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Lektion im Fokus: Schulterherein

Ausbildung mit Expertin Lina Otto

Strafen ja oder nein?

Missverständnisse zwischen Pferd und Reiter können auftreten. Wichtig ist, dass der Reiter fair reagiert. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Frage: Seit vielen Jahren schon verbringe ich meine Freizeit mit Pferden. Auch wenn ich selbst schon so manches Mal an meine Grenzen gestoßen bin, war und ist es immer meine oberste Prämisse, mein Pferd respektvoll zu behandeln. Leider muss ich immer wieder beobachten, dass dies nicht für alle Reiter selbstverständlich ist. Ich konnte schon häufiger übermäßigen Gerten- und Sporeneinsatz oder Gewalt gegen das Pferd beobachten, meist in Situationen, in denen das Pferd nicht so wollte wie der Reiter. Daher liegen mir zwei Fragen am Herzen: 1) Wie gehe ich als Reiter souverän mit Situationen um, in denen mein Pferd nicht „funktioniert“? 2) Was kann ich als unbeteiligter Beobachter tun, wenn ich sehe, dass ein Pferd schlecht behandelt wird?

Von Ihnen beschriebene Situationen haben sicherlich viele von uns schon erlebt. Im Umgang mit dem Pferd und beim Reiten sorgt die Tatsache, dass Mensch und Pferd nicht eine Sprache sprechen, für zahlreiche Stolpersteine, die das harmonische Miteinander erschweren. Diese Diskrepanz kann nur überbrückt werden, wenn wir einen Perspektivwechsel vornehmen und Situationen durch die Augen des Pferdes betrachten. Nur wer es schafft, sich in das Pferd hineinzuversetzen, kann angemessen reagieren. Die innere Bereitschaft dies zu tun, ist eine der grundlegenden Eigenschaften guter Pferdemenschen.

Vertrauen und Respekt

Idealerweise lernt das Pferd den Menschen als verlässlichen Sozialpartner kennen, entwickelt eine gesunde Mischung aus Vertrauen und Respekt. Dafür ist es wichtig, dass wir in allen Situationen für das Pferd gleichbleibend verständlich, konsequent und fair auftreten. Das hohe Gut des Vertrauens ist aber schnell verspielt, wenn der Reiter irrational reagiert, seine Emotionen nicht kontrolliert und beispielsweise die Wut über eine missglückte Lektion am Pferd auslässt. Oft sind dabei Schuldzuweisungen zu hören wie „Die will mich ärgern“ oder „Der macht das mit Absicht!“. Dabei werden Pferde mit rein menschlichen Eigenschaften belegt und beschimpft, wenn es nicht läuft wie geplant. In solchen Situationen hilft es, sich selbst immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass Pferde eben genau so nicht sind: Pferde handeln niemals willkürlich oder planen ihre Aktionen im Voraus. Sie reagieren auf unsere Hilfen und Signale. Kommt es zu Missverständnissen, muss sich der Reiter fragen, was er falsch gemacht hat. Dies gilt insbesondere für Probleme bei bestimmten Lektionen und Übungen.

Ruhe bewahren

Auf typisches Verhalten des jungen Pferdes mit Strafe zu reagieren, würde das Vertrauen zum Menschen nachhaltig stören. Foto: Stefan Lafrentz

Womit wir bei Ihrer ersten Frage wären: Nehmen Sie sich in einer solchen Situation einen Moment Zeit, um tief durchzuatmen. Kommen Sie zur Ruhe. Reiten Sie Schritt und analysieren Sie die Situation. Überlegen Sie, was Sie besser machen müssen, um für Ihr Pferd klar verständlich zu sein. Gehen Sie eventuell noch mal einen Schritt zurück auf ein Niveau, das sicher klappt. Wenn Sie dieses Prozedere einige Mal durchgeführt haben, werden Sie merken, dass Sie souveräner reagieren und zu einer positiven Lösung finden – auch ohne jedes Mal lange nachzudenken. Grundsätzlich gilt für viele Bereiche: Eine Übung, die auch nach drei Versuchen nicht klappt, ist heute noch zu schwer.

Strafen mit Verstand

Doch nicht immer ist es zielführend, erst einmal abzuwarten und nachzudenken. Manchmal braucht es schnelle Reaktionen, etwa wenn es darum geht, unerwünschtes Verhalten zu unterbinden. Schnappt das Pferd beim Putzen nach mir, kann ein unverzüglicher Klaps auf die Maulgegend angemessen sein. Durch die unmittelbare und unmissverständliche Rückmeldung lernt das Pferd, dass Schnappen unerwünscht ist und Bestrafung nach sich zieht. Das klappt natürlich nur, wenn das Schnappen immer und sofort bestraft wird und nicht nur hin und wieder oder erst nach dem fünften Versuch. Was im Umgang vielfach gut funktioniert, führt beim Reiten in den wenigsten Fällen zum Erfolg. Scheut das Pferd beispielsweise vor einer bestimmten Ecke in der Reitbahn, bekommt es durch dosierten Einsatz der vortreibenden Hilfen wieder Sicherheit vermittelt – ein Strafen des Pferdes für ein angeborenes Verhalten zeugt von geringem Fachverstand. Grundsätzlich unsinnig und gegen die Natur des Pferdes ist der übermäßige Einsatz von Gerte oder Sporen, um ein Fehlverhalten zu bestrafen. Ein Pferd, das vor einem Hindernis verweigert, wird nach einer ordentlichen Tracht Prügel beim nächsten Mal nicht einsichtig sein. Viel wahrscheinlicher ist es, dass das Pferd verunsichert und ängstlich wird, die Freude am Springen und das Vertrauen zum Reiter verliert.

Pro Pferd

Womit wir bei Ihrer zweiten Frage wären, nämlich nach dem Umgang mit Menschen, die sich bei Problemen mit dem Pferd falsch verhalten. Grundsätzlich gehen wir erst einmal davon aus, dass alle Menschen, die sich mit Pferden beschäftigen, durch eine grundlegende Liebe zum Pferd motiviert sind. Daher liegt vielfach Unwissenheit, Unsicherheit und vielleicht auch Überforderung dem falschen Verhalten zugrunde. Es bietet sich also an, in zwei Schritten vorzugehen: Als erstes Einschreiten und Unterbinden der Bestrafung des Pferdes. Das ist unsere Pflicht dem Pferd gegenüber. Sagen Sie laut und deutlich, allerdings so sachlich wie möglich, dass Sie die Szene beobachten und das Verhalten des Reiters für übertrieben und unangemessen halten. Häufig reicht es schon, den Teufelskreis aus Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit durch ein beherztes Einmischen zu durchbrechen. Gerade wenn die betreffende Person eigentlich ein Vorbild ist – also Ausbilder, Stallbetreiber oder erfolgreicher Turniersportler – ist es wichtig, nochmal an ihre Vorbildfunktion zu appellieren.

Courage zeigen

Bieten Sie im zweiten Schritt Hilfe an, in dem Sie einen erfahrenen Ausbilder hinzuholen, das Hindernis niedriger machen oder auch durch ein klärendes Gespräch. Schlimmstenfalls gibt es zuständige Stellen, bei denen Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zur Anzeige gebracht werden können. Dafür sind Fotos oder Videos als Beweismaterial gut und idealerweise auch weitere Zeugen. Auf der FN-Webseite sind dazu wichtige Informationen und Ansprechpartner zusammengestellt: www.pferd-aktuell.de/ausbildung/pferdehaltung/tierschutz. Courage zeigen ist nicht immer einfach und solche Situationen können belasten – gerade im näheren Umfeld. Jeder kann einfach effektiven Tierschutz leisten und jeder, der von tierschutzwidrigen Zuständen oder Vorfällen weiß und nichts unternimmt, sorgt dafür, dass es bei anderen Pferdesportlern als „akzeptabel“ eingeordnet wird und macht sich zumindest im moralischen Sinne mit schuldig. Schauen Sie also nicht weg, die Pferde werden es Ihnen danken!

Lina Otto Foto: privat

Die Expertin

Lina Sophie Otto ist Pferdewirtschaftsmeisterin und Trainerin A – Reiten/Leistungssport und als solche in der FN-Abteilung Ausbildung vor allem für die Bereiche Blended Learning und Online-Seminare zuständig. Als Expertin berät und unterstützt sie das Team des PM-Forum bei allen Fragen rund um die richtlinienkonforme Ausbildung von Pferd und Reiter.

Frage an die FN-Experten

Ausbildung, Haltung, Fütterung, Gesundheit, Turniersport oder Recht? Sie haben zu einem der Themenbereiche auch eine Frage an die FN-Experten? Dann senden Sie uns diese gerne mit dem Betreff „Rubrik Leser fragen“ per E-Mail an pm-forum@fn-dokr.de. Die Redaktion beantwortet ausgewählte Fragen im Magazin.

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