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Gesundheit kompakt: Muskeln

Interview zum Buch „Pferdemuskeln managen“

„Muskeln sind Möglichmacher“

Sie treten bei fast jedem Pferd hin und wieder auf, sind aber zum Glück meist nur vorübergehend: Muskelprobleme. Das PM-Forum hat mit FNverlags-Autorin Kirsten Guthöhrlein über die Bedeutung der Muskulatur beim Pferd gesprochen und dabei auch einen Blick auf ihr neues Buch geworfen.

Pferde brauchen Muskeln zur Bewegung. Sie sorgen unter anderem für die Energieverteilung innerhalb des Körpers. Foto: Christiane Slawik

PM-Forum: Sie haben sich in den letzten Jahren viel mit der Muskulatur beim Pferd auseinandergesetzt und nun sogar ein Buch darüber geschrieben. Klären Sie uns auf, welche Bedeutung kommt den Pferdemuskeln zu – beim Reiten, aber auch generell?

Kirsten Guthöhrlein: Zunächst ganz plump vorweg: Ohne Muskulatur, kein Pferd. Wenn wir uns verdeutlichen, dass etwa 40 bis 45 Prozent der Gesamtmasse des Pferdes aus Muskulatur besteht, wird klar, warum wir viel mehr über ihre Funktionsweise und das Muskeltraining wissen sollten. Das Pferd braucht die Muskeln für die Bewegung – das leuchtet den meisten ein. Aber Muskeln sorgen ebenso für die Energieverteilung innerhalb des Körpers, den Transport von Nährstoffen zu den Geweben und Organen und den Sauerstofftransport. Jeder Muskel des Körpers ist über das Nervensystem mit Gehirn und Rückenmark verbunden, die alles im Körper regeln und koordinieren. Darüber hinaus fungieren Muskeln als biochemische Signalstoffproduzenten und beeinflussen den Gesamtverlauf jeder Erkrankung, den Entzündungsstatus und die Immunfunktionen des Körpers. Deshalb sind Muskeln auch die Basis für die Gesundheit unserer Pferde und haben eine zentrale Bedeutung beim Gesundheitsmanagement. Wir Reiter haben einen großen Einfluss auf dieses Bewegungsorgan. Die Muskulatur bewegt nicht nur das Pferd, sondern auch uns. Kräftige Pferdemuskeln kommen uns daher indirekt zugute. Muskelprobleme des Pferdes bedeuten immer auch Probleme beim Reiten und sie wirken sich negativ auf den Ausbildungsfortschritt aus. Ein systematisches Muskeltraining auf Basis der Skala der Ausbildung hilft dem Pferd, auf der körperlichen Ebene die Reiterhilfen zunehmend besser zu verstehen und die Kommunikation mit dem Reiter stetig zu verfeinern. Denn Muskeln empfangen die Signale der Hilfen und setzen sie in Bewegung um. Eine funktionale Muskulatur ermöglicht es dem Pferd, sich den Anforderungen des Gerittenwerdens anzupassen. Sie sorgt für Gleichgewicht, Stabilität und Reaktionsfähigkeit und somit für eine zunehmende Selbsthaltung und (Fein-) Koordination des Pferdes. Das Verletzungsrisiko verringert sich, Kondition und Kommunikation mit dem Reiter verbessern sich. Ganz egal in welcher Disziplin oder Reitweise: Muskeln sind die Möglichmacher, die Überträger der reiterlichen Kommunikation.

PM-Forum: Unterscheidet sich Muskulatur rassebedingt oder lässt sich sagen, dass sie vom Grundprinzip her bei jedem Pferd gleich ist?

Kirsten Guthöhrlein: Vereinfacht gesagt: Der grundlegende Aufbau der Muskulatur ist bei allen Pferden gleich, aber die Anteile der verschiedenen Bauelemente unterscheiden sich. Die Verteilung der sogenannten Muskelfasertypen ist zwar genetisch vorgegeben. Welche Fasern in bestimmten Muskeln anteilig überwiegen, wird aber durch die Funktion des Muskels und die Art und Weise seiner Beanspruchung beeinflusst. Aus der Forschung wissen wir, dass Top-Athleten in Ausdauersportarten einen hohen Anteil an langsamen Muskelfasern haben. Es gibt – verkürzt dargestellt – rote, langsame, ausdauernde Fasern und weiße, schnellzuckende Fasern, die weniger ausdauernd arbeiten können. Die verschiedenen Fasertypen unterscheiden sich unter anderem in der Kontraktionsgeschwindigkeit, der Kraftentwicklung, im Ermüdungswiderstand oder der Art des Energiestoffwechsels. Diese Fasern sind gut trainierbar, aber es gibt natürlich auch Grenzen. Dazu ein Beispiel: Die Muskeln eines Kaltblüters, ganz abgesehen vom Exterieur, werden auch bei bestem Training nicht an die Rennleistung eines Vollblüters heranreichen. Es geht also beim Muskeltraining immer darum, das jeweilige Pferd rassebedingt zu betrachten, seine Möglichkeiten, Entwicklungsfelder, aber auch Grenzen zu erkennen, zu fördern bzw. zu berücksichtigen.

40 bis 45 Prozent der Gesamtmasse des Pferdes besteht aus Muskulatur. Illustration: Jeanne Kloepfer, mit freundlicher Genehmigung entnommen aus „Biomechanik und Physiotherapie für Pferde“, FNverlag

Luke, das Pferd von Tochter Anna-Lisa, ist der Grund, warum das Buch entstanden ist. Das Dressurpferd leidet an PSSM-2. Foto: Sabrina Doll

PM-Forum: Gibt es etwas, das ich als Reiter beim Training mit Blick auf die Muskulatur beachten sollte?

Kirsten Guthöhrlein: Was jeder Reiter wissen sollte, und das ist bei allen Pferden gleich: In den Muskelfasern, die gerade nicht angespannt sind, findet der Stoffwechsel statt. Muskeln, die rhythmisch an- und abspannen, können deshalb über eine längere Zeit gut arbeiten. Genau das ist der Grund, warum wir in jedem Training für ein ausgewogenes Verhältnis von An- und Abspannung sorgen müssen. Ein Beispiel: Arbeitet die Muskulatur über einen zu langen Zeitraum unter gleichbleibender Spannung, wird der Muskel nicht mehr ausreichend durchblutet und somit nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Die Vorgänge dahinter sind noch etwas komplexer, aber ein Reiter, der sich mit ihnen beschäftigt und sie versteht, kann die Muskulatur seines Pferdes gezielter, effektiver und ausgewogener trainieren und das kommt der gesamten Gesunderhaltung des Vierbeiners zugute.

PM-Forum: Wie merke ich, dass mein Pferd muskuläre Probleme hat?

Kirsten Guthöhrlein: Ein Pferd mit ausgeprägten Muskelschmerzen zeigt sich meist berührungsempfindlich, will sich unter Umständen weder frei noch unter dem Sattel bewegen. Leichte muskuläre Verspannungen können wir durch steife Bewegungsabläufe erkennen. Den Pferden fällt es in der Aufwärmphase schwer, zur Losgelassenheit zu finden. Es kann zu Taktunreinheiten kommen. Auch diffuse oder wechselnde Lahmheiten können muskuläre Ursachen haben, sollten aber unbedingt tierärztlich abgeklärt werden, um andere Lahmheitsursachen auszuschließen. Auch eine grundsätzliche Sensibilität gegenüber bestimmten muskulären Punkten kann uns wichtige Hinweise liefern. Bereits beim bewussten, konzentrierten Putzen können wir jeden Tag die Muskulatur vorsichtig abtasten, aufkommende Verspannungen oder Verhärtungen erkennen. Erkennen wir schmerzhafte Punkte, sollte die Trainingsintensität reduziert und das Verhältnis von Belastung und Regenerationsphase kritisch geprüft werden. Ebenso sollte der Reiter überdenken, ob die verschiedenen Muskelgruppen im Verlauf der Trainingswoche ausgewogen belastet werden. Wer nach Anpassungen keine Verbesserung der Probleme bemerkt, sollte auf jeden Fall einen Experten hinzuziehen, sei es den Trainer, einen Physiotherapeuten, Osteopathen oder Tierarzt.

Gleich und doch anders: Auch genetische Faktoren beeinflussen die Verteilung von Muskelfasern – sie lassen sich zwar trainieren, doch es gibt Grenzen. Aus einem Kaltblut wird niemals ein Rennpferd werden. Foto: Christiane Slawik

Die richtige Balance zwischen An- und Abspannen der Muskulatur ist wichtig im täglichen Training, das Zügel-ausder- Hand-kauen-lassen bis zur Schnalle ein mögliches Element zur kurzzeitigen Überprüfung der maximalen Dehnungsbereitschaft. Foto: Ulrike Sahm-Lütteken

PM-Forum: Wie häufig treten denn muskuläre Probleme bei Pferden überhaupt auf?

Kirsten Guthöhrlein: Als Lauftier ist das Pferd besonders empfindlich für Muskelprobleme. Insofern kann man sagen, Muskelprobleme kommen zwar häufig vor, sind aber meist nur temporär. Zeigt das Pferd im Training Widerstände und Verhaltensveränderungen, sollte uns das als Reiter immer aufhorchen lassen! Wenn wir Anzeichen frühzeitig beachten, müssen sich daraus keine überdauernden Muskelprobleme entwickeln.

PM-Forum: Was kann ich tun, wenn mein Pferd muskuläre Probleme hat? Wie lassen sich Pferdemuskeln managen? Was dürfen Reiter sich darunter vorstellen?

Kirsten Guthöhrlein: Allgemein lässt sich sagen, dass sich Muskelprobleme in erster Linie durch ein Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit entwickeln. Hier können wir ansetzen: Wir müssen die Trainingsintensität und den gesamten Trainingsplan bis hin zur täglichen Trainingseinheit in den Blick nehmen. Reiter sollten ihren Trainingsplan langfristig ausrichten. 

Augen auf beim Kraftfutter! Pferde mit Muskelerkrankung PSSM sollten zucker-, stärke- und fruktanreduziert ernährt werden. Foto: privat

Wer sein Training plant und die Umsetzung reflektiert, kann die passende Trainingsbelastung für sein Pferd finden. Der Ansatz sollte immer präventiv sein. Im Prinzip ist das der Kern meines Buchs: Sensibilisieren – Erkennen – Verstehen – Reagieren. Das Buch soll handlungsfähig machen, um Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Dass es beim Training mal nicht so rund läuft, ist normal, aber wir dürfen normale Entwicklungsstörungen, also kleine Hindernisse oder Problemchen nicht zu massiven gesundheitlichen Problemen werden lassen. Das gelingt, wenn wir beispielsweise die Anzeichen für muskuläre Verspannungen erkennen und Lösungsansätze haben. Natürlich gibt es auch ausgeprägte Problemlagen, wenn sich verschiedene ungünstige Faktoren überschneiden und Verletzungen, Krankheiten, ein Unfall oder Alterungsprozesse hinzukommen. Das sind komplexere Herausforderungen, die wir nicht „wegmanagen“ können, da braucht es vor allem Zeit und Geduld für Heilungsprozesse. Pferdemuskeln managen bedeutet für mich grundsätzlich, Training, Fütterung und Haltung und die konkreten Anforderungen bedarfsorientiert und pferdegerecht zu optimieren. Lassen wir einen dieser Faktoren außer Acht, hat dies direkt Auswirkungen auf die anderen Bereiche und den Gesamtorganismus.

PM-Forum: Sie haben Ihr Buch bereits angesprochen – in diesem geht es auch auch um Muskelerkrankungen wie PSSM. Was ist das überhaupt? Wie äußert sich die Krankheit und was lässt sich dagegen tun?

Kirsten Guthöhrlein: PSSM steht für Polysaccharid- Speicher-Myopathie und als Oberbegriff für verschiedene Formen genetisch bedingter Muskelstoffwechselstörungen. Dabei ist der Zuckerstoffwechsel gestört, Polysaccharide, also Zuckermoleküle, lagern sich in den Muskelzellen ein und das Pferd kann sie nicht abbauen. Die Symptome können vielfältig sein, sind oft nicht eindeutig und unterscheiden sich auch je nach PSSM-Untertyp. Eigentlich kann alles, was auf muskuläre Probleme hindeutet, auch auf PSSM hindeuten – muss es natürlich aber nicht. Zu den genauen Zusammenhängen von Erbfaktoren und Symptomen bzw. Krankheitsbildern wird aktuell noch viel geforscht. Klar ist schon, dass veränderte Gene nur eine Veranlagung aufzeigen, jedoch nicht zwangsläufig auch zu einem Krankheitsbild führen müssen. Eine angepasste Fütterung, Haltung und angepasstes Training können dazu beitragen, Symptome zu lindern oder gar nicht erst entstehen zu lassen.

PM-Forum: Wie kam die Idee für das Buch zustande?

Kirsten Guthöhrlein: Eines unserer Pferde ist von Muskelproblemen betroffen gewesen und hat – wie wir mittlerweile wissen – die Muskelerkrankung PSSM-2 (teilweise auch als MIM = Muskel-Integritäts- Myopathie bezeichnet). Der Weg zur Diagnose, aber auch die Beschäftigung mit Lösungen für seine Probleme hat in den letzten Jahren in meinem Alltag sehr viel Raum eingenommen. Meine Tochter war mit Luke, so heißt unser jetzt 14-jähriger Wallach, im Dressursport bis Klasse M** erfolgreich unterwegs. Das Trainingsmanagement für Luke war immer schon aufwendiger. Uns fiel auf, dass er extrem sensibel auf Trainingsreize reagierte. Und obwohl wir sehr darauf geachtet haben, verschiedenen Muskelgruppen im Wochenplan ausgewogen anzusprechen, zeigte er Anzeichen von Muskelschmerzen, fehlenden Vorwärtsdrang und sogar belastungsunabhängige Kreuzverschläge. Zudem brauchte er eine sehr ausgedehnte Aufwärmphase. Insgesamt fehlte bei ihm eine natürliche Freude an der Bewegung. Heute wissen wir: Luke hat eine ausgeprägte PSSM-2-Erkrankung und trägt genetische Risikogene. Er wurde in mehreren Kliniken und von verschiedenen Tierärzten sehr umfassend untersucht, um andere Ursachen auszuschließen. Bei Luke zeigt sich überdeutlich: Gutes Reiten und Trainieren ist absolut unerlässlich, aber das allein reicht nicht immer. Vieles haben wir über die Jahre durch Erfahrungslernen angepasst. Durch die PSSM-2-Diagnose konnten wir weitere Fütterungs- und Trainingsanpassungen durchführen, so dass Luke gesundheitlich deutlich stabiler wurde und wieder Freude an Bewegung entwickelt hat. Um diese Herausforderungen besser zu bewältigen, entstand die Idee, gemeinsam mit Experten ein Nachschlagwerk zu schaffen, das die zentralen Einflussfaktoren zusammenführt.

PM-Forum: Eine letzte Frage zum Abschluss: An wen richtet sich Ihr Buch? Wer sollte es unbedingt lesen?

Kirsten Guthöhrlein: Das Buch richtet sich an alle Reiter, Trainer, Ausbilder, Züchter, sprich an jeden Pferdemenschen, der sich mit der Muskulatur des Pferdes näher beschäftigen, sein Wissen erweitern und sein Training dadurch zielgerichteter gestalten möchte. Im Speziellen richtet es sich natürlich insbesondere an Pferdebesitzer und -halter, deren Pferde muskuläre Probleme oder eine Muskelerkrankung haben. Ich möchte FORUM 6/2023 Inter view 31 ihnen die Orientierungshilfe bieten, die wir bei unserem Luke damals selbst nicht hatten. Sie dabei unterstützen, die wesentlichen Einflussfaktoren, die hinter muskulären Schwierigkeiten stecken, besser aufeinander abzustimmen und ihnen Tipps zu Vorgehensweisen und konkrete Hilfestellungen mit auf den Weg geben. Auch Tierärzte finden hier aufgrund des zusammengetragenen Expertenwissens wertvolle Anregungen. Das Buch führt Trainingslehre, Sportwissenschaft, Biologie, Physik und Chemie zusammen. Und wenn ich eines noch loswerden darf: Seien Sie sensibel, nehmen Sie sich die Zeit, bei Ihren Pferden genau hinzusehen. Wer muskuläre Probleme frühzeitig erkennt und handelt, verhindert meist Schlimmeres. Und das sind wir unseren Pferden schuldig!

Das Interview führte Maike Hoheisel-Popp.

Die Autorin

Kirsten Guthöhrlein ist dressurbegeisterte Reiterin mit über 30 Jahren Erfahrung in der Pferdehaltung. Sie hat Biologie, Sport und Sonderpädagogik studiert und blickt auf eine langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlerin zurück. Durch ein von der Muskelerkrankung PSSM-2 betroffenes Pferd ihrer Tochter hat sie damit begonnen, sich sehr intensiv mit der Muskulatur beim Pferd und deren Erkrankungen zu beschäftigen und konnte im Austausch mit Tierärzten, Wissenschaftlern, Fütterungsexperten und betroffenen Besitzern umfangreiche Erfahrungen und den aktuellen Forschungsstand in diesem Buch zusammentragen.


Kirsten Guthöhrlein. Foto: privat

Buchtipp aus dem FNverlag

ISBN 978-3-88542-862-6
1. Auflage 2023
Preis: 39,00 Euro
www.fnverlag.de

Hinweis:

In dieser Ausgabe des PM-Forum gibt es auf der Ehrenrunde drei Exemplare des Buchs zu gewinnen.

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