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Fotos: Jacques Toffi

Persönlichkeiten der Pferdeszene: Ruth Klimke

Der Puls der Familie

Sie ist eine Pferdenärrin, sozial und reitpolitisch engagiert, im Spitzensport zuhause, ein Familienmensch und eine begeisterte Oma. Und auch wenn sich Ruth Klimke nie in den Vordergrund spielt, ist sie vor allem eines: eine herzensgute Botschafterin des Reitsports.
Eine Begegnung mit Ruth Klimke offenbart schon in den ersten paar Minuten das, was die 76-Jährige ausmacht: Herzlichkeit. Wenn sie die Tür ihres Hauses im westfälischen Münster öffnet, ist die Begrüßung offen und ungezwungen, das „Du“ fast schon selbstverständlich. Sich zu siezen würde nur unnötige Distanz schaffen. Unbefangen, geradeheraus, aber nie zu direkt und immer respektvoll. Die gleiche Aufgeschlossenheit wie die Chefin des Hauses legt Terrierhündin Fee an den Tag. Sie springt schwanzwedelnd auf ihren Hinterbeinen umher und schleckt alle Hände ab, die sie erwischen kann. Begleitet von Fees Enthusiasmus führt der Gang durch die Wohn-etage bis in den Wintergarten und man taucht sofort ein in die Welt des Pferdesports. Vitrinen mit Medaillen, Preisen, Poka-len, Auszeichnungen und Ehrenplaketten erzählen von der (Dressur)Geschichte, die Ruth Klimke mitgeschrieben hat. Es sind Erinnerungen an ihren Mann Dr. Reiner Klimke, der über Jahrzehnte der erfolgreichste Dressurreiter der Welt war. Er wurde zwischen 1957 und 1988 fünfmal zum Mannschafts-Olympiasieger gekürt und gewann eine Gold- und zwei Bronzemedaillen im Einzel. Er war viermal Team-Weltmeister und zweimal Einzel-Weltmeister. Außerdem wurde er achtmal Team- und dreimal Einzel-Europameister, zweimal war er Vize-Europameister, neunmal Deutscher Meister. 30 Jahre Spitzensport wie man ihn erfolgreicher kaum betreiben kann. Und dabei hatte Dr. Reiner Klimke immer jemanden an der Seite: seine Frau Ruth. Sie agierte im Hintergrund, kümmerte sich um Haus, Kinder und Pferde. Bei ihr liefen die Fäden zusammen, das familiäre Geschehen, der sportliche Erfolg. „Ich habe meinem Mann immer den Rücken freigehalten“, so Ruth Klimke. „Den Freundeskreis erhalten, Papierkram, Briefe schreiben. Ich habe mich um viele, viele Kleinigkeiten gekümmert. In all der Zeit habe ich so viele schöne Erfahrungen machen dürfen und wir haben tolle Feste gefeiert.“

Siege im Grand Prix

Das Wohnzimmer schmücken zahlreiche Bilder, auf denen Reiner Klimke zu sehen ist, im Training, bei Olympischen Spielen, in kleineren Prüfungen – erfolgreicher Reitsport, wohin das Auge reicht. Mittendrin hängt ein Foto von Ruth Klimke in jüngeren Jahren. Sie sitzt vorbildlich auf einem Rappen, der in perfekter Selbsthaltung trabt, weiß schäumendes Maul, leichte Zügelverbindung – tolles Bild, tolles Reiten.
Während ihr Mann Karriere als Jurist machte, als Politiker, Richter und Notar arbeitete, morgens vor der Arbeit und in der Mittagspause im Sattel saß und sich im internationalen Wettkampf bewies, war Ruth Klimke die tragende Säule des Trainings zuhause. Sie bildete die Pferde aus, baute sie auf und war in der Dressur siegreich bis zum Grand Prix. 1972 wurde ihr das Goldene Reitabzeichen verliehen. Ihr Credo war stets: Die Grundausbildung des Pferdes muss korrekt sein. „Man sollte erst vierjährig anfangen und dann alles mit Ruhe angehen“, betont sie. „Außerdem gehört Cavaletti-Arbeit dazu und kleine Sprünge. Wir sind früher auch ab und zu mal höher gesprungen. Das hat allen viel Spaß gemacht.“  

Im Sattel von Ahlerich

Aus dem Stall Klimke kamen viele Grand Prix-erfolgreiche Pferde: Arcadius v. Anblick xx, Trakehner Fabian, Amantiado, Pascal, die Olympiasieger Dux und Mehmed, der Trakehnerhengst Biotop v. Blesk-Hockey-Paks. Fragt man Ruth Klimke nach dem Pferd ihres Lebens, sagt sie sofort: Ahlerich, „Ali“. Der westfälische Wallach v. Angelo xx hat unter ihrem Mann drei olympische Goldmedaillen gesammelt, eine davon als Sieger in der Einzelwertung. „Ahlerich werde ich nie vergessen. Wir haben ihn vierjährig in Warendorf vor der Auktion ausprobiert. Er war ein schlaksiges Pferd. Und er war sehr ängstlich. Er wollte erst gar nicht in seine Box gehen. Ein Pferd zwischen Genie und Wahnsinn“, erzählt die Seniorin. „Als er neu zu uns kam, war er zunächst mein Pferd. Ich habe ihn die ersten Monate allein geritten und in L- und M-Dressuren vorgestellt. Ali war ein sensibles, intelligentes und willensstarkes Pferd. Er brauchte Vertrauen und Verständnis. Später bin ich ihn zuhause mitgeritten und habe morgens mit ihm das Galopptraining absolviert, Reiner ist ihn mittags geritten.“ Ruth Klimke war es auch, die immer  wieder an Feinheiten in Ahlerichs Ausbildung arbeitete. „Es gab eine Lektion, an der Reiner fast verzweifelte: im Mittelgalopp durch die ganze Bahn wechseln mit einem fliegenden Galoppwechsel bei X. Ahlerich mochte diese Lektion nicht besonders. Im Training mit mir wurde es immer besser und später gab es damit unter meinem Mann auf dem Turnier keine Schwierigkeiten mehr.“ Mit Reiner besprach Ruth Klimke die Ausbildung der Pferde, Strategien fürs Abreiten und für die Prüfung. Gleichwohl war sie auch seine größte Kritikerin. Er sagte einmal: „Wenn ich wissen will, wo ich Fehler hatte in einer Prüfung, dann frage ich Ruth – das Gute höre ich von den anderen.“

Niemals ohne Hund

Mit ihrem Mann lebte Ruth Klimke die Leidenschaft für Pferde, die sie schon als Kind mit auf den Weg bekommen hatte. Die gebürtige Düsseldorferin, geboren 1940, wuchs unter ihrem Mädchennamen Heymanns gemeinsam mit ihren Eltern, den zwei Brüdern und der Schwester bei ihren Großeltern in Lobberich am Niederrhein auf. Die Großeltern hatten einen Stall mit drei Boxen gegenüber des Hauses und die kleine Ruth wurde in einer tierbegeisterten Familie groß. Ihre Mutter, die Brüder und sie selbst waren passionierte Reiter. Und nicht nur den Pferden galt die ganze Hingabe, sondern auch den Hunden. „Ich könnte mir nicht vorstellen, jemals ohne einen Hund zu leben“, sagt Ruth Klimke noch heute. Von ihrem Großvater bekam sie zum Abitur ihr erstes eigenes Pferd, die Stute Uschi, mit der sie Dressur und Springen bis zur Klasse M ritt.
Ruth Klimke und ihr Ehemann Dr. Reiner Klimke, der 1999 verstarb.
Familienaufstellung: Ehepaar Klimke mit den beiden Söhnen Rolf und Michael und Mutter Ruth mit Tochter Ingrid.

Lehramtsstudium

Ein Geschenk ihrer Eltern sollte dann ihren Lebensweg entscheidend prägen: eine Reise zu den Olympischen Spielen in Rom 1960. Dort sah sie Reiner Klimke im Gelände, wie er seine ersten Olympischen Spiele bestritt – zu der Zeit noch als Military-Reiter. Ruths Stiefvater sagte schon damals: „Das ist ein guter Reiter, er reitet mit Kopf.“ Ein Jahr später zog die damals 21-Jährige nach Münster, um dort auf Lehramt zu studieren. Sie wollte Grundschullehrerin werden. Ihre Stute nahm sie mit und stellte sie in der Westfälischen Reit- und Fahrschule ein. Dort lernte sie zunächst ihre spätere Schwägerin Grete kennen. Schnell war der Kontakt zu deren Bruder Reiner hergestellt. Ein halbes Jahr später, kurz vor den Olympischen Spielen in Tokio 1964, waren Ruth Heymanns und Reiner Klimke verlobt. Anfang 1965 wurde geheiratet. Die beiden bekamen drei Kinder: Rolf, Ingrid und Michael. Ruth und Reiner Klimke gründeten mit fünf Freunden, unter anderem Hans-Werner Meyer, den Reiterverein St. Georg in Münster mit Boxen, Reithalle, Außenplatz, einer kleinen Rennbahn, Weiden, einem eigenen Stalltrakt für die 10 Turnier- und Ausbildungspferde sowie einem Schulbetrieb. „Unser Ziel war es damals, den Kindern günstigen Unterricht zu ermöglichen“, erinnert sich Ruth Klimke, die ihr Studium nach dem ersten Staatsexamen abbrach und sich ganz der Familie und dem Betrieb widmete.  

Schock für die Familie

Der Sport, besonders der olympische, blieb auch nach der aktiven Karriere für das Ehepaar allgegenwärtig. Zum 60. Geburtstag von Reiner Klimke reisten die beiden mit der Familie in die USA. Bei einem Abstecher nach Mexiko quartierten sie sich in einem Hotel ein, von dem aus man einen Blick auf die alte Olympia-Wettkampfstätte von 1968 hatte. Gemeinsam ließen sie Erinnerungen und schöne Momente noch einmal Revue passieren. 1999 starb Reiner Klimke völlig unerwartet an den Folgen eines Herzinfarkts mit nur 63 Jahren. Ein Schock für die ganze Familie. In der Trauer rückten sie noch näher zusammen. Der Posten als Vorstandsmitglied der Persönlichen Mitglieder der FN, den Ruth Klimke 1981 übernommen hatte, half ihr, nach dem Tod ihres Mannes nicht in ein tiefes Loch zu fallen. 2001 wurde sie PM-Vorsitzende und ist mittlerweile seit 2013 Ehrenvorsitzende der Persönlichen Mitglieder. Außerdem gehörte sie über zehn Jahre lang als Vize-Präsidentin zum FN-Präsidium und erhielt für ihre Verdienste 2005 das Reiterkreuz in Gold. Als Kuratorin der Stiftung Deutscher Spitzenpferdesport setzt sich Ruth Klimke, die bis vor fünf Jahren noch selber in den Sattel stieg, nach wie vor für den Reitsport ein. Und nicht nur das. Ruth Klimkes Engagement gilt dem Reiten, aber auch den Pferden und Menschen, die dahinter stehen. Sie begleitete Ausbilderlegende Major a.D. Paul Stecken, der im Herbst mit 100 Jahren verstarb, sie macht sich stark für das „Fördercentrum Mensch und Pferd“, den PM-Schulpferde-Cup und den Wettbewerb „Unser Stall soll besser werden“.
Ruth Klimkes zweite Leidenschaft gilt dem Tennisspiel.
Stolze Oma Ruth, aber die Töchter von Ingrid sind längst keine kleinen Mädchen mehr: Greta ist jetzt 14 und reitet schon recht erfolgreich, die sechsjährige Philippa ist ebenso „pferdeverrückt“.

Pferdebessene Kinder

Ruth Klimkes Kinder führen das Pferde-Leben ihrer Eltern fort, jedes auf seine Art und Weise. Rolf Klimke ist im Marketing im Bereich Pferdesport tätig, Jurist Michael Klimke ist Grand Prix-Ausbilder und hat den Stalltrakt seiner Eltern im Reiterverein St. Georg übernommen. Ingrid Klimke folgt dem ruhmreichen Weg ihres Vaters. Die Vielseitigkeitsreiterin ist zweimalige Team-Olympiasiegerin, sie gewann olympisches Team-Silber in Rio 2016, wurde Mannschaftsweltmeisterin und dreimal Team-Europameisterin sowie Vize-Europameisterin im Einzel. Damit hat sie den Wunsch des Vaters, dass es seine Kinder einmal zu Olympia schaffen sollten, erfüllt. Mehr als das. Reitmeisterin Ingrid Klimke ist ein Vorbild, sie steht für pferdegerechtes Reiten und eine vielseitige Grundausbildung par exellence. Sie ist Buchautorin und gehört zu den weltweit gefragtesten Ausbilderinnen – wie Reiner Klimke zu seiner Zeit.
Mit dem „Offroad“-Kinderwagen ihrer Enkel war Ruth Klimke stets bei den großen Vielseitigkeits-Einsätzen ihrer Tochter dabei.

Mit den Enkeln unterwegs

„Ich weiß nicht, ob ich eine gute Mutter war, aber ich habe immer mein Bestes gegeben“, sagt Ruth Klimke bescheiden. Ihren Kindern ist sie bis heute eine Stütze, den vier Enkelkindern widmet sie ihre volle Aufmerksamkeit: Zwei Jungs, Max (7) und Paul (5), die zu Michael gehören, und zwei Mädchen von Ingrid, Greta (14) und Philippa (6), die beide die Pferdebegeisterung ihrer Eltern und Großeltern teilen. Auf großen Events, auf denen Ingrid und Greta am Start sind, ist Ruth Klimke meist nicht weit – als moralische Unterstützung, Daumendrückerin und Oma. Bis vor einigen Jahren schob sie den Kinderwagen über den Turnierplatz, Windeln und Milchflasche einsatzbereit, während Ingrid Klimke im Sattel saß.
Mittlerweile fiebert sie mit der großen Enkelin mit, während sie die kleine auf ihren Erkundungstouren im Turniergeschehen im Auge behält. „Gerne sehe ich es nicht, wenn Ingrid einen Viersterne-Kurs reitet“, gibt Ruth Klimke zu. „Ich gehe zwar mit ihr das Gelände ab, aber wenn sie dann reitet, bin ich froh, wenn ich etwas anderes zu tun habe und abgelenkt bin. Ich wünschte mir, sie würde Dressur reiten. Es ist ja nicht nur Ingrid, sondern mittlerweile auch Greta, die da durchs Gelände saust.“ Wenn sie gebraucht wird, ist sie zur Stelle und sie gehört immer zu den ersten Gratulanten, die Ingrid am Ende einer Prüfung in Empfang nehmen. „Ich habe ein wundervolles Leben und ich bin dankbar, dass ich es genauso leben konnte. Ich würde es immer wieder so machen“, betont die 76-Jährige. Die Vergangenheit begleitet sie, stimmt sie meist zufrieden, manchmal etwas wehmütig. Wenn Tochter Ingrid einen großen Erfolg feiert, wandert ihr Blick zum Himmel. In Gedanken ist ihr Mann immer dabei.
Weggefährten seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten: Ruth Klimke und Hans Günter Winkler.
Ruth Klimke hat inzwischen auf einer Holzbank in ihrem gepflegten Garten Platz genommen. Fee springt mit einem beherzten Satz neben ihr Frauchen. Die lächelt und streichelt die Hündin. Unter ihrem Ärmel blitzt ein goldenes Armband aus filigranen Trensengebissen hervor. „Pferde waren immer das Zentrum meines Lebens“, bringt sie es auf den Punkt. Und Ruth Klimke ist der Mittelpunkt ihrer Familie und eine Konstante der Reitsportszene. Zurückhaltend und doch bestimmt, wenn es um das Wohl von Pferd und Mensch geht. Laura Becker

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