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Rasseporträt: Schwere Warmblüter

Schwer beliebt und schwer in Ordnung

Das Sächsisch-Thüringische Schwere Warmblut, der Alt-Oldenburger, Ostfriese und auch der Alt-Württemberger wirken wie aus dem letzten Jahrhundert der Arbeits- und Wagenpferde. Tatsächlich sind sie heute gefragt wie nie, denn sie entsprechen dem Zeitgeist des Freizeitreitens und -fahrens. Abgesehen davon sind sie erfolgreich im Fahrsport vertreten.

„Lange wurden die Schweren Warmblüter belächelt, jetzt ist es schwierig, einen zu finden“, sagt Ulrike Struck, Zuchtleiterin der Ostfriesen und Alt-Oldenburger. Foto: Christiane Slawik

Schwere Pferde, leicht im Umgang. Synke Bohne aus Stollsdorf zwischen Leipzig und Chemnitz hat sich schon zu DDR-Zeiten in die Schweren Warmblüter verguckt. „Mit ihrem Temperament konnte einfach jeder umgehen“, erinnert sie sich. Als sie ihren Kindheitstraum verwirklichte und mit ihrem Mann Kay Anfang der 1990er Jahre einen Biobauernhof aus dem Nichts aufbaute (und ihn inzwischen erfolgreich seit 28 Jahren führt!), waren von Beginn an Schwere Warmblüter ihre Mitarbeiter. „Die basteln ihre Hufe gut in die schmalen Reihen und passen auf das Gemüse auf“, schwärmt Synke Bohne. Sie liebt die Arbeit mit den Vierbeinern, weil sie „eine große Ruhe ausstrahlen und trotzdem immer gut mitarbeiten.“ Nicht umsonst heißt eine ihrer Stuten „Umsicht“. Die Pferde ziehen die Kartoffellegemaschine im April und bis zum Herbst stehen andere Arbeiten mit den Pferden an. Im Winter, wenn die Felder ruhen, reitet Synke Bohne zum Spaß für alle aus.

So sieht ein ideales Schweres Warmblut aus: Lancelo von Loriot war 2021 Siegerhengst bei der Körung im Rahmen der Moritzburger Hengsttage. Foto: Brit Placzek

468 Schwere Warmblutfohlen wurden 2021 geboren. Das Sächsisch-Thüringische Siegerfohlen ist – wie der Siegerhengst auch – von Loriot. Foto: Brit Placzek

Der Pferdetyp in Zahlen

Sie sind vielseitige Pferde und einfach gut zu gebrauchen: zum Arbeiten, in der Freizeit und natürlich auch im Fahrsport. Von der Optik her sehen sie etwas schwerer aus als das moderne Warmblutpferd. Das Fundament ist kräftiger, das Röhrbein stärker (ca. 23 Zentimeter), das Stockmaß ist mittelgroß, im Durchschnitt zwischen 160 und 165 Zentimetern. Im Jahr 2021 zählt die FN-Zuchtstatistik in Deutschland für die Schweren Warmblüter insgesamt 112 Hengste und 1.300 Stuten sowie 468 Fohlen. Kaltblutpferde gibt es in Deutschland etwa viermal so viele wie Schwere Warmblüter.

Deren größte Population bilden die Sächsisch-Thüringischen Schweren Warmblüter mit 68 Hengsten und 1.036 Stuten sowie 395 Fohlen – damit ist das Zahlenverhältnis ähnlich den „normalen“ Warmblütern in Sachsen/Thüringen (76 Hengste und 1.296 Zuchtstuten). Die Alt-Oldenburger und Ostfriesen vertreten 34 Hengste und 178 Stuten. Die Alt-Württemberger haben sieben eingetragene Hengste und 55 Stuten. Weil das Schwere Warmblut als Kulturgut gilt, kümmern sich – neben den jeweiligen Zuchtverbänden – das Landgestüt Moritzburg (in ununterbrochener Tradition seit 1871) und das Hauptund Landgestüt Marbach (wieder seit den 1990er Jahren) um ihre schweren Rassen. Im Landgestüt Celle sind seit 2013 mehrere Ostfriesen/Alt-Oldenburger Hengste aufgestellt.

Klar im Kopf, gesunde Beine

Mit ihren Alt-Württembergern hatte die Zuchtleiterin des Deutschen Sportpferdes, Dr. Carina Krumbiegel aus Marbach, ihr Schlüsselerlebnis vor einigen Jahren auf der Grünen Woche. Ein zwölfjähriges Mädchen führte eine Altwürttemberger Stute zwischen den ausgestellten Schafen und Kühen durch die Berliner Messehallen. „Die Alt-Württemberger sind genügsame und echte Spaßpferde.“ Für Carina Krumbiegel bilden diese Pferde den Gegensatz zu den modernen Sportpferden, die immer mehr auf einzelne sportliche Disziplinen spezialisiert sind. Dabei wären die Alt-Württemberger fast ausgestorben, hätte sich nicht 1988 ein Verein gegründet, der sich um den Erhalt der Rasse kümmert. Hans Vollmer aus Gerstetten ist der Vorsitzende und fährt mit seinen Pferden Kutsche, gern auch auf Festzügen. Er liebt seine Pferde auch dafür, dass sie so gut wie keine Tierarztkosten verursachen. Und dass er guten Gewissens seine Enkel auf den Pferderücken setzen kann.

Beginn mit Postkutschen

Viel älter als die Alt-Württemberger ist jedoch die Geschichte der Ostfriesen und Alt-Oldenburger. „Als die Postkutschen aufkamen, brauchte man große Pferde, die stark und doch ausdauernd genug sind“, erzählt der Geschäftsführer des Zuchtverbands der Alt-Oldenburger und Ostfriesen, Dr. Peter Allhoff. Ein Blick in die Geschichtsbücher: 1516 richtete Fürst von Thurn und Taxis die erste Post von Wien nach Berlin ein. Von da an waren vermehrt gute Wagenpferde gesucht und die kamen vor allem aus Ostfriesland und Oldenburg. Boden- und Witterungsverhältnisse an der Nordsee begünstigten weniger den Ackerbau, umso mehr die Pferdezucht. Bereits 1715 gab es eine Körordnung für bäuerliche Hengste – denn gezüchtet wurde damals noch privat. Das Wirtschaftspferd der Bauern wurde aus Hengsten verschiedener Rassen gekreuzt, oft veredelt mit spanischem und orientalischem Blut.

Postkutsche: Bis zu 16 Moritzburger Hengste werden bei den Gestütsparaden traditionell vor der Postkutsche präsentiert. Foto: Frank Sorge

Nachfrageanstieg

Als Anfang des 19. Jahrhunderts die Straßen besser und die Kutschen hochwertiger wurden, schlug die Stunde der „noblen Karossiers“. Dafür kamen Englische Vollblüter, Cleveland Bay Hengste und Anglonormannen zum Zuchteinsatz. Im 19. und 20. Jahrhundert waren die mit ihnen veredelten Alt-Oldenburger und Ostfriesen in ganz Deutschland verbreitet und wurden sogar nach Amerika exportiert, weil man dort Zugfähigkeiten und die solide Gesundheit schätzte. Ab 1871 gingen die ersten Oldenburger Hengste in das Zuchtgebiet Sachsen-Thüringen. Mit stetigen Importen entwickelte sich damit eine eigenständige Zucht der Schweren Warmblüter.

Stunde des Automobils

„Sehr vielseitig wurden die Pferde in den 1920er Jahren genutzt“, erzählt Dr. Peter Allhoff: „Für die Kutschfahrt zur Kirche, für Turniere, für die Arbeit auf dem Acker, sogar für Trabrennen.“ Doch der nächste große Bruch in der Zuchtgeschichte stand an: PKW, Straßenbahnen und die Eisenbahn übernahmen immer mehr die Aufgaben des Karossiers. Die Pferde, die noch im Einsatz waren, gingen auf die Äcker oder vor Omnibussen und brauchten mehr Kraft. So ging der Trend zum stärkeren Pferd. „Die Pferde brachten in den 1930er Jahren teils 900 oder gar 1.000 Kilogramm auf die Waage“, erklärt Dr. Peter Allhoff. „Den Typ gibt es aber nicht mehr.“

Pferde mit Geist: Um ein verlässlicher Freizeitpartner zu sein, brauchen Schwere Warmblüter wie jedes Pferd eine solide Grundausbildung. Foto: Sabine Brose/galoppfoto.de

Das Pferd muss bleiben

Die größte Zitterpartie um die Schweren Warmblüter – generell um die Spezies Pferd – galt es, in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren durchzustehen. Das Nutztier hatte ausgedient und die Sport- und Freizeitreiterei steckte noch in den Jugendschuhen. Nach den Zahlen von statista.com hat sich der Pferdebestand von 1950 auf 1960 etwa halbiert (1960: 1,2 Millionen, allerdings Esel mitgezählt) und von 1960 auf 1970 nochmals auf ein Drittel reduziert (1970: 0,4 Millionen Pferde). Auf den dramatischen Rückgang machte eine Veranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle mit Schauprogrammen und prominenten Reitern am 15. März 1963 aufmerksam: „Das Pferd muss bleiben“.

Volle Kraft voraus! In vielen Deutschen Landgestüten wird auch Rasseerhalt rund ums Schwere Warmblut betrieben – und bei den Hengstparaden geben die Tiere auch in ungewöhnlicheren Anspannungsarten eine tolle Figur ab. Foto: Peter Heinzmann/galoppfoto.de

Das Aus in der DDR

Nicht besser sah es im geteilten Deutschland in der damaligen DDR aus. Dr. Matthias Görbert, Moritzburgs Landstallmeister von 1985 (damals noch als Volkseigene Pferdezuchtdirektion Süd) bis 2017, kann sich gut erinnern, als 1973 die Schweren Warmbluthengste abgekört wurden. Ein junger Gestütsangestellter war er damals. „Ich wusste ja wie viele andere, was diese Pferde alles leisten konnten“, trauerte er. In der DDR wurde die Umzüchtung in Richtung Reitpferd das Staatsziel.

Rettung vor dem Messer

Zum Glück blieb manche Stute bei den Mitgliedern der LPG (der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der DDR). „So blieben etwa 400 Stuten erhalten“, erzählt Dr. Görbert. Die Rettung schaffte die damalige Moritzburger Landstallmeisterin, Dr. Hertha Steiner, heute 96 Jahre alt – übrigens die erste Landstallmeisterin in der Geschichte der deutschen Haupt- und Landgestüte. „Ihr verdanken wir den Erhalt der Rasse, denn sie hat sich getraut, die Pferde nicht ans Messer zu liefern, sondern 15 Hengste in Moritzburg als Kremserpferde zu behalten“, erzählt Dr. Görbert. „Später hat man diese Hengste wieder zurück in die Zucht geholt – das hat sich am Ende gelohnt!“

Pferde fürs Königshaus

Die Schweren Warmblüter waren erfolgreich bei den DDR-Meisterschaften im Viererzug. Doch der größte Erfolg für die Moritzburger war, als 1988 das britische Königshaus 14 Rappen für die hauseigene Kavallerie einkaufte. „Das gab den Auftrieb für die Zucht. Dass England Pferde hinter dem Eisernen Vorhang kaufte!“, sagt Dr. Görbert.

Was früher funktioniert hat, funktioniert auch heute noch: Schwere Warmblüter als Arbeitspferde im Wald oder auf dem Feld, wie hier beim Kartoffelsetzen. Foto: Peter Tendler

Die Züchter haben ein Auge darauf, dass die Pferde nicht zu leicht werden – und dennoch einen elastischen Trab sowie einen guten Schritt haben. Foto: Christiane Slawik

Mit Ruhe und Gelassenheit

Heute erleben die einstigen Wagen-, Acker- und Soldatenpferde ihre Renaissance. Schwer sind die Pferde heute vor allem zu bekommen: „Wir könnten mehr verkaufen als wir haben…“, hört man von verschiedenen Züchtern und Zuchtverbänden. Wie bei vielen ursprünglichen Pferderassen besteht die Gratwanderung zwischen Modernität und dem Ursprungstypen. Ulrike Struck, die Zuchtleiterin der Ostfriesen und Alt-Oldenburger, sagt: „Man hat schon ein Auge darauf, dass die Pferde nicht zu leicht werden und dennoch einen elastischen Trab sowie einen guten Schritt haben.“ 2019 untersuchte Hans-Jürgen von Langermann in seiner Bachelorarbeit die Rasseentwicklung. Sein Fazit: „Die Besorgnis, dass der Rassetyp der Schweren Warmbluthengste sich immer mehr zum sportiven Pferd entwickelt, kann nicht bestätigt werden.“ Für seine wissenschaftliche Arbeit untersuchte er die Entwicklung von Widerristhöhe und Röhrbeinstärken der Hengste und Stuten von 1997 bis 2017.

Zuchtziel für die Rasse des Sächsisch-Thüringischen Schweren Warmblutes

Aus dem Zuchtprogramm des Pferdezuchtverbands Sachsen- Thüringen e.V. vom 30.01.2018: „Demnach ist das Sächsisch-Thüringische Schwere Warmblut besonders als Fahrpferd für den Turniersport, als Kutsch- und Wagenpferd für den Freizeitbereich und für Repräsentationszwecke sowie als Reitpferd geeignet. Aber auch in Bereichen des therapeutischen Reitens, Schulsports und Voltigierens findet diese Rasse große Anerkennung aufgrund ihres ausgesprochen guten Temperaments. Geprägt ist es durch kraftvolle Eleganz und Harmonie im Phänotyp, welcher das äußere Erscheinungsbild beschreibt. Ebenso weist das Schwere Warmblut eine aktionsbetonte Trabbewegung, Langlebigkeit, Konstitutionshärte, Leichtfuttrigkeit und einen sehr guten Charakter auf.“

Die anderen Schweren Warmblüter haben ähnlich lautende Zuchtziele. Informationen gibt es bei:

Reiten im Norden

„Für die Alt-Oldenburger und Ostfriesen ist der Schwerpunkt Fahren längst vorbei. Der schwere Warmblüter ist bei uns mehr, sie sind Freizeitreitpferde für den gehobenen Bereich“, beobachtet Dr. Allhoff. Einen Namen als Dressurpferd bis in die oberste S-Klasse machte sich der Hengst Deichgraf in den 2000er Jahren; erst mit der Dressurreiterin Leonie Bramall, später mit Eva-Maria Aufrecht. Der Alt-Oldenburger Deichgraf stammte – wen wundert’s – vom Oldenburger Donnerhall. Deichgraf schaffte es, eine eigene Hengstlinie zu begründen. Dankwart heißt einer seiner Enkel. Er war 2020 Körungssieger.

Fahren im Osten

In Thüringen und Sachsen rollen die Kutschenräder nach wie vor hinter den Schweren Warmblütern. Auch im Turniersport. Im Sportjahr 2021 gab es 14 Schwere Warmblüter, die eine Jahresgewinnsumme von mindestens 500 Euro erreichten, überwiegend in den Fahrsport-Disziplinen. Moritzburg ist seit 2002 Austragungsort des Deutschen Fahrchampionats und des Bundeschampionats des Schweren Warmblüters. Weil sich die Bundeschampionate in Warendorf auf das deutsche Reitpferd und Reitwettbewerbe konzentrieren, bemühten sich die Moritzburger einst um eine eigene Lösung. So wurde das Bundeschampionat für das Schwere Warmblut aus der Taufe gehoben und findet seitdem jährlich auf dem Gelände des Landgestüts statt. Mittlerweile ist es zudem das Bundeschampionat für deutsche Fahrpferde und -ponys – dieses Jahr findet es vom 18. bis 21. August 2022 statt.

Erfolgszucht

Einer der Stars unter den Fahrpferden ist der sächsisch-thüringische Valenzio TSF. 2015 wurde er Bundeschampion, im Jahr 2016 Vize-Bundeschampion der Moritzburger Fahrchampionate sowie Weltmeister der jungen Fahrpferde in Mezöhegyes (Ungarn). Valenzios Züchter ist Gerd Pohlers.

Der Alt-Oldenburger Deichgraf war bis zur obersten S-Klasse erfolgreich und schaffte es, seine eigene Hengstlinie zu begründen. Foto: Volker Dusche

Sportlich! Gerade im Fahrsport sind die Schweren Warmblüter beliebt und auch sehr erfolgreich. Foto: Brit Placzek

Ein erfahrener Pferdemann, er züchtet die Schweren seit 1975 und zwar gezielt für den Fahrsport. Selber Fahrer und Vizemeister bei den letzten DDR-Meisterschaften 1990, legt er größten Wert auf Pferde mit starkem Rücken, starker Hinterhand und guten Nerven. Inzwischen hat er jedes Jahr etwa zwölf Fohlen, zieht sie auf, fährt sie ein und kann die meisten Pferde für etwa 10.000 Euro gut verkaufen.

Aushängeschilder

Eine besondere Geschichte ist die von Valenzio TSF, der auf eine von Pohlers zwei Gründungsstuten zurückgeht. Die Stute Genia ließ Pohlers mit Valerius decken, einer der erfolgreichsten Vererber in Deutschland für Fahrpferde. Valerius war schon fast in Rente, die er bei Pohlers auf den Wiesen genießen durfte. Dass Genia zu dem Zeitpunkt tragend wurde, war ein großer Glücksfall. Für Pohlers von Anfang an ein Ausnahmepferd. Einen Urenkel von Valerius hat Pohlers inzwischen bei sich im Stall. Der Sohn des Veit war 2021 auf der Körung und wurde dort zum YouTube-Star, weil er sich immer wieder zur Körkommission in die Mitte der Bahn stellte. „1,6 Millionen Menschen klickten den Film an“, erzählt Pohlers. So bekam er aus England ein Angebot von 50.000 Euro für den Junghengst. „Aber ich behalte meinen Valegro“, sagt Gerd Pohlers. Bei dem Namen und der Familiengeschichte ruhen auf Valegro schwere Hoffnungen für die Zukunft.

Cornelia Höchstetter

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