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Berufe rund ums Pferd: Vielseitig ist Trumpf

Zwölfte FN-Bildungskonferenz in Warendorf-Freckenhorst

Sicherheit, Tierwohl, Verantwortung

Die Vorführung der frischgebackenen Deutschen Meisterin und Reitmeisterin Dorothee Schneider bildete vor der schon traditionellen Verleihung der Lütke-Westhues-Plaketten an Amateurausbilder mit besonders guten Prüfungsleistungen den reiterlichen Höhepunkt der 12. FN-Bildungskonferenz, die in diesem Jahr auf der großzügigen Anlage Schulze Niehues in Warendorf-Freckenhorst über die Bühne ging.

Spannende Praxisdemonstrationen bei bestem Wetter erlebten die Teilnehmer der FNBildungskonferenz. Foto: Thomas Hartwig

Bei hochsommerlichen 30 Grad Celsius kamen nicht nur die Referenten, sondern auch die knapp 500 Konferenzbesucher ganz schön ins Schwitzen. Doch das nahmen alle nur zu gern in Kauf, denn das Programm war wie immer vielversprechend. Während bei den vergangenen Konferenzen der Blick über rein pferdesportliche Grenzen hinaus geworfen worden war, stand dieses Mal das Pferd selbst als Hauptakteur im Mittelpunkt, das Wissen um seine Natur, den Umgang mit ihm vom Boden und vom Sattel aus, Erkenntnisse zu seinem Lernverhalten bezogen auf Trainingseinheiten von Pferd und Reiter sowie die Vorstellung der neu geschaffenen Pferdeführerscheine Umgang und Reiten. Den hohen Stellenwert der Konferenz zeigten auch die Grußworte von FN-Vize-Präsident Dieter Medow und Rudolf Herzog von Croÿ, dem Präsidenten des Pferdesportverbandes Westfalen.

Zunächst ergriff Martin Plewa am Rednerpult das Wort und befasste sich in seinem thematisch weit gespannten Vortrag mit der Forderung „Mehr Sicherheit im Pferdesport durch klassische Reitausbildung von Reiter und Pferd”. Dabei betonte er, dass für ihn Reitausbildung nicht auf das Reiten allein bezogen sein dürfe, sondern dass sie immer auch vor dem Hintergrund der Natur des Pferdes gesehen werden müsse. „Die Anzahl der unglücklichen Vorfälle im Umgang mit dem Pferd dürften in etwa der beim Reiten entsprechen”, erläuterte er. „Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass Unfälle im Stall meist auf das Pferd geschoben werden, Unfälle beim Reiten auf den Ausbilder.” Mit der Folge, dass immer häufiger versucht werde, per Gerichtsurteil Schadensersatz zu erstreiten. „Etliche Ausbilder sind heute verunsichert, was sie unter Sicherheitsaspekten mit ihren jugendlichen Schülern überhaupt noch machen können. Stattdessen sehen sie sich mit Eltern konfrontiert, die meist viel ängstlicher sind als das Anfänger-Kind.”

Reitmeister Martin Plewa sprach über Sicherheit im Pferdesport durch Ausbildung von Reiter und Pferd. Foto: Monika Kaup

Hausherr Ludger Schulze Niehues und sein Team hatten alles perfekt organisiert. Foto: Monika Kaup

DOKR-Geschäftsführer Dr. Dennis Peiler warb für die neuen Pferdeführerscheine. Foto: Monika Kaup

Gesellschaftswandel

Plewa hielt sich mit Kritik an der immer unsportlicher werdenden Gesellschaft nicht zurück und verlangte eindringlich, die Forderung nach Grundausdauer, Beweglichkeit und Koordination an die Reitschüler zu stellen. „Wir müssen bei unseren Schülern das Bewusstsein fördern, dass Reiten in erster Linie ein Sport für uns als Menschen ist und dass wir lediglich das Privileg haben, ihn gemeinsam mit dem Pferd auszuüben. Auch der Hinweis auf eine Reduzierung des Körpergewichtes im Hinblick auf die begrenzte Tragfähigkeit des Pferderückens sollte kein Tabu sein.” Die klassische Reitlehre mit ihrem bis Xenophon zurückreichenden militärischen Ursprung, die auf Gesundheit und lange Nutzbarkeit des Pferdes setzte, sei für ihn die einzig richtige Reitlehre, denn sie orientiere sich an der Natur des Pferdes. „Wir als Ausbilder müssen deshalb versuchen, unseren Schülern konsequent Kenntnisse zur artgerechten Haltung, zu ethologischen Grundlagen, zu Biologie, Anatomie, Physiologie, Biomechanik, Sinneswahrnehmung und Lernverhalten des Pferdes zu vermitteln.” Fehlten solche Grundkenntnisse, käme es häufig zu Missverständnissen und gefährlichen Situationen. „Pferdeliebe allein”, so Plewa, „genügt einfach nicht. Der Mensch muss sich mit seinem Verhalten an der Natur des Pferdes orientieren, nicht an der Natur des Menschen.”

Zum Abschluss seines Vortrages, in dem er auch auf die Wichtigkeit einer vielseitigen reiterlichen Grundausbildung unter dem Aspekt der Sicherheit verwies, schlug Plewa auch den Bogen zu aktuellen gesellschaftlichen Stimmungslagen und dem sich verändernden Image des Reitsports in der Öffentlichkeit. Er gab zu bedenken, dass es immer mehr Stimmen gebe, die die gesetzlich gesicherte Berechtigung, Pferde überhaupt zu nutzen, in Frage stellten. „Bevor wir als Pferdefreunde nur noch auf Pferdesportkritiker reagieren können, sollte eine Offensive ‚Pro Pferd‘ greifen, die das Pferd in der aktuellen gesellschaftspolitischen Stimmungslage vermehrt in die Richtung Umwelt, Umweltschutz und Ökologie rückt und damit die Pferdehaltung und die Nutzung des Pferdes mit anderen naturschützerischen Initiativen und Impulsen verknüpft werden können.”

Sicheres Führen des Pferdes in Alltagssituationen vermittelt der neue Pferdeführerschein Umgang. Foto: Thomas Hartwig

Auch klassische Bodenarbeit ist beim Pferdeführerschein gefragt. Foto: Thomas Hartwig

Pferdeführerscheine

Dass die mit der APO 2020 kommende Einführung der neuen Pferdeführerscheine Umgang und Reiten ein erster Schritt in diese Richtung ist, machte im Anschluss Dr. Dennis Peiler, Geschäftsführer der Deutschen Reiterlichen Vereinigung Bereich Sport und des DOKR, deutlich. „Der ein oder andere mag vielleicht denken: ‚Kaum hat die FN ein neues Abzeichensystem auf den Weg gebracht, da kommt sie schon wieder mit was Neuem daher.‘ Aber wir haben uns natürlich Gedanken gemacht, warum es künftig den Basispass in seiner bisherigen Form und den Reitpass nicht mehr geben wird und warum sie von den weiter entwickelten Füherscheinen abgelöst werden.” Der Grund für die Umbenennung und Neuausrichtung liege in der Forderung nach Zukunftsfähigkeit.

Gebanntes Zuhören der knapp 500 Teilnehmer in der rappelvollen Halle des Hofs Schulze Niehues. Foto: Thomas Hartwig

„In einer Zeit, in der sich Reiter immer häufiger dafür rechtfertigen müssen, dass sie einem Pferd einen Sattel auflegen, müssen wir vorausdenken. Gewisse Dinge können wir nicht verhindern, aber was wir nicht verhindern können, müssen und können wir gestalten”, so Dr. Peiler. „Mit dem Begriff Führerschein können alle etwas anfangen, auch außerhalb des Pferdesports.” Dabei seien drei Begriffe wichtig, die jeder Ausbilder und Trainer verinnerlichen und weitergeben solle: Sicherheit, Tierwohl und Verantwortung. Dies seien die Grundpfeiler, um das Pferd in Hobby und Sport zu erhalten.

Wie im Rahmen der Prüfungen zu den Pferdeführerscheinen Umgang und Reiten die künftig verlangten Stationsprüfungen aussehen können, hatten Hausherr Ludger Schulze Niehus und sein Team vorbereitet und minutiös einen Ablauf geplant, bei dem vollkommen stressfrei und ohne Gedränge rund 500 Menschen in drei Gruppen aufgeteilt auf dem Außengelände alle Stationen nacheinander kennenlernen konnten. Station 1 im Pferdeführerschein Umgang steht unter der Überschrift ”Erster Kontakt und Pferdepflege” mit Inhalten wie Annähern, Aufhalftern, Anbinden, Passieren anderer Pferde, Pferdepflege und Ausrüsten eines Pferdes. Station 2, „Pferdeverhalten und verhaltensgerechter Umgang mit dem Pferd”, beinhaltet Themen wie Bedürfnisse und Verhalten des Pferdes, Haltungsformen/-anforderungen, Grundlagen der Fütterung, Grundlagen der Gesundheit/Pferdekrankheiten, Erste-Hilfe-Maßnahmen und Unfallverhütung. In Station 3 wird der „praktische Umgang mit dem Pferd, Bodenarbeit und Führen im eingezäunten Bereich” verlangt, das heißt Dreiecksvorführung sowie Bodenarbeit oder Vormustern. Bei der Station 4 geht es um den „praktischen Umgang mit dem Pferd in Alltagssituationen aus dem öffentlichen Raum”.

Was so holperig klingt, ist eine sehr alltags- und praxisnahe Beschäftigung mit Dingen wie Führen eines Pferdes zur Weide/Paddock, Verladen, Führen im öffentlichen Raum zum Beispiel bei der Begegnung mit Autos, Fahrradfahrern, Fußgängern mit Hund oder landwirtschaftlichen Fahrzeugen, Heranführen an eine unbekannte Umgebung sowie Sicherheitsaspekte und vorausschauendes Handeln sowie Einschätzen des Pferdeverhaltens. An jeder Station stand ein Experte und erläuterte, worauf es ankommt – sowohl beim Aufbau der Station als auch bei der Durchführung der Prüfung.

Beim Pferdeführerschein Reiten sind die drei Grundgangarten gefragt – dies sollte möglichst im Freien geprüft werden. Foto: Monika Kaup

Und auch in Sachen Pferdeführerschein Reiten gab es eine Demonstration, bei der vier Reiter auf dem großzügigen Gelände des Hofes Schulze Niehues den Ablauf einer möglichen Prüfung demonstrierten samt Wasserdurchritt, Wellenbahn und Straßensituation. „Es hat vielleicht nicht jeder Reitverein und jede Anlage diese Möglichkeiten”, so Ludger Schulze Niehues, „aber wir haben in dem entsprechenden Fachausschuss darauf geachtet, dass wir für jede Örtlichkeit Alternativen gefunden haben, um diese Ausbildung und Prüfung so optimal wie möglich anbieten zu können.” Wichtig sei, so betonte er, dass auch der Teilbereich „Abfragen der drei Grundgangarten” möglichst nicht in der Halle, sondern im Außenbereich geprüft werden solle. „Immerhin ist dieser Führerschein eine Überprüfung der Geländetauglichkeit von Pferd und Reiter.”

Von der Theorie zur Praxis

Den Konferenz-Nachmittag eröffnete Fachreferentin Eva Lempa Röller, Initiatorin der Bildungskonferenzen und mit ihrem Team für die Planung zuständig, und wies darauf hin, dass sämtliche Trainer betreffende Neuerungen der APO 2020 bereits jetzt auf dem Trainerportal der FN-Webseite veröffentlicht sind. Bevor es zu den beiden Praxisteilen aus Spring- und Dressursport ging, leiteten Thies Kaspareit, Leiter der FN-Abteilung Ausbildung, und Kai Vorberg, Diplomtrainer Reiten und Bundestrainer Bildung das Thema „Lernverhalten von Pferden” in einem kleinen amüsanten Rollenspiel ein, bei dem Kai Vorberg sein komödiantisches Talent ausspielte.

Ernster wurde es dann mit der Lehr-Demonstration von Monika Schnepper, Ausbildungsleiterin auf dem Gestüt Ligges. Die Pferdewirtschaftsmeisterin zeigte eine beeindruckend harmonische Unterrichtssequenz, als Schülerin im Sattel ihre Tochter Johanna auf Carrica. Auf dieser jungen Stute hat die junge Reiterin, die gerade ihr Abitur gemacht hat, kürzlich mit Noten von 9,0 und 9,5 in M Stilspringprüfungen auf sich aufmerksam gemacht. Ihre Mutter und Trainerin betonte: „Nur auf Basis von Vertrauen kann eine solche Zusammenarbeit von Lebewesen funktionieren.” Wichtig sei dabei auch die Flexibilität des Reiters, sich auf die wechselnden Befindlichkeiten seines Pferdes einzustellen. „Kein Pferd ist jeden Tag gleich oder kann jeden Tag die gleiche Leistung bringen”, so Schnepper. „Es ist Aufgabe des Reiters, sich um ein empathisches und unaufgeregtes Miteinander zu bemühen.”

Monika Schnepper zeigte eine Unterrichtssequenz mit ihrer Tochter Johanna im Sattel von Carrica. Foto: Monika Kaup

Co-moderiert wurde die Praxis-Demonstration von der Pferdewissenschaftlerin Dr. Vivian Gabor, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Göttingen. Sie verwies dabei auch auf die im Laufe des Tages angesprochenen Ausführungen. „Sicherheit, Tierwohl und Verantwortung: Diese Begriffe beschreiben auch, was das Leben in der Herde für Pferde bedeutet. Es gibt eine Rangordnung und die Pferde passen aufeinander auf. Wenn wir es als Reiter schaffen, das auch zwischen Mensch und Pferd zu vermitteln, dann sind wir aktive Tierschützer – auch wenn wir im Sattel sitzen.”

Wie pferdegerechtes und harmonisches Reiten aussehen kann, zeigte abschließend „Stargast” Dorothee Schneider. Wenige Tage zuvor Deutsche Meisterin geworden und mit dem Titel „Reitmeisterin” ausgezeichnet, hatte sie die elfjährige Quaterback-Tochter Pathétique mitgebracht, um mit ihr eine Trainingssequenz vom Lösen bis hin zu schwersten Lektionen zu zeigen. Dabei kommentierte sie via Mikrofon das Was, Wie und Warum ihrer Aktionen im Sattel.

„Eine gesunderhaltende Ausbildung”, betonte sie, „heißt auch, sich täglich ins Pferd hineinfühlen zu können und sich passend zum Pferd und dessen Tagesform sein Trainingskonzept für diesen speziellen Tag zu gestalten. Nur wenn ein Pferd positiv reell ausgebildet ist, sieht man ihm den Spaß und die Leichtigkeit an.” Auch Dr. Vivian Gabor bescheinigte dem Paar „eine Zufriedenheit, wie wir sie uns alle wünschen. Schauen Sie sich nur den Gesichtsausdruck der Stute an.” Und Reitmeisterin Schneider strahlte verschmitzt: „Die Ohren sind vorne, das Pferd hat Spaß, ich hab auch Spaß. Und das war’s.”

Dr. Britta Schöffmann

Stargast der Bildungskonferenz: Die frischgebackene Reitmeisterin Dorothee Schneider. Foto: Monika Kaup

Vormerken!

Auch 2020 wird es wieder eine Bildungskonferenz geben, dann im Süden Deutschlands.

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