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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Otto Ammermann

Ein Reiter und das Pferd seines Lebens

Otto Ammermann hat jahrzehntelang die Reiterei in Oldenburg und auf Bundesebene geprägt – vor allem in der Vielseitigkeit. Zu seinem Spitzenpferd hatte er eine ganz besondere Verbundenheit. Ein Besuch dort, wo alles begann.

Alle Fotos: Jacques Toffi

Von seinem Platz am Esstisch hat Otto Ammermann einen guten Blick durchs Fenster auf die andere Straßenseite. Ein geschichtsträchtiger Blick könnte man sagen. Denn dort steht die Reithalle des Jaderberger Reit- und Fahrvereins – dort, wo Otto Ammermanns reiterliche Laufbahn begann und wo er sich mit Anfang 60 zum letzten Mal in den Sattel schwang. Korrekterweise muss man sagen, dort stand die Reithalle. Das Gebäude mit Runddach ist denkmalgeschützt, aber mittlerweile ist dort ein Wildtier- und Vergnügungspark entstanden. Nur das Klinkergemäuer der Reithalle steht noch, der Reithallensand im Innern musste einem Indoor-Spielplatz weichen. Wenn der 91-jährige Senior zur ehemaligen Reithalle schaut, sieht er auch die Geschichte eines Pferdes, das Pferd seines Lebens: Volturno. Der bildschöne Oldenburger Rapphengst, dessen Leben so tragisch endete, dass sich Otto Ammermanns Augen selbst noch heute – mehr als 35 Jahre danach – mit Tränen füllen. Aber von Anfang an.

Frühe Jahre

Otto Ammermann, Jahrgang 1932, ist ein „Alt-Jaderberger“, dort geboren. Jaderberg mit 3.200 Einwohnern ist ein Ortsteil von Jade und liegt im niedersächsischen Landkreis Wesermarsch, rund 25 Kilometer nördlich von Oldenburg und rund 30 Kilometer südlich von Wilhelmshaven. Noch heute lebt Otto Ammermann neben seinem Elternhaus,wo er mit einem Bruder („Er hat mich erzogen.“), seiner Mutter und einem Vater aufgewachsen ist, der bäuerlicher Rennreiter war und bei Halbblutrennen in Oldenburg und Verden an den Start ging. So kam Otto Ammermann sehr früh mit Pferden in Kontakt und fing mit rund zehn Jahren im Jaderberger Reitverein an zu reiten. Nach dem Krieg, der Schule und Handelsschulzeit ging er auf einen Lehrhof mit Pferden, moderne Oldenburger Pferde. Er legte die Prüfung als Reit- und Fahrlehrer in Hoya ab und hatte auch eine enge Verbindung zu Fahrpferden. „Ich war bestrebt, Vierspänner zu fahren“, erzählt der Senior, „und habe sehr viel Zeit und Geld in diese Leidenschaft gesteckt.“ Otto Ammermann ist ein zugewandter, stattlicher Mann, der nicht unbedingt ins Plaudern kommt, dem man aber bei jedem Wort seine Verbundenheit zu seinen Pferden anmerkt. Er spricht akkurat norddeutsch, „stolpert über’n spitzen Stein“ und hat eine sehr genaue Aussprache.

Zwischen Kutschbock und Sattel

Otto Ammermann erinnert sich an eine besondere Geschichte seiner Laufbahn: Als Dr. Wilhelm Büsing nach den Olympischen Spielen in Stockholm, bei denen er als Humanmediziner dabei war und Hans Günter Winkler bei seinem Sieg der Goldmedaille unterstützte, in Wilhelmshaven heiratete, fuhr Otto Ammermann das Brautpaar im Vierspänner. „Die ganze Stadt war damals auf den Beinen!“ Er saß nicht nur auf dem Kutschbock, sondern auch täglich im Sattel. Der Vielseitigkeit gehörte sein Herz, er ritt aber auch zu Erfolgen im Springparcours. „Ich bin immer das geritten, wofür ich ein Pferd hatte.“ Für jeden Preis, den er gewann, konnte er sich selbst auf die Schulter klopfen. Denn alles, was er konnte, hatte er sich selbst beigebracht. „Ich war mein eigener Trainer.“

Im Garten seines Hauses in Jaderberg.

Mit Ehefrau Gedine im Garten.

Sieger aller Meister

Er stand um fünf Uhr morgens auf und ging mit seinen Pferden raus, Kondition trainieren, an Straßen und Wegen entlang. Er kannte jeden Baum in der Gegend. Otto Ammermann wurde 1961 Europameister der ländlichen Reiter und wurde aufgrund dessen 1963 zum Meisterspringen nach Aachen eingeladen. In dieser Prüfung gingen Meister aller Couleur an den Start, Deutsche Meister, Europa- und Weltmeister wie Hans Günter Winkler, Nelson Pessoa und Co. Die ließ der damals 26-jährige Otto Ammermann im Sattel von Servus alle hinter sich und sicherte sich diesen, vor allem für ihn, wichtigen Sieg auf geschichtsträchtigem Boden.

Ein Fohlen von Vollkorn xx

Über Erfolge in kleineren Prüfungen kam er schließlich auch nach Luhmühlen, schon zu der Zeit die Stätte der Vielseitigkeit. „Luhmühlen fand ich am schönsten zu reiten“, erinnert er sich. „Ich bin mit dem Zug und Pferd nach Luhmühlen gefahren, ,Endstation Salzhausen’ hieß es dann immer.“ Mit Alpaca, einem englischen Halbblüter, wurde er dort zum ersten Mal Deutscher Meister. Das war 1969, unter Bundestrainer Max Habel, Otto Ammermann war damals 37 Jahre alt. Schon ein Jahr zuvor war ein besonderes Pferd zur Welt gekommen. 1968 machte Volturno bei Jan Nordendorp die ersten Schritte seines Lebens. Otto Ammermann arbeitete für den Züchter hoch im Blut stehender Oldenburger. Er sollte für die Staatsprämienstute Kateja einen passenden Hengst suchen. Seine Wahl fiel auf den Vollblüter Vollkorn xx. Als sich die Gelegenheit bot, kaufte Otto Ammermann Volturno als Fohlen, zog ihn auf und bildete ihn aus. „Das habe ich gemacht, wie es im Lehrbuch beschrieben ist. In der Regel hat Volturno die Prüfungen, die er gegangen ist, gewonnen. Er war ein hoch im Blut stehender Dreiviertelblüter, ein edler Typ, sehr intelligent. Er könnte auch heute noch mit der Konkurrenz mithalten.“ Über den Landesverband kam Otto Ammermann schließlich nach Warendorf ans DOKR und in engen Kontakt mit den Vielseitigkeitsgrößen Horst Karsten, Herbert Blöcker, Harry Klugmann und Karl, „Kalle“, Schultz.

Glück und Pech

1976 gehörten Otto Ammermann und der gerade erst achtjährige Volturno zum Team für die Olympische Spiele in Montreal. Mit ihnen ritten Herbert Blöcker auf Albrant, Helmut Rethemeir mit Pauline und Karl Schultz auf Madri- gal. „Da hatten wir richtige Klamotten zu springen“, so der Senior. Sein erster Olympiastart gelang leider nicht wie erhofft. Er galoppierte auf der Rennbahn nicht durch die Lichtschranke des Ziels. Die Korrektur kostete nicht nur Zeit, er wurde nach der Prüfung sogar wegen „fremder Hilfe“ disqualifiziert, weil er auf Zurufe aus dem Publikum umgedreht und über die Ziellinie geritten war. Zu allem Pech war Otto Ammermann im anschließenden Geländeteil auch noch an einem schweren Oxer gestürzt, weitergeritten war er trotzdem, das Regelwerk ließ das zu. An der Disqualifikation änderte das aber nichts mehr. Trostpflaster: Mit dem Team gewann er die Silbermedaille. Zwei Jahre später folgte eine weitere Silbermedaille bei den Weltreiterspielen in Lexington. Wiederum zwei Jahre später wiederholte sich das Ganze: Ammermann sicherte sich mit Volturno den deutschen Meistertitel und er belegte bei den „Ersatzspielen“ in Fontainebleau Platz zwei mit dem deutschen Team. Der Einmarsch der Russen in Afghanistan hatte den Boykott der „richtigen“ Spiele in Moskau zur Folge. Den deutschen Meistertitel gewann Otto Ammermann insgesamt dreimal.

Mit Erfolgspferd Volturno in früheren Jahren.

Erfolgspferd Volturno.

Vorreiter mit Fahrradhelm

„Die Championate, die Reisen zu den Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften waren für mich etwas Besonderes. Die Spannung steigerte sich von Tag zu Tag… Aber wenn ich dann am Start war, wenn die Startfahne runterging, war ich entspannt. So reiten, wie’s kommt – das war meine Devise.“  Zu Otto Ammermanns Zeit gab es in den Vielseitigkeitsprüfungen noch die Wegestrecke und Rennbahn, ersteres galt als Vorbereitung auf den Geländekurs, die Rennbahn überprüfte die Kondition der Teilnehmer. Die meisten Hindernisse waren groß, massiv und schwer. „Man konnte diesen Sport früher nur mit entsprechender Vorbereitung machen“, so Ammermann. Er war damals der erste Reiter, der einen Sturzhelm getragen hat, genauer gesagt einen Fahrradhelm. Auf Fotos aus dieser Zeit von Otto Ammermann sieht man, wie er über massive Trakehnergräben und Hecken springt, sich im Abschlussparcours von Lexington auf den Oxer vor sich konzentriert – seine Pferde sind auf allen Bildern mit hannoverschem
oder einfachem englischen Reithalfter gezäumt. „Ich habe immer viel von einfach gehalten“, bringt er es kurz und knapp auf den Punkt.

„Ein anderer Weg“

Anfang 2000 wurde der Modus der Vielseitigkeitsprüfungen verändert, Wegestrecke und Rennbahn gibt es seitdem nicht mehr, die Aufgaben sind technischer geworden, die Sprünge werden gezielt aufgebaut, sie entstehen kaum noch aus den Gegebenheiten der Landschaft. „Die Anforderungen wurden heruntergeschraubt“, so Otto Ammermann. „Ich kann nicht sagen, ob es der bessere Weg ist, es ist ein anderer Weg.“

Viele Verdienste

Über viele Jahre war Otto Ammermann das Aushängeschild der Oldenburger Reiterei. Er war einer der erfolgreichsten deutschen Vielseitigkeitsreiter der 1960er und 1970er Jahre. Im Sattel saß er bis Anfang 60. „Pferde haben mir sehr viel bedeutet, alles, was ich gemacht habe, hatte mit Pferden zu tun.“ Er ist seit über 80 Jahren Persönliches Mitglied der FN, mit zehn Jahren trat er über seine Eltern ein. Er arbeitete zeitlebens als Versicherungsvertreter, als Experte für Tierversicherungen, er war Vorsitzender des Bezirksverbandes Oldenburg, Mitglied der Landeskommission und Vorstandsmitglied des Pferdesportverbandes Weser-Ems und zeichnete sich 25 Jahre lang verantwortlich für das Rasteder Landesturnier. Bis heute ist er Ehrenmitglied im Oldenburger Verband. Er wurde mit dem Reiterkreuz in Bronze geehrt und erhielt das Verdienstkreuz am Bande des Niedersächsischen Verdienstordens.

 

Als Größe seiner Zeit sogar auf einem Kartenspiel verewigt.

Eheleben

Aus seiner ersten Ehe, die er 1978 mit Meredith geb. Meade schloss, hat Otto Ammermann zwei Stiefsöhne und eine Tochter, die alle auch Vielseitigkeit geritten sind. Mittlerweile gibt es auch fünf Enkelkinder. Mit Gedine Ammermann ist er seit elf Jahren in zweiter Ehe verheiratet. Die Eheleute waren gut befreundet, bevor Gedine Ammermann Witwe wurde und auch Otto Ammermanns erste Frau starb. Gedine Ammermanns früherer Mann hatte sie zu Otto Ammermann in den Unterricht geschickt, sie saß auf Volturno. „Er war ein schönes Pferd, das mich geduldig ertragen hat. Mit Ottos beruhigender Stimme trabte und galoppierte er mit mir“, erzählt die 79-Jährige.

Züchterisch begehrt

1984 ritt Otto Ammermann Volturno 16-jährig noch seine letzten Prüfungen. Der Hengst hatte sich nicht nur sportlich bewiesen, sondern war auch züchterisch sehr begehrt. Insbesondere über seine Töchter Voila und Ruling Chica aus der Zucht von Harli Seifert in Lodbergen verbreitete sich das Blut des Oldenburger Hauptprämiensiegers von Vollkorn xx – Manolete xx in alle Welt. Über Voila wurde er zum Ur-Großvater der Hengste Chaccomino und Gio-Granno sowie der Stute Grannuschka, der Mutter von Ludger Beerbaums Couleur Rubin und drei weiterer gekörter Hengste.

Ein Ende im Drama

1988 wurde Volturno nach Maryland geflogen, er war als Deckhengst angefragt worden und sollte dort in Quarantäne. „Damals kam eine richtige Welle auf, deutsche Hengste waren begehrt“, erinnert sich der Senior. Er begleitete seinen vierbeinigen Partner in die USA, musste dann aber wegen einer Beerdigung kurzfristig zurück nach Deutschland. Als er sich ein paar Tage später wieder auf den Weg zu Volturno machen wollte, bekam er einen Anruf, der seine Welt aus den Fugen geraten ließ: „Mir wurde gesagt, Volturno sei Opfer eines Attentats geworden. Sein Darm war durchtrennt worden. Er hatte keine Chance. Das FBI war damals involviert in die Untersuchungen.“ Man vermutet, dass die Konkurrenz Volturno getötet hat. Er wurde im Lexington Horse Park begraben und bekam einen Grabstein. Dort liegen heute manchmal noch frische Blumen. Otto Ammermann bekommt hin und wieder Bilder geschickt von Freunden, wenn sie in Lexington sind. „Eines Tages rief mich ein Freund an, der gerade auf einem Turnier in Lexington war, und erzählte, dass während der Siegerehrung eine Gedenkminute für Volturno gehalten wurde …“ Otto Ammermanns Stimme bricht, Tränen in den Augen, er kann nicht weitersprechen. Noch heute sind die Erinnerungen an seinen Sportpartner und dessen Tod schmerzhaft. „Volturno war nicht zu ersetzen.“ 2015 wurden Otto Ammermann und sein Hengst als zehnter deutscher Reiter von der Vereinigung internationaler Vielseitigkeitsreiter in die „Hall of Fame“ des Vielseitigkeitssports in Luhmühlen aufgenommen.

Laura Becker

Besondere Pferde

Unter „Dibo“ wurde Avedon noch im Jahr des Kaufs Bundeschampion, zwei Jahre später gewann er Silber bei der WM der jungen Vielseitigkeitspferde. 2012 belegte er Rang drei beim CCI4* (heute CCI5*-L) in Luhmühlen. 2013 holten die beiden Teamgold bei der EM in Malmö. 2019 verabschiedete Andreas Dibowski den Rappen aus dem Sport, nachdem er nochmal siegreich beim CCI4*-S in Strzegom gewesen war und Achter beim CCI5*-L in Pau wurde. Damals sagte sein Reiter: „Es gibt Pferde, an denen man sich erfreut. Die man verwöhnt, die man liebt. Es gibt Pferde, die sind Partner. Mit ihnen gewinnt man, mit ihnen verliert man. Und es gibt Pferde, mit denen ist alles anders. Mit ihnen ist alles besonders. Es gibt Avedon.“ Das kann Dr. Manfred Giensch bestimmt genauso unterschreiben. Wallussa war wohl das Pferd seines Lebens als Reiter, Butts Avedon ist es für ihn als Pferdebesitzer. So war auch klar, dass Avedon nach seinem Abschied von Dibowskis zu Familie Giensch umzieht. Seitdem genießt der mittlerweile 20-jährige Wallach die Wiese und Fürsorge der Mädchen und ist ihnen außerdem ein guter Lehrmeis- ter: Mit Lara war er bis CCI 3*-L erfolgreich unterwegs und mit Ella hat er Zwei-Sterne-Prüfungen absolviert. Dr. Manfred Giensch streicht dem Rappen über den Hals. Er lächelt, wenn er über seine Enkelinnen und wenn er über Avedon spricht. „Pferde bedeuten Entspannung für mich. Sie sind Verpflichtung, eine Aufgabe und letztendlich Freude. Ich bewundere die Psyche der Pferde, alles, was sie freiwillig machen. Sie haben so viel Kopf. Wie oft sie ihren Reitern mithelfen… bewundernswert.“

Laura Becker

Erinnerungsstücke auf dem Wohnzimmertisch.

Grabstein Volturnos im Lexington Horse Park.

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