Die neuen, jungen Mitglieder in der Perspektivgruppe Springen

Talent, Fleiß und Ehrgeiz

Sie reiten sechs bis sieben Pferde am Tag, absolvieren parallel eine Ausbildung und träumen von den ganz großen Erfolgen: Die Perspektivgruppe Springen ist um die vier jungen Mitglieder Celine Schradick (18), Philipp Brodhecker (19), Kendra Claricia Brinkop (20) und Gerrit Nieberg (21) gewachsen. Am DOKR stationiert, soll das Quartett das Rüstzeug für den internationalen Sport erhalten.

Ein klasse Team: (v.l.) Gerit Nieberg, Philipp Brodhecker, Celine Schradick und Kendra Claricia Brinkop mit ihrem Trainer Eberhard Seemann
„Die Bedingungen hier sind phantastisch. Man reitet eine ganze Woche, ohne einen Platz oder eine Halle zweimal zu benutzen. Der Lerneffekt ist dreimal so groß. Von solchen Trainingsmöglichkeiten konnte ich bei uns zu Hause nur träumen.“ Kendra Claricia Brinkop strahlt über das ganze Gesicht. Ihre Kollegin Celine Schradick gerät ebenso ins Schwärmen: „Das muss man sich nur mal vorstellen, wir trainieren mit Otto Becker, Heiner Engemann, Ebi Seemann und Marco Kutscher, besser geht es ja gar nicht.“

Die Beiden sind mit Leib und Seele Mitglieder der Perspektivgruppe Springen und gehören mit Gerrit Nieberg und Philipp Brodhecker zur jungen Warendorfer „Fraktion“ des Förderkaders (siehe Kasten auf Seite 10).

Celine Schradick (18) Das jüngste Perspektivgruppenmitglied gewann das HGW-Nachwuchschampionat, hat gerade das Abitur gemacht und lebt mit der Familie in Ostbevern bei Warendorf.

 

Philipp Brodhecker (19) Er stieß als letzter vor einem halben Jahr zur Perspektivgruppe, zog von Riedstadt (Südhessen) nach Warendorf und begann eine Ausbildung zum Pferdewirt am DOKR.

Bundeswehr-Sportschule

Celine Schradick, die bei ihren Eltern im benachbarten Ostbevern lebt und gerade ihr Abitur gemeistert hat, ist mit 18 Jahren die Jüngste. Vor drei Monaten gewann sie das HGW-Bundesnachwuchschampionat bei den Löwenclassics in Braunschweig und wird im Sommer als Sportsoldatin bei der Bundeswehrsportschule anfangen. Dort ist schon Gerrit Nieberg, Sohn des Olympiareiters Lars Nieberg. Gerrit mochte als Kind eigentlich gar nichts vom Reiten wissen, spielte lieber Fußball, aber als Jugendlicher steckte ihn der Pferdevirus dann doch an. Nach der Schule stand zuerst eine Lehre zum Steuerfachgehilfen auf dem Programm, „um was Ordentliches zu lernen, falls es mit der Reiterei nicht klappt“, erzählt der 21-Jährige.

Nun kann er als Sportsoldat während der kommenden zwei Jahre eine Ausbildung zum Pferdewirt abschließen. Attraktiv ist die Bundeswehr für Celine und Gerrit auch in finanzieller Hinsicht, denn das Soldatengehalt ist deutlich üppiger als eine Lehrlingsvergütung. Bereits bei Europameisterschaften der Junio­ren am Start war Kendra Claricia Brinkop aus Neumünster. In einer Pferdezüchterfamilie groß geworden, hat auch sie den dualen Weg eingeschlagen, allerdings nicht mit einer Bereiterlehre oder an der Bundeswehrsportschule. Sie ist Auszubildende bei der FN, Fachrichtung Büromanagement. Klassischer Pferdewirt wird Philipp Brodhecker, bis vor einem halben Jahr im südhessischen Riedstadt zu Hause. Beim Aachener Salut-Festival machte ihm der Bundestrainer der Junioren und Jungen Reiter, Markus Merschformann, die Perspektivgruppe schmackhaft. „Ich war begeistert, und habe zugesagt. Meine Eltern, auf deren Betrieb ich meine Lehre begonnen hatte, haben mich ziehen lassen, Gottseidank“, erzählt der 19-Jährige. Kendra hat sich hingegen schwer getan, nach Warendorf zu wechseln. „Meine Familie zu verlassen, war ein echter Knackpunkt, aber ich habe es nicht bereut.“ Im Lehrlingsheim auf dem DOKR-Gelände, wo auch Philipp ein Zimmer hat, fühlt sie sich wohl.

Bundesmittel

Sechs bis sieben Pferde reiten die vier Perspektivgruppenmitglieder täglich, alle haben mehrere eigene oder zur Verfügung gestellte Pferde mit nach Warendorf gebracht. Manchmal wird gemeinsam trainiert, aber öfter noch getrennt, weil Schul- und Bürozeiten oder Verpflichtungen bei der Bundeswehr unterschiedliche Freiräume lassen. Ein strammes Pensum, das nicht viel Platz für Freizeitaktivitäten bietet. Kendra sagt: „Wir wollen es nicht anders, und wir wissen, dass wir Leistung bringen müssen.“ Dennoch, da pflichten ihr Celine, Gerrit und Philipp bei, können alle Gruppenmitglieder gut mit einem gewissen Druck umgehen. Der ist natürlich da, denn das DOKR, das die Perspektivkader schwerpunktmäßig aus Bundesmitteln finanziert, schaut genau hin, ob sich die Investitionen lohnen und die jungen Leute auf dem richtigen Weg sind. DOKR-Chef Dr. Dennis Peiler erläutert: „Wir erhalten die Zuschüsse auf Basis unserer Zielvereinbarungen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund. Das große Ziel lautet, Reiter und Pferde für internationale Championate aufzubauen.“

Kendra Claricia Brinkop (20) Sie hat schon EM-Erfahrung, stammt aus einer Holsteiner Pferdezüchterfamilie, wuchs in Neumünster auf und absolviert eine kaufmännische Ausbildung bei der FN.

Gerrit Nieberg (21) Der Sohn von Lars Nieberg ist Sportsoldat bei der Bundeswehr und wird dort seine Ausbildung zum Pferdewirt abschließen. Steuerfachangestellter ist er schon.

Landbeschäler

Die passenden Pferde für die Perspektivgruppe zu finden, ist eine der größten Herausforderungen. Wenngleich alle ordentliche bis gute S-Pferde für Ein- und Zwei-Sterne-Prüfungen mit nach Warendorf gebracht haben, gilt es, den Beritt weiter zu professionalisieren. Die beiden Bundestrainer Otto Becker und Heiner Engemann haben gemeinsam mit Dennis Peiler viele Gespräche mit Landgestüten, privaten Hengsthaltern und Sponsoren geführt, und auch schon schöne Erfolge erzielt. Dr. Astrid von Velsen, Chefin des Haupt- und Landgestüts Marbach, hat der Perspektivgruppe ihren 13-jährigen Hengst Christdorn zur Verfügung gestellt. Gerrit Nieberg reitet ihn nun, hat schon S mit ihm gewonnen. Die Warendorfer Landgestüts-Chefin Susanne Schmitt-Rimkus gab den jetzt siebenjährigen Abke-Sohn A la Carte NRW in die Hände von Kendra Brinkop. Im vergangenen Jahr startete sie mit dem Hengst im Finale des Bundeschampionats, Platz 13. Auch der Holsteiner Verband unterstützt die Perspektivgruppe, ebenso wie private Sponsoren. Dennis Peiler: „Im Idealfall werden uns fünf- bis sechsjährige Pferde angeboten. Die Besitzer sind froh, wenn sie ihr junges Pferd hier in Warendorf gut aufgehoben und ausgebildet wissen.“ Ein Großteil der Kosten wird übernommen. Alles wird sauber vertraglich geregelt, auch für den Fall, dass ein Pferd die Erwartungen doch nicht erfüllt oder der Besitzer den Youngster entgegen seiner ursprünglichen Absicht verkaufen möchte. „Aber wir sind kein Verkaufsstall, dürfen wir nach unseren Statuten auch gar nicht sein“, sagt Peiler.

Modell Vielseitigkeit

Das Modell der Vielseitigkeit stand Pate: Junge engagierte Reiter, die das Zeug für den großen Sport haben, wurden als Perspektivgruppe in Warendorf intensiv gefördert. Das Konzept ging bekanntlich auf. Sandra Auffahrt, Dirk Schrade und Frank Ostholt gewannen Medaillen gewannen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften. Andreas Ostholt, Beecke Kaack und Julia Krajewski ritten oft in die Platzierung der großen Events, und aktuell schickt sich Pia Münker an, in die Fußstapfen der Buschreiter-Asse zu treten. Eine richtige Erfolgsstory.

Eine Perspektivgruppe Springen gibt es ebenfalls seit etlichen Jahren, aber die älteren, schon international erfolgreichen Mitglieder um Patrick Stühlmeyer (25), Denis Nielsen (25) und Katrin Eckermann (24) trainieren alle in ihren Heimatställen. Dr. Dennis Peiler erläutert: „Wir wollten die talentierten jungen Reiter früher fördern, idealerweise schon als Junioren und Junge Reiter, und sie in einer dualen Ausbildung – also Lehre und Reiten – hier in Warendorf auf den Spitzensport vorbereiten.“

Geballte Kompetenz

Dass sprichwörtlich viele Köche den Brei verderben, mag auf manche Bereich des Lebens zutreffen, nicht aber auf die Perspektivgruppe, im Gegenteil: Sie profitiert von der vielseitigen Trainerkompetenz. Eberhard (Ebi) Seemann, zusätzlich Bundestrainer der Children, hat als Warendorfer Heimtrainer des Quartetts die tägliche Arbeit zu leisten. Wenn’s von der Ausschreibung her passt, fährt er mit allen am Wochenende aufs Turnier. Der für die Perspektivgruppen vornehmlich zuständige Bundestrainer ist Heiner Engemann, er kommt zwei bis drei Mal im Monat nach Warendorf, um mit seinen jungen Leuten zu arbeiten und begleitet sie ebenfalls zum Turnier. Zwei bis drei Lehrgänge pro Jahr gibt Marco Kutscher, der sich als Pate der Perspektivgruppe angenommen hat. Und dann schaut auch noch der Leitende Bundestrainer Otto Becker nach dem Rechten.

Dressurunterricht

Einen Profireiter zeichnet aber weit mehr aus als die Topplatzierung. Jeden Montagmittag ist Teambesprechung, bei der das Training und die Turniere geplant und per Videoanalysen die Ritte diskutiert werden. Jedes Gruppenmitglied muss Trainingsprotokolle für jedes Pferd erstellen. „Dann macht man sich viel intensiver über die Effektivität des Trainings Gedanken, als wenn man einfach so reitet“, sagte Celine Schradick. Auch an der dressurmäßigen Grundlage muss gefeilt werden. Hierzu steht einmal pro Woche Unterricht bei Dressurreiterin Carola Koppelmann auf dem Programm, die mit ihren Pferden ebenfalls am DOKR beheimatet ist. Medientraining, Seminare über Trainingsmanagement oder beispielsweise Fütterung für alle Perspektivgruppen, also auch Vielseitigkeit und Dressur, runden das Komplettpaket ab. Celine, Kendra, Gerrit und Philipp haben längst gelernt: Gutes Reiten allein reicht eben nicht.

Susanne Hennig

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