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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Herzog Rudolph von Croÿ

Neue Serie „Alternative Reitweisen und Disziplinen“, Teil 1: Working Equitation

Rittigkeit, Rasanz und Rinder

Wir blicken über den Tellerrand: „Working Equitation“ ist eine sportliche Hommage an die alten europäischen Arbeitsreitweisen – Reiter und Pferd zwischen Hütchenslalom, Rindertreiben und fliegenden Galoppwechseln. Deutschland stellt den amtierenden Mannschaftsweltmeister – vielleicht auch deshalb, weil die Dressur in dieser Pferdesportdisziplin eine so zentrale Rolle spielt.

Teamweltmeisterin Mirjam Wittmann hat ihr Herz für Working Equitation schon vor Jahren entdeckt. Foto: Birte Ostwald

Duchess‘ Hufe klopfen auf Holz. Im klaren Viertakt geht das Connemarapony über die niedrige Brücke. Drei Anläufe brauchte Hannah Wolff aus Lohmar mit ihrem jungen Pony, bis sie dieses Hindernis überwinden konnte. Das Erfolgsrezept war das Zusammenspiel von Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen. Und der altbewährte Reiter-Tipp: Hinschauen, wo man hin reiten möchte. Es ist Schnupper-Sonntag für Working Equitation im nordrhein-westfälischen Ratingen. Auf dem Reitplatz des Lengelshofes stehen drei Tonnen zum etwas anderen Kringelreiten, ein Fähnchen-Slalom, eine Gasse mit Glocke zum Vorwärts rein- und rückwärts rausreiten sowie ein Tor, das vom Pferd aus mit einer eleganten Vorhandwendung geöffnet wird – im Idealfall. Oft ist auch ein kleiner Sprung dabei. Ein solcher Stil-Trail ist eine von vier Teilprüfungen bei der Working Equitation. Das ist weniger eine Reitweise, als vielmehr eine recht junge Pferdesportdisziplin. Gefragt ist weiter eine Dressuraufgabe. Ein Speed-Trail und die Arbeit am Rind folgen allerdings erst in den höheren Klassen.

Stefan Baumgartner aus Ratingen zählt zu den Pionieren in Deutschland und möchte die Disziplin Working Equitation noch viel bekannter machen. Foto: Cornelia Höchstetter

Alltag der Rinderhirten

Entwickelt hat sich Working Equitation aus verschiedenen regionalen Arbeitsreitweisen der Rinderhirten hoch zu Ross: aus dem Alltag der Guardians in der Camargue, der Butteri in der Toscana, der Vaqueros in Spanien und der Campesinos aus Portugal. Damit gibt es sogar einen kulturellen Anspruch: Das traditionelle Hüten und Treiben der Rinder zu Pferd ist heutzutage kaum mehr notwendig, so dass eine alte Reitertradition in Vergessenheit zu geraten droht. Das wollen die „Worker“, wie sich die Reiter beim Working Equitation nennen, verhindern. Es gibt inzwischen sogar internationale Championate: Im Mai 2018 holte sich die deutsche Mannschaft in München den Weltmeistertitel. Neben diesem hohen sportlichen Anspruch bedient Working Equitation in den unteren Klassen auch den Breitensport. Für Neulinge ist der Stil-Trail oft die Einstiegsdroge, auch für Schnupperreiterin Hannah Wolff: „So ein Trail ist einfach eine tolle Abwechslung für das Pferd. Und die Atmosphäre auf den Schnuppertagen und auf den Turnieren ist extrem nett.“

Die ersten Working Equitation-Turniere in Deutschland gab es im Jahr 2008. Analog der olympischen Reitdisziplinen steigert sich das Niveau von Klasse E bis S. Dank der vielseitigen Aufgaben punkten verschiedene Pferdetypen und -rassen mit ihren jeweiligen Stärken, am Ende gleicht sich alles aus: Das schnelle und wendige Pferd ist im Speed-Trail im Vorteil, der ruhigere Geselle glänzt mit Exaktheit in Dressur und im Stil-Trail. Der Speed Trail und die Rinderarbeit geben dem Sport ordentlich Rasanz mit. Kein Wunder also, dass hier so viele Männer im Sattel sitzen – im Weltmeisterteam sind es eine Frau und drei Männer.

„Von Geisterhand manövriert“

Einer der Pioniere des Working Equitation in Deutschland ist Stefan Baumgartner. Er sitzt im Schatten des Trailplatzes am Lengelshof und erzählt, wie er diese Art des Reitens kennenlernte: Fast 30 Jahre ist es her, dass er – damals ein lässig-cooler Freizeitreiter im Westernsattel – in Spanien gesehen hat, wie die Reiter einhändig mit ihren Pferde ähnliche Trailhindernisse bewältigten: „So elegant und gleichzeitig lässig, und so ausgesprochen präzise – wie von Geisterhand manövriert und blitzschnell“, schwärmt er heute noch.

Er selber war mit seiner bayerischen Warmblutstute Pretty Witch lange in Spanien und hat Rinder durch unwegsames Gelände getrieben. Da geht es eben durch Gatter und über Brücken oder im Slalom um Bäume und Büsche. Dann müssen Arbeitspferde das sein, was auch ein Olympia-Dressurpferd sein muss: rittig und durchlässig bis in die Haarspitzen. Weil wilde Rinder zuweilen echte Hooligans sein können, brauchen Arbeitspferde zudem das, was Polizeipferde im Dienst vor dem Fußballstadion beweisen: Nervenstärke.

Die Rinderarbeit, das Trennen einzelner Rinder aus der Herde, wird erst in den höheren Wettkampfklassen abgefragt. Foto: Birte Ostwald

Die sportliche Seite: Vielseitigkeit wie Anno Dazumal

Working Equitation ist eine Pferdesportdisziplin, bei der Einsteiger beidhändig auf Trense, ab Klasse L auch auf Kandare mit Unterlegtrense reiten. In der Klasse S wird einhändig auf blanker Kandare geritten. In den unteren Klassen verzichtet man auf die Arbeit mit dem Rind, auch in den oberen Klassen gibt es zuweilen Turniere ohne Rinder, die dann „Derby“ heißen. In der Regel gehören jedoch diese vier Teilprüfungen zu Working Equitation:

Dressur: Dressuraufgabe mit klassischen Lektionen je nach Niveau, es gibt vorgeschriebene Aufgaben und auch Fußnoten für Rittigkeit, Gehorsam, Gelassenheit und Rückentätigkeit

Stil Trail: Zehn bis 15 Hindernisse. Bewertet wird die korrekte Ausführung.

Speed Trail: Die Überprüfung des Stil-Trails, nur läuft hier die Uhr, es geht nach Geschwindigkeit. Fehler werden in Strafsekunden umgerechnet.

Rinderarbeit: Ein Reiter muss ein Rind aus dessen Herde lösen und in einen abgetrennten Bereich lotsen. Hier zählen Punkte für geschicktes Reiten und natürlich die Zeit.

Wer darf starten?
Jeder ohne spezifische Voraussetzungen, denn es gibt Übungsturniere und Einsteigerprüfungen. Turniere und Ausschreibungen sind auf den Seiten der Vereine oder hier veröffentlicht: www.working-equitation-deutschland-ev.de

Verbände
• WAWE, der internationale Verband der World Association for Working Equitation mit Sitz in Portugal: www.wawe.com
• WED, der deutsche Verband mit Sitz im fränkischen Schwabach: www.working-equitation-deutschland-ev.de
• Unter dem Dach der FEI: www.fite-net.org

Durchbruch auf der Equitana

Trail-Reiten war ja in den 1990er und in den 2000er Jahren nichts Unbekanntes. Auf Turnieren hieß das noch „Reiterspiele“, bei Orientierungsritten konnten die Teilnehmer ihre Geschicklichkeit in Stangengassen beweisen, in der Westernreiterei ist der Trail eine eigene Disziplin. Aber dazu noch eine Dressurprüfung zu reiten, um den Gehorsam und die Rittigkeit unter Beweis zu stellen, den Trail einmal stilistisch gut und einmal mit Speed zu absolvieren und dann noch mit dem Pferd ein Rind aus der Herde abzusondern und in eine andere Ecke zu treiben: Die Kombination war neu und das wollte Baumgartner in Deutschland haben. Mit seinen Reiterfreunden Thomas Türmer und Gernot Weber (beide sind amtierende Team-Weltmeister) hat er sich für diese Art zu reiten stark gemacht. Den Durchbruch für die Working Equitation Bewegung brachte die Equitana. 2009 gab es den ersten „Working Equitation Cup“ – den soll es übrigens 2019 wieder geben. „Wir bekamen ein breites Publikum – da kamen Zuchtverbände, Reiter aus anderen Disziplinen, Zuschauer aus dem In- und Ausland – das war die perfekte Bühne, uns bekannt zu machen“, sagt Stefan Baumgartner.

Auch durch Tore wird bei der Working Equitation geritten. Foto: Birte Ostwald

Ob Reiten durch Stangen und Pylonen, über Brücken oder rund um Fässer – bei Working Equitation müssen die Pferde durchlässig an den Hilfen stehen. Foto: Birte Ostwald

Regelwerk an LPO orientiert

Bis heute hat sich viel getan: Turniere ohne Verbandswesen und Regularien haben keine Möglichkeit, an Sponsoren zu kommen. Also gibt es einen internationalen Verband, die World Association of Working Equitation (WAWE) mit etwa 22 Mitgliedsnationen. Hierzulande heißt der nationale Verband „Working Equitation Deutschland“ (WED). Er hat ein Regelwerk, das sich an der LPO der FN orientiert mit eigenen Dressuraufgaben. Nicola Danner aus dem bayerischen Wielenbach ist bei der WED Vizepräsidentin und war mit zuständig für das Regelwerk. „Die Working Equitation Reiter fürchten sich zwar vor weißen Reithosen, wissen aber, dass die Dressur die Grundlage für gutes Reiten ist“, sagt Nicola Danner. „Die Skala der Ausbildung ist die Basis, nicht nur bei den Lehrgängen.“

Lusitanos eignen sich sehr gut für die Working Equitation. Foto: Birte Ostwald

Wer sich einmal einen Speed-Trail anschaut – und wenn es auf YouTube ist – steht mit offenem Mund da: Von Hindernis zu Hindernis geht es im Galopp, um die Tonnen besteht der engste Weg mehr aus halber Galopp-Pirouette, fliegender Wechsel und wieder eine Pirouette. Dann nach vorne, im Galopp über die Brücke, vor dem Slalom kommen die Pferde so zurück, dass sie sich schier auf den Hintern setzen. In der Dressur heißt so etwas „Zulegen und wieder Aufnehmen“, im Working Equitation sieht es einfach nur rasant aus.

Die Pferde

Working Equitation ist ein Sport für fast alle Pferderassen. Lusitanos bringen für die höchsten Klassen das Komplettpaket mit: Speed, Versammlung und Sinn für die Rinderarbeit. Sehr verbreitet sind aber auch Warmblüter, Welsh-Ponys aller Sektionen, Haflinger, Norweger, Connemaraponys, Araber, kurz sämtliche Rassen mit Reitpferdeeigenschaften. Die Pferde müssen folgende Voraussetzungen mitbringen: gute Grundausbildung, Gelassenheit, Nervenstärke, Versammlungsbereitschaft, Reaktionsschnelligkeit und eine gute innere Einstellung. Gemeinsamkeiten mit der klassischen Ausbildung bestehen in der Skala der Ausbildung: Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung und Versammlung sind für die Working Equitation Reiter das Ziel und Ideal der Ausbildung und einer jeder Übungseinheit.

Nicola Danner: „Cross Over“

Weil Nicola Danner auch im Vorstand der Persönlichen Mitglieder ist, hat sie eine Vision: „Das Ziel ist ein ‚Cross Over‘ – dass auch Dressurreiter in Working Equitation Prüfungen starten. Keine Sorge: Die Rinderarbeit kommt erst später dazu.“ Für eine Prüfung mit Rindern muss das Pferd sowieso einen sogenannten „Rinderschein“ haben. Da wird dem Pferd in einem extra Kurs gezeigt, wie die Vierbeiner untereinander am besten klarkommen. „Die klassischen Reiter verlieren nicht das Gesicht, wenn sie in der Working Equitation reiten. Dazu ist das ein viel zu tougher und dynamischer Sport. Und anspruchsvoll allemal: Reiten Sie mal sieben Stangen, die sechs Meter auseinander stehen, im Galopp: Das ist wie ein Zweierwechsel im Schnelldurchlauf.“

Eine, die mit ihrem Warmblutpferd zwischen FN-Dressur und Working Equitation hin und her switcht, ist Swea Teubel. Sie ist Bereiterin bei Uta Gräf auf Gut Rothenkircher Hof in Rheinland-Pfalz – wo ja Uta Gräfs Ehemann Stefan Schneider Pferde für die Working Equitation ausbildet.

PM-Vorstandsmitglied Nicola Danner wünscht sich ein „cross over“, eine sinnvolle Vermischung zwischen der klassischen Reiterei und Working Equitation. Foto: Birte Ostwald

„Beim Working Equitation macht mir besonders Spaß, dass dem Pferd und dem Reiter durch die praktische Arbeit an den Hindernissen eine Abwechslung geboten wird. Und die Feinabstimmung, die zwischen Pferd und Reiter bestehen muss, um die Hindernisse korrekt ausführen zu können. Durch die vielen neuen Eindrücke sind die Pferde oft gelassener“, findet Swea Teubel.

Benjamin Werndls Test

Ein anderer „Cross-Over-Testkandidat” war Dressurreiter Benjamin Werndl. Er probierte im Rahmen einer Werbeveranstaltung der diesjährigen Weltmeisterschaften in München mit seinem Grand-Prix-Pferd Der Hit einige Trail-Hindernisse aus und erzählt: „Mein Pferd hat alles sofort mitgemacht – ich habe viele Ähnlichkeiten zu unserer Reitweise entdeckt. Ziel einer guten Dressurarbeit ist es ja auch, die Pferde an den Sitz zu bekommen, sie mit feinsten Hilfen reiten zu können. Ich glaube, Working Equitation spricht eine relativ breite Masse an. Außerdem sind bei der Working Equitation die Qualitätsunterschiede der Pferde nicht so ausschlaggebend.“ Allerdings findet Benjamin Werndl: „Die Rinderdisziplin ist in meinen Augen nicht mehr ganz zeitgemäß. Ob sich da der Sport für die Zukunft einen Gefallen tut?“

Das sieht Anja Ötting, Pferdewirtschaftsmeisterin aus Leverkusen, anders: „Ich habe so großen Spaß an der Rinderabeit, weil die Pferde selbst so begeistert mitmachen. Wenn man einmal im Sattel erlebt, wie das Pferd fast selbständig das Rind aussortiert. Für mich ist das einfach Teil des Sports.“ Weil Anja Ötting auch eine Reitschule betreibt, sieht sie noch einen ganz anderen Aspekt der Working Equitation: „Wir haben sehr viele Reitschüler mit wenig Talent oder mit großer Angst. Mit den Trailaufgaben bekommen diese Reiter eine klare Aufgabe und eine Technik an die Hand, das Pferd sicher zu führen.“ So kann sie eine Reitstunde abwechslungsreich nur mit Schritt und Trab gestalten, und jeder geht glücklich nach Hause. Eine Acht um zwei Tonnen zu reiten, ist für viele Reiter eine logischere Angelegenheit, weil sie die Linienführung deutlich sehen. Am „unsichtbaren“ Punkt X eine Volte rechts, eine Volte links zu reiten, braucht eine größere Vorstellungskraft.

Foto: Birte Ostwald

Foto: Birte Ostwald

Reiten mit Spaßfaktor

Fazit: Working Equitation sieht für den klassischen Reiter auf den ersten Blick nach einer wilden Mischung aus. Auf den zweiten Blick kann sich jeder ein paar Rosinen herauspicken. Zum Beispiel ist das Lehrreiche bei der Working Equitation, dass Reiterfehler schnell auffliegen: Fehlt beim Slalom der führende äußere Zügel, werden Schlangenlinien wie besoffen. Im Speed-Trail hagelt es auch noch Strafsekunden, weil das Pferd so nach außen driftet, dass der Weg viel länger wird. Wer nicht exakt am Punkt genau anhält, kann nicht an die Glocke greifen, weil der Arm zu kurz ist. „Das ist dann nichts Exotisches mehr, sondern reine Durchlässigkeit“, findet Stefan Baumgartner. Wenn alles richtig läuft, klingt Working Equitation nach gutem Reiten mit großem Spaßfaktor.

Cornelia Höchstetter

Working Equitation meets Classic

Ein PM-Seminar zum Thema „Working Equitation meets Classic“ findet am 11. Oktober 2018 im bayerischen Wielenbach statt. Mehr Infos und Tickets gibt es hier.

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