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Gesundheit kompakt: Pferderücken
Barhuf im Spitzensport
Ohne Hufeisen zum Glück?
Barhuf war im Spitzensport viele Jahre undenkbar, bis einige Spitzenreiter das Gegenteil bewiesen: Die Schweden Henrik von Eckermann und Peder Fredericson ritten ohne Eisen zu Olympischem Team-Gold und auch der Franzose Julien Epaillard zeigt, dass internationale Siege auch barhuf möglich sind. Das PM-Forum beleuchtet Vor und Nachteile und die Voraussetzungen, die es überhaupt möglich machen, ohne Beschlag im großen Sport unterwegs zu sein.
Barhuf ist auch im Spitzensport kein Tabu mehr – einige Sportler und ihre Vierbeiner sind damit sehr erfolgreich unterwegs. Fotos (5): Stefan Lafrentz
Eine der ersten deutschen Reiterinnen, die die Umstellung auf barhuf wagte, war Springweltmeisterin Simone Blum. Im Winter 2022 entschied sie: Die Eisen aller ihrer Pferde kommen ab. „Ich habe mich damals lange mit dem luxemburgischen Reiter Viktor Bettendorf unterhalten, der schon lange barhuf unterwegs war, und fand: Es ist einen Versuch wert, es auch für unsere Pferde zu testen.“
Simone Blum: Alle Eisen ab
Gesagt, getan, alle Eisen kamen ab und Blum suchte sich eine Barhufbearbeiterin, die die Pferde ab dann betreute. „Sie sind alle super gelaufen und haben sich sehr wohl gefühlt“, blickt sie zurück. „Aber sie wurden auch ausschließlich auf sehr gutem, weichem Boden bewegt.“ Als es im Frühjahr schließlich zu den ersten Turnieren ging, tauchten die ersten Probleme auf: „Auf steinigen Böden bekamen sie Hufschuhe an. Die gingen allerdings schnell kaputt oder flogen reihenweise von den Füßen, wenn die Pferde mal wegsprangen, obwohl wir sie extra für alle haben anpassen lassen.“ Dennoch seien die Pferde bei den Turnieren sehr gut gesprungen und hätten sich super angefühlt.
Experiment gescheitert
„Vielleicht haben wir dann den Fehler gemacht, die Hufe alle vier bis fünf Wochen bearbeiten zu lassen, weil ich mir dachte, dass man dann vielleicht noch ein bisschen die Stellung korrigieren kann“, blickt die 34-Jährige zurück. „Im Nachhinein glaube ich, dass das das Problem war. Denn im Laufe der Saison wurden die Hufe zu kurz und sind nicht mehr genug nachgewachsen. Da habe ich dann auch gemerkt, dass die Pferde auf härteren Turnierböden nicht mehr so gerne gelaufen und gesprungen sind.“ Schlussendlich entschied Simone Blum dann im Sinne der Pferde: „Alle bekamen vorne wieder Eisen drauf.“ Zum einen wegen der zunehmenden Fühlig keit und aufgrund der Tatsache, dass kein Hufschutz für steinigere Böden sich als richtig praktikabel erwiesen hatte. „Zum anderen habe ich auch festgestellt, dass sich Problematiken wie eine leichte Fehlstellung oder eine Bockhuftendenz ohne Eisen eher verschlechtert als verbessert haben.“ Wo es geht, will Blum ihre Pferde hinten jedoch weiterhin unbeschlagen und sie auch während Turnierpausen wieder komplett barhuf laufen lassen. Und so ganz ist sie von der Idee, eine Alternative zum Eisenbeschlag zu finden, noch nicht abgekommen: „Es kommen ja ständig Neuerungen auf den Markt und ich bin nicht abgeneigt, wieder etwas Neues auszuprobieren“, sagt die Weltmeisterin.
Christian Kukuk: Erfolgreich ohne
Einer, der mit seinem Spitzenpferd ebenfalls die Umstellung auf barhuf gewagt hat, und daran auch weiter festhält, ist Christian Kukuk. Der Championatsreiter aus dem Stall Beerbaum stellte sein Erfolgspferd Mumbai ebenfalls im Winter 2022 auf barhuf um und ist so überzeugt davon, dass er im vergangenen Jahr sogar auf die Teilnahme am Großen Preis in Aachen verzichtete – dort hätte Mumbai für den Grasplatz beschlagen werden müssen. „Er war davor schon für zwei andere Turniere kurzfristig wieder beschlagen worden. Da wir uns in einer Art Testphase befanden und er für Aachen länger als nur eben für ein Springen hätte beschlagen werden müssen, habe ich mich gegen einen Start entschieden.“ Diese Entscheidung würde der 34-Jährige immer wieder so treffen, wie er betont. „Je weniger Tage Mumbai mit Eisen verbringt, umso besser ist es für ihn“, ist Kukuk überzeugt. Dementsprechend ist der Riesenbeck-Teamreiter auch weiter auf der Suche nach Alternativen für sein Spitzenpferd, sollte es wieder auf ein wichtiges Gras-Turnier gehen: „Im Moment sind wir dabei, Klebeeisen zu testen. Ich könnte mir vorstellen, dass das eine gute Alternative sein könnte.“ Denn auch wenn die Pferde nur kurz Eisen tragen: Wachsen die Nagellöcher heraus, besteht immer die Gefahr, dass der Huf an diesen Stellen ausbricht.
Experiment nur eingeschränkt geglückt: Weltmeisterin Simone Blum hat probiert, ihre Pferde auf Barhuf umzustellen.
Ohne Eisen erfolgreich – Christian Kukuk und Mumbai fühlen sich barhuf wohl.
Von Eckermann: Hufeisen bringen Glück? Der Schwede Henrik von Eckermann und sein Erfolgspferd King Edward holen auch ohne Sieg um Sieg.
Wachsen die Nagellöcher heraus, besteht die Gefahr, dass der Huf ausbricht.
Barhuf ist das Bearbeitungsintervall deutlich kürzer als mit Eisen. Fotos (2): Equipics/Andrea Zachrau
Mehraufwand lohnt sich
Aktuell laufen mehrere Nachwuchspferde von Christian Kukuk ohne Eisen: „Sie machen alle einen super Eindruck. Gerade bei jungen Pferden bin ich der totale Befürworter, sie so lange ohne Eisen laufen zu lassen, wie es geht.“ Dafür nimmt der Westfale auch gerne den Mehraufwand in Kauf: „Die Hufe werden deutlich häufiger bearbeitet als bei einem Eisenbeschlag. Sie werden alle ein bis zwei Wochen geraspelt und glatt gehalten.“ Auch wenn die Erfahrungen von Blum und Kukuk kaum unterschiedlicher sein könnten: Beide Beispiele zeigen, dass es keineswegs mehr „nur den einen Weg“ gibt. Es kann sich durchaus lohnen, alte Traditionen neu zu denken und über den Tellerrand zu blicken – immer das Wohlbefinden des Pferdes im Fokus.
Das sagt der Hufschmied
Florian Häfner begann seine Karriere als Hufpfleger, absolvierte parallel die Ausbildung zum staatlich geprüften Hufbeschlagschmied, betreute verschiedene wissenschaftliche Studien rund um orthopädische Beschläge und ist seit 2017 Herausgeber der Fachzeitschrift „Der Huf“. Dementsprechend ist der 43-Jährige immer am Puls der Zeit, was die Hufbearbeitung angeht, und tauscht sich regelmäßig mit Kollegen auf der ganzen Welt aus. Den Trend, barhuf im Spitzensport zu starten, hat der gebürtige Heilbronner mit Spannung verfolgt und gesteht: „Was die Schweden vorgemacht haben, hätten vorher nur wenige für möglich gehalten.“
Ausgeklügeltes Management
Dass die Umstellung bei diesen Beispielen so gut klappte, liege aber vor allem am Management vor Ort: „Häufig versucht man ja, einen Huf abzuhärten und an die verschiedensten Untergründe zu gewöhnen, um ihn möglichst belastbar zu machen – auch ohne Eisen. Hier war es teilweise genau andersherum.“ Häfner beschreibt das Vorgehen so: „Seit der Umstellung auf barhuf sind die Pferde primär auf weichen Böden unterwegs, im Grunde sehen diese Hufe nie wieder auch nur ein kleines Steinchen.“ Sollte es dennoch mal über Beton oder Kopfsteinpflaster gehen, dann zum Beispiel mit Hufschuhen. „Das ist ein Management, das kaum ein Stall leisten kann“, ist der Experte überzeugt. Denn im Zweifelsfall müsse dann für jeden noch so kurzen Gang über harten oder unebenen Boden ein Hufschutz getragen werden – der zeitliche Mehraufwand sei also enorm. „Die Hufhygiene ist ebenfalls immens wichtig, jede kleine Fäulnis kann sich auf die Hornqualität auswirken und dafür sorgen, dass die Hufe schneller ausbrechen.“
Florian Häfner ist Hufpfleger und Hufbeschlagsschmied und hat den Barhuf-Trend fürs „Farriers Journal“ intensiv beobachtet. Foto: privat
Natürlicher Hufmechanismus
Positiv – und sicher auch der Hauptgrund vieler Sportler, den „Test Barhuf“ zu wagen, ist jedoch, dass vertikale Hufbewegung nicht gehemmt wird und die natürliche Stoßdämpfung zur Entlastung von Gelenken, Sehnen und Bändern erhalten bleibt. „Wenn ich den Huf beschlage, verringere ich einen Teil dieser Funktion, nämlich die
Verformbarkeit.“ Dabei gehe es nicht nur um die horizontale Ausbreitung des Hufes, tatsächlich funktioniert der Hufmechanismus dreidimensional. „Das Verwinden der Hufseiten nach oben und nach unten wird durch einen Beschlag reduziert.“ Das sei für Pferde, die vornehmlich auf weichen Böden unterwegs sind, oft nicht weiter schlimm. „Das erklärt auch, warum viele Pferde mit Eisen wunderbar laufen und damit auch gesund alt werden.“ Problematisch kann es für Pferde mit bestimmten Fehlstellungen werden, die viel auf hartem Boden unterwegs sind.
„Barhuf werden diese Problematiken in bestimmten Fällen besser ausgeglichen als mit Eisen.“ Auch sei der Bodenkontakt des Strahls mit Eisen auf harten Böden nicht gegeben – der sei jedoch oft wichtig für eine gute Funktionalität des Hufes.
Leichte Eisen für Grasplätze
Läuft ein Pferd schließlich erfolgreich barhuf im großen Sport, bleibt dennoch das Problem der Grasplätze, auf denen die Pferde ohne Eisen schlichtweg zu wenig Halt haben. Aktuell seien Schmiedekollegen auf der Suche nach Alternativen, die die Anbringung von Stollen ermöglichen, aber minimalinvasiv für die Hornkapsel sind: „Ganz gute Erfolge konnte ein Kollege in Belgien kürzlich erzielen, der mit sehr dünnen Eisen und sehr wenigen und sehr feinen Nägeln gearbeitet hat.“ In anderen Ställen laufen wiederum Testläufe mit Klebeschuhen. Es sei auch wichtig zu verstehen, dass sich die Anforderungen an Huf und Pferd im Spitzensport doch erheblich von denen im Freizeitbereich unterscheiden. Grundsätzlich begrüßt Florian Häfner es, wenn Pferde barhuf im Sport erfolgreich sind – auch wenn der Mehraufwand nicht unerheblich ist. Er sagt aber auch ganz klar: „Wenn ich ein Pferd habe, das wunderbar mit Eisen läuft, würde ich mir sehr gut überlegen, ob ich es wirklich umstellen sollte – und dies vor allem nur in Absprache mit dem Hufbearbeiter, der die jeweiligen Pferde gut kennt, angehen.“
Der Schmied gibt zu bedenken: „Nicht jedes Pferd ist tatsächlich dafür gemacht, barhuf zu laufen.“ Dafür müs-se die Position des Hufbeins in der Hornkapsel genau betrachtet werden. Für die Beurteilung gibt es verschiedene Anhaltspunkte: „Wie verlaufen die Hornröhrchen, wie stark ist die Hufwand, wie sieht die Wölbung der Sohle aus? Allein anhand dieser Kriterien kann ein erfahrener Hufbearbeiter schon absehen, ob das Pferd auch barhuf laufen oder ob die Umstellung eher schwierig werden könnte.“ Ebenfalls ein wichtiges Argument pro Eisen: „Im Bereich der Orthopädie haben wir die verschiedensten Möglichkeiten, die Pferde mit einem Beschlag zu unterstützen. Das ist barhuf so nicht immer möglich.“
Dr. Friedrich Appelbaum ist FEI-Tierarzt und Mitglied des Prüfungsausschusses staatlich anerkannter Hufschmiede und befasste sich bereits für seine Doktorarbeit mit dem Thema Hufmechanismus. Foto: privat
Das sagt der Tierarzt
Dr. Friedrich Appelbaum, FEI-Tierarzt und Mitglied im Prüfungsausschuss staatlich anerkannter Hufschmiede, betont: „Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass sich immer mehr Reiter Gedanken über die Sinnhaftigkeit des Hufbeschlags machen. Es zeigt, dass ihnen das Wohlbefinden ihres Pferdes wichtig ist und sie bereit sind, auch den Weg ‚zurück zur Natur‘ als eine Option in ihr Management mit einzu- beziehen.“ Allerdings: „Nicht ohne Grund hat sich die Menschheit schon immer damit befasst, wie der Pferdehuf am besten vor Abrieb geschützt werden kann“, sagt der Fachtierarzt, der seinerzeit seine Doktorarbeit zum Thema Hufmechanismus verfasste. So schrieb nicht nur schon Xenophon (ca. 430-354 v. Chr.) über die Hufgesundheit, von Horaz (65-8 v. Chr.) stammt das Zitat: „Bedeckt soll das Pferd beurteilt werden, damit nicht ein zierlicher Körper, ruhend auf weichlichem Huf, den betörten Käufer verlocke.“
Pragmatische Lösungen
„Mit der ‚Brauchbarmachung‘ des Pferdes für den Menschen stellte sich alsbald die Frage: Wie kann man die Pferdehufe vor übermäßigem Verschleiß schützen, um die Gebrauchsfähigkeit nachhaltig zu erhalten? Angefangen mit aus Naturfasern gefertigten Sandalen bis hin zum tatsächlichen Eisenbeschlag“, wirft der Tierarzt einen Blick in
die Historie. „Sowohl als Arbeitstier als auch im Kriegseinsatz war die Gesunderhaltung der Pferdehufe von aller-größtem, auch volkswirtschaftlichem Interesse.“ Auch wenn die Nutzung des Pferdes damals eine gänzlich andere gewesen sei – Ziel des Menschen sei auch heute noch grundsätzlich eine pragmatische, leicht zu handhabende Lösung. „Und das ist zweifelsohne auch aktuell immer noch der genagelte Eisenbeschlag.“ Diesen zu hinterfragen, sei kein neues Phänomen. Denn auch, wenn er viele Vorteile mit sich bringe, so dürften die Nachteile nicht aus den Augen verloren werden. „Eisen werden mit Hufnägeln befestigt, bringen ein gewisses Gewicht mit sich, schränken das Tastgefühl des Pferdes ein, lassen keine Vertikalbewegung zu und hemmen die natürliche Stoßdämpfung auf hartem Untergrund“, nennt Appelbaum einige Punkte.
Alternative: Aluminium
Eine bereits recht weit verbreitete Alternative für Sportpferde sind aus Appelbaums Sicht Aluminiumeisen. Sie sind nicht nur leichter, sondern haben schon materialbedingt einen gewissen stoßdämpfenden Effekt. „Allerdings sind Alueisen etwas teurer und weniger lange haltbar.“ Dennoch bewertet Appelbaum die aktuellen Beispiele, in denen Pferde erfolgreich im Sport ohne Hufschutz antreten, als durchaus positiv. „Wer sich an die Umstellung wagen möchte, sollte sich eng mit seinem Hufschmied, der das Pferd schon lange kennt, und seinem Tierarzt beratschlagen und beurteilen:
Ist der Huf meines Pferdes überhaupt für ein solches Experiment geeignet?“ Auch sei die Haltungsform ein entscheidender Faktor für den Erfolg. „Böden, die wie Schleifpapier wirken, sind Gift für die Hufe.“ Ebenso, wenn das Pferd viel auf steinigen Böden unterwegs ist. „Im Grunde müssen alle Faktoren, die für Abrieb sorgen könnten, in Betracht gezogen werden.“ Ob barhuf oder Eisen – welche Lösung am besten sei, könne pauschal nicht gesagt werden. „Aus meiner Sicht haben alle Varianten Vor- und Nachteile. Die gilt es, im Sinne des einzelnen Pferdes abzuwägen.“
Andrea Zachrau
Eisen hemmen die natürliche Stoßdämpfung – sind für einige Pferde dennoch die beste Wahl.
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