Ausbildungstipp: Wenn Pferde mit angezogener Bremse springen

Mehr Mut im Parcours

Wenn das Pferd im Parcours nicht „zieht“, schwunglos zwischen den Sprüngen agiert und dem Reiter das Gefühl von Unwohlsein oder gar Angst vermittelt, dann hilft nur eines: Vertrauen aufbauen. Wie es funktioniert, erklärt FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess in folgendem Beitrag.

Ziel der Ausbildung ist es, dass das Pferd mit Freude und vor allem Selbstvertrauen die Aufgaben im Parcours bewältigt. Bei ängst­lichen Pferden dauert dieser Prozess allerdings etwas länger.

Frage: Ich habe eine sehr talentierte fünfjährige Stute, die ich selber gezogen habe und ausbilde. Sie sollte bald ihre ersten Springpferdeprüfungen gehen. Ich habe das Problem, dass sozusagen das Gaspedal klemmt. Besonders in fremder Umgebung ist sie sehr ängstlich und blockiert bis hin zum Rückwärts gehen. Ich komme zwischen den Hindernissen nicht genügend durch mit meinen Hilfen, am Sprung ist sie dann gut, nur der Weg dahin ist manchmal sehr schwierig, Ablenkung von allen Seiten und angsteinflößende Fangständer bringen sie völlig aus dem Konzept. Sie bleibt aus vollem Galopp stehen und widersetzt sich. Ist die Stute noch nicht so weit, oder was kann ich tun, damit es besser wird.

Yvonne Kaiser

Wir Reiter und Ausbilder haben uns immer wieder auf ganz unterschiedliche Pferde einzustellen und müssen in jedes einzelne Pferd sorgfältig „hineinhorchen“ und die individuelle Körpersprache beobachten. Ihre Stute ist in fremder Umgebung ängstlich und blockiert, das heißt sie nimmt Ihre vortreibenden Hilfen nicht an und widersetzt sich, indem sie rückwärts geht. Es ist sehr positiv, wenn die Stute am Sprung selbst gut ist, also zum Sprung hin zieht, kraftvoll abspringt und den Sprung in guter Manier vorsichtig überwindet.

Pferde, die im ersten Auftreten eher vorsichtig sind, sind oftmals die Pferde, an denen Reiter langfristig mehr Freude haben werden. Diese Pferde sind am Sprung aufmerksam und vorsichtig, werden also nicht so häufig Fehler produzieren, müssen dafür aber Selbstvertrauen bekommen. Ich möchte Ihnen deshalb empfehlen, Ihr Pferd so viel wie möglich zwischen den Hindernissen zu reiten – und dies in der Halle und auf dem offenen Springplatz. Das Reiten im Gelände ist besonders wichtig für den Aufbau von Selbstvertrauen. Entscheidend ist es, dass Sie sich mit Ihrer Stute viel Zeit lassen, nichts überstürzen und sich stets vor Augen führen, wie wichtig es für ein ängstliches Pferd ist, dass dieses zunächst möglichst nur Positives im Parcours erlebt.

Gemeinschaft ist Trumpf

Unsere Altvorderen haben es uns vorgemacht: Das Anreiten der Remonten erfolgte stets in der Gruppe. Es wurde in der Abteilung geritten, die jungen Pferde wurden oftmals eingesprungen, indem ein erfahrenes Führpferd eingesetzt wurde und so das junge Pferde problemlos hinter dem erfahrenen Pferd her trabte beziehungsweise galoppierte und die unbekannten Hindernisse absolvierte. In diesem Falle wurde der den Pferden angeborene natürliche Herdentrieb ausgenutzt, der in der Ausbildung stets eine wichtige Rolle spielen sollte. Je besser wir als Reiter und Ausbilder dies berücksichtigen, desto erfolgreicher werden wir sein – und vor allem wird es dann zu weniger Auseinandersetzungen mit dem Pferd kommen.

Ich empfehle Ihnen, neben dem Reiten in der Gruppe beziehungsweise hinter einem Führpferd auch stets an der eigentlichen Grundlage – der gymnastizierenden Dressurarbeit – weiter zu arbeiten. Je sensibler Ihre Stute Ihre treibenden Hilfen annimmt, je sicherer sie sich auf der Basis der Skala der Ausbildung reiten lässt, desto weniger problematisch wird das Reiten in fremder Umgebung sein.

Es gibt neben dem Reiten auch die Möglichkeit, das Pferd vom Boden aus zu arbeiten, es zu führen und ihm dadurch das nötige Vertrauen zu vermitteln. Doch hier möchte ich der Illusion vorbeugen, dass sich das Reiten dann fast erübrigt, weil das Pferd „brav“ überall hingeht. Das ist nicht der Fall. Als Ergänzung halte ich die Bodenschule für außerordentlich hilfreich, doch ersetzt sie nicht das Reiten. Häufig ist es insbesondere bei jüngeren Pferden so, dass sich auftretende Probleme – zum Beispiel Scheuen an speziellen Fangständern – dadurch vermeiden lassen, dass der Reiter sein Pferd an diesen Ständern vorbei führt. Hat das Pferd auf diese Weise Vertrauen gewonnen, dann sollten Sie Ihr Pferd bewusst alleine an der Situation, die die Ängstlichkeit auslöst, vorbei reiten, indem Sie Ihr Pferd schenkelweichartig beziehungsweise schulterhereinartig arbeiten – mit der Vorhand in die Gegenrichtung des angsteinflößenden Hindernisses. Sie sollten dies so oft wiederholen, bis die letzte Ängstlichkeit beziehungsweise Spannung abgebaut wurde.
Es ist ganz wichtig, dass Sie sich für jede Unterrichtseinheit ein Ziel setzen. Bei Ängstlichkeit von Pferden wäre das Strafen völlig falsch, so wie ich das Strafen eines Pferdes generell ablehne! Aber ein Pferd muss immer akzeptieren, sich bedingungslos nach vorne reiten zu lassen. Ist dieses Annehmen der vortreibenden Hilfe nicht gewährleistet, dann darf der Reiter diese einmal energisch einsetzen, weil dies der Natur des Pferdes als Fluchttier entspricht. Oftmals sind wir in derartigen Situationen nicht konsequent genug. Wir korrigieren oftmals nur „halb“ und haben oft unser Pferd nur „halb“ vor uns und damit nur „halb“ an unserer treibenden Hilfe. „Halb reiten“ versteht ein Pferd nicht, sondern nur echte Konsequenz und diese muss sich der Reiter jeden Tag aufs Neue bei seinem Pferd erarbeiten.

Vertrauensbildende Maßnahme: Hat das Pferd Angst vor einem Hindernis, soll es alle Zeit bekommen, das „unbekannte Objekt“ in Augenschein zu nehmen.

Fremde Plätze

Sind Sie in der Lage Ihr Pferd zuhause problemlos zwischen den Hindernissen zu reiten und hier einfache Parcours in der Halle und auf dem offenen Reitplatz zu absolvieren, dann sollten Sie in die Nachbarschaft fahren und Ihr Pferd dort vor neue Aufgaben stellen. Diese müssen so gewählt sein, dass Sie von Ihrer Stute problemlos absolviert werden können. Das beginnt damit, dass Sie – bevor Sie überhaupt an das Springen denken – Ihr Pferd dort vorbereiten, wo Sie hinterher springen wollen, Ihr Pferd muss mit der ungewohnten Umgebung vertraut gemacht werden; denn Vertrauen ist in dieser Phase von entscheidender Bedeutung. Auch hier empfiehlt es sich jemanden am Boden zu haben, der gegebenenfalls Ihr Pferd an Hindernissen vorbei führt, die ängstigen. Auch das Vorspringen eines erfahrenen Pferd-Reiter-Paares kann sinnvoll sein.

Im Regelfall kommt die Disharmonie mit Ihrem Pferd deshalb zustande, weil es Ihnen als Reiter (noch) nicht bedingungslos vertraut und Ihre Hilfen nicht hundertprozentig annimmt. Eine gute Möglichkeit, das Pferd weiter an ungewohnte Situationen zu gewöhnen, ist, in dem Sie Fangständer, Unterstellteile usw. verwenden und diese aufbauen, ohne die Hindernisstangen hineinzuhängen. Sie sollten diese nur auf den Boden legen, um darüber zu traben bzw. zu galoppieren. Gelingt Ihnen der Parcours mit am Boden liegenden Stangen und niedrigen Unterstellteilen, wird Ihr Pferd an Selbstvertrauen gewinnen. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass oftmals das Traben zu Beginn besser als das Galoppieren ist. Insofern sollten Sie sich nicht „mit allen Mitteln“ darum bemühen, Ihr Pferd im Galopp zu halten. Eine weitere Möglichkeit, sich neue Hindernisse zu erarbeiten ist die, sich vorab eine Gymnastikreihe aufzubauen und am Ende entweder auf gerader oder gebogener Linie ein Hindernis zu stellen, welches bei Ihrem Pferd normalerweise ein Zögern verursacht.

Fazit

Bei Pferden, die im Parcours ängstlich sind, muss mehr Zeit für die Basisausbildung eingeplant werden. Diese Ausbildung wird sich langfristig auszahlen, wenn Sie kleine Schritte wählen. Sie werden in einigen Monaten ein reifes Parcourspferd unter dem Sattel haben, das mit Freude und vor allem Selbstvertrauen zwischen den Hindernissen galoppiert und diese mit Freude in guter Manier überwindet. Erfolgserlebnisse, die Sie Ihrem Pferd auf diesem Wege vermitteln, führen zu einem Motivationsschub bei Ihrer Stute und lässt sie als „Pferdepersönlichkeit“ reifen.

Christoph Hess

PM-Leserinnen und -Leser können sich bei Ausbildungsproble­men gerne an Christoph Hess wenden. Schildern Sie Ihre Schwie­rig­keiten kurz und bündig, die Redaktion wählt dann einen Beitrag für die Veröffentlichung aus. Wenn Sie ein gutes, druckfähiges Foto ­haben, können Sie dies selbstverständlich mitschicken.

Kontakt: chess@fn-dokr.de

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