Vorheriger Artikel

Ausgabe 09/2021
10 Tipps für erste Sprünge im Gelände

Nächster Artikel

Ausgabe 09/2021
PM-Kurzreise: Deutsches Spring- und Dressur-Derby Hamburg

Lernen vom Reitmeister: Wolfram Wittig

Ein Herz für die Pferdezucht

„Ich bin ein in Schwaben ausgebildeter Bayer, der in NRW tätig ist.“ Einen typischeren Satz gibt es kaum für Wolfram Wittig. Mit Witz, prägnant, auf den Punkt – typisch Wittig. Im Dezember 2018 bekam Wolfram Wittig den Titel „Reitmeister“ verliehen. Er hatte in jenem Jahr seinen 60. Geburtstag gefeiert, die meiste Zeit seines Lebens den Pferden gewidmet und sein Herz in erster Linie der Pferdezucht verschrieben.

Mit dem Hengst Breitling W sammelte Wolfram Wittig etliche Erfolge. Seine Frau Brigitte und er haben außerdem zahlreiche Nachkommen des Hengstes in den Grand-Prix-Sport gebracht. Fotos: Stefan Lafrentz

Wolfram Wittig ist ganz sicher einer der „komplettesten“ Pferdeleute weltweit. Er war neun Jahre Trainer Isabell Werth, mehr als 20 Jahre von Kira Wulferding und praktisch ein ganzes Leben von seiner Frau Brigitte – um nur drei Beispiele zu nennen. Er war selbst erfolgreicher Grand Prix-Reiter, sammelte etliche Erfolge vor allem im Sattel seines Hengstes Breitling W, war viele Jahre Mitglied in der Oldenburger Körkommission und ein international gefragter Ausbilder. Aber seine wahre Liebe gilt der Pferdezucht: „Nur, wenn wir gut züchten, haben wir gute Pferde.“ Simpel, wahr, Wittig! Und: „Warum muss ich mir Dressurpferde kaufen, wenn ich sie züchte?“ Rund 40 selbstgezogene Pferde aus dem Hause Wittig sind auf S-Niveau erfolgreich, 14 sogar im Grand Prix-Sport unterwegs. Wittig liebt es, seine Pferde und Fohlen auf der Weide zu beobachten und er nimmt diese Beobachtungen mit ins Training. „Das Wichtigste für mich an der Arbeit mit Pferden ist die persönliche Einstellung zum Partner Pferd. Ich glaube, als Züchter hat man ein anderes Verhältnis zu Pferden, einfach weil man sie von klein auf aufwachsen sieht.“

Wolfram Wittig ist ein gefragter Ausbilder. Hier gibt er Marcus Hermes letzte Tipps vor der Prüfung.

Wittig war als Trainer von Victoria Max- Theurer (AUT) bei den Olympischen Spielen in London.

Der Weg zur Dressur

Seine ersten Reitstunden finanzierte sich der gebürtige Bayer mit Ausmisten im oberpfälzischen Neumarkt. Nach der Schule begann er dort seine Bereiterlehre, verließ aber noch während der Lehre sein Elternhaus, um nach Göppingen zu Ausbilder Rolf-Dieter Wöhst zu gehen. Nach der Lehre wechselte Wittig in einen Stall nach Ludwigsburg und traf dort auf den ehemaligen Bereiter der Spanischen Hofreitschule zu Wien, Walter Biedermann. „Auch heute noch sage ich, dass Walter Biedermann zu den besten Ausbildern der Welt zählte“, betont Wittig.

Er war selbst erfolgreicher Grand Prix- Reiter, sammelte etliche Erfolge mit Breitling W oder den selbst gezogenen Nachkommen des Hengstes – wie hiermit Bertoli W.

 Und schon damals galt sein Interesse der Dressur – aus drei Gründen: Er hatte 1972 bei den Olympischen Spielen in München die Dressur angesehen und sie hatte ihn fasziniert. Zweitens: „Dressurreiten ist die Basis für alles im Pferdesport und wenn man das Ganze geschäftlich betreiben möchte, sollte man diese beherrschen.“ Und drittens ist er durchaus auch im Parcours unterwegs gewesen, aber: „Ich hatte selten sechs Richtige“, gesteht er und grinst.

Lob vom Trainer Wolfram Wittig für Hendrik Lochthowe mit Meggle´s Grimani.

Die Auszeichnung „Reitmeister“ wurde Wolfram Wittig 2018 im Rahmen des Festhallen Reitturniers  in Frankfurt verliehen.

Mit Witz, aber ernsthaft

Von Baden-Württemberg reiste Wittig nach Nordrhein-Westfalen. Zunächst war er in einem Privatstall in Bad Oeynhausen angestellt, aber dann machte er sich mit seiner Frau Brigitte auf einem Resthof nahe der niedersächsischen Grenze selbstständig und baute einen Zucht-, Turnier- und Ausbildungsstall mit internationalem Ruf auf. Wittig weiß gerne Bescheid – nicht nur in puncto Pferde. So machte er zu Anfang seiner Selbstständigkeit noch eine Lehre als Steuerfachgehilfe und erklärt heute: „Schließlich wollte ich ordentlich lesen und schreiben können.“ Das mit dem Reden brauchte er nicht zu üben, das konnte er schon immer gut. Er, der begeisterte Witze-Erzähler, der sich aber gerade wenn es um Pferde geht, sehr ernsthafte Gedanken macht: „Ich versuche, mich so korrekt wie möglich gegenüber der Kreatur Pferd zu verhalten und ich hinterfrage das täglich. Das ist ein Reiz, aber auch eine Aufgabe.“

Kim Kreling

Wolfram Wittigs Ausbildungstipp: Viel Zeit für die Basis

„Was für den Klavierspieler das tägliche Üben der Läufe und Akkorde ist, ist für uns beim Ausbilden eines Pferdes die Basisarbeit. Vielen Reitern erscheint die Basisarbeit zu langweilig, aber wenn wir uns nicht immer wieder dieser Basisarbeit widmen und zwar mit großer Sorgfalt, fehlt dem Pferd das Fundament für alles.

„Bei der Ausbildung von Pferden gibt es keine Abkürzung, das zentrale Moment ist die Zeit für die Basisarbeit“, sagt Reitmeister Wittig. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Was ist Basisarbeit?

Basisarbeit bedeutet die ständige Überprüfung, ob ich einfachste Übungen zu jeder Zeit an jedem Punkt wiederholen kann. Basisarbeit ist außerdem vom Leistungsstand des Pferdes abhängig. Das Reiten von Durchlässigkeitsübungen gehört natürlich zur Basisarbeit, das Reiten von Übergängen aller Art, je nach Ausbildungsstand des Pferdes, aber auch das präzise Einhalten der geforderten Wege – nicht nur in der verlangten Aufgabe, sondern auch im Training. Dabei ist es egal, ob man eine L- oder S-Dressur reitet. Mein wichtiger Hinweis: Unbedingt im Training auch auf korrekte Linien achten. Wenn man korrekte Linien gewohnt ist, muss man in der Aufgabe nicht mehr jede Menge Aufwand betreiben, um ‚auf dem Gleis‘ zu bleiben. Die Springreiter machen uns das im Training wunderbar vor. Immer wieder hört man beim Springtraining den Satz: ‚Vor und nach dem Sprung geradeaus reiten!‘ Der beste Ausbilder auf dem Planeten ist die Zeit! Ich erweitere diese Aussage um ‚die Zeit für Basisarbeit‘. Ich muss dem Pferd in zweierlei Hinsicht genügend Zeit geben – einerseits um mit dem Reiter zusammenwachsen zu können, andererseits um den Skelett- und Muskelapparat in Ruhe reifen zu lassen – nicht zuletzt durch die Basisarbeit.

Beispiel Übergänge

Ich nehme mal ein prominentes Beispiel, prominent, weil wir damit von der A-Dressur bis zum Grand Prix Special durchgehend konfrontiert werden: der Übergang vom Trab zum Galopp und wieder zurück. Diese Übergänge müssen extrem oft und gründlich geübt werden, auch beim Grand Prix-Pferd. Ein Tipp: Nimmt mein Pferd die Hilfen nicht gut genug an, wenn ich vom Galopp zum Trab durchparieren möchte, dann kann man das Pferd ganz vorsichtig etwas abstellen. Somit verlängere ich die diagonale Phase und kann dadurch leichter durchparieren.

Beispiel Anlehnungsprobleme

Oder ich habe ein Pferd, das sich beim Angaloppieren häufig nach oben heraushebt, dann habe ich es mit einem Anlehnungsfehler zu tun. Anlehnungsfehler sind außerordentlich gründlich und vorsichtig zu bearbeiten. Zuerst muss ich herausfinden, woraus der Fehler resultiert und dann immer wieder Übergänge üben, üben, üben. Das Pferd muss den Hals fallen lassen und das am besten seitengleich, also auf der rechten ebenso wie auf der linken Hand. Es muss also rechts wie links möglichst gleichmäßig durchgymnastiziert werden.

Freude an der Arbeit

Es geht nicht darum, mein Pferd in Lektionen auszubilden, sondern um das Training von Muskeln, Sehnen, Bändern und Abläufen. Egal wie teuer ein Pferd war oder auf welchem Leistungsstand es ist, der Muskel- und Skelettapparat ist bei allen gleich und es braucht extrem viel Zeit, extrem viel Basisarbeit, um ein Pferd so zu schulen und zu kräftigen, dass es langfristig Freude an der Arbeit hat und gesund bleibt. Bei der Ausbildung von Pferden gibt es keine Abkürzung, das zentrale Moment ist die Zeit für die Basisarbeit.”

„Was für den Klavierspieler das tägliche Üben der Läufe und Akkorde ist, ist für uns beim Ausbilden eines Pferdes die Basisarbeit”, sagt Reitmeister Wittig. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Vorheriger Artikel

Ausgabe 09/2021
10 Tipps für erste Sprünge im Gelände

Nächster Artikel

Ausgabe 09/2021
PM-Kurzreise: Deutsches Spring- und Dressur-Derby Hamburg