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Reiterfitness im Fokus

Mit Ausgleichssport zum besseren Sitz

Kraftvoll, dynamisch, ausbalanciert und entspannt – so soll sich ein Pferd unter dem Sattel bewegen. Alles soll leicht aussehen. Doch dafür braucht es einen Reiter, der jede Bewegung aufnehmen, formen und durch seinen Körper federn lassen kann. Ein korrekter Sitz ist hier die Grundlage. Um ihn zu verbessern, lohnt ein Blick über den Tellerrand: Mit Ausgleichssport und den richtigen Übungen wird jeder Reiter fit fürs Pferd.

Dem inneren Schweinehund den Kampf ansagen: Wer Ausgleichssport betreibt, der profitiert auch beim Reiten davon. Foto: Monika Kaup/FN-Archiv

Harmonie zwischen Reiter und Pferd, alles funktioniert mühelos, die Hilfengebung ist nahezu unsichtbar. Was in der Theorie so einfach scheint, sieht in der Praxis schnell ganz anders aus. Da ist oft spätestens beim Aussitzen „Schluss mit lustig“. Das Gesicht des Reiters verrät: Das Aussitzen im Trab zählt zu den anstrengenderen Übungen im Reitsport. Aus einem fröhlichen Lächeln wird schnell ein verkrampftes Zähne zusammenbeißen, der Absatz rutscht hoch, die Hände wackeln – und auf einmal ist gar nichts mehr leicht und sieht erst recht nicht so aus.

Richtig sitzen

In Band 1 der FN-Richtlinien für Reiten und Fahren steht geschrieben: „Der richtige Sitz ist die Grundlage für gutes Reiten.“ Denn nur aus dem korrekten Sitz heraus ist der Reiter in der Lage, angemessene und gut koordinierte Hilfen an sein Pferd weiterzuleiten. 

Ob mit Pferd an der Hand oder doch besser ohne: Wer zwei- bis dreimal pro Woche 30 Minuten joggt, verbessert seine Ausdauer und damit auch seine sportliche Leistungsfähigkeit beim Reiten. Foto: Monika Kaup/FN-Archiv

„An erster Stelle stehen dabei immer die Entwicklung von Gleichgewicht und Losgelassenheit“, weiß Pferdewirtschaftsmeisterin und Ausbilderin Lina Otto aus der FN-Abteilung Ausbildung. Darauf aufbauend entwickelt sich im Laufe der Zeit das reiterliche Gefühl, das es dem Reiter ermöglicht, zur richtigen Zeit in der passenden Dosierung und mit fein abgestimmter Einwirkung das Gehen seines Pferdes zu beeinflussen. Erst ein guter Sitz macht also gutes, das bedeutet pferdegerechtes Reiten mit kaum sichtbarer, reiterlicher Einwirkung möglich. „Tatsächlich hat fast jeder Reiter so seine Baustellen, bestimmte Defizite, die sich trotz intensiver Bemühungen nur schwer abstellen lassen“, sagt Lina Otto und nennt Beispiele: „Das können der hochgezogene Absatz oder die unruhigen Zügelfäuste sein oder die Schultern, die immer wieder nach vorne sacken.“ Die Gründe für diese Sitzprobleme sind vielfältig und nicht einfach abzustellen. Entsprechend reicht eine rein sprachliche Anweisung des Ausbilders hier nicht aus. „Wer hundertmal gesagt bekommt, dass der Absatz nach unten federn soll, der wird allein davon nicht besser sitzen“, sagt Otto.

Ursachenforschung

Ausbalanciert und losgelassen zu Pferde zu sitzen, geschmeidig in die Bewegung eingehen und dabei auch noch im richtigen Moment mit gefühlvoller Dosierung die passenden Hilfen geben – Reiten ist ein hochkomplexer und koordinativ sehr anspruchsvoller Sport. Kein Wunder also, dass es in der Praxis immer zu Schwierigkeiten kommt. „Anstatt hier Symptome zu kurieren und beispielsweise das Gebiss zu wechseln oder zu Hilfszügeln zu greifen, sucht der verantwortungsvolle Reiter die Ursache von Problemen zunächst bei sich selbst“, findet Lina Otto. 

Und wer sucht, der findet und zwar häufig dort, wo der „innere Schweinehund“ wohnt: nämlich im Bereich der eigenen Fitness. Neben Sitzschulungen im Sattel ist gerade für Reiter, die im Arbeitsalltag einer überwiegend sitzenden Tätigkeit nachgehen, Ausgleichssport ganz wichtig. „Durch funktionalen Sport kann jeder Reiter seine sportliche Leistungsfähigkeit und damit das eigene Reiten verbessern“, weiß die Ausbildungsexpertin. Um das zu verstehen, ist ein Blick in die Sportwissenschaften sinnvoll.

Krafttraining für eine gute Muskulatur wirkt sich auch positiv auf den Sitz des Reiters aus. Sehr effektiv: der Unterarmstütz vorne im Bild. Foto: Monika Kaup/FN-Archiv

Sportliche Leistungsfähigkeit

Reiten ist ein Sport, da sind sich alle einig, die schon einmal mehr als ein paar Minuten Schritt geritten sind. Beim Reiten muss der Mensch sich und seinen Körper zu jeder Zeit ausbalancieren, an die Bewegungen des Pferdes anpassen und situativ angemessen einwirken. Um technisch gut und sicher reiten zu können, braucht er einen guten allgemeinen Trainingszustand. Dabei setzt sich sportliche Leistungsfähigkeit im Wesentlichen aus zwei Komponenten zusammen: den konditionellen und den koordinativen Fähigkeiten. Zu den konditionellen Fähigkeiten gehören Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit. Je besser die Ausdauer eines Reiters, desto länger ist er in der Lage, sicher und harmonisch zu reiten. 

Ein ausbalancierter, losgelassener und geschmeidig in die Bewegung eingehender Reitersitz bildet die Grundlage für Harmonie beim Reiten. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Um die Ausdauer zufördern, sind Laufen, Schwimmen und Radfahren als typische Ausdauersportarten zu empfehlen. Wer dies zwei- bis dreimal pro Woche für etwa 30 Minuten tut, verbessert seine Ausdauer und damit auch seine sportliche Leistungsfähigkeit beim Reiten. Kraft braucht der Reiter vor allem in Form einer gut gekräftigten Rumpf- und Beinmuskulatur. Das ist wichtig für den aufrechten Sitz und die effektive Einwirkung. Außerdem ermöglicht ein gewisses Maß an Kraft auch erst die positive Körperspannung, die für das Reiten so wichtig ist. Für den korrekten Sitz ist das Zusammenspiel einer gut trainierten Rücken- und Bauchmuskulatur nach dem Bootsmast-Prinzip erforderlich. Die Rückenmuskulatur sorgt für eine Streckung der Wirbelsäule, sie stabilisiert diese von hinten und ist für eine aufrechte Haltung im Oberkörper verantwortlich. Die Bauchmuskulatur zieht den Rumpf nach vorne und stabilisiert die Wirbelsäule von vorne. Ebenso wichtig ist eine gut gekräftigte Schulter- und Nackenmuskulatur, um den Kopf aufrecht zu tragen und die Schultern in der richtigen Position zu halten.

Besonders die hintere Oberschenkelmuskulatur und die Adduktoren sind für die treibenden Hilfen zuständig und bringen die Wade ans Pferd. Eine gut gekräftigte Muskulatur leistet außerdem einen wichtigen Beitrag zur aktiven Sturzprophylaxe, denn sie ermöglicht zum Beispiel das geschmeidige Abrollen bei einem Sturz. Schnelligkeit ist für den Reiter vor allem als Reaktionsschnelligkeit wichtig, da er sich ständig auf neue, oft unvorhersehbare Situationen einstellen muss. Eine gute Beweglichkeit ist notwendig, um ausbalanciert und losgelassen sitzen zu können und sich jederzeit geschmeidig an die Bewegungen des Pferdes anzupassen. Durch Yoga, Pilates und Dehnübungen lässt sich die Beweglichkeit effektiv fördern.

Koordinative Fähigkeiten

Als Koordination wird das Zusammenspiel zwischen dem zentralen Nervensystem und der Muskulatur innerhalb einer Bewegung bezeichnet. Sie setzt sich aus insgesamt sieben koordinativen Fähigkeiten zusammen. Besonders die Gleichgewichts-, die Rhythmisierungs- und die Reaktionsfähigkeit sind für den Reiter wichtig. Auch die Konstitution beeinflusst die Leistungsfähigkeit eines Sportlers. Sie bezieht sich auf die überwiegend erbbedingten Faktoren wie körperliche und mentale Merkmale und die Gesundheit. Und letztendlich spielt auch die Psyche eine wichtige Rolle: Angst, Nervosität und Stress wirken sich negativ aus, Motivation, Zuversicht und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten positiv. 

All diese Faktoren ergeben zusammengenommen die sportliche Leistungsfähigkeit des Reiters. Und wahrscheinlich gibt es bei jedem Reiter in dem einen oder anderen Bereich noch „Luft nach oben“. Die eigene Fitness zu verbessern, lohnt sich dabei aus verschiedenen Gründen, weiß Lina Otto: „So lassen sich nicht nur Sitzprobleme gezielter beheben, sondern auch die allgemeine Sicherheit im Sattel und die Gesundheit werden gefördert. Je leistungsfähiger der Körper ist, desto länger kann der Pferdesport gesund betrieben werden und desto niedriger ist das Risiko von sporttypischen Verletzungen.“

Viele Reiter neigen zu hochgezogenen Absätzen. Alleine durch sprachliche Anweisungen ändert sich an so einer Baustelle nicht viel. Mit den richtigen Übungen können die Voraussetzungen für einen korrekten Sitz verbessert werden. Foto: Christiane Slawik

Dynamik im Alltag

Doch gerade im modernen, oft bewegungsarmen Alltag ist Fitness keine Selbstverständlichkeit mehr. Ein Job am Schreibtisch, langes Sitzen den ganzen Tag über ist grundsätzlich immer ungesund – nicht nur für Reiter. Denn der Körper ist nicht fürs Sitzen gemacht. Veränderungen der Muskulatur sind die Folge, und die wirken sich auch auf das Reiten aus. 

Auch koordinative Fähigkeiten sind im Reitsport wichtig. Foto: Monika Kaup/FN-Archiv

Langes Sitzen vor dem PC verkürzt so zum Beispiel die Brustmuskulatur, die Schultern sacken nach vorn, der Rücken wird rund. Beschwerden wie Verspannungen und Schmerzen im Rücken oder im Schulter- und Nackenbereich kommen hinzu. Aus dieser „Schreibtischhaltung“ in die beim Reiten geforderte aufrechte Körperhaltung zu wechseln, gelingt meist nur noch kurzfristig. Danach verkrampft der Reiter bei dem Versuch, den korrekten Sitz aufrechtzuerhalten. Im schlimmsten Fall sind Schmerzen im Rücken das Ergebnis der Reitstunde. Ein Teufelskreis, der durch Ausgleichs- und Ergänzungssport durchbrochen werden kann. Marcel Andrä, der als Fitnesscoach die beiden Dressur-Kaderreiter Jessica von Bredow-Werndl und Benjamin Werndl betreut, rät: „Prinzipiell sollte jeder mehr Dynamik in seinen Alltag bringen. Treppen steigen, anstatt mit dem Fahrstuhl zu fahren, das Auto bewusst etwas entfernt parken, um noch ein paar Minuten Fußweg zu haben und am Arbeitsplatz kann man genauso regelmäßig kurze Pausen vom Sitzen einbauen: immer wieder aufstehen, herumgehen, kurze Stretches und in der Mittagspause einen Spaziergang machen.“

Mobilität und Stabilität

Doch nur mit längeren Fußwegen wird sich die „Schreibtischhaltung“ im Sattel nicht beheben lassen. Dazu braucht es funktionalen Sport. Übungen, die gezielt die Brustmuskulatur dehnen und die Rückenmuskulatur kräftigen. Nur dann wird der Reiter auch dauerhaft und über einen längeren Zeitraum hinweg unverkrampft aufrecht zu Pferde sitzen können. Marcel Andrä teilt den Reiter gedanklich gerne in zwei Bereiche: einen Bereich, den er mobil halten sollte und einen, der Stabilität braucht. „Eine mobile Hüfte ist extrem wichtig, genauso wie federnde Sprunggelenke – das sind Beispiele für die mobilen Bereiche“, so der Sportwissenschaftler.

 „Einen stabilen Bereich sollte der Rumpf bilden, der Reiter muss in der Lage sein, Arme und Hände unabhängig bewegen zu können – ohne die Haltung im Rumpf zu verlieren. Das erreicht er, wenn er gezielt Übungen und Workouts absolviert”, so Andrä weiter. Dabei muss das Rad nicht neu erfunden werden. Liegestütz, Sit-ups und Unterarmstütz sind bewährte und effektive Übungen zur Kräftigung der Rumpfmuskulatur – und können ganz ohne Hilfsmittel oder Fitnessstudio quasi überall durchgeführt werden.

Alles für einen besseren Sitz: Sitzschulungen an der Longe können das Fitnesstraining sinnvoll ergänzen. Foto: Arnd Bronkhorst

Langfristig fit bleiben

Warum die Rumpfstabilität für Reiter so wichtig ist, erklärt Marcel Andrä: „Ein gutes Niveau an Rumpfstabilität hilft dem Reiter enorm, den Belastungen des Reitsportes langfristig standzuhalten, damit er dauerhaft seiner Leidenschaft nachgehen kann.“ Es sprechen also tatsächlich viele gute Gründe dafür, schon heute mit systematischem Ausgleichs- und Ergänzungssport zu beginnen und dem inneren Schweinehund den Kampf anzusagen. Als Belohnung winken ein besserer Reitersitz und damit mehr Harmonie mit dem Partner Pferd – und das sollte schließlich Ziel eines jeden Reiters sein.

Lina Otto/Maike Hoheisel-Popp

Fit fürs Pferd mit DressurFit®

Das DressurFit® 12-Wochen-Programm ist ein funktionales Training speziell für Reiter. Die beiden Olympiakader-Dressurreiter Jessica von Bredow-Werndl und Benjamin Werndl haben es gemeinsam mit Sportwissenschaftler Marcel Andrä entwickelt. Ihr Ziel: Beim Reiter optimale körperliche Voraussetzungen für einen gelungenen und harmonischen Ritt schaffen. Das Programm besteht aus kurzen, aufeinander aufbauenden Workouts mit verschiedenen Schwierigkeitsleveln, so dass sowohl Freizeit- als auch ambitionierte Sportreiter jeden Alters und Könnens mitmachen und ihre eigene Fitness verbessern können. Ein speziell für Reiter entwickelter Fitness-Test stellt dabei zunächst individuelle Stärken und Schwächen fest, anschließend erhält man maßgeschneiderte Korrekturübungen. Denn: Jeder Körper ist anders und Fortschritte werden am schnellsten erzielt, wenn man die eigenen Dysbalancen und Seitenunterschiede effektiv verbessert. „Wenn du willst, dass sich dein Pferd unter dir bewegt wie ein Gummiball, musst du selber einer werden“ ist das Credo von Jessica von Bredow-Werndl und dem gesamten Team in Aubenhausen.

Das DressurFit®-Online-Programm ermöglicht Reitern ein zielgerichtetes und individuelles Training ohne den Gang ins Fitnessstudio – alle Übungen können bequem von Zuhause aus absolviert werden. Als Partner der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) bietet DressurFit® allen Persönlichen Mitgliedern das 12-Wochen-Programm und die anschließende Club-Mitgliedschaft zum Vorzugspreis an. Infos dazu gibt es unter www.pferd-aktuell.de/persoenliche-mitglieder/vorteile-und-rabatte.

Drei Übungen für den Einstieg

 

Herabschauender Hund
Eine tolle Übung, um die gesamte hintere Muskelkette zu dehnen. Diese hilft dabei, die Fersen tief halten zu können und in der Bewegung bei  langem Bein nach unten mitzufedern. Die Übung wird am besten im dynamischen Wechsel mit dem schwebenden Vierfüßlerstand ausgeführt und ca. zehn bis 15 Mal  wiederholt. 

Starke Mitte
Eine starke Mitte und stabile Rumpfmuskulatur sind wichtig, um auch in der Bewegung ruhig sitzen zu können. Bei dieser Übung sollte darauf geachtet  werden, dass sich Oberkörper und Hüfte so wenig wie möglich bewegen, während abwechselnd jeder Arm sechs- bis achtmal angehoben wird.

Hüftstretch
Dieser Stretch dehnt die Hüftbeuger auf beiden Seiten. Vor allem durch vieles Sitzen ist die Hüftbeuger-Muskulatur bei vielen Menschen verkürzt. Das schränkt die Beweglichkeit der Hüfte ein und ist unter anderem mit Schuld daran, wenn Reiter beim Reiten das Knie hochziehen.

Fotos: DressurFit® 

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