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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Dr. Manfred Giensch

Der Arzt, dem alle vertrauen

Dr. Manfred Giensch war fast 20 Jahre lang Mannschaftsarzt des DOKR, hat die Reiter fit gehalten, sich auch um kleine Wehwehchen gekümmert und die medizinische Versorgung auf den Championaten gemanagt. Immer 24/7 für alle erreichbar – bis heute.

Alle Fotos: Jacques Toffi

„Geht’s Ihnen gut?“ Mit dieser Frage direkt bei der Begrüßung bringt Dr. Manfred Giensch gleich auf den Punkt, was ihn auszeichnet. Der Humanmediziner, Chirurg und Unfallchirurg mit schlohweißem Haar und gebräunter Haut kümmert sich um die Menschen um ihn herum, allen voran die deutschen Reiterinnen, Reiter und deren Entourage – Pferdebesitzer, Pfleger, Betreuer…. Für sie ist er rund um die Uhr erreichbar, 24/7, sein Handy ist immer eingeschaltet, bis heute. Obwohl er sein Hauptamt bei der FN nach der WM 2022 in Herning abgegeben hat: Dr. Manfred „Manne“ Giensch begleitete als Mannschaftsarzt die deutschen Pferdesportler zu Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften. Die Weltmeisterschaften in Aachen 2006 waren sein erstes Championat. Bei so einer WM kamen gut und gerne 50 Personen zusammen, um die sich Dr. Giensch gekümmert hat. „Ich habe immer alles dabei, um jemanden fit zu halten.“

Viel erlebt

Er ist stets mitgereist, auch zu den Testevents, hat vor Ort ein Netzwerk zu Ärzten und Kliniken aufgebaut, war ein Arztmanager sozusagen, und hat sich gekümmert, wenn er gebraucht wurde – um kleine Befindlichkeiten und um große. Angefangen bei der Verdauungsproblematik der deutschen Vielseitigkeitstruppe, die bei den Olympischen Spielen in Hongkong 2008 nach einer Stadttour in der Nähe einer Toilette bleiben musste, über den Sturz von Madeleine Winter-Schulze bei der WM in Tryon 2018, weswegen sie vor Ort operiert werden musste, bis hin zu der schweren Kopfverletzung des Pflegers der Familie Rothenberger, die ihm Cosmo bei der Siegerehrung der Olympischen Spiele in Rio 2016 zufügte, weil er stieg und ihm mit dem Vorderhuf am Kopf traf. Das schönste Championat waren die OlympischenSpiele in London 2012, sagt der 81-Jährige – wie so viele andere, die dort waren. „Wir waren Teil des Olympischen Dorfes, 24 Stunden lang mit den Sportlern gemeinsam, das war eine einmalige Atmosphäre.“ Über seine Zeit bei der FN sagt er: „Fantastische 17 Jahre, die viel Spaß gemacht haben.“ Nach wie vor ist er der Arzt des Vertrauens für viele aus der Szene.

Ganz ohne Hochglanz

Das Treffen mit ihm findet im Norden Hamburgs statt: Kein schicker Sportstall, keine blank gewienerten Stallgassen und keine große Reithalle, sondern großzügig angelegte Weideparzellen, entspannte Pferde, die grasen, und einfache Stallgebäude und Offenställe. Was man beim ersten Blick nicht vermuten würde: Hier sind Vielseitigkeitschampionatspferde untergebracht, unter ihnen EM- und DM-Teilnehmer und ein Bundeschampion Vielseitigkeit, Team-Europameister und CCI5*-Dritter. In dem Stall haben Dr. Manfred Giensch und seine Familie neun Pferde eingestellt. Tochter Katinka, „Tinki“, die selbst seinerzeit an den Deutschen Juniorenmeisterschaften Vielseitigkeit teilgenommen hat, und die drei Enkelinnen Jule, Lara und Ella Krüger kümmern sich. Selbstversorger. Auf dem Hof herrscht reges Treiben, die Boxen werden gemistet, Schubkarren mit Stroh und Heu werden aus der einen Scheune  in den Stall gefahren. Pferde werden geputzt, geführt und geritten. „Ich finde diesen Stall hier einfach originell. Es gibt keine Halle und nicht besonders viele Annehmlichkeiten für die Reiter, aber – und das ist das Wichtigste – den Pferden geht es hier so gut. Sie können den ganzen Tag raus“, betont Dr. Manfred Giensch, der seit rund 15 Jahren nicht mehr selbst in den Sattel steigt.

Familienbande: Dr. Manfred Giensch mit Tochter Katinka, rechts von ihm, sowie den Enkelinnen Jule, Ella und Lara (v.l.n.r.)

Packt mit an, wo es geht: Am Stall sind Dr. Manfred Giensch und seine Familie Selbstversorger.

Enkelinnen im Fokus

Der Senior sitzt standesgemäß auf einem zusammenklappbaren Turnierstuhl etwas abseits und beobachtet seine Enkelinnen. An seiner Seite ist die Australian Shepherd-Hündin Nala. Hunde waren schon immer seine Leidenschaft, sagt er. „Die Mädchen sind toll, sie lachen immer und sind fröhlich. Sie sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Tinki macht das perfekt. Ich habe da nichts zu sagen.“ Die „Mädchen“ kümmern sich nicht nur vorbildlich um die Pferde, sondern reiten auch sehr erfolgreich. Jule Krüger war Deutsche Ponymeisterin, gewann die Goldene Schärpe und beim Preis der Besten. Lara Krüger war Hamburger Jugendmeisterin, Ella wurde Dritte beim Bundesnachwuchschampionat und gewann Silber beim Preis der Besten. Alle drei sind mittlerweile auf Zwei- und Drei-Sterne-Niveau unterwegs. Dr. Manfred Giensch unterstützt, wo er kann, finanziell und vor allem auch mental. Auf die Frage, ob er Angst hat, wenn seine Enkelinnen reiten, sagt er sofort und ohne zu zögern: „Ja!!!“ Aber das Zuschauen lässt er trotzdem nicht. Es sei ein Zwang, dabei zu sein, sagt er. „Nicht nur, weil ich dann helfen kann, wenn etwas ist. Es ist ja auch sehr spannend und es macht so viel Freude, die Entwicklungen meiner Enkelinnen und ihre Leistungen zu begleiten.“

Ärzte im Reitsport

Dr. Manfred Gienschs Herz schlägt schon immer vornehmlich für die Vielseitigkeit, deshalb gründete er auch 2008 zusammen mit dem Club Deutscher Vielseitigkeitsreiter die Initiative „Ärzte im Reitsport“, die Fortbildungskurse für Ärzte im Reitsport organisiert, um sie auf die speziellen Anforderungen als Notarzt am Geländetag einer Vielseitigkeit vorzubereiten. Von 2010 bis 2014 war er außerdem Mitglied im Medical Committee der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) und er hat einen „FN-Lehrfilm zur medizinischen Versorgung auf Reitsportveranstaltungen“ mit dem CDV und der Notarztbörse von Dr. Kröncke gedreht. 2016 wurde er gemeinsam mit vier Kollegen mit dem PM-Award für die „Ärzte im Reitsport“ geehrt, 2022 bekam er von der FN für seine Verdienste das Reiterkreuz in Gold.

Unfälle und Entwicklungen

Als sich Andreas Dibowski 2006 bei einem Sturz einen Schlüsselbeinbruch zuzog, wäre er eigentlich drei Monate lang ausgefallen. Aber Dr. Manfred Giensch hat eine maßgeschneiderte Weste aus Neopren konzipiert, die die operativ versorgte Schulter ruhigstellt und den Arm in seiner Bewegung begrenzt, so dass Dibo nach drei Wochen wieder in den Sattel steigen konnte. Aus der „Dibo-Weste“ ist mittlerweile die „Reit-Weste“ geworden und diese war schon bei diversen Reiterinnen und Reitern im Einsatz, unter anderem bei Meredith Michaels-Beerbaum und Ingrid Klimke. Dr. Giensch war damals auch vor Ort, als Benjamin Winter in Luhmühlen tödlich verunglückte. „Wir sind endlich alle wach geworden“, sagt er über diesen furchtbaren Tag in der Heide. „Und es ist so viel passiert seitdem. Es gibt einen Sicherheitsmoment an jedem Sprung, der Aufbau ist verbessert worden, wir haben ein anderes Qualifikationssystem und alle Beteiligten, wirklich alle, machen sich Gedanken. Wir haben seither viel weniger Unfälle. Eine Task Force wurde eingerichtet. Das ist ein riesiges Paket, das nach wie vor läuft.“ Der Unfall war 2014. Seitdem unterstützt Dr. Manfred Giensch mit seiner Expertise das Luhmühlener Team im Bereich der Pressearbeit.

Dr. Manfred „Manne“ Giensch mit Australian Shepherd-Hündin Nala.

Dr. Manfred Giensch ist der Arzt, dem die Reiter vertrauen.

Hier wohnen Top-Sportpferde wie Butts Avedon: Kein schicker Sportstall, nicht besonders viele Annehmlichkeiten für die Reiter, aber den Pferden geht es gut und sie können den ganzen Tag raus.

Hamburg, meine Perle

Der 81-Jährige ist Ur-Hamburger. Er ist 1942 in Harburg geboren, mit einer Schwester und einem Bruder aufgewachsen, der auch Arzt geworden ist und in Bayern lebt. Dr. Manfred Giensch hat Medizin und Sportmedizin in Hamburg und Innsbruck studiert, promovierte in der Klinik für Innere Medizin des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Harburg und absolvierte die Ausbildung zum Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie am Allgemeinen Krankenhaus Harburg und an der Endoklinik Hamburg. 1978 macht er sich in Hamburg-Harburg mit einer chirurgischen Praxis selbständig, kümmerte sich als Unfallchirurg um gebrochene Arme und Beine, um Arbeits-, Schul-, und Sportunfälle. Gleichzeitig wurde er Mitglied der Deutschen Gesellschaften für Coloproktologie, Chirurgie und Viszeralchirurgie sowie im Berufsverband der Coloproktologen. Mitte der 1990er Jahre war er dann Mitbegründer des Berufsverbands der niedergelassenen Chirurgen und von 2000 bis Ende 2002 dessen Vorsitzender. 2005 zog Dr. Giensch mit seiner Praxis in das nach seinen Ideen entwickelte Gesundheitszentrum in Harburg um, in der viele Fachrichtungen unter einem Dach eng zusammenarbeiten, und baute das medizinische Angebot unter dem Namen „Chirurgie Süderelbe“ als Gemeinschaftspraxis aus.

Ein Leben lang

Er war 50 Jahre lang mit seiner Kindergartenfreundin Gabi verheiratet. 2018 starb seine Frau an den Folgen eines Schlaganfalls. Mittlerweile hat sein Sohn Florian, das älteste seiner drei Kinder, seine Praxis übernommen. Wenn dort Not am Mann ist, hilft Dr. Manfred Giensch weiterhin aus. Und er arbeitet nach wie vor beim kassenärztlichen Notdienst Hamburg. „Das hält mich auf dem aktuellen Stand der Medizin. Ich möchte nicht, dass ich als Arzt etwas gefragt werde und keine Antwort mehr geben kann.“

Sportlich erfolgreich

Dr. Gienschs Tochter Annabell spielte Hockey auf Bundesebene, sie war über 50-mal für Deutschland im Einsatz, und sein jüngster Enkel ist Nationaltorwart U18. Dr. Manfred Giensch selbst hat mit neun Jahren im Harburger Reitverein das Reiten gelernt. „Wir hatten damals keine Reithalle und mussten immer nach Jork ins alte Land fahren, dort gab es die einzige Reithalle südlich der Elbe.“ Von Anfang an konzentrierte sich Dr. Giensch auf die Disziplin Vielseitigkeit. Mit 14 Jahren bekam er sein erstes eigenes Pferd: eine Stute v. Wanderfalke, Wallussa, Spitzname „Flamme“. Mit ihr ritt er Ende der 1950er und in den 1960er-Jahren im Kader. Auch 1964, im Jahr der Olympischen Spiele in Tokio, gehörte er dem Kader an und schlug Fritz Ligges mit Donkosak in der Vorbereitung, erzählt er nicht ohne Stolz. Ligges gewann schließlich in Tokio Team- und Einzelbronze.

Nachdem Dr. Manfred Giensch sein Abitur gemacht hatte, musste er sich irgendwann entscheiden: profimäßig reiten oder Medizin studieren – er entschied sich für Letzteres. Aber er ritt Studententurniere und wurde im ersten Jahr seines Studiums 1962 Deutscher Hochschulmeister im Springen, zwei Jahre später holte er sich den Titel in der Dressur. „Ich war damals viel unterwegs und habe enge Verbindungen nach Warendorf aufgebaut.“

Foto aus alten Tagen im Reitverein: September 1981. Foto: privat

In den 1950er und 1960er Jahren ritt Dr. Manfred Giensch selbst erfolgreich Vielseitigkeit. Foto: privat/Melita Huck

Kontakte und ein Kauf

Später veranstaltete er im Harburger Reitverein große Springturniere, zu denen Persönlichkeiten wie Paul Schockemöhle, Dr. Michael Rüping, Achaz von Buchwaldt und Peter Teeuwen anreisten. Auch die jüngste Tochter Katinka wuchs im Harburger Reitverein auf. Mit zur Runde gehörte damals der ehemalige Bundestrainer Hans Melzer. „Wir sind Freunde geworden.“ Katinka trainierte mit ihrem Pony bei ihm, verbrachte ihre Ferien in der Lüneburger Heide und ging über Melzer in eine Schule in England. Im Harburger Reitverein lernte Dr. Manfred Giensch auch Andreas Dibowski kennen, der dort bei Uwe Wiechmann seine Pferdewirtlehre absolvierte. Mit Dibowski verbindet ihn das Herz für die Vielseitigkeit und eine Freundschaft. 2008 kauften die beiden gemeinsam Butts Avedon, einen Wallach v. Heraldik xx-Kronenkranich xx, das letzte Pferd, das noch von Friedrich Butt gezogen wurde.

Besondere Pferde

Unter „Dibo“ wurde Avedon noch im Jahr des Kaufs Bundeschampion, zwei Jahre später gewann er Silber bei der WM der jungen Vielseitigkeitspferde. 2012 belegte er Rang drei beim CCI4* (heute CCI5*-L) in Luhmühlen. 2013 holten die beiden Teamgold bei der EM in Malmö. 2019 verabschiedete Andreas Dibowski den Rappen aus dem Sport, nachdem er nochmal siegreich beim CCI4*-S in Strzegom gewesen war und Achter beim CCI5*-L in Pau wurde. Damals sagte sein Reiter: „Es gibt Pferde, an denen man sich erfreut. Die man verwöhnt, die man liebt. Es gibt Pferde, die sind Partner. Mit ihnen gewinnt man, mit ihnen verliert man. Und es gibt Pferde, mit denen ist alles anders. Mit ihnen ist alles besonders. Es gibt Avedon.“ Das kann Dr. Manfred Giensch bestimmt genauso unterschreiben. Wallussa war wohl das Pferd seines Lebens als Reiter, Butts Avedon ist es für ihn als Pferdebesitzer. So war auch klar, dass Avedon nach seinem Abschied von Dibowskis zu Familie Giensch umzieht. Seitdem genießt der mittlerweile 20-jährige Wallach die Wiese und Fürsorge der Mädchen und ist ihnen außerdem ein guter Lehrmeis- ter: Mit Lara war er bis CCI 3*-L erfolgreich unterwegs und mit Ella hat er Zwei-Sterne-Prüfungen absolviert. Dr. Manfred Giensch streicht dem Rappen über den Hals. Er lächelt, wenn er über seine Enkelinnen und wenn er über Avedon spricht. „Pferde bedeuten Entspannung für mich. Sie sind Verpflichtung, eine Aufgabe und letztendlich Freude. Ich bewundere die Psyche der Pferde, alles, was sie freiwillig machen. Sie haben so viel Kopf. Wie oft sie ihren Reitern mithelfen… bewundernswert.“

Laura Becker

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