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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Dr. Burchard Bade

Der Herr der Hengste

Das Talent, Pferde beurteilen zu können, bekam Dr. Burchard Bade in die Wiege gelegt. Mit seiner Expertise hat er drei Jahrzehnte lang die Geschicke des Landgestüts Celle geleitet. Und mit einem ganz besonderen Hannoveraner Hengst ist sein Name für immer verbunden.

Pause von der Gartenarbeit: Die Bank ist ein Erbstück von Dr. Christian Freiherr von Stenglin
Alle Fotos: Jacques Toffi

„An der Hengstprüfungsanstalt“ – der Name der Straße, die Besucher zu Dr. Burchard Bades Zuhause in Adelheidsdorf bringt, führt auch gleich zum Kern der Geschichte: Hengste, Zucht und Züchter. Ihnen widmete Dr. Bade sein Leben. Er war fast 30 Jahre lang Landstallmeister des Landgestüts Celle. Die schmale Straße führt vorbei an den Stallungen, Paddocks und dem Trainingsgelände der Hengstprüfungsanstalt, die insgesamt 42 Hektar groß ist. Ganz am Ende des Weges liegt Bades Wohnhaus direkt am Waldrand, es ist das einzige weit und breit. Verkehrsgeräusche sind nicht zu hören, auch kein Wiehern, dafür ist die Entfernung zum Stall und zur Hauptstraße zu groß. Es ist vollkommen ruhig. Sitzt man in dem aufwändig angelegten und gepflegten Garten hört man nur den Wind in den Bäumen und das Plätschern im Teich. Der Rasen: akkurat gemäht. Das ist Chefsache.

Dr. Bade ist es selbst, der die angenehme Ruhe, die sein Zuhause umgibt, in regelmäßigen Abständen durchbricht. Ein ohrenbetäubendes Knattern hallt durch den Wald, als der 75-Jährige seinen Rasentraktor aus der Garage fährt und durch den Garten kurvt. Das Grinsen kann er sich dabei nicht verkneifen. „Mein Mann mag’s ordentlich“, sagt Hanna Bade lächelnd. „Das ist sein Lieblingsspielzeug. Gut, dass wir hier draußen wohnen, woanders könnte er diesen Lärm ja gar nicht veranstalten. Der Traktor war einmal drei Wochen in der Werkstatt, da wurde er schon ganz nervös.“ Neben der Garage steht ein Hundezwinger. Familie Bade hat sich nicht nur mit der Anpaarung von Pferden beschäftigt, seit Jahren züchtet sie auch Rottweiler. „Gute Wachhunde!“, betont Hanna Bade – nützlich, wenn man so weit ab vom Schuss lebt. „Mein Mann war viel unterwegs und ich war mit unserem Sohn hier, aber ich habe mich nie unsicher gefühlt. Wir haben die Abgeschiedenheit immer genossen.“

Kopfstück der Gartenbank. Freiherr von Stenglin war Dr. Bades Vorgänger im Amt des Landstallmeisters.

Bewegte Historie

Burchard Bade hat mittlerweile Platz genommen auf seiner Gartenbank, ein im Landgestüt handgefertigtes Erbstück von Dr. Christian Freiherr von Stenglin, unter dem Bade 1973 eine Stelle als Gestütsassistent in Celle antrat. Von Stenglin war seit 1958 Landstallmeister gewesen und hatte das Landgestüt durch schwierige Zeiten geführt.

Die Mechanisierung der Landwirtschaft Anfang der 60er-Jahre hatte das Arbeitspferd überflüssig gemacht. „Bis zum Ende der 40er Jahre waren es in den drei niedersächsischen Landgestüten Celle, Harzburg und Osnabrück noch etwa 47.000 gedeckte Stuten im Jahr. Diese Zahl war im Jahre 1960 auf rund 4.600 abgesackt. Die Gestüte Harzburg und Osnabrück wurden geschlossen und Personal und Hengste zum großen Teil von Celle übernommen“, erklärt Dr. Bade. Der Landstallmeister von Steng­lin stellte den Celler Hengstbestand um und richtete den Fokus auf die Zucht von Sportpferden. Somit wurde durch entsprechende Selektion die Basis für die Hannoversche Reitpferdezucht geschaffen. „Danach ging es dank wachsendem Wohlstand und stetig zunehmender Nachfrage nach Pferden für den Freizeit- und Leistungssport wieder steil bergauf. 1982/83 wurde mit 13.000 von Celler Hengsten gedeckten Stuten ein absoluter Höhepunkt erreicht.“

Sechs Jahre nach seinem Antritt im Landgestüt folgte Dr. Bade 1979 auf von Stenglin und übernahm die Leitung. Zum Landgestüt Celle gehören zehn weitere Besamungshauptstellen mit angeschlossenen Nebenstellen, die Hengstprüfungsanstalt Adelheidsdorf, wo die Junghengste ausgebildet werden und wo Jahr für Jahr bei den Leistungsprüfungen auf Interieur, Grundgangarten, Rittigkeit und Springanlage getestet wird, sowie die Hengstaufzucht mit 130 bis 140 Fohlen, Jährlingen und Zweieinhalbjährigen in Hunnesrück im Landkreis Northeim. Das Landgestüt richtete 1927 die Hengstprüfungsanstalt in Celle nach dem Vorbild der ein Jahr zuvor in Zwion für die Trakehnerzucht geschaffenen Institution ein. 1975 wurde schließlich die Anlage in Adelheidsdorf in Betrieb genommen. Momentan hat Celle etwa 80 Landbeschäler – Warmblüter, Vollblüter, Anglo-Araber und Kaltblüter. Es ist das größte Landgestüt Deutschlands.

„Ich war schon immer begeistert vom Pferdesport und mein Job hat mich stets erfüllt“, betont Dr. Bade. Der stattliche Mann ist mit einer sympathischen Portion Selbstironie ausgestattet – „meine Frau kocht einfach zu gut“ – und vor allem: mit einem Blick für Pferde. Den hat ihm sein Vater gelehrt.

Dr. Bade mit seiner Frau Hanna auf seinem „Lieblingsspielzeug“, dem Rasentraktor

Anglo-Araberhengst Bonaparte ist ein ange­nehmer Shootingpartner.

Die Familie und das Pferd

Burchard Bade ist 1943 kurz vor Weihnachten geboren und südlich von Hannover in Evestorf in einem landwirtschaftlichen Betrieb mit zwei Brüdern aufgewachsen. Sein Vater war aktiver Richter und Züchter, er betrieb eine private Deckstation und eine Hengstaufzucht. „Wir hatten bis zur Währungsreform im Jahre 1948 über 400 Stuten im Jahr bei drei Hengsten“, erzählt Dr. Bade. In den 60er Jahren studierte er Landwirtschaft in Göttingen. Nachdem er sein Studium mit Promotion beendet hatte, war er zweieinhalb Jahre im Landwirtschaftsministerium Hannover tätig, bis er das Angebot aus Celle bekam. Das Landgestüt kannte er durch die Hengstaufzucht seines Vaters. „Ich halte das Pferd für das interessanteste, sauberste und edelste Tier“, so die Erklärung für seine Leidenschaft.

Seine Frau lernte Burchard Bade kennen, als er nach dem Studium als Referendar in einer Außenstelle der Landwirtschaftskammer im Norden Niedersachsens eingesetzt wurde. 1981 kam ihr Sohn Carsten zur Welt. Die ersten sechs Jahre lebte die Familie im Landgestüt, bis sie ihr Haus auf dem vom Land Niedersachsen erworbenen Gelände der Hengstprüfungsanstalt baute. Hanna Bade selbst hatte nichts mit Pferden zu tun, aber „ich bin mit reingewachsen in die Materie“, sagt die Berufsschullehrerin. „Ich habe auch das Reiten ausprobiert. Aber die Gestütsangestellten haben mir immer alles abgenommen, dabei wollte ich mein Pferd selbst putzen und versorgen, nicht nur in den Sattel steigen. Mir war klar, dass das immer schwierig sein würde, deshalb habe ich das dann nicht weiter verfolgt.“ Sohn Carsten entwickelte mit zwei, drei Jahren eine Pferdehaar­allergie und musste gezwungenermaßen den Pferden fernbleiben. Er arbeitet mittlerweile beim Gewerbeaufsichtsamt in Celle.

Denkmal für einen herausragenden Hengst: Der „Weltmeyer-Brunnen“.

Landstallmeister unter sich: Dr. Bade mit seinem Nach­folger Dr. Axel Brockmann

Viel beschäftigt

Burchard Bade ist schon von klein auf geritten. Sportliche Ambitionen hatte er aber nie, wenn er in den Sattel stieg. Er genoss viele Jahre lang allmorgendlich einen Ausritt durch die Heide, bevor er in sein Büro im Landgestüt ging, das rund zehn Autominuten von Adelsheidsdorf entfernt ist. Aus Zeitgründen musste er dieses Ritual jedoch bald aufgeben. „Ich war Mitarbeiter mit Leib und Seele, 120 Tage im Jahr auf Reisen.“ Burchard Bade hatte einen vollen Terminkalender: Hengstauswahl, Körungen, Leistungsprüfungen, Auktionen, Stu­ten- und Fohlenschauen, Veranstaltungen im Landgestüt, Tage der offenen Tür, Hengstparaden und, und, und… Dabei war er nicht nur europaweit unterwegs, regelmäßig flog er auch nach Kanada. Er arbeitete eng zusammen mit Ron Southern, der 1976 das Turnierzentrum Spruce Meadows mit angeschlossenem Hannoveraner Gestüt in Calgary gegründet hatte. Southern war seit Ende der 60er Jahre immer wieder Gast in Celle und Verden. Dr. Buchard Bade und Ron Southern, der 2016 verstarb, verband eine enge Freundschaft.

Die Ära Weltmeyer

2007 wurde Dr. Bade von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung mit der Gustav Rau-Medaille für seine außergewöhnlichen Dienste im Bereich der Pferdezucht ausgezeichnet. Im selben Jahr gab er in Celle seinen Stab an Dr. Axel Brockmann ab und ging in den Ruhestand. Dem Gestüt ist er aber auch über zehn Jahre nach seinem offiziellen Abschied verbunden geblieben. „Ich habe immer noch einen Generalschlüssel für Außenanlagen und Stallungen, was ich als gesundes Vertrauensverhältnis betrachte“, so Bade. An Dr. Burchard Bades Gang über das Gelände des Landgestüts merkt man, dass er sich auf gewohntem Terrain bewegt.

Pferde, das Landgestüt im Besonderen, sind ein Teil seines Lebens. Er hat sofort alles im Blick und der rege Austausch mit Dr. Axel Brockmann – „Wer reitet hinten auf dem Platz? Was macht ihr an der Reithalle? Sie haben sicher schon gehört…“ – wird nur unterbrochen von den Anweisungen des Fotografen Jacques Toffi, der die beiden Herren vor dem Verwaltungsgebäude des Gestüts in Szene setzt. Auf der anderen Seite des Paradeplatzes ist einem besonderen Hengst ein Denkmal gesetzt worden: Weltmeyer. Jenem World Cup I-Absatz-Nachkommen, der als Linienbegründer und Stempelhengst der hannoverschen Zucht gilt.

Wenn Dr. Burchard Bade am „Weltmeyer-Brunnen“ steht und auf den in Bronze gegossenen Kopf des Hengstes schaut, sieht er das Pferd seines Lebens. Denn der 75-jährige Zuchtexperte war es, der Weltmeyer, damals noch unter dem Namen „Weltwunder“, 1984 bei der Vorauswahl zur Verdener Körung an der Hand seines Züchters Hermann Meyer entdeckte. „Wie der Hengst sich aufmachte, die aktive Hinterhand – das war wirklich etwas ganz Besonderes. Ich sagte: Hermann, den kannst du gleich durchführen nach Adelheidsdorf“, erinnert sich Bade, der Weltmeyer für das Celler Lot sicherte. „Und er hatte hervorragendes Sperma.“ Weltmeyer war Körsieger, Sieger seiner Leistungsprüfung und Bundeschampion. Er gewann den Freiherr von Stenglin- und den DLG-Preis. 1998 wurde er Hannoveraner Hengst des Jahres. Die Lebensgewinnsumme seiner Nachkommen beläuft sich auf rund 2,8 Millionen Euro. Er hat aktuell 2.300 eingetragene Sportnachkommen, 215 davon in der Dressur Klasse S. 111 seiner Söhne sind gekört, 421 seiner Töchter tragen die Staatsprämie.

Zu den bekanntesten Nachkommen im Dressurviereck zählen Isabell Werths Weltcup- und Nationenpreissieger sowie Deutscher Meister Warum Nicht FRH, das ehemalige britische Championatspferd Wie Weltmeyer unter Emma Hindle und Dieter Laugks’ Weltall. 2011 musste Weltmeyer mit 27 Jahren wegen einer Kolik eingeschläfert werden.

Dr. Bade (links) 1992 am Rande der Hengstparaden im Celler Landgestüt.

Weltmeyer, Linien­begründer und Stempelhengst der Hannoveraner Zucht.

Zuchtgeschehen

„Bei den hohen Haltungs- und Ausbildungskosten, die wir haben, ist das Wichtigste, dass die Hengste konstitutionell gesund, rittig und leistungsbereit sind, möglichst lange halten und diese Merkmale auch vererben“, erklärt Dr. Bade die wichtigsten Auswahlkriterien, wenn es um einen potenziellen Beschäler geht. Der Entwicklung in der Zucht und auf den Körplätzen mit der starken Frequentierung ungeprüfter und teuer erworbener und auf Hochglanzpapier angebotener Junghengste steht er kritisch gegenüber: „Im Moment wird alles gekört, mehr oder weniger auf dem Papier – das ist kontraproduktiv und die vielen hohen Noten bei den Prüfungen werden unglaubwürdig. Wir brauchen Hengste, die sich im Sport nachhaltig bewiesen haben. Aber der Kommerz wird bei den Körungen leider oft vor die züchterische Selektion gesetzt – das wird sich irgendwann bitter auszahlen.“

Fragt man Burchard Bade nach dem Pferd seines Lebens, steht Weltmeyer an erster Stelle. Gleich danach spricht er auch über die Vollblüter Lauries Crusador xx – „er hatte 400 Stuten im ersten Jahr“ – und Prince Thatchxx sowie den Anglo-Araber Macho. „Wir waren auf der Suche nach einem Vollblut nach Frankreich gereist und haben Macho auf einer Rennbahn in der Nähe von Bordeaux entdeckt“, erzählt Bade. „Der Hengst guckte aus seiner Box heraus. Er war vierjährig und gewann 1982 die HLP in Adelheidsdorf. Fünfjährig siegte er in Verden beim Europachampionat der Anglo-Araber. Ich musste nicht überlegen, sowas erlebt man nur einmal. Er hat sich so toll vererbt.“

Dr. Burchard Bade blinzelt in die Sonne, für das letzte Foto sollte er seine Sonnenbrille abnehmen. Er klopft seinem Shootingpartner den Hals, Bonaparte spitzt die Ohren und wiehert. Der 25-jährige Anglo-Araberhengst war unter Thorben Köhl­brandt im Deutschen Springderby platziert. Hellwach, aber gut erzogen posiert er neben dem früheren Chef von Celle. Hinter den beiden ragt eines der altehrwürdigen Stallgebäude des Landgestüts in die Höhe.

Laura Becker

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