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Angst im Pferdesport, Teil 2

Der Angst den Kampf ansagen

Warn- und Schutzfunktion, Wachmacher, Leistungshemmer – Angst hat viele Gesichter. Was dagegen eindeutig ist: Angst kann man nicht mal eben auf Knopfdruck ausschalten. Treten Symptome wie Schweißausbruch, Zittern oder Verkrampfung erst einmal auf, ist es schwer, sie wieder loszuwerden. Einige Strategien können jedoch helfen, Angst zu bewältigen. Welche das sind, wie der Ausbilder unterstützen und wie der ängstliche Reiter an sich arbeiten kann, wird in diesem Beitrag aufgezeigt.
Es ist wichtig, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen und ihnen nicht nur aus dem Weg zu gehen. Fotos (5): Stefan Lafrentz
Beinahe jeder Mensch kennt es, Angst zu haben. Es ist ein normales Gefühl wie Trauer, Freude oder Wut. Die Ursachen sind vielfältig: vor Schmerzen, vor Unbekanntem, vor dem Versagen. Oder auf das Reiten bezogen: vor Ausritten, vor dem Springen oder vor Turnieren. Dabei ist es gerade im Sport nicht ungefährlich, wenn man unter starken Angstgefühlen leidet. Angst führt neben der Ausschüttung von Adrenalin zum Beispiel dazu, dass der Reiter nicht mehr richtig auf das Pferd einwirkt, weil er sich verkrampft oder wie gelähmt ist. Dadurch kann er auch Anweisungen des Reitlehrers nicht mehr richtig umsetzen. Natürlich spürt das Pferd dies und reagiert auf das veränderte Verhalten. Das kann zu einer erhöhten Sturzgefahr führen. Grund genug, Angst den Kampf anzusagen.
Angst entsteht häufig durch Überforderung. Sie kann vermieden werden, wenn man in kleinen Schritten an Neues herangeführt wird
Angst vorbeugen Mit den richtigen Vorkehrungen gelingt es, Angst erst gar keinen Raum zu geben. Eine große Rolle spielt dabei der Ausbilder. „Der Reitlehrer muss beim Training das Prinzip des methodischen Vorgehens anwenden“, erklärt Pferdewirtschaftsmeisterin Lina Otto aus der FN-Abteilung Ausbildung. „Das bedeutet, dass man immer mit dem Leichten, Bekannten und Einfachen startet, bevor man sich an das Schwerere, Unbekannte oder Komplexere wagt.“ Dr. Svenja Konowalczyk von der Technischen Universität Dortmund sieht es ähnlich: „Angst entsteht häufig durch Überforderung.
Sie kann vermieden werden, wenn man in kleinen Schritten an Neues herangeführt wird.“ Dies nennt sich auch Progressionsmethode. Und gerade im Pferdesport wird bei neuen Übungen häufig nicht kleinschrittig genug vorgegangen: Die Folgen sind Unverständnis, Unsicherheit und dann auch bald schon Angst.
Reiter und Pferd sollten mit einfachen Übungen beginnen. Beim Springtraining von Kombinationen wird daher mit Cavaletti begonnen.
Zur Angstvorbeugung und Bewältigung gehört nicht nur die Reitstunde. Auch Zeit für Gespräche und Feedback sollte ein Ausbilder einplanen.
Hierzu ein Beispiel: Ein Springanfänger soll zum ersten Mal eine Kombination springen. Das Springtraining beginnt aber nicht direkt mit dieser Herausforderung, sondern mit Übungen im leichten Sitz, Cavaletti und niedrigen Sprüngen. Damit der Reiter ein Gefühl für das Reiten von Kombinationen bekommt, wird diese zunächst nur aus Cavaletti aufgebaut, erst mit zwei und dann mit einem Galoppsprung dazwischen. Wird diese Übung erfolgreich absolviert, kann sie mit einladenden Kreuzsprüngen wiederholt werden. Erst dann werden die Sprünge schrittweise erhöht. Wichtig ist dabei, dass die einzelnen Schritte häufig genug wiederholt und Pausen dazwischen eingebaut werden. Denn Ziel ist es, Erfolgserlebnisse zu schaffen und Trainingseinheiten stets positiv zu beenden. Weniger ist dabei oft mehr! Und Sprünge erhöhen kann man in den nächsten Trainingsstunden immer noch. „Kleine Schritte schaffen Vertrauen zum Pferd und zum Ausbilder. Das gibt Sicherheit und Angst entsteht erst gar nicht“, betont Otto.
Ein Ausbilder sollte die Anzeichen für Angst bei seinen Reitschülern erkennen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Fotos (2): Stefan Lafrentz
Sicherheit vermitteln Ausbilder können ihren Reitschülern also durch ihre Trainingsmethoden Sicherheit geben. Sie müssen aber auch Ängste frühzeitig erkennen, diese respektieren und ernst nehmen – also Empathievermögen mitbringen. Sprüche wie „Jetzt stell dich nicht so an!“ verunsichern und demütigen die Reitschüler nur. Konzentriertes Arbeiten ist Pflicht. Denn nur dann werden Signale für Angst wahrgenommen. Bemerkt der Ausbilder Ängste, sollte er auf das Niveau zurückgehen, das der Reitschüler schon sicher beherrscht.
Ein Ausbilder kann aber nur helfen, wenn die Reitschüler ihm vertrauen. Damit das gelingt, können laut Dr. Konowalczyk einige Situations techniken angewendet werden, zum Beispiel Körperkontakt in Form von Hilfestellungen, Entspannungspausen zwischendurch, Präzision und Klarheit bei der Aufgabenstellung sowie die Arbeit in Kleingruppen.
Einen großen Beitrag zur Vertrauensbildung und Angstvorbeugung leistet auch die Gruppenzusammensetzung. Ein ängstlicher Reiter fühlt sich wohler in einer Gruppe angstfreier Reiter, die ihm Sicherheit geben, als in einer Gruppe mit ängstlichen Reitern, in der sich die Reiter mit ihrer Angst schnell gegenseitig „hochschaukeln“. Eine große Rolle spielt auch ein vielseitiger, abwechslungsreicher Unterricht, denn so lernen die Reitschüler, mit vielen verschiedenen Situationen umzugehen. Das schafft Bewegungssicherheit. Natürlich ist auch die Auswahl der Pferde wichtig.
Ein Ausbilder sollte die Anzeichen für Angst bei seinen Reitschülern erkennen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Fotos (2): Stefan Lafrentz
Der Ausbilder sollte sichere, gut ausgebildete Pferde einsetzen und darauf achten, dass Reiter und Pferd zusammenpassen. Ein ängstlicher Reiter passt nicht zu einem nervösen Pferd. Zur Angstvorbeugung und Bewältigung gehört aber nicht nur die Reitstunde. Auch Zeit für Gespräche und für Feedback sollte ein Ausbilder auf jeden Fall einplanen. Zusatzangebote kann er ebenfalls anbieten, beispielsweise Athletiktraining für Erwachsene oder Bewegungsangebote für Kinder, wie das Lernen des richtigen Abrollens bei einem Sturz vom Pferd. So werden Defizite ausgeglichen und die Reitschüler erhalten Bewegungssicherheit.
Ein ängstlicher Reiter fühlt sich wohler in einer Gruppe angstfreier Reiter, die ihm Sicherheit und Selbstvertrauen geben
Insgesamt ist es wichtig, dass der Ausbilder darauf achtet, welche Angstsituation auftritt und wie der Reitschüler reagiert. Auf jeden Reitschüler sollte auch individuell eingegangen werden. Denn jeder ist anders, jeder hat unterschiedliche Ängste und reagiert anders darauf. Deswegen ist auch nicht jede Technik zur Angstbewältigung bei jedem erfolgreich. Da der Ausbilder meistens nicht bei jedem Training seiner Reitschüler dabei ist, hilft es auch, wenn er seinen Schützlingen ein paar Tipps an die Hand gibt, wie diese sich verhalten sollen, wenn sie Angst haben.

Die Experten:

Dr. Gaby Bußmann ist Sportpsychologin und betreut die deutschen Kaderreiter. Foto: FN-Archiv
Pferdewirtschaftsmeisterin Lina Otto weiß als Ausbilderin, wie man Reitschülern die Angst nimmt. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Ja, ich habe Angst!

Wer sich richtig vorbereitet, weiß im Fall der Fälle nicht nur, wie er seine Angst bewältigen kann, sondern vermeidet sogar extreme Reaktionen wie Lähmungserscheinungen, Blockaden oder das typische „vor Angst den Verstand verlieren“. Der erste Schritt ist, sich einzugestehen, dass man Angst hat. Vielen Menschen ist dies unangenehm, da sie denken, dass Angst ein Zeichen von Schwäche ist. Und niemand möchte ein Feigling sein. Aber Angst zu haben, ist normal. Es gilt, sich selbst das klar zu machen. So sieht es auch Sportpsychologin Dr. Gaby Bußmann, die die deutschen Kaderreiter sportpsychologisch betreut: „Man muss bei seinen Gefühlen ankommen, um sie verändern zu können. Mit dem Akzeptieren der Gefühle kommt Ruhe ins System, damit können dann Emotionen effektiv verändert und reguliert werden“. Bußmann orientiert sich dabei am Training emotionaler Kompetenzen (TEK) von Prof. Matthias Berking.

Alles Kopfsache

Angstbewältigung beginnt im Kopf. Wenn man sich eingesteht, dass man Angst hat, hilft es, mit einer vertrauten Person darüber zu sprechen und nach der Ursache zu suchen. Beispielsweise kann man seinen Trainingsplan unter die Lupe nehmen: Habe ich genug Pausen gemacht? Bin ich kleinschrittig genug vorgegangen? Habe ich vielleicht zu schnell zu viel gemacht? Hier hilft die Meinung einer anderen Person enorm. Ist man alleine mit der Angst, sollte man laut Dr. Gaby Bußmann versuchen, seine Gedanken zu kontrollieren.
Dazu sollten die guten, handlungsleitenden Gedanken vorab erarbeitet werden und dann gilt Gedankendisziplin: Nur positive Gedanken sind erlaubt, der innere Zweifler wird stummgeschaltet. Negative Gedanken fressen nur Energie. Humor kann hingegen der Schlüssel zum Weg aus der Angst sein. „Die Erheiterung schiebt die Angst quasi weg. Es sind gegensätzliche Gefühle“, erklärt die Sportpsychologin. Lachen ruft Glückshormone hervor, steigert das Wohlbefinden und reduziert Stress. Ein guter Witz, der vom Humorniveau zur Person passt, kann sogar von der Angst ablenken.
Feste Rituale und Routinen können bei Angst helfen, so zum Beispiel ein Apfel, den das Pferd immer vor einem Turnierstart bekommt. Foto: Karolin Heepmann/ PM-Fotowettbewerb
Außerdem empfiehlt Expertin Dr. Bußmann, Mutsätze zu bilden. Dafür nimmt man sich einen Augenblick Zeit und überlegt: Welche Sätze machen mir Mut? Welche Sätze verhelfen mir zu guter Laune und Zuversicht? Welche Sätze möchte ich gerne noch einmal hören? Dabei kann man zusätzlich an das eigene Stärkenprofil denken: Was können mein Pferd und ich besonders gut? Sich bewusst an gelungene Trainingseinheiten oder Ritte auf dem Turnier zu erinnern oder sich diese auf Video anzuschauen, kann ebenfalls helfen. Das alles gibt Sicherheit und Selbstbewusstsein, die für Erfolg notwendig sind.
Humor kann der Schlüssel zum Weg aus der Angst sein, denn Lachen ruft Glückshormone hervor und reduziert Stress. Foto: Thoms Lehmann/ FN-Archiv
„Das Geheimnis des Erfolgs ist dadurch begründet, dass der Athlet im entscheidenden Augenblick loslässt, auf seine Fähigkeiten und Fertigkeiten vertraut und die intuitiven Bewegungen zulässt“, meint Dr. Bußmann. Des Weiteren geben feste Rituale und Routinen Sicherheit, zum Beispiel eine Glücksschabracke oder dass das Pferd vor jedem Turnier einen Apfel bekommt. Auch die Szenario-Technik kann man anwenden. Dabei bildet man im Kopf das beste, das schlechteste und das realistischste Szenario, das in einer Situation passieren kann. Dadurch „entkatastrophisiert“ man nicht nur seine Gedanken, sondern entwickelt auch eine erweiterte und angemessenere Perspektive.

Die Haltung zählt

Nicht nur die Gedanken sind relevant, auch der Körper. „Die Psyche des Menschen kann nicht ohne den Körper betrachtet werden. Das bedeutet: Die Körperhaltung hat einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Person. Wer aufrecht sitzt, ist motivierter und leistungsbereiter“, erzählt Dr. Gaby Bußmann. Die Sportpsychologin empfiehlt auch Atem- und Entspannungsübungen und hat zum Schluss noch einen Tipp: „Es bringt nichts, immer vor der Angst zu flüchten. Nervenzellen sind wie Muskeln: Wenn man sie trainiert, werden sie stärker.“ Auch hier verweist sie auf das Training emotionaler Kompetenzen. Das heißt, es ist wichtig, sich mit den Ängsten auseinanderzusetzen und ihnen nicht nur aus dem Weg zu gehen. Und auch Techniken muss man erst erlernen, muss ausprobieren und herausfinden, welche zu einem persönlich passen. Wie bei vielen Dingen gilt also auch bei der Angstbewältigung: Übung macht den Meister! Theresa Müller

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