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Bedrohte Nutztierrasse des Jahres: der Altwürttemberger

Herr und Bauer zugleich

Der einst im deutschen Südwesten verbreitete Warmblüter vom schweren Schlag ist „gefährdete Nutztierrasse des Jahres“. Ein Erhaltungszuchtprogramm soll sein Überleben sichern.

Hengstparade in Marbach mit den Altwürttembergern: links der Hengst Umberto, Stammhalter des Ulysse des Prés, rechts vor der Kutsche der Hengst Sadie, ein Enkel des Sorrent. Foto: Stephan Kube

2018 wird in die Geschichte der Altwürttemberger Pferde eingehen – als Jubiläumsjahr, denn 1988 und somit vor genau 30 Jahren wurde der „Verein zur Erhaltung des Altwürttemberger Pferdes“ gegründet. Aber vor allem als das Jahr, in dem sie von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen, kurz GEH, zur gefährdeten Nutztierrasse des Jahres erklärt wurden. Einen ersten großen Auftritt als Rasse des Jahres hatten die Altwürttemberger bei der Internationalen Grünen Woche in Berlin, weitere etwa bei der Messe Eurocheval in Offenburg und auf dem 100. Landwirtschaftlichen Hauptfest in Bad Cannstatt bei Stuttgart sollen folgen.

Die erste Vorstellung der Rasse in der Hauptstadt im Januar war beeindruckend: „Das war ein besonderer Tag mit der Proklamation zur Rasse des Jahres, einem Symposium mit Vorträgen und verschiedenen Schaubildern im Großen Ring. Wir waren mit zwei Landbeschälern und vier Stuten aus Züchterställen in Berlin angereist, konnten unsere Pferde ideal präsentieren und ganz sicher neue Freunde für die Rasse begeistern. Vierjährige Hengste, von Auszubildenden präsentiert, zwischen Schafen und Ziegen in der ungewohnten Kulisse eines Großen Ringes, die völlig gelassen bleiben – so wünscht man sich doch den verlässlichen Freizeitpartner,“ blickt Baden-Württembergs Zuchtleiterin Dr. Carina Krumbiegel zurück.

Aufstellung der Marbacher Landbeschäler 1959 auf den Cannstatter Wasen. In den folgenden Jahren begann der Umzüchtungsprozess. Foto: Haupt- und Landgestüt Marbach

Altwürttemberger wie der Hengst Freibeuter machten früher auch vor dem Traberwagen eine gute Figur. Foto: Haupt- und Landgestüt Marbach

Normannische Hengste

Dabei hat der seltene Altwürttemberger aktuell ohnehin weder ein Image- noch ein Absatzproblem. Im Gegenteil, „die Nachfrage kann derzeit gar nicht befriedigt werden“, so Dr. Krumbiegel. Die gebürtige Dresdenerin, die seit 2014 Zuchtleiterin im deutschen Südwesten ist, wuchs in Moritzburg auf. Das im dortigen Sächsischen Landgestüt beheimatete Sächsisch-Thüringische Schwere Warmblut war einst ebenfalls vom Aussterben bedroht und entwickelte sich inzwischen zu einer Erfolgsgeschichte bis hin zur Etablierung eines Bundeschampionats speziell für die Rasse. Zur aktuellen Hengstriege des Landgestüts Moritzburg gehören knapp 30 Schwere Warmblüter verschiedener Linien. Der Stutenbestand liegt bei rund 1.000 Tieren. Bis zu diesen Dimensionen hat der Altwürttemberger noch einen weiten Weg vor sich, doch Carina Krumbiegel sieht „durchaus eine gewisse Parallele“. Auch, weil in den heutigen Altwürttembergern teilweise Moritzburger Blut fließt, denn vor der Schließung des Stutbuchs im Jahr 2013 wurden auch Moritzburger Hengste eingesetzt.

Mittlerweile kommt kein Fremdblut mehr zum Einsatz, elf Vererber stehen im Rahmen eines Erhaltungszuchtprogrammes für Altwürttemberger Stuten zur Verfügung, sechs von ihnen sind Landbeschäler in Diensten des Haupt- und Landgestüts Marbach. „Man kann auch mit einem kleinen Zuchtprogramm etwas bewegen“, sagt Baden-Württembergs Landoberstallmeisterin Dr. Astrid von Velsen-Zerweck überzeugt. Und sie hat es im Schulterschluss mit den Züchtern, dem Verein und dem Zuchtverband bewiesen: „Es ist gelungen, aus einer kleinen Population wirklich gute, körfähige Hengste zu entwickeln“, kann sie rückblickend feststellen.

Diese sorgen für den Fortbestand der Warmblutrasse, die schon im 19. Jahrhundert in Württemberg gezüchtet wurde und auf den Cob Normand zurückgeht. Basis der ursprünglichen Zucht waren Stuten mit viel Araberblut und Stuten aus Ostpreußen, die mit Hengsten aus der Normandie angepaart wurden. Als Gründungsvater des Altwürttembergers gilt der Anglo-Normanne Faust, der 1888 aus Frankreich importiert wurde.

Marbachs Landoberstallmeisterin Dr. Astrid von Velsen-Zerweck schwärmt: „Ich habe die Altwürttemberger als unkomplizierte, gesunde, leichtfuttrige und langlebige Pferde kennen- und liebengelernt.“ Foto: Haupt- und Landgestüt Marbach

Sandro ist einer der jüngsten Hengste in Marbach. Geboren 2014, geht er über seinen Vater Sorano auf Stempelhengst Sorent zurück. Foto: König/Haupt- und Landgestüt Marbach

Er machte mit seinen Nachkommen das Wirtschaftspferd aus dem Königreich Württemberg weltbekannt. Denn schon damals setzte man in der Landespferdezucht im Südwesten auf ein möglichst vielseitig nutzbares Pferd, das auch für die in der Landwirtschaft herrschenden harten Bedingungen geeignet sein musste, wie es auch in anderen Landstrichen begehrt war. Das Zuchtziel wurde landläufig liebevoll mit „Herr und Bauer“ beschrieben, womit die genügsamen Pferde charakterisiert wurden, die während der Woche vor dem Pflug eingesetzt werden konnten und am Sonntag vor der Kutsche eine gute Figur machten.

Initiative in letzter Minute

In den 60er Jahren, als die Rolle des Pferdes in der Landwirtschaft kleiner wurde, trugen die Züchter im ganzen Land dem Wunsch nach edleren Warmblütern für Sport und Freizeit Rechnung. Im Zuge dieses Umzüchtungsprozesses verschwand der heute „Altwürttemberger” genannte Schlag nahezu vollständig.

Den Archiven zufolge deckte als letzter Vertreter der Rasse 1969 der Hengst Freisohn in Marbach, wo sich die Spuren der alten Rassevertreter übrigens bis heute finden: Oberste, eine 1946 geborene Stute, begründete eine Familie, die in Baden-Württembergs Hauptgestüt bis heute gepflegt wird und aus der unter anderem Stempelhengst Gardez hervorging. Als vor 30 Jahren einige Züchter den „Verein zur Erhaltung des Altwürttemberger Pferdes“ gründeten, geschah dies sozusagen in letzter Minute. Mehr als 150 Stuten mit mindestens 50 Prozent Altwürttemberger Vorfahren konnten zwar damals erfasst werden, doch nur etwa 20 wurden als Muttertiere des Erhaltungszuchtprogramms genutzt. In den Jahren 1988 bis 1990 wurden nur jeweils zehn bis 13 Stuten gedeckt – keine ausreichende Zahl für die Remontierung.

Noch schlechter sah es zunächst in Sachen Vatertiere aus. Reingezogene Hengste der früheren Zuchtrichtung gab es nicht mehr. Stattdessen nutzte man für die Erhaltungszucht Vererber mit Altwürttemberger Vorfahren im Pedigree wie Jurist, einen Enkel des legendären, in Marbach begrabenen Trakehners Julmond, und wie erwähnt Moritzburger. Das baden-württembergische Haupt- und Landgestüt Marbach stellte auf Wunsch der Züchter im Rahmen eines Zuchtversuchs vor einigen Jahren den Cob Normand Ulysse des Prés auf, den Dr. Astrid von Velsen-Zerweck bei seiner Körung in St. Lô entdeckte und kaufen konnte. Inzwischen konnte sich der Hengst in der Zucht verankern, er wurde verkauft, in Marbach löste ihn sein Sohn Umberto ab.

Freisohn war 1969 der letzte Hengst des alten, schweren Schlages, der Umzüchtungsprozess brachte sportlichere Pferde hervor. Foto: Mutschler

Ein Aufwärtstrend

Im Jahr 2002 wurden beim Pferdezuchtverband Baden-Württemberg 14 Stutfohlen mit Altwürttemberger Blutanteil zwischen 17 und 61 Prozent eingetragen. Seit 2010 werden Fohlen mit einem entsprechenden Blutanteil von 12,5 Prozent als „Altwürttemberger“ registriert. Vor diesem Hintergrund sind die „Herren und Bauern“ unserer Zeit verständlicherweise im Erscheinungsbild alles andere als einheitlich. 2015 wurde auch deshalb das Projekt „Gezielte Paarung“ für die Rasse ins Leben gerufen. Mit diesen Anpaarungsempfehlungen durch die Zuchtleiterin sollen genetisch und in Sachen Exterieur interessante Stuten mit passenden Hengsten angepaart werden. Züchtern, die diese Chance nutzen, wird die Decktaxe erlassen, lediglich eine Servicegebühr ist zu entrichten. Werden private Hengste genutzt, trägt die Kosten der Verein, im Falle von Marbacher Hengsten die Landeskasse.

Die Maßnahmen greifen: Während 2014 nur vier Altwürttemberger Fohlen registriert wurden – „zu wenige für den Rasseerhalt“, wie Dr. Carina Krumbiegel sagt – wurden im vergangenen Jahr 24 Altwürttemberger Stuten von neun Hengsten gedeckt, aktuell sind knapp 50 Stuten im Zuchtbuch erfasst, elf Hengste können genutzt werden.

In Marbachs aktueller Hengstriege ist der bedeutende Abendruf beispielsweise durch seinen Urenkel Aragon verankert. Foto: Mutschler

„Wir wollen die Rasse erhalten, sie stabilisieren und das Kulturgut Altwürttemberger erhalten“, so die Zuchtleiterin. Und Baden-Württembergs Landoberstallmeisterin Dr. von Velsen-Zerweck schwärmt: „Altwürttemberger Pferde sind verlässlich auch im schweren Zug, und freundliche, sympathische Partner für Sport und Freizeit. Ich habe sie als unkomplizierte, gesunde, leichtfuttrige und langlebige Pferde kennen- und liebengelernt, die auch für Kinder und Anfänger Freunde sind.“ Schöner kann man das nicht sagen.

Dr. Michaela Weber-Herrmann

Die Rote Liste der GEH

Im Jahr 1981 wurde die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen, kurz GEH, gegründet, seit 1984 veröffentlicht sie die „Rote Liste der gefährdeten Nutztierrassen in Deutschland“. Damit will sie darauf aufmerksam machen, dass neben Wildpflanzen und -tieren auch ursprünglich landwirtschaftliche Rassen vom Aussterben bedroht sind. Die Rassen auf dieser Liste werden entsprechend dem Grad ihrer Gefährdung in Kategorien eingestuft. Unterschieden werden Grad I, Rassen die als „extrem gefährdet“ gelten, Grad II für „stark gefährdete“ und Grad III für „gefährdete“ Rassen sowie eine Vorwarnstufe und eine Kategorie für nicht in Deutschland beheimatete Rassen. Für die Einstufung spielen nicht nur die Bestandszahlen eine Rolle, sondern auch Faktoren wie die Anzahl der Züchter, der Trend in der Anzahl der Zuchttiere, Reinzuchtgrad, Nachzuchtraten, Generationsintervalle und die staatliche Förderung.

Eine ganze Reihe inländischer Pferderassen finden sich auf dieser Liste. Als „extrem gefährdet“ gilt neben dem Altwürttemberger das vor allem in Westfalen gezüchtete Arenberg-Nordkirchner Pony, der Dülmener mit seiner Heimat im Münsterland, das Lehmkuhlener Pony aus Schleswig-Holstein, der Leutstettener, der seine Heimat am Starnberger See hat, der ursprünglich in Niederbayern beheimatete Rottaler und das vom Südhang des Teutoburger Waldes stammende Senner Pferd.

Als „stark gefährdet“ werden aktuell das Schleswiger Kaltblut und das Schwere Ostfriesische und Altoldenburger Warmblut eingestuft. „Gefährdet“ sind laut Roter Liste das Schwarzwälder und das Rheinisch-Deutsche Kaltblut sowie das Sächsisch-Thüringische Schwere Warmblut. Zu den als bedroht geltenden Pferden ausländischer Rassen zählen das britische Exmoor-Pony, der Knabstrupper vom barocken Typ, die portugiesische Rasse Sorraia und das Bosnische Gebirgspferd.

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