, Neumünster), einen Sohn des Cassini, auf. Später wurde er unter dem Belgier Jos Lansink Weltmeister (Aachen 2006) und Vize-Europameister (Mannheim 2007), nahm an zwei Olympischen Spielen teil (Athen 2004 und Hongkong 2008) und war 2004 Sieger im Großen Preis von Calgary (Kanada). Mit Capitol I brachte Herrada außerdem Casita hervor. Die Stute war siebenjährig das erfolgreichste Springpferd Deutschlands und für Saudi-Arabien bei Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen in Athen 2004 am Start. Von Capitol I und aus der Herrada stammt ebenfalls Casino. Der in Holstein gekörte Hengst ging für Dänemark im Weltcup und nahm an zwei Europameisterschaften teil. Ein weiteres Erfolgspferd, das auf den Stamm der Herrada zurückgeht, ist Lasita v. Caretino, die in Italien international erfolgreich ist und deren Tochter Pia Nura v. Lancer II zum aktuellen Siever’schen Stutenbestand gehört.

Traumpaare

Fragt man Hans Helmut Sievers nach dem wichtigsten Pferd in seinem Leben, sagt er: „Ich saß ja nur eine sehr kurze Zeit im Sattel – zu kurz, um zu sagen: Das war mein Pferd.“ Allerdings liegt ihm etwas Grundsätzliches am Herzen und dabei muss er an seine Auszeichnung denken. Fritz Thiedemann und Meteor sind für ihn ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass gute Paare zusammenbleiben. Meteor, der früher Moritz hieß, wurde 1950 von Familie Brandt auf einem Turnier in Meldorf gekauft, nachdem Tochter Elke ihn in einem Rekordspringen gesehen hatte. Nach den ersten Erfolgen gab es hohe Kaufgebote aus den USA, die wurden aber abgelehnt. Die Familie einigte sich mit dem Holsteiner Verband. Thiedemann und Meteor konnten zusammenbleiben und gewannen unter anderem zweimal olympisches Mannschaftsgold. „Ich meine, das brauchen wir wieder mehr bei uns, genauso wie bei Peter Luther und Livius oder Hans Günter Winkler und Halla – dass ein großes Pferd einen großen Reiter hat und diese Traumpaare nicht des Geldes wegen auseinander gerissen werden.“

Im Jahr 2000 hat Hans Helmut Sievers den Hof an seinen Sohn Harm übergeben, der Betriebswirtschaftslehre studiert hat, im Sattel auf bis dato 224 Erfolge in Springen der schweren Klasse verweisen kann und selbst auch als Richter bis zur Klasse S tätig ist. Seine fünfzehnjährige Tochter Tomke hat Anfang des Jahres ihr erstes M-Springen gewonnen.

Schwelgen in alten Erinnerungen: Hans Helmut Sievers und seine Fotoalben.

Gruppenbild mit dem neuen Meteor-Preisträger: Peter G. Rathmann (Partner- und Wirtschaftskreis Holsteiner Masters),  Laudator Thomas Voß, Meteor-Preisträger Hans-Helmut Sievers mit der Skulptur von Prof. Hans Kock, Pferdesportverbands-Vor­sitzender Dieter Medow, Innnenminister Stefan Studt, Ex-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und Laudator Claus Ehlers.

60 Pferde stehen auf der Anlage, die kontinuierlich für die Pferdehaltung und Ausbildung umgebaut und mit einer Reithalle, einem Trainings- und einem Springplatz erweitert wurde und Partner in Brasilien, USA, Thailand und Südafrika hat. Das Ackerland ist verpachtet. Rund zehn Fohlen im Jahr gibt es im Stall Sievers, 2015 sind darunter acht selbstgezogene. Hans Helmut Sievers, dessen Frau im letzten Jahr verstarb, lebt in einem Haus am Rande der Anlage mit Blick direkt auf die Weiden mit den Stuten und ihrem Nachwuchs. „Mittlerweile kümmere ich mich um die Arbeiten, die rund um den Betrieb anfallen, setze mich auf den Trecker, pflege die Weiden“, so der Senior. „Im Stall bin ich nicht mehr und auch aus der Zucht halte ich mich größtenteils raus. Aber pferdeverrückt werde ich immer bleiben.“ Als Hans Helmut Sievers sich verabschiedet, verrät er die Devise, die ihn sein Leben lang begleitet hat: Lass die Sonne scheinen, aber lass den Schatten nicht auf andere fallen. Er lächelt.

Laura Becker

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