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Angst im Pferdesport, Teil 1

Fluch und Segen

Wochenlang hat man für das erste Turnier trainiert, alles optimal geplant und vorbereitet. Doch am entscheidenden Tag passiert es: Der Puls rast, Schweiß bricht aus, der Körper zittert. Auf einmal funktioniert nichts mehr. Eine Blockade im Kopf. Der Grund ist einfach und vielen Pferdemenschen nicht unbekannt: Angst. Doch was ist Angst eigentlich genau? Wann entsteht sie und wie wirkt sie sich auf das Reiten und den Umgang mit dem Pferd aus? Das klärt der erste Teil des Artikel-Zweiteilers „Angst im Pferdesport“.

Der Auslöser für Angst ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Situationen wie diese können eine Ursache sein. Foto: Jacques Toffi

Feigling, Angsthase, Schisser – Angst ist in unserer Gesellschaft oft negativ besetzt. Wer Angst hat, möchte das ungerne zugeben oder schämt sich sogar dafür. Dabei ist sie völlig normal, ein Grundgefühl wie Liebe, Freude, Wut oder Trauer. Angst gehört für Mensch und auch Tier zum Leben dazu. „Wichtig ist es, sich mit seinen Ängsten zu befassen und sie als etwas Normales zu betrachten“, erklärt Georg W. Fink, langjähriger Ausbilder und Richter, in seinem Buch „Gelassenheit im Pferdesport“, das im FNverlag erschienen ist. „Angst zu haben ist das eine, damit gelassen umzugehen das andere! Und das ist lernbar und trainierbar – sowohl für Pferd wie für den Reiter“.

Säbelzahntiger von heute

Zurück zu der Frage, was Angst eigentlich ist. Die Sportpsychologin Dr. Gaby Bußmann, die selbst im Spitzensport erfolgreich war und die deutschen Kader-Reiter sowie weitere Spitzensportler aus den unterschiedlichsten Sportarten betreut, definiert Angst wie folgt: „Angst beschreibt Gefühlszustände, die sich auf Basis von realer oder angenommener Bedrohung entwickeln.“ Was als Bedrohung zählt, kann sehr unterschiedlich sein. Für den Vorfahren des Menschen waren es zum Beispiel Säbelzahntiger oder Bären. Die Angst warnte den Menschen und hielt ihn davon ab, zu große Risiken einzugehen. Sie war also überlebenswichtig und schützte vor Gefahren.

Diese Schutzfunktion hat die Angst auch heute noch, nur die Bedrohungen haben sich gewandelt. Heute wird der Mensch nicht mehr vom Säbelzahntiger bedroht, sondern zum Beispiel von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Flugzeugabstürzen. Auf den Pferdesport bezogen gibt es beispielsweise Angst vor dem Galoppieren, Springen oder Ausreiten. Wobei man laut Dr. Gaby Bußmann eigentlich von Furcht spricht, wenn sich die Ursache ganz klar benennen lässt, also zum Beispiel bei Platz- oder Höhenangst.

Eine Verweigerung vorm Sprung kann Ursache von Angst sein, zugleich kann Angst aber auch das Verweigern verursachen. Foto: FN-Archiv/Stefan Lafrentz

Eine Situation, die vielen Reitern Angst macht: Das Buckeln erfordert souveränes Reagieren und energisches Vorwärtstreiben. Foto: Stefan Lafrentz

Ursachen von Angst

Früher hatten wahrscheinlich alle Vorfahren des Menschen Angst vor Säbelzahntigern – heute sind die Auslöser bei jedem Menschen unterschiedlich. Der eine hat Angst vor Spinnen, während der andere diese als Haustier hält. Wieder andere fürchten sich vor Pferden, weil diese so groß sind. Auch wie stark jemand Angst empfindet, ist nicht immer gleich. Doch woran liegt das? „Individuelle Unterschiede sind in erster Linie davon abhängig, welche vorherigen eigenen negativen Erlebnisse jemand mit bedrohlichen Ereignissen oder aber welche Beobachtungen er bei Anderen in diesem Kontext gemacht hat“, erklärt Dr. Gaby Bußmann.

Wenn man beispielsweise beim Springen vom Pferd stürzt, entwickelt sich eher ein großes Angstgefühl, wenn man sich dabei verletzt und eine Zeit lang pausieren muss, als wenn man unverletzt ist und direkt wieder aufsitzt. Aber nicht nur körperliche Verletzungen und Schmerzen lösen Angst aus, auch psychische Verletzungen können Ursache sein – durch Misserfolge oder (gefühlte) Blamagen, zum Beispiel auf einem Turnier mit vielen Zuschauern. Auch der Kontrollverlust in unvorhersehbaren Situationen kann Auslöser sein, wie zum Beispiel, wenn ein Pferd im Gelände plötzlich erschrickt und durchgeht. Dabei wird der Reiter mit einer Situation konfrontiert, von der er denkt, dass er sie nicht lösen kann und ist überfordert.

Angst kann auch als Wachmacher fungieren, motivieren und unerwartete Leistungen möglich machen. Foto: PM-Fotowettbewerb/Manuela S.

Angst verleiht Flügel

Neben der bereits angesprochenen Warn- und Schutzfunktion von Angst kann sie auch als Wachmacher fungieren, motivieren und unerwartete Leistungen möglich machen. Denn bei Angst schüttet der Körper vermehrt Adrenalin aus und macht sich bereit für Kampf oder Flucht, indem die Sinne geschärft werden, das Schmerzempfinden zurückgeht, die Motorik angekurbelt und das Immunsystem gebremst wird. So können Leistungen gesteigert werden. Die Redensart „Angst verleiht Flügel“ trifft also wirklich zu. Bei diesem Prozess produziert der Körper auch Endorphine. „Diese werden auch als Glückshormone bezeichnet. Und die versetzen den Geist in einen emotional positiven Zustand, ja in einen wahren Glücksrausch“, betont Georg W. Fink in seinem Buch.

Kein Wunder also, dass viele Menschen stets nach dem Adrenalinkick streben und beispielsweise Fallschirmspringen gehen. Ist die Angst allerdings zu groß, kann sie genau zum Gegenteil vom Leistungssteigerer werden – nämlich zum Leistungshemmer. Statt zu motivieren, bremst sie einen aus, es kommt zu Blockaden, man fühlt sich wie gelähmt. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass es auf dem Turnier überhaupt nicht klappt, zu Hause beim Training aber schon.

Vier Ebenen von Angst

Angst spürt man vor allem körperlich: Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, erhöhter Muskeltonus, Verkrampfung, Zittern, Übelkeit, stockender Atem, Schweißausbruch, Schwindel, Pupillenerweiterung und ein bleiches Gesicht sind die gängigsten Symptome, die die Ausschüttung des Adrenalins mit sich bringt. Dr. Gaby Bußmann verweist auf vier Ebenen: Neben der körperlichen Ebene zeigt sich Angst auch auf der Verhaltensebene, auf der emotionalen sowie auf der kognitiven Ebene. Zur Verhaltensebene wird das Vermeiden von bestimmten Situationen gezählt, zum Beispiel durch Ausreden, Verkrampfen, Zögern, Aggressivität, Passivität und Erstarren. Gefühle wie Hoffnungslosigkeit, Panik, Unsicherheit, Unlust und Hilflosigkeit gehören zur emotionalen Ebene. Der kognitiven Ebene werden alle negativen Gedanken, Selbstzweifel, Fehleinschätzungen und negativen Bewertungen zugeordnet. Zu beachten ist aber, dass Angst sich bei den Menschen unterschiedlich äußert, nicht bei jedem treten alle Symptome in der gleichen Intensität auf.

Pferde spüren Angst

Treten einige dieser Symptome auf, wenn der Reiter auf dem Pferd sitzt, liegt es auf der Hand, dass er nicht mehr in der Lage ist, seine übliche Leistung abzurufen. Denn die Konzentration lässt nach, die Reaktionsfähigkeit auch und er schafft es nicht mehr, die gelernten Techniken abzurufen oder gar den Anweisungen des Ausbilders zu folgen. Er gibt seine Hilfen nicht mehr korrekt und führt Bewegungen nicht richtig aus, noch dazu sitzt er wahrscheinlich verkrampft und angespannt. „In diesem Zustand ist Bewegungslernen nicht mehr möglich“, stellt Lina Otto, Pferdewirtschaftsmeisterin und Mitarbeiterin der FN-Abteilung Ausbildung, fest. „Die Gefahr von Fehleinschätzungen und falschen Reaktionen steigt und damit auch die Unfallgefahr.“ Der ängstliche Reiter wirkt also anders als gewöhnlich und oft falsch auf das Pferd ein, was dieses natürlich bemerkt.

„Pferde erkennen feinste Signale, zum Beispiel Anspannung, Nervosität oder Passivität, sie lesen Ihre Körpersprache und reagieren auf jede veränderte Stimmlage“, betont Silke Hoffmann, Pferdenärrin seit über 35 Jahren, Ausbilderin und Stallbetreiberin, in ihrem im FNverlag erschienenen Buch „Praxiserfahrungen rund um den Alltag mit Pferden“. Pferde spüren Angst. Und das nicht nur beim Reiten, sondern auch im Umgang. Darauf reagieren sie je nach Charakter entweder selbst mit Unsicherheit oder auch mit Widersetzlichkeit. Um beides zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Pferdes.

Verspürt der Reiter Angst, wirkt er anders als gewöhnlich und oft falsch auf das Pferd ein. Missverständnisse sind nur eine der Folgen. Foto: Jacques Toffi

Meiden oder Flucht

Das Pferd ist ursprünglich ein Steppenbewohner und ein Fluchttier. Allerdings kein blinder, panischer Flüchter. Stattdessen hat es in mehreren Millionen Jahren gelernt, bei jedem Gegenstand zu prüfen, ob Gefahr droht oder nicht. Und das in Bruchteilen einer Sekunde. Dafür erkundet das Pferd die Situationen mit allen Sinnen und trifft dann eine Entscheidung. Wird etwas als bedrohend eingestuft, reagiert das Pferd mit Meiden oder Fliehen. Beim Meiden entfernt es sich langsam – im Schritt oder Trab – von der Bedrohung. Flieht es dagegen, galoppiert es in hohem Tempo davon. „Das Fluchtverhalten bereitet vielen Reitern große Probleme, kann es im Extremfall auch mit dem Buckeln und Abwerfen des Reiters verbunden sein“, erklärt Georg W. Fink in seinem Buch. „Dies ist aber natürlich, denn dadurch wirft das Pferd ‚Ballast‘ ab, um schneller zu sein.“ Das Pferd reagiert also aufgrund von angeborenen und erlernten Reaktionsmechanismen.

Nicht jeder Reiter ist im Gelände entspannt und mit Freude unterwegs. Für so manchen Reiter ist der Galopp auf freier Strecke mit Angst vor Kontrollverlust verbunden. Foto: Christiane Slawik

Harmonie entsteht nur, wenn sich Reiter und Pferd sicher fühlen und sich gegenseitig vertrauen. Foto: Christiane Slawik

Eine Frage der Rangordnung

Hat nun der Reiter Angst, beispielsweise vor dem Springen, beeinflusst seine veränderte Einwirkung und Körperhaltung das Gehen des Pferdes. Beide, Pferd und Reiter, sind dann nicht mehr in der Lage, die gewohnten Leistungen zu zeigen, es tritt die sogenannte „Selbsterfüllende Prophezeiung“ ein: Es kommt zu unharmonischen Bewegungen, Fehlern oder gar zum Sturz. Aber natürlich versteht das Pferd nicht, dass die Ursache Angst vor dem Versagen ist. Das Pferd spürt in diesem Fall die Angst des Reiters durch die veränderte Einwirkung und wird selbst unsicher.

Aber nicht jedes Pferd wird unsicher, nur weil der Reiter Angst hat. Oft ist dies bei rangniedrigeren, unsicheren Pferden der Fall. Ein ranghöheres Pferd stellt dagegen eher den ängstlichen Reiter als Herdenchef in Frage. „Die Herde akzeptiert nur einen Chef, der Persönlichkeit und Kompetenz hat und zeigt. Kompetenz in Form von Erfahrung, natürliche Autorität, Übersicht und Intelligenz“, stellt Silke Hoffmann in ihrem Buch fest. „In Krisensituationen muss der Chef der sprichwörtliche Fels in der Brandung sein.“ Ein Reiter, der Angst hat, ist das nicht unbedingt. Ranghohe Pferde erkennen das, verlieren irgendwann den Respekt und das Vertrauen in den Menschen. Eventuell übernehmen sie sogar selbst die Führungsrolle. Das kann zu Problemen führen, beispielsweise wenn das Pferd beim Führen entscheidet, wo es hingeht und der Reiter durch Kraftaufwand versucht, dagegen zu steuern. Pferd und Mensch arbeiten dann gegeneinander statt miteinander – die Partnerschaft ist nicht mehr im Gleichgewicht. Auch Harmonie und das Ziel der nahezu unsichtbaren Einwirkung werden nicht mehr erreicht.

So weit muss es aber nicht kommen. Es gibt viele Strategien, die helfen, Ängste zu überwinden und so die Partnerschaft zum Pferd nicht zu gefährden. Einige dieser Strategien werden im zweiten Teil dieser Serie in der nächsten Ausgabe des PM-Forum vorgestellt. Voraussetzung für die Bewältigung von Angst ist aber in jedem Fall, sie zu akzeptieren. Angst lässt sich nicht ganz vermeiden, aber sie ist nicht nur negativ. Sie kann Adrenalinkick sein und Glückshormone ausschütten, die Leistung steigern und sie ist Schutzfunktion. Angst ist Fluch und Segen zugleich.

Theresa Müller

Buchtipps aus dem FNverlag

Georg W. Fink
Gelassenheit im Pferdesport
Gelassenheit – davon profitieren Pferd und Mensch!
1. Auflage 2007
€ 14,90
ISBN: 978-3-88542-432-1
168 Seiten, über 200 farbige Fotos und Zeichnungen
190 x 250 mm, gb. Hardcover

 

 

 

 

Silke Hoffmann
Praxiserfahrungen rund um den Alltag mit Pferden

Umgang, Training, Haltung und Probleme
1. Auflage 2016
€ 19,90
ISBN: 978-3-88542-897-8
136 Seiten mit vielen farbigen Fotos
168 x 240 mm, kt. Broschurausgabe

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