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Ausbildungstipp von Christoph Hess

Reif für die Kandare

Es ist für jeden Reiter eine Herausforderung, sein Pferd auf Trense in korrekter Anlehnung zu reiten, es also aus dem Hinterbein über den schwingenden Rücken an die Hand heran zu arbeiten. Hat der Reiter diesen Ausbildungsschritt erreicht, dann ist er gemeinsam mit seinem Pferd „reif für die Kandare“. Wie der Reiter mit der Kandare „warm werden“ kann, erläutert FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess.

In sicherer Selbsthaltung und vertrauensvoll an beide Gebisse heranschwingend präsentiert sich Damon Jerome unter Uta Gräf beim Reiten auf Kandare. Foto: Jacques Toffi

Bevor der Reiter zur Kandare greift, sollte er seine Fähigkeiten selbstkritisch hinterfragen. Als wichtige Voraussetzungen für gutes Reiten, und damit auch für das Reiten auf Kandare, gelten die beiden Kriterien Gleichgewicht und Losgelassenheit. Ziel der Ausbildung muss es sein, dem Reiter unabhängig von seiner Disziplin und seinem Niveau ein geschmeidiges Ein- bzw. Mitgehen in die Bewegung des Pferdes zu vermitteln. Ist das Ein- und Mitgehen des Reiters in die Bewegungsabläufe des Pferdes gegeben, dann wird er in der Lage sein, sich dabei mehr und mehr auszubalancieren, und das unabhängig von den Zügeln. Das zügelunabhängige Mitschwingen fällt jedoch vielen Reitern schwer. Die Reiter halten sich zumeist unbewusst am Zügel fest, um damit ihr Gleichgewicht im Sattel zu verbessern. Diesen schwerwiegenden Fehler gilt es zu korrigieren und zwar unabhängig davon, ob auf Trense oder auf Kandare geritten wird.

Unabhängig von der Hand

Beim Reiten auf Trense ist dieses Problem dabei noch nicht so gravierend wie beim Reiten auf Kandare. Das einfach oder doppelt gebrochene Trensengebiss ist im Pferdemaul flexibler, der Zügeldruck verteilt sich gleichmäßiger. Beim Stangengebiss der Kandare wird der Druck durch die seitlichen Aufzüge noch verstärkt und auf das Genick übertragen. Das bedeutet, dass sich jeder Reiter, bevor er mit dem Reiten auf Kandare beginnt, mit der Frage beschäftigen muss, ob er unabhängig von den Zügeln zum Sitzen kommt, und das in den drei Grundgangarten inklusive der verschiedenen Tempi.

In sicherer Selbsthaltung und vertrauensvoll an beide Gebisse heranschwingend präsentiert sich Damon Jerome unter Uta Gräf beim Reiten auf Kandare. Foto: Jacques Toffi

Nur ein Reiter, der wirklich unabhängig von der Hand ausbalanciert und losgelassen zum Sitzen kommt, sollte das Reiten auf Kandare beginnen. Insbesondere das Überstreichen und das Reiten mit einer Hand eignen sich zur Überprüfung der korrekten Einwirkung. Hat der Reiter das Pferd sicher vor sich und an den Hilfen, gelingen sowohl das Überstreichen, entweder mit der jeweils inneren Hand oder mit beiden Händen, als auch das Reiten mit einer Hand in allen drei Gangarten und auf beiden Händen gleichermaßen. Zeigen sich bei diesen beiden Prüfsteinen der Zügelunabhängigkeit noch Probleme, sollte der Reiter diese erst lösen, bevor er zur Kandare greift. Wir Reiter neigen fast instinktiv dazu, viel zu häufig unsere Hände zu benutzen, um die Bewegung der Pferde damit zu beeinflussen bzw. zu verändern. Soll abgewendet werden, wird oftmals fälschlicherweise der innere Zügel verwendet. Das gleiche gilt für das Parieren eines eiligen Pferdes oder beim Durchparieren. Doch das ist ein falscher Weg, der durch gezielte Ausbildungsmaßnahmen korrigiert werden muss. Damit hat das Verständnis einherzugehen, dass ein Festhalten am Zügel stets den Fluchtinstinkt des Pferdes stimuliert und zudem durch die Sensibilität

des Maules ein Unwohlsein beim Pferd hervorruft. Deshalb sollte sich der Reiter immer auch mit den Themen „Natur des Pferdes“, „Beschaffenheit des Pferdemauls“ und „Wirkungsweise der Kandare“ befassen. Fundierte Kenntnisse in diesen Bereichen sensibilisieren und beugen Fehlern durch Unwissenheit vor.

Kandarenreife beim Pferd

Das Reiten auf Kandare soll die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd verfeinern. Das ist nur möglich, wenn die Kommunikation auf Trense bereits ein hohes Maß an Sensibilität erreicht hat. Wenn ein Pferd sechsjährig ist und Erfolge auf L-Niveau errungen wurden, dann sollte dies der Fall sein. Ein Pferd ist kandarenreif, wenn der Reiter es sicher vor sich und an den treibenden Hilfen hat, das heißt, wenn es auf jede noch so leichte treibende Einwirkung nach vorne an die Hand, also an das Gebiss, heranzieht und auch die verhaltenden Hilfen vertrauensvoll annimmt. Dabei muss das Pferd ruhig, aber dennoch tätig auf dem Gebiss kauen.

Christoph Hess. Foto: FN-Archiv

Die Zunge muss jederzeit ruhig unter dem Gebiss liegen, denn ihr kommt damit eine Art Pufferfunktion zu. Dieses Vertrauen zum Gebiss und zur Hand des Reiters ist eine Grundvoraussetzung für das Reiten auf Kandare. Darauf aufbauend ist das Pferd im Verlauf seiner Grundausbildung systematisch geradegerichtet und vermehrt zur Lastaufnahme auf dem Hinterbein angeregt worden, es befindet sich also in seiner Ausbildung auf dem Niveau der beginnenden Versammlung.

1 Richtig eingehängte Kinnkette – bei angenommenem Kandarenzügel entsteht ein Winkel von etwa 45°, 2 Kandare „fällt durch” –die Kinnkette wird zu lang eingelegt, 3 Kandare „strotzt” – die Kinnkette wird zu stramm eingelegt

Unbedingt ist darauf zu achten, dass das Pferd auch während der versammelnden Arbeit stets dehnungsbereit bleibt, sich also immer vertrauensvoll an das Gebiss herandehnt. Fehlt diese Dehnungsbereitschaft schon beim Reiten auf Trense, wird sich der Effekt mit der Kandare eher noch verstärken und die Rückentätigkeit des Pferdes nachlassen. Das Zügel-aus-der-Handkauen-Lassen stellt eine wertvolle Möglichkeit zur Überprüfung dar und sollte regelmäßig in die Arbeit eingebaut werden, besonders auch nach Reprisen der versammelnden Arbeit.

Angefasste Trense (3:1); Der Kandarenzügel (gestrichelt) verläuft zur linken Hand des Reiters zwischen Mittelfinger und Ringfinger.

Erste Schritte

Sind diese Voraussetzungen gegeben, empfiehlt es sich, als ersten Schritt einen zweiten Zügel in das Trensengebiss einzuschnallen. So lernt der Reiter mit vier Zügeln zu „agieren“. Zunächst sollten in jede Hand zwei Zügel genommen werden. Aber auch das Reiten mit vier Zügeln in einer Hand ist zu üben. Übungen wie das Zügel-aus-der-Hand-kauen-Lassen, das Nachgurten oder auch das Halten und Grüßen können so maulschonend geübt werden, denn sie erfordern schon ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl. Besonders beim Nachfassen der Zügel ist darauf zu achten, dass der Trensenzügel stets vorherrschend bleibt und nicht aus Versehen der Kandarenzügel zu kurz gefasst wird.
Ganz wichtig ist das Auswählen und richtige Verschnallen der Kandare (siehe auch Kasten auf Seite 9). Hier sollte der Ausbilder um Hilfe gebeten werden. Er wird unter anderem darauf achten, wie groß die Maulspalte des Pferdes ist, um danach das Kandarengebiss und die Unterlegtrense auszuwählen. Als Anhaltspunkt kann das Trensengebiss dienen. Wird das Pferd auf Trense mit einem doppelt gebrochenen Olivenkopfgebiss geritten, fühlt es sich oft auch mit einem solchen Gebiss als Unterlegtrense am wohlsten. Es empfiehlt sich aber, verschiedene Gebisse auszuprobieren.

 

So sitzt die Kandare richtig

Ein geeignetes Gebiss für den Einstieg mit moderater Zungenfreiheit und mittellangen Anzügen. Foto: Sprenger

Die Kandare besteht aus zwei Gebissen: der Unterlegtrense und dem Kandarengebiss. Als Unterlegtrense sind alle doppelt oder einfach gebrochenen Trensengebisse erlaubt, die auch in Prüfungen auf Trense zulässig sind. Die Unterlegtrense muss mindestens 10 mm stark sein und wird wie das normale Trensengebiss verschnallt (also so, dass sich im Maulwinkel eine Falte bildet). Das Kandarengebiss ist immer ein Stangengebiss mit seitlichen Anzügen. Es wird unterhalb der Trense verschnallt. Da das Pferdemaul dort schmaler ist, wählt man das Kandarengebiss etwa 0,5 cm schmaler als die Trense. Die Wirkung des Kandarengebisses ist abhängig von drei Faktoren:

• Anzüge: Diese müssen feststehend sein, die Länge des Unterbaums darf maximal 10 cm betragen, das Verhältnis zwischen Oberbaum und Unterbaum liegt bei 1:1 bis 1:2. Dabei sind 7 cm lange Unterzüge heute die Regel.

• Zungenfreiheit: Dieser Begriff ist irreführend. Die Wölbung der Stange lässt nur bedingt Raum für die Zunge. Je höher die Zungenfreiheit, desto mehr Druck gelangt auf die Zungenränder und die Unterkieferäste. Eine moderate Zungenfreiheit ist empfehlenswert.

Foto: Thoms Lehmann

• Kinnkette: mit der Kinnkette wird die Lage und damit auch die Wirkung der Kandare reguliert. Die Kette ist so zu verschnallen, dass das Kandarengebiss bei leicht angenommenem Zügel in einem Winkel von 45 Grad zur Maulspalte liegt. Ist die Kinnkette zu kurz, „strotzt“ die Kandare, dann wird der Druck auf die Zunge und die Laden zu groß. Ist die Kinnkette zu lang, „fällt die Kandare durch“, dadurch erhöht sich die Hebelwirkung auf das Genick.

Noch eine Anmerkung zur sogenannten „Babykandare“: Leider impliziert der Begriff, dass es sich dabei um eine besonders milde, pferdefreundliche Form der Kandare handele. Tatsächlich wird durch die kurzen Anzüge (5 cm) der Druck auf das Genick verringert. Der Hebelweg ist kürzer, dadurch tritt die Wirkung aber auch schneller und direkter ein. Dies erfordert eine besonders ruhige und geübte reiterliche Einwirkung.

Immer mit Ausbilder

Die ersten Trainingseinheiten auf Kandare sollten in jedem Falle unter Aufsicht des Ausbilders erfolgen. Das Auflegen der Kandare sollte der Ausbilder beobachten, damit dies sachgerecht erfolgt und die Kandare von vornherein vom Pferd akzeptiert wird. Insbesondere das Einhängen der Kinnkette erfordert Sachverstand und Erfahrung! Zunächst sollte der Reiter vornehmlich auf Trense reiten und die Kandarenzügel fast ausschalten. Empfehlen möchte ich die Zügelführung 3 zu 1, das heißt, die beiden Kandarenzügel werden in eine Hand genommen. Zusätzlich nimmt man in diese Hand einen Trensenzügel, während der zweite Trensenzügel in die andere Hand genommen wird. Auf diese Weise wirkt die Trense immer noch vorherrschend und Reiter und Pferd machen sich schrittweise mit der Kandare vertraut.

 

Beim Reiten auf Kandare ist es besonders wichtig, dass der äußere Zügel auf gebogenen Linien und in den Seitengängen die Stellung zulässt. Hier steht der Kandarenzügel etwas zu stark an. Foto: Jacques Toffi

Es muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Zügelhilfen äußerst vorsichtig eingesetzt werden und der Reiter mit seinen Händen in das Maul seines Pferdes „hineinhorchen“ kann. Zudem sollten die Hände in Richtung Pferdemaul orientiert sein. Dabei darf von oben betrachtet der Kandarenzügel stets leicht durchhängen. In den Wendungen ist darauf zu achten, mit der äußeren Hand genügend vorzugehen. Das gilt unabhängig davon, ob mit Trense oder auf Kandare geritten wird. Da es sich aber bei der Kandare um ein Stangengebiss handelt, kommt es sehr leicht zum Verwerfen im Genick, besonders bei Volten auf der hohlen Seite, wenn das Pferd noch nicht ausreichend geradegerichtet ist.

Sorgfältig beobachten

Auf Kandare sollte das junge Pferd zunächst mehrere Tage nacheinander geritten werden, damit es sich an die zwei Gebisse in seinem Maul gewöhnt. Auf das Reiten von Lektionen sollte die ersten Male verzichtet werden. Pferd und Reiter brauchen die Zeit, sich voll und ganz auf die Kandare zu konzentrieren und das zunächst nur auf großen Linien und Zirkeln in allen drei Grundgangarten. Ausbilder und Reiter sollten das Pferd sorgfältig beobachten und sich folgenden

Fragen stellen: Ist eine Veränderung festzustellen? Wie bewegt sich das Pferd? Wie ist dessen Körpersprache zu beurteilen? Hat sichdiese verändert? Fühlt sich das Pferd wohl? Dehnt es sich entspannt und vertrauensvoll an das Kandarengebiss heran? Wie ist die Maultätigkeit auf Kandare im Gegensatz zu der auf Trense? Treten Spannungen oder sogar Widersetzlichkeiten auf? Sind negative Reaktionen zu erkennen, so ist erneut auf Trense an der Losgelassenheit und Durchlässigkeit zu arbeiten. Das Heranführen an das Reiten auf Kandare erfordert Gefühl und Sachverstand, denn Fehler, die zu Beginn auftreten und nicht beachtet und korrigiert werden, können zu langfristigen Problemen führen, die Pferde in ihrer Entwicklung oftmals weit zurückwerfen.

Was sagen die Regelwerke zur Kandare?

Bestandteile der Kandarenzäumung: 1 Englisches Reithalfter; 2 Backenstück der Kandare; 3 Backenstück der Unterlegtrense; 4 Trensenzügel; 5 Kandarenzügel; 6 Unterlegtrense; 7 Kandarengebiss; 8 Kinnkette

Für nationale Prüfungen laut LPO (Leistungs-Prüfungs-Ordnung) gelten folgenden Bestimmungen:
Kandare ab Klasse L möglich, ab M vorgeschrieben,
soweit die Prüfung nicht anders
ausgeschrieben ist.
In Klasse L entweder Kandare oder Trense,
keine Wahlfreiheit zulässig.
Klasse M für sechs bis achtjährige Pferde,
Klasse S für sieben- bis achtjährige Pferde
und Dressurreiterprüfungen Klasse M können
auch auf Trense ausgeschrieben werden.

Vorgaben zur Kandare:
nur mit Unterlegtrense
Material: Metall oder Kunststoff, auch Kombinationen zulässig (Kandare aus Metall, Kunststoff-Unterlegtrense)
nur mit englischem Reithalfter
Kinnkette vorgeschrieben, polsternde Unterlage
zulässig (und auch zu empfehlen)
Unterbaum max. 10 cm, Oberbaum max. 5 cm
Verhältnis Oberbaum zu Unterbaum 1:1 bis 1:2
Kandarengebiss: 14 bis 21 mm
Unterlegtrense: 10 bis 16 mm

Für internationale Prüfungen gilt laut FEI-Reglement:
Kandare ist vorgeschrieben für CDI 3* bis 5*, Championate und U25 Prüfungen
In CDI 1* und 2* in Junioren und Junge Reiter Prüfungen wahlweise Trense oder Kandare
In Pony und Children Prüfungen ist nur die Trense erlaubt
Verschnallung der Kandare wie in der LPO
Materialien und Formen vielfältiger
Kandare min. 12 mm, Unterlegtrense min. 10 mm
Die Maße für Pony-Kandaren sind entsprechend anzupassen.

Fazit:

Das Reiten auf Kandare kann zu einem echten reiterlichen Genuss werden, wird es in kleinen Schritten sorgfältig erarbeitet. Voraussetzung für das Reiten auf Kandare sind ein Reiter, der mit von den Zügeln unabhängiger Handhaltung balanciert, losgelassen und geschmeidig sitzt und ein auf Trense nach der Skala der Ausbildung solide geschultes Pferd.

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