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Working Equitation

Klassische Dressurlektionen mal anders

Ausbildungsideen und neue Trainingsanreize fürs Dressurviereck gefällig? Wie wäre es mit Working Equitation? Diese Reitdisziplin hat viel mehr mit Dressurreiten zu tun, als es auf den ersten Blick scheint. Ein Blick über den Tellerrand, der sich lohnt!

Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht anders scheint: Working Equitation und klassische Dressur liegen gar nicht so weit auseinander. Alle Fotos: Christiane Slawik

Immerzu Dressurlektionen abspulen, ist eintönig und kann schnell in die ein oder andere Sackgasse führen. Ein abwechslungsreiches Trainingsprogramist viel effektiver und nachhaltiger. Und manche Probleme lassen sich mit einer anderen Herangehensweise viel einfacher lösen. Wer mal etwas ganz Neues ausprobieren möchte, ist in der Working Equitation, kurz WE, genau richtig. „Konventionelles Training ist oft einseitig. Bei der Working Equitation ist man gezwungen, sich mit unkonventionellen Aufgaben auseinanderzusetzen“, berichtet Ulrike Fischer.

„Die Working Equitation lässt sich wunderbar als Ergänzung zur Dressurausbildung integrieren.“ Die 58-Jährige aus Ostfriesland ist als Späteinsteigerin zunächst den klassischen Ausbildungsweg gegangen, lernte unter anderem unter den Fittichen von Christoph Hess, Hannes Müller, Eckart Meyners und Ulf Wiltfang und hat mit ihrem Friesen Tammo klassische Dressurprüfungen bis Klasse L gewonnen. Doch die hundertprozentige Leichtigkeit wollte nicht gelingen, berichtet sie und Ulrike Fischer wünschte sich, dass ihr Pferd mehr mitdenkt im Training. Da begann sie, sich mit der Working Equitation zu beschäftigen. „Working Equitation ist nichts anderes als angewandtes Dressurreiten“, so Fischer. „Sie lebt von Übergängen und Handwechseln, fliegenden Galoppwechseln und Rückwärtsrichten.“

Job gemeinsam erledigen

Die Working Equitation ist unterteilt in vier Teilbereiche. Neben der Dressur als Grundlage, gibt es den Stiltrail und den Speedtrail sowie die Rinderarbeit (siehe Kasten auf Seite 15). „Durch die Vielseitigkeit der Working Equitation bringe ich viel mehr Abwechslung ins Training. Und je mehr Abwechslung ich biete, desto besser ist das Pferd bei mir. Working Equitation ist ein partnerschaftlicher Umgang von zwei Lebewesen, die einen Job erledigen“, erläutert Michael Sund, Trainer A Leistungssport, WE-Ausbilder mit Turniererfahrungen bis hin zur Masterclass und Leiter der Pianova Reitakademie in Ostfriesland. Auch Ulrike Fischer lernt bei ihm.

Ulrike Fischer hat Inspiration in der Working Equitation gefunden und trainiert fleißig, noch präziser zu reiten. Foto: privat/Martin Boomgaarden

Die Rinderarbeit ist der Ursprung der Working Equitation. Pferd und Reiter müssen ein Rind aus der Herde selektieren und es anschließend in einen abgetrennten Bereich treiben.

So entstand Working Equitation

Im Zuge der Modernisierung drohten die alten europäischen Arbeitsreitweisen aus beispielsweise Portugal, Spanien, Frankreich und Italien, zu der unter anderem das Hüten und Treiben von Rindern gehörte, in Vergessenheit zu geraten. Um das zu verhindern, entstand die Idee, für diese regionalen Reitweisen eine internationale Dachorganisation, Standards und Vergleichswettkämpfe ins Leben zu rufen: die Working Equitation. In Deutschland gibt es den Verband Working Equitation Deutschland (WED). Der übergeordnete Dachverband ist die World Association for Working Equitation (WAWE) in Portugal. Diesem Verband gehören mittlerweile Verbände aus zwölf Ländern an. 1996 gab es das erste Turnier. Seit 2008 gehört auch Deutschland dazu. www.working-equitation-deutschland-ev.de

Tonne für runde Volten

Die dressurmäßige Arbeit ist bei der Working Equitation immer mit einer Aufgabe verbunden. Hauptgangart ab Klasse A ist der Galopp, es gibt viele Richtungs- und Tempiwechsel und Übergänge auf kurzen Distanzen. Der Grundsatz des WE-Trainings ist, dass man in jeder Situation anhalten können muss. Pferd und Reiter bewältigen gemeinsam außergewöhnliche Situationen, das stärkt das Vertrauen ungemein und fördert die Gelassenheit beider Parteien. Das Pferd ist aufmerksam und lernt mitzudenken und selbst mitzuarbeiten. Der positive Nebeneffekt: Man verbessert auch Lektionen und Anforderungen für das klassische Dressurviereck.

Ulrike Fischer berichtet aus ihrer Erfahrung: „Es ist total spannend um eine Tonne zu reiten. Der Fokus liegt dabei auf dem Objekt. So wird die Volte automatisch rund und das Pferd trägt sich. Das rufe ich mir dann als inneres Bild auf, wenn ich im Dressurviereck reite – dann wird die Volte auch da rund. Die Working Equitation hat den Zweck, das Pferd gymnastisch auszubilden. Man hat immer etwas im Fokus und so keine Zeit die Knie hochzuziehen oder nach unten zu schauen. Der Oberkörper geht automatisch in die richtige Richtung, nämlich zum nächsten Hindernis. Beim Ringstechen zum Beispiel muss man zielgenau treffen und man merkt gleichzeitig, ob man ausbalanciert sitzt. Man muss das Pferd jederzeit an den Hilfen haben und unabhängig von der Hand einwirken können. Das Ziel ist ja dann später, die Aufgaben auch einhändig bewältigen zu können. Dafür brauche ich ein durchlässiges Pferd und muss selbst meine Hilfen optimal anwenden können, vor allem Gewichts- und Schenkelhilfen“.

Schenkelweichen wird mit einer Stange trainiert. Die Übung ist auch Teil des Stiltrails in der Working Equitation.

Tonnen sind ein beliebtes Instrument in der Working Equitation – mit ihnen lassen sich verschiedenste Fähigkeiten schulen.

Tor, Brücke, Glockengasse

Es gibt noch mehr Beispiele, die zeigen, wie eng die Verbindung zwischen der WE und dem klassischen Dressurreiten ist: Die Aufgabe „Tor“ – also ein Tor oder ein Gatter öffnen, hindurchreiten und wieder schließen – beinhaltet beispielsweise fünf Lektionen: Schulterherein, ganze Parade, Rückwärtsrichten, Schenkelweichen und ruhiges Stehen. Man braucht ein geradegerichtetes, durchlässiges und gelassenes Pferd, einen guten Übergang und Schenkelgehorsam. Um die „Brücke“ zu überqueren, muss der Reiter das Pferd unter sich sicher eingerahmt an den Hilfen halten können. Und vor allem: Es braucht Vertrauen! Alles Punkte, die auch im Dressurviereck gefordert sind und trainiert werden. In der „Glockengasse“ – eine Gasse in L-Form, an deren Ende ein Glöckchen geläutet werden muss – werden ein korrekter Übergang, das taktmäßige Schreiten durch die Gasse sowie die ganze Parade und das geschlossene, gelassene Stehen am Ende der Gasse überprüft. Während der Reiter das Glöckchen klingelt, muss das Pferd vertrauensvoll und ruhig stehenbleiben. Anschließend geht es rückwärts durch die Gasse zurück. Der Reiter muss das Pferd also geradeaus und durch eine Wendung flüssig rückwärtsrichten können.

Das ist Working Equitation

Ziel des Working Equitation Trainings sind ein gelassenes, rittiges und fein reagierendes Pferd, absolutes Vertrauen zwischen Reiter und Pferd und vor allem: Freude an der Arbeit! Working Equitation teilt sich auf in vier Teilbereiche:

Der erste Teil ist eine Dressuraufgabe mit klassischen Lektionen in unterschiedlichen Leistungsklassen, sie bildet die Grundlage. Es gibt auch Fußnoten für Rittigkeit, Gehorsam, Rückentätigkeit und Gelassenheit. Auf Turnieren ist bei Punktgleichheit das bessere Dressurergebnis entscheidend.

Der zweite Teil ist ein Stiltrail, ein Trailparcours mit zehn bis 15 verschiedenen Hindernissen. Die Anzahl der Hindernisse und die Gestaltung richten sich nach Leistungsklassen. Die Trailhindernisse bestehen zum Beispiel aus Slalom reiten (auch rückwärts), Gatter oder Tor öffnen und schließen, Brücke überqueren, Tonnen umrunden, Sidepass – also Schenkelweichen oder Travers über einer Stange, eine Gasse durchreiten, einen kleinen Sprung überwinden, Ring stechen… Die Hindernisse müssen in der angegebenen Reihenfolge absolviert werden. Bewertet wird die korrekte Ausführung.

Teil drei ist der Speedtrail, ein Trailparcours ähnlich dem des Stiltrails, der auf Geschwindigkeit geritten wird, die Königsklasse der WE. Fehler in den Hindernissen ergeben Strafsekunden bzw. manche Hindernisse müssen als Prüfungsanforderung von den Reitern wieder aufgebaut werden, wenn ein Fehler passiert – das kostet Zeit. Der Schnellste gewinnt. Man kann sagen, dass die Dressur, Teilbereich eins, im Stil- und Speedtrail amHindernis umgesetzt wird.

Der vierte Teil ist die Rinderarbeit, der wirkliche Ursprung der WE. Auf Turnieren wird sie aber nicht immer ausgeschrieben. Aufgabe ist es, ein Rind aus einer Herde zu selektieren, im Team wird es dann in einen abgetrennten Bereich getrieben. Auf den Turnieren darf jeder ohne spezielle Voraussetzungen starten. Es gibt Übungsturniere, Einsteigerprüfungen und Prüfungen für Fortgeschrittene. Einsteiger reiten beidhändig auf Trense oder auf Kandare mit Unterlegtrense. Auf fortgeschrittenem Niveau, der Masterclass, wird einhändig auf blanker Kandare geritten. Die Masterclass wird nur auf internationalen Turnieren ausgeschrieben und beinhaltet eine gesonderte Dressuraufgabe mit Elementen aus der ursprünglichen Arbeitsreitweise Es gibt ein nationales und ein internationales Reglement, das einfach zu verstehen und auch für Zuschauer sehr nahbar ist.

Tempo, Tempo, Tempo! Der Speedtrail ist die Königsklasse der Working Equitation. Um ihn fehlerfrei zu bewältigen, müssen Pferd und Reiter eine gut abgestimmte Einheit sein.

Beim Durchreiten eines Tors lassen sich verschiedene Lektionen üben, zum Beispiel das Schulterherein, Schenkelweichen, präzises Anhalten und Rückwärtsrichten.

Bei der Working Equitation wird viel einhändig geritten. Dafür muss der Reiter das Pferd jederzeit sicher an den Hilfen haben und unabhängig von der Hand einwirken können.

Teambuilding: Gerade bei der Rinderarbeit stellen sich Pferd und Reiter gemeinsam außergewöhnlichen Situationen.

Tonne für runde Volten

„Die Slalomstangen und Pylonen sind meine Tanzpartner und wenn ich um so einen Tanzpartner herumreite und ihn anschaue, mache ich automatisch alles richtig: Die äußere Schulter geht vor, ich belaste den inneren Gesäßknochen und ich stelle und biege mein Pferd“, erklärt Michael Sund weitere Vorteile der WE-Ausbildung für das klassische Dressurtraining. „Beim Slalomreiten beispielsweise sind halbe Pirouetten gefordert mit fliegendem Galoppwechsel. Da kann ich das Pferd nicht hindurchziehen. Die halben Pirouetten reite ich nur über den Sitz. Das passiert später ganz von allein. Man bekommt in der Working Equitation für Pirouten viel bessere Impulse, denn einhändig muss man viel mehr mit dem Körper arbeiten.“

Skala der Ausbildung

An der Skala der Ausbildung hangelt sich nicht nur das klassische Dressurtraining entlang, sondern auch die Ausbildung in der WE: Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichten und Versammlung werden in jeder Aufgabe eines Trails abgefragt. Erst stilistisch und dann mit Tempo – das geht nur mit einem durchlässigen Pferd. An neue Hindernisse wird das Pferd in Ruhe herangeführt. Die Aufgabe wird in einzelne, kleine Schritte aufgeteilt und am Ende „zusammengebaut“. Daraus werden flüssige Abläufe erstellt. Ansonsten werden die Pferde zu eilig und im Speedtrail würde später nichts mehr funktionieren, berichten die Profis. Gelassenheit ist sowohl vom Pferd als auch vom Reiter gefordert. Ist das Pferd gestresst, kann es nicht mitdenken und die Aufgaben würden nur unter Druck und Zwang gelingen, aber nicht harmonisch. Das Ziel ist aber, dass das Pferd Selbstvertrauen bekommt und selbst mitarbeitet.

Frisch vorwärts: In der Working Equitation wird viel im Galopp geritten. Dabei werden auch Richtungs- und Tempiwechsel sowie Übergänge auf kurzen Distanzen abgefragt.

Absolut vielseitig: Auch ein Gehorsamssprung gehört zum Trail in der Working Equitation.

Buchtipp

Wer sich näher einlesen möchte in die Working Equitation, dem sei das Buch „Dressur meets Working Equitation“ von Nicola Danner und Birte Ostwald aus dem FNverlag ans Herz gelegt. Es liefert Tipps und Anregungen für vielseitiges Reiten für jeden Reiter, jede Reitweise und Pferderasse und ist nicht nur randvoll gespickt mit Informationen, sondern auch mit schönen Fotos aus der Welt der Working Equitation illustriert.
ISBN 978-3-88542-411-6, 35 Euro, www.fnverlag.de

 

Klassische Lektionen verbessern

„Die Working Equitation war mein Weg, vernünftig und leicht reiten zu können. Ich brauchte neuen Input. Mit der Working Equitation kann man ein Pferd möglichst vielschichtig ausbilden und Hilfsmittel benutzen. Es ist wie ein eigener Scan für sich selbst. Und für mich eine Ergänzung zum bestehenden System“, erklärt Ulrike Fischer ihre Ambitionen, das klassische Dressurviereck langfristig mit der WE-Ausbildung zu verknüpfen. „Ich schaue über den Tellerrand und benutze die Working Equitation, um klassische Lektionen auszuführen. Durch das Erarbeiten der Working Equitation-Hindernisse verbessere ich die klassischen Lektionen im Dressurviereck. So, dass es dem Pferd dabei gut geht.“

Laura Becker

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