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Jungpferdeausbildung: Susanne Miesner im Interview
„Ich liebe es, die Pferde in ihrer Entwicklung zu begleiten“
„Können kommt von Wissen!“ Besser kann man kaum ausdrücken, was es braucht, um junge Pferde fachgerecht und gesunderhaltend auszubilden. Wie das gelingen kann, beschreibt die erfahrene Ausbilderin und Reiterin Susanne Miesner in ihrem Buch „Das junge Reitpferd“. Das PM-Forum hat mit der Autorin über ihr Werk gesprochen.
Ein Führpferd verleiht Sicherheit, Abwechslung motiviert: Wer sich an die Ausbildung junger Pferde wagt, sollte sowohl die klassische Reitlehre verstanden haben, als auch das natürliche Lernverhalten der Pferde kennen. Foto: Thoms Lehmann/FNverlag
PM-Forum: Das Thema Jungpferdeausbildung ist ja nicht neu. Was hat Sie bewogen, das Buch zu schreiben?
Susanne Miesner: Ich erlebe es immer häufiger, dass sich Leute junge Pferde kaufen, aber dann keine adäquate Unterstützung für deren Ausbildung finden. Es ist ja schon eine Kunst, ein ausgebildetes Pferd nachzureiten, aber junge Pferde auszubilden, braucht noch ganz andere Fähigkeiten. Leider muss ich feststellen, dass die Kenntnisse über diese Grundlagenarbeit zunehmend verloren zu gehen scheinen und sich zu wenige Ausbilder mit dieser Aufgabe befassen. Eigentlich trage ich mich schon seit vielen Jahren mit der Idee, meine eigenen Erfahrungen zur Ausbildung junger Pferde zu Papier zu bringen. Ganz konkret habe ich vor sechs Jahren damit angefangen, mir über das Buch Gedanken zu machen. Aber als dann der Fotograf Thoms Lehmann kam und sagte: „Komm, wir machen das“, war ich motiviert und am Ende ging alles dann ganz schnell.
PM-Forum: Was ist das Besondere daran, junge Pferde auszubilden? Ist es nicht auch ein bisschen frustrierend, immer wieder von vorne anzufangen?
Miesner: Genau das Gegenteil ist der Fall. Es gibt Leute, die haben Spaß daran, jeden Tag Lektionen zu reiten oder über Hindernisse zu springen. Ich liebe es, die Pferde in ihrer Entwicklung zu begleiten. Jedes Pferd ist anders. Da gibt es den Raufbold und den Schüchternen, den Faulen und Ehrgeizigen, den Schlaumeier und denjenigen, der ein bisschen länger braucht, aber wenn es mal sitzt, dann sitzt es auch meistens für immer. Man ist ein bisschen so was wie eine Kindergärtnerin, die für jedes Kind die richtige Ansprache finden muss. Es freut mich einfach, wenn ich sehe, dass sich so ein Jüngling durch die Arbeit weiterentwickelt. Die klassische Reitlehre sagt ja: Jedes Pferd sollte durch die Ausbildung schöner werden. Wie geht das? Indem sich die Muskulatur der Hinterhand, des Rückens und der Halsoberlinie über systematische Gymnastizierung ausformt.
Ein Jungpferd hat gelegentlich überschüssige Energie: Dann braucht der Reiter Mut und einen losgelassenen und ausbalancierten Grundsitz, um die Situation durch Vorwärtsreiten aufzulösen. Fotos (3): Thoms Lehmann/FNverlag
PM-Forum: Sie haben es vorhin angesprochen. Da gut ausgebildete Pferde oft unerschwinglich teuer sind, landen viele bei der Suche nach einem Pferd bei einem Youngster. Damit übernimmt man natürlich eine große Verantwortung. Welche Voraussetzungen sollte man als Reiter auf jeden Fall mitbringen, wenn man sich an die Ausbildung eines jungen Pferdes heranwagt?
Miesner: Mut! Und neben dem sicheren Grundsitz unbedingt einen guten leichten Sitz. Junge Pferde können auch mal ungestüm werden, voller Lebensfreude losbuckeln oder sich erschrecken. Solche Situationen muss der Reiter ausbalanciert überstehen, ohne sich womöglich festzuziehen. Das gilt aber auch für den Umgang mit dem jungen Pferd. Wer unsicher an die Sache herangeht, hat schon verloren, denn gerade junge Pferde brauchen eine stabile Führung, zu der sie Vertrauen aufbauen und auf die sie sich verlassen können. Ganz wichtig sind daher auch konsequentes Verhalten und Verständnis für die Theorie, sowohl was das Lernverhalten der Pferde als auch die Reitlehre betrifft. Wer allzu ängstlich ist, sollte die Ausbildung lieber erfahrenen Reitern überlassen. Wobei ich mit erfahrenen Reitern nicht unbedingt jemand meine, der es mit einem Pferd auf S-Niveau geschafft hat. Sicherlich verdient das großen Respekt, aber gute Jungpferdeausbilder zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie viele verschiedene Pferde geritten haben und sich schnell auf die Unterschiede einstellen können. Leider gibt es in meinen Augen immer weniger Vereine und Ausbilder, die das vermitteln.
PM-Forum: In Ihrem Buch erfinden Sie das Rad ja nicht neu. Im Gegenteil! Sie berufen sich voll auf die klassische Reitlehre mit der Skala der Ausbildung. Was überzeugt Sie so daran?
Miesner: Ich habe das selbst bei vielen tollen Ausbildern in der Praxis kennenlernen dürfen und bin bis heute total davon fasziniert. Die Reitlehre, wie sie sich in unseren Richtlinien manifestiert, basiert auf Jahrhunderte alten Erfahrungen und erklärt, wie man die Pferde ins Gleichgewicht bringt. Das Pferd ist ja nicht zum Tragtier geboren, sondern muss lernen, sich auch unter dem Reiter auszubalancieren. Und das erfolgt immer gleich: Erst kommt die Gewöhnungsphase, dann erfolgt die Entwicklung der Schubkraft und dann erst die der Tragkraft. Leider setzen sich immer weniger Reiter damit auseinander, was aus meiner Sicht die Ursache für viele Gesundheits- und Rittigkeitsprobleme ist. Die Skala der Ausbildung hat nichts an Aktualität verloren, allerdings darf man die sechs Punkte nicht getrennt voneinander betrachten. Auf die Darstellung dieser Wechselwirkung innerhalb der Ausbildungsskala habe ich in meinem Buch daher auch besonderen Wert gelegt. Für mich gilt: Die Grundlage einer vielseitigen Ausbildung muss stimmen, dann kann ich alles darauf aufbauen.
PM-Forum: Was ist Ihrer Meinung nach der schwerwiegendste Fehler, den man in der Jungpferdeausbildung machen kann und wie lässt er sich vermeiden?
Miesner: Das Pferd nicht ausreichend zu beobachten, schon in der freien Bewegung auf der Wiese oder dem Paddock. Wie verhält sich das Pferd in verschiedenen Situationen? Darauf muss ich meine Ausbildung abstimmen. Das Motto der gesamten Ausbildung heißt: nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Ich darf ein junges Pferd nicht unterfordern, aber auch nicht überfordern. Natürlich muss man Trainingsreize setzen, aber oftmals sind kleine Fortschritte über einen kurzen Zeitraum wesentlich besser als übertriebenes Arbeiten. Pferde haben ein enormes Erinnerungsvermögen. Und das versuche ich immer in der Ausbildung junger Pferde zu beachten. Und mir täglich die Frage zu stellen, was dem Pferd gut? Wie kann ich meine Ziele erreichen? Dazu gehören bei der Remonte vielleicht auch mal aktive Pausen oder Weideperioden. Und auf jeden Fall sollte man Eintönigkeit in der Ausbildung vermeiden.
PM-Forum: Noch ein Wort zum Thema Ausbildungsbeginn. Darüber wird ja schon länger heftig diskutiert. Wann ist für Sie der ideale Zeitpunkt?
Miesner: Einen für alle gültigen Zeitpunkt gibt es nicht. Es hat sich aber bewährt, junge Pferde – je nach ihrem Entwicklungszustand – im Alter von etwa drei Jahren an die Arbeit zu gewöhnen. Nach der Weideperiode werden die Zweieinhalbjährigen in den Wintermonaten an die neuen Lebensumstände gewöhnt. Es gibt aber auch Pferde, bei denen die Gewöhnungsphase erst mit dreieinhalb oder vier Jahren sinnvoll ist. Die genaue Beobachtung der körperlichen Reife ist entscheidend. Wichtig ist, die jungen Pferde nicht zu überfordern. Und die Gefahr ist gerade bei denjenigen groß, die von Natur aus hohe Qualität und Rittigkeit mitbringen. Hier müssen wir uns immer wieder zurücknehmen, wenn wir Gesundheit und Vertrauen nicht verspielen wollen.
PM-Forum: Wenn Sie einen Wunsch äußern dürften, was wäre das?
Miesner: Ich würde mir wünschen, dass die Jungpferdeausbildung in der Reiter-, Trainer- und vor allem auch Berufsreiterausbildung wieder einen höheren Stellenwert einnimmt. Ich hatte das Glück, bei Ausbildern zu reiten, die die Systematik der Grundausbildung absolut verinnerlicht hatten. Heute gerät dieses Wissen viel zu oft in Vergessenheit. Doch wer sich damit beschäftigt, wird feststellen: Es ist alles da, was man wissen muss, man muss es nur richtig anwenden.
Das Interview führte Uta Helkenberg.
Susanne Miesner. Foto: privat
Das Buch
„Mit dem Wissen und der Erfahrung, die ich heute habe, hätte ich manche Fehler in jungen Jahren nicht begangen“, sagt Susanne Miesner. Mit ihrem Buch „Das junge Reitpferd“ will sie anderen dabei helfen, von Anfang an alles richtig zu machen. Denn wie auch in der Kindererziehung sind die ersten Jahre für junge Pferde prägend. Für die Autorin beginnt die Freude am Reiten mit der gründlichen Ausbildung des jungen Pferdes, aber auch des Reiters, immer basierend auf der bis heute gültigen klassischen Reitlehre und der Skala der Ausbildung.
Susanne Miesner
Das junge Reitpferd
1. Auflage 2020
www.fnverlag.de
vertrieb@fnverlag.de
Preis 22 Euro
ISBN 978-3885424109
Zur Person
Susanne Miesner ist Diplom-Agaringenieurin, Pferdewirtschaftsmeisterin, ausgezeichnet mit der Stensbeckplakette, und Dressurreiterin bis Grand Prix. Zu ihren Ausbildern zählen Herbert Rehbein, Fritz Tempelmann, Johann Hinnemann und andere namhafte Reiterpersönlichkeiten. Schon immer liegt ihr die Ausbildung und Beurteilung junger Pferde besonders am Herzen. Viele Jahre war sie gefragte Fremdreiterin, insbesondere bei Hengstleistungsprüfungen und erzielte mit ihren eigenen Pferden zahlreiche Siege und Platzierungen auf Landeschampionaten und beim Bundeschampionat. Ihre Erfahrung brachte sie auch als Mitautorin in die Richtlinien für Reiten und Fahren der FN ein, außerdem ist sie für eine Reihe von Lehrfilmen und Lehrbüchern des FNverlags verantwortlich. Seit 15 Jahren ist sie Mitglied im Prüfungsausschuss für Berufsreiter.
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