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Lernen vom Reitmeister: Udo Lange
„Nie den klassischen Weg verlassen!“
Berlin 2019 – beim Reitturnier im Rahmen der Grünen Woche in Berlin wird Jochen Vetters in den „Adelsstand“ der deutschen Ausbilderpersönlichkeiten erhoben. Vetters wird der Reitmeister-Titel verliehen, er wird damit zum 32. deutschen Reitmeister.
Jochen Vetters, hier auf Sir Schenkenberg, wurde 2019 der Titel Reitmeister verliehen. Alle Fotos: Stefan Lafrentz
„Das war eine Riesenüberraschung“, schmunzelt der Ausbilder. „Ich hatte im Vorfeld keine Ahnung und habe niemals damit gerechnet. Der Reitmeister- Titel ist die höchste Auszeichnung, die ein Ausbilder erlangen kann. Ich habe eine Woche gebraucht, um das zu verarbeiten“, sagt er. Jochen Vetters ist in Sachsen-Anhalt geboren und aufgewachsen und ist dort seit frühester Kindheit geritten, erst auf Ponys, dann auf Großpferden, im Spring- und im Vielseitigkeitssattel. Mit 14 Jahren hat er sich der Dressur gewidmet, wurde Juniorenmeister in der DDR und Bereiter in Neustadt/ Dosse. „Neustadt war die offizielle Verkaufsstelle für Pferde in der DDR, viele ostdeutsche Pferde wurden damals in den Westen verkauft.“ So hat Vetters viele junge Pferde angeritten und für den Verkauf ausgebildet. „Ein Teil der Pferde blieb aber bei uns für die eigene Turnierreiterei. Talentierte Pferde haben wir bis zur Grand Prix- Reife ausgebildet und auf Turnieren vorgestellt. In den Westen durften wir damals nicht, aber im Osten kannten wir jeden Turnierplatz.“ 1990 hatte sich Vetters mit Jenson für die Weltreiterspiele in Stockholm qualifiziert, aber die DDR schickte damals wegen fehlender Finanzen keine Reiter nach Stockholm.
Weg in die Selbstständigkeit
Eine wichtige Rolle in Vetters Laufbahn hatte der zweimalige Olympiateilnehmer und legendäre Ausbilder Horst Köhler. „Ich habe 20 Jahre mit ihm zusammengearbeitet und sehr viel von ihm gelernt.“ In den Zeiten der Wende stand die Zukunft Neustadts in Frage. Vetters nutzte den Moment, um sich selbstständig zu machen. „Ich wollte lieber selbst handeln, statt abzuwarten, wie es weitergehen könnte.“ Gewagt, getan! Zusammen mit seiner Frau Marion hat er einen eigenen Betrieb in Neubeeren im Süden von Berlin aufgezogen – unterstützt von Johann Hinnemann. „Jo hat mir zu Beginn meiner Selbstständigkeit einen Pferdehänger geschenkt. Ich war oft bei ihm, habe viel mit ihm trainiert und durch ihn auch viel vom internationalen Geschehen mitbekommen.“
Seine aktive Laufbahn hat Vetters 2017 beendet und widmet sich seither der Ausbildung von Reitern und Pferden.
Erfolgspferd Fanano
Mit Dossepfeil war Vetters 1998 erstmals beim Nürnberger Burg-Pokal-Finale am Start, wurde Zweiter und gewann den Siegerpreis. 2006 bis 2008 war er mit Erfolgspferd Fanano Mitglied im Bundeskader und gewann 2006 Bronze bei den Deutschen Meisterschaften. „Ich habe Fanano eher zufällig auf der Weide entdeckt“, erzählt Vetters. „Der Besitzer sagte damals, er sei absolut unreitbar, aber ich habe etwas in ihm gesehen und habe ihn für 1.000 Mark gekauft. Alles mit ihm war eine Herausforderung, irgendwann ist der Knoten geplatzt und er hat Vertrauen gefasst.“
Trainerlaufbahn
1990 bis 2012 war Vetters Landestrainer der Junioren und Jungen Reiter Berlin-Brandenburg, 2010 bis 2014 Honorartrainer der Landgestüte Moritzburg, Redefin und Neustadt/Dosse, seit 2017 ist er Mitglied im Landesjugend- Trainerteam Berlin-Brandenburg – um nur einige Trainerstationen herauszupicken. 2017 hat Jochen Vetters seine aktive Laufbahn beendet und sich seither voll seinem Stall und der Ausbildung von Reitern und Pferden gewidmet. „Der Stall läuft prima, ich habe tolle junge Leute, die ich ausbilden darf, und sitze täglich noch selbst im Sattel. Das alles macht mir riesigen Spaß.“
Kim Kreling
Jochen Vetters Ausbildungstipp: Die Entwicklung der Passage
Zur Entwicklung der Passage ist es wichtig, dass das Pferd einen gut abfußenden, schwungvollen, versammelten Trab geht. Es gibt Pferde, denen das passageartige Traben sehr leichtfällt. Das ist natürlich ein Riesenvorteil. Dann ist es praktisch nur noch eine Frage der Durchlässigkeit: Man nimmt die Pferde aus dem schwungvollen Trab mit halben Paraden etwas auf, bis sie erste Ansätze einer Passage anbieten. Voraussetzung ist, dass sie vorher die Tempounterschiede, beispielsweise Mitteltrab-Arbeitstrab, Arbeitstrab-Versammelter Trab sehr gut durchlassen. Ich habe beste Erfahrungen damit gemacht, immer über den schwungvollen versammelten Trab die Pferde mit halben Paraden zurückzuholen – fast spielerisch, so dass die Pferde weiter traben, aber mehr Last aufnehmen und sich mehr schließen. Die Kadenz muss dabei erhalten bleiben. Bei der passenden Linienfindung probiere ich aus: Wo fühlt sich das Pferd am wohlsten? An der Bande finden sie am Anfang oft besser die Balance, die lange Seite bietet sich zur Entwicklung der Passage somit an. Und ich fühle immer heraus, auf welcher Hand sich das Pferd noch wohler fühlt, auf der Seite beginne ich mit dem Erlernen.
Zu hoch, zu tief…
Was häufig falsch verstanden wird, ist der Begriff des hohen Genicks. Die Pferde sollen in relativer Aufrichtung sein, ja, aber dabei nachgiebig im Genick. Häufig werden die Pferde zu sehr aufgerichtet, so dass der Rücken weggedrückt wird und die Hinterhand nach hinten ausweicht. Dann müssen die Pferde erst wieder vermehrt über den Rücken gearbeitet werden. Die Pferde dürfen weder zu sehr aufgerichtet noch zu eng sein. Der Rahmen, der muss immer erhalten bleiben. Dann gibt es Pferde, die in der Passage schwanken. Ich hatte ein Pferd, das relativ deutlich ins Schwanken kam in der Passage. Wenn ich den losgelassen über den Rücken geritten habe, war das Schwanken weg. Wichtig ist, dass man das Pferd erst über den Rücken zum Durchschwingen bekommt. Je mehr Stabilität das Pferd bekommt, umso leichter fällt ihm in der Lektion die korrekte Aufrichtung.
Schenkel mit Gefühl
Aus meinem Verständnis muss man die Schenkel bei der Passage am Pferd haben, um das Signal zum Abfußen des Hinterbeins zu geben. Wobei ich hier nicht von „fest drücken“ mit dem Schenkel rede und schon gar nicht von vehementem Sporeneinsatz. Der Einsatz des Schenkels muss gefühlvoll sein. Man muss immer das Gefühl haben, dass das Pferd ein bisschen vor dem Schenkel ist. Das alles muss im Einklang mit der Einwirkung des Oberkörpers passieren. Man muss die Gesäßmuskulatur etwas anspannen und ruhig und geschmeidig sitzen. Bei manchen Pferden mehr, bei anderen weniger, das kommt individuell aufs Pferd an. Es gibt durchaus Pferde, bei denen man in der Passage und Piaffe etwas leichter sitzen muss, um den Rücken „frei“ zu halten. Wenn man bei diesen Pferden zu tief einsitzt, drücken sie den Rücken weg – das wäre kontraproduktiv. Man muss in der Hilfengebung besonders einfühlsam sein, um sie dem jeweiligen Pferd anzupassen, aber: Man darf nie den klassischen Weg der Reitlehre verlassen!
Tipp zum Ende
Gerade durch die Fortschritte in der Zucht gibt es inzwischen auch viele Pferde, die in der „Pi-Pa-Tour“ eher übereifrig werden. Als Reiter habe ich hier die Aufgabe, etwas passiver einzuwirken, aber trotzdem am Pferd dranzubleiben, um dem Pferd immer mehr Sicherheit zu vermitteln. Noch ein Tipp: Wenn ein Pferd die Passage schon gelernt hat, dann achte ich darauf, dass das Pferd nicht von allein die Passage beendet. Natürlich fange ich beim Erlernen der Passage mit ganz wenigen Tritten an, aber auch da achte ich schon darauf, dass das Pferd nicht allein aufhört. Nach zwei, drei Tritten pariere ich nicht durch zum Schritt und lobe, sondern reite immer im lockeren Trab nach vorne aus der Passage – auch aus der Piaffe. So bleiben Vorwärtstendenz und Rückentätigkeit erhalten.
Rund um die Passage dreht sich Jochen Vetters Ausbildungstipp.
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